hintergründe
"Schätzungen gehen von 7.000 Spionen in Österreich aus"
Nachrichtendienst-Experte Thomas Riegler über die aktuelle Spionage-Affäre, 80.000 Telegram-Chats und James Bond.
Seit Tagen erschüttert eine neue Spionage-Affäre Österreich. Über viele Jahre hinweg wurden offenbar sensible und geheime Daten an Russland übermittelt. Im Mittelpunkt des Skandals stehen das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Egisto Ott, ein Polizist aus Kärnten, der verhaftet wurde, Jan Marsalek, früher Top-Manager des deutschen Pleite-Konzerns Wirecard, und Martin Weiss, einst leitender Verfassungsschützer.
Erst am Mittwoch wurde bekannt, dass bei den Hausdurchsuchungen bei Egisto Ott in Wien und Kärnten zwei SINA-Laptops sichergestellt worden waren. Eines der speziell gesicherte Geräte fand sich an Otts Kärntner Wohnsitz in Paternion in einem Regal, das zweite war in seiner Wohnung in Wien-Leopoldstadt hinter einer Küchensockelleiste versteckt, berichtet die APA.
Auf Newsflix und im Podcast erklärt Geheimdienst-Experte Thomas Riegler die Hintergründe der Affäre, wie Spione arbeiten und wie viele es in Wien gibt. Riegler ist Politikwissenschafter und Historiker, hat in Wien und in Edinburgh studiert, über Terrorismus promoviert. Er ist Fachmann für Geheimdienste, war im BVT-Ausschuss im Parlament Experte und er hat ein Buch geschrieben, das die momentane Situation gut erläutert: "Österreichs geheime Dienste". Die wesentlichsten Passagen aus dem Podcast:
Wie er Spionage-Experte wurde
Dass Österreich ein Spionageplatz ist, das ist fast ein Klischee und ich habe mir gedacht, es wäre eigentlich an der Zeit, dass man dem mehr auf den Grund geht, was da eigentlich dahintersteckt.
Ob er zu viele Bond-Filme geschaut hat
Ja gut, die James Bond-Filme, habe ich natürlich alle gesehen, aber ich wollte darüber hinaus einfach zum Kern der Sache vorstoßen, also was ist jenseits dieser Projektionen und dieser Fantasie-Sachen?
Ob das Leben sehr viel mit James Bond zu tun hat
Man tut gut daran, das Ganze realistisch zu betrachten.
Ob ihn die neue Spionage-Affäre überraschend getroffen hat
Es ist de facto keine neue Spionage-Affäre, es ist in Wirklichkeit eine Affäre, die uns schon seit mindestens 2018 beschäftigt. Also die Zeit, in der die BVT-Affäre hochgekocht ist. Und die Protagonisten sind immer dieselben.
Warum die "alte" Affäre immer wieder neu erzählt wird
Das Problem ist offenbar, dass zu einem früheren Zeitpunkt eine Anklage noch nicht möglich gewesen ist. Erst die Erkenntnisse aus Großbritannien haben dann den Fall für die österreichische Justiz wasserdicht gemacht und dann hat es eben diese Festnahme gegeben.
Wie er die Dimension der Affäre einschätzt
In Österreich hat Spionage eine lange Tradition. Man kann so weit zurückgehen, bis zu Oberst Redl 1913 (verriet Geheimnisse der österreich-ungarischen Armee an Russland, Anm.), es hat natürlich auch in den 1980er-Jahren große Spionagefälle gegeben. Ich erinnere nur an den Leiter der Wiener Staatspolizei, Gustav Hochenbichler, der als Stasi-Agent enttarnt worden ist. Der neue Fall hat eine starke internationale Dimension, das unterscheidet ihn von Vorgängern.
Warum die Affäre nicht schon 2022 so groß geworden ist
Es hat damals nicht nur in der "Washington Post" Berichte gegeben, aber offenbar hat der entscheidende Beweis gefehlt. Jan Marsalek hat mit seinem britischen Agentenring 80.000 Telegram-Chats ausgetauscht. Da hat sich offenbar sehr viel Neues ergeben, und das hat dann zu diesem Vorgehen geführt.
Was man über die 80.000 Chats weiß
Die britischen Behörden haben einen Teil davon der österreichischen Justiz übergeben. Aufgrund dieser Erkenntnisse kann man natürlich dann vieles besser nachvollziehen, wenn man praktisch den Agentenführer Marsalek im O-Ton hat, wie er sich austauscht mit einem seiner Unterführer in Großbritannien. Der österreichische Fall kommt da auch zur Sprache.
Ob Österreich bisher ein großes Interesse an der Aufklärung hatte
(macht eine längere Pause) Es hat zu Beginn so gewirkt, als wäre das eine typische Kabale aus dem österreichischen Beamtenapparat. 2020 ist Marsalek dann nach Russland geflohen und der Mann, der seine Abreise in Wirklichkeit initiiert hat, war jener Martin Weiss, der jetzt unter denjenigen ist, die in diesen Fall verwickelt sind. Weiss war auch einer der Belastungszeugen im BVT-Ausschuss im Parlament. Das heißt, dieselben Personen tauchen in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder auf. Und das alleine hätte schon diversen Entscheidungsträgen zu denken geben sollen. Aber wahrscheinlich war es so, dass man versucht hat, die Sache eher auf die lange Bank zu schieben.
Was er über die zentralen Figuren weiß
Egisto Ott ist ein Urgestein aus dem Verfassungsschutz, weil er schon seit den 1980er-Jahren dabei gewesen ist. Genauso übrigens wie sein unmittelbarer Vorgesetzter Martin Weiss, der in der Öffentlichkeit deutlich weniger wahrgenommen wird, aber auch eine der Schlüsselpersonen ist. Diese beiden Personen haben in einem kleinen Netzwerk zusammengearbeitet, aber Jan Marsalek ist in Wirklichkeit die dominante Person. Ich würde also viel mehr von einem Fall Marsalek sprechen als von einem Fall Ott.
Ob Österreich naiv war
Österreich hat aufgrund der Tatsache, dass es neutral ist, irgendwie die Selbstwahrnehmung, dass gewisse Dinge außenherum passieren, uns selbst aber weniger betreffen. Das hängt damit zusammen, dass man zum Beispiel kein NATO-Mitglied ist. Andere Akteure wie Russland sehen das als ein Signal der Schwäche und nutzen das aus.
Ob Österreich im Bereich Nachrichtdienste gut organisiert ist
2021 ist das BVT neu aufgesetzt worden, nun gibt es die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst DSN. Das heißt, da hat man schon nachgeschärft. Auch was den Austausch von Informationen betrifft. Es ist nicht so, dass dies immer nur einseitig passiert. Also die DSN hat auch schon diverse Informationen an Partnerdienste geliefert. Aber natürlich ist man sehr stark abhängig von der Kommunikationsüberwachung, die durch andere passiert, insbesondere was den Terrorismus betrifft.
Ob die DSN international einen besseren Ruf genießt
Man hat die Bedenken sehr ernst genommen und zu einem gewissen Maß ausgeräumt. Allerdings gibt es in Europa mittlerweile andere Sorgenkandidaten. Ich denke jetzt an die Slowakei, Ungarn sowieso.
Ob Jan Marsalek der Dreh- und Angelpunkt der Affäre ist
Ja, ganz offensichtlich, weil er die Leute mit sehr viel Weitblick rekrutiert hat. Er hat Martin Weiss an sich gezogen, dann Egisto Ott. Er ist mit sehr viel Voraussicht vorgegangen und hat schon im Vorfeld der BVT-Affäre Misstrauen ins Amt gestreut. Das hat dazu beigetragen, dass dort dann im Februar 2018 tatsächlich die Razzia stattgefunden hat.
Welche Rolle Martin Weiss spielt
Den darf man nicht unterschätzen, er war damals de facto der operative Leiter des österreichischen Nachrichtendienstes. Das ist also wirklich einer derjenigen in der Republik, die das meiste geheime Wissen haben. Natürlich ist er vom Marsalek angeworben worden. Das ist eigentlich eine Unverzeihlichkeit.
Wo er Versagen sieht
Der erste Verdacht gegen Ott hat schon 2017 bestanden. Dann hat man ihn aufs Abstellkreis geschoben, in die Sicherheitsakademie. Interessant wäre zu wissen, wie es Ott möglich war, von diesem Ort aus weiterhin Datenbankabfragen zu betreiben. Er hat auch seine internationalen Kontakte weiterhin genutzt. Das muss vor allem auch intern aufgeklärt werden.
Ob es nicht naiv ist, zu glauben, dass nur drei Personen verwickelt sind
In Wirklichkeit steht im Raum, dass hier ein massiver Informationsabfluss nach Russland stattgefunden hat. In einem Fall wissen wir, was verraten worden ist, die berühmte Nowitschok-Formel, die Formel für dieses Nervengift. Die stand auf einem Dokument einer internationalen Organisation und wurde von ihr an verschiedene Mitgliedstaaten ausgeschickt. Eines dieser Dokumente mit einem österreichischen Barcode wurde von Jan Marsalek nachweislich in London 2018 britischen Journalisten angeboten. Also da merkt man, da ist etwas auf jeden Fall abgeflossen, definitiv.
Ob alles wie vor zwei Jahren wieder im Sand verlaufen wird
Es besteht nun die Chance auf Aufklärung, weil auch die Justiz unter Handlungszwang ist. Es müssen jetzt wirklich alle reinen Tisch machen. Es muss einwandfrei feststellt werden, ob Marsalek nicht noch weitere Zuträger hatte.
Ob Österreich immer noch eine Spionage-Hauptstadt ist
Ja, natürlich. Alleine aufgrund der Tatsache, dass hier so viele hochkarätige internationale Organisationen vor Ort sind. Wien ist ja UN-Sitz und das bedeutet automatisch, dass hier sehr viel Spionage stattfindet und weiter stattfinden wird.
Ob es Wien Spionen leicht macht
Es ist diese Kombination aus einer sehr laxen Rechtslage und einer sehr schwachen Spionageabwehr. Das heißt, im Grunde kann man hier tun und lassen, was man will, solange man nicht direkt die Interessen der Republik gefährdet. Das hat dazu geführt, dass es vor allem im Kalten Krieg der KGB in Wien sehr leicht gehabt hat.
Ob Gesetzesverschärfungen etwas bringen
Man könnte auf jeden Fall mit anderen Ländern gleichziehen, die dieselben Probleme haben. Also etwa Belgien hernehmen, das mit Brüssel einen EU-Sitz hat. Da wurde gerade die Spionageabwehr deutlich verstärkt. Und in der Schweiz ist Spionage gegen internationale Organisationen strafbar. Das heißt, man könnte sich diese beiden Länder als Beispiel heranziehen, um nachzuschärfen.
Wie viele Spione es in Österreich gibt
Es gibt Schätzungen, die von ungefähr 7.000 Spionen ausgehen. Aber in Wirklichkeit weiß das niemand so genau. Es gibt zusätzlich zu denen, die offiziell als Diplomaten registriert sind, noch eine Unzahl an Leuten, bei denen es keinen Aufschluss darüber gibt, ob sie in Wirklichkeit für einen Geheimdienst arbeiten. Das heißt, wir müssen von einer sehr hohen Zahl ausgehen, ohne wirklich der genaue Marke nennen zu können.
Was ein Spion so im Arbeitsalltag tut
Sie lesen Zeitung, gehen in Kaffeehäuser, schauen sich offene Quellen an. Es ist eigentlich ein sehr bürokratischer, wenig aufregender Job, außer für diejenigen, die für spezielle Aufgaben eingesetzt werden. Also für Versuche, geheime Informationen abzuschöpfen, indem man Quellen rekrutiert. Die meisten sind mit dieser Quellenrekrutierung nicht befasst, sondern sind wirklich damit beschäftigt, das Internet zu beobachten. Also James Bond hat mit der Realität oft sehr wenig zu tun.
Ob es einen U-Ausschuss zur Spionage geben sollte
Ich denke, dass jetzt vor allem einmal die Justiz am Zuge ist. In weiterer Folge könnte man sich überlegen, ob nicht das Verhältnis zwischen Österreich und Russland Thema eines Untersuchungsausschusses sein sollte.
Warum das Thema sein sollte
Man darf nicht vergessen: Während all diese Spionageaktivitäten gelaufen sind, hat sich das Verhältnis zwischen Österreich und Russland, insbesondere haben sich die wirtschaftlichen Beziehungen, noch weiter verstärkt. 2018 wurde der Gasvertrag abgeschlossen, der Österreich in Abhängigkeit hält. Wie merken also auf der einen Seite ab 2018 ein starkes Ansteigen von russischen Spionageaktivitäten in Österreich. Und auf der anderen Seite, auf der politischen, merken wir eine immer engere Annäherung an Moskau. Dieses Missverhältnis müsste eigentlich thematisiert werden.