Aufgedeckt
Strom-Mondpreise: Warum Ihr Geld bald futsch ist
Tausende Energiekunden zahlten in den vergangenen Jahren zu hohe Strompreise. Wie das System funktionierte. Welche Rolle eine KI dabei spielte. Wie Sie Ihr Geld zurückbekommen. Und warum Sie dabei flott sein sollten.
Das raubte vielen Menschen im Land den Schlaf. Ab Herbst 2021 begannen die Energiepreise in Österreich in die Höhe zu schießen. Gas und Strom wurden zu kostbaren Gütern und waren plötzlich für viele kaum mehr bezahlbar. Es entstanden goldene Zeiten für die Energieversorger, die Gewinne sprudelten. Erst nach und nach stellt sich nun heraus, mit welchen Kniffen dem Geschäft hier nachgeholfen wurde.
Inzwischen sind die Bundeswettbewerbsbehörde und die E-Control intensiv in der Aufarbeitung der Affäre engagiert, eine eigene Taskforce wurde eingerichtet. Das Oberlandesgericht Wien hat bereits in zweiter Instanz aufgrund einer grundsätzlichen Klage des VKI (Verein für Konsumenteninformation) bestätigt, dass die Energiepreise insbesondere Konsumenten gegenüber sittenwidrig überhöht waren. Der Wiener Rechtsanwalt Georg Zanger vertritt eine Vielzahl von Konsumenten und Unternehmen und setzt deren Ansprüche durch. Laufend bekommen seine Klienten die zu hohen Preise rückerstattet. Inzwischen sind Rechtsschutzversicherungen, aber auch Prozessfinanzierer bereit, die Kosten der Verfahren zu übernehmen und damit das Risiko von den Betroffenen abzuwälzen. Was Sie über die Vorgänge wissen sollten:
Wie fing alles an?
Jedenfalls nicht mit dem Ukrainekrieg, wie gern argumentiert wird, sondern mindestens ein halbes Jahr davor. Nach dem Sommer 2021 verfielen die Preise für Strom und Gas in den Galopp, nach der Invasion Russlands im Februar 2022 gab es dann endgültig kein Halten mehr. Haushalte, die ihre Kosten für Energie budgetiert hatten, waren von einem Tag auf den anderen mit Forderungen in schwindelerregenden Höhen konfrontiert.
Wie kommt der Strom zu seinem Preis?
Das berührt vielleicht den Kern der Affäre. Österreich lernte in diesen Tagen ein neues Wort kennen: "Merit Order". Mit diesem Kunstbegriff wurde ab da jeder Preissprung argumentiert.
Was ist "Merit Order"?
Vereinfacht gesagt: Kraftwerke produzieren nach unterschiedlichen Kosten. Die Energieunternehmen haben öffentlich dargelegt, dass sie aufgrund des sogenannten "Merit Order Prinzips" dazu berechtigt sind, Markthöchstpreise zu begehren. Das Prinzip der "Merit Order" legt fest, dass das jeweils letzte Kraftwerk (also das teuerste) den Markpreis bestimmt.
Ist das in Stein gemeißelt?
Nein, es gibt dafür keine gesetzliche Vorgabe. Laut EU ist es nicht vorgeschrieben, den Höchstpreis an der Börse festzulegen, es soll nur ein einheitlicher Preis für dieselbe Ware, in diesem Fall Strom, ausgewählt werden. Die Energieerzeuger haben sich also das Merit Order Prinzip selbst gegeben. So haben sie richtig Geld verdient.
Wie viel Strom wird aus aus erneuerbarer Energie erzeugt?
85 Prozent. Wasserkraft, Windkraft und Photovoltaik decken den Großteil des Strombedarfes in Österreich ab. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso den Kunden in Österreich, statt des billig produzierten Stroms, der Höchstpreis, der an der Börse angeboten wird, verrechnet wird.
Wie kommt der Strom also jetzt tatsächlich zu seinem Preis?
Über einen Algorithmus, einer KI, wenn man so will, namens "Euphemia". Dieser Algorithmus rechnet für die Strombörsen den Preis aus. Wie "Euphemia" tatsächlich programmiert wurde, ist geheim. Fakt ist: Die Parameter der Berechnung können jedenfalls beeinflusst werden, auch um gewünschte Ergebnisse zu erzielen. "Der Umstand, dass eine KI den höchsten Preis fixiert, lässt den Verdacht zu, dass Unternehmen von vornherein damit rechnen können, dass sie statt dem niedrigen Preis, den sie auf der Börse anbieten, ein Vielfaches davon für den von ihnen produzierten Strom erhalten," sagt Anwalt Zanger.
Wie ist der österreichische Strommarkt organisiert?
Er ist im eigentlich privatisiert, tatsächlich aber spielen der Verbund und die Landesversorger die relevante Rolle. Laut Taskforce aus Bundeswettbewerbsbehörde und E-Control ist ihre Rolle als "marktbeherrschend" einzustufen.
Können Energieanbieter verlangen, was sie wollen?
Marktbeherrschende Unternehmen dürfen nicht beliebige Preise verlangen! Insbesondere Konsumenten haben den Anspruch, dass ihr Grundbedarf zu den günstigsten Bedingungen erfüllt wird. Nach den vorliegenden Urteilen steht fest, dass die Energiekonzerne ihre Macht rechtswidrig dazu ausgenutzt haben, die Endkunden zu schröpfen.
Welche Auswirkungen hatte die Strompreisbremse?
Mit 1. Dezember 2022 wurde ein Stromkostenzuschuss eingeführt. Er deckelt die Stromkosten bis zu einem Verbrauch von 2.900 Kilowattstunde jährlich mit 30 Cent pro Kilowattstunde. Die Maßnahme läuft schrittweise bis 31. Dezember 2024 aus. Die Maßnahme kostete den Steuerzahler Millionen. Von den Energieanbietern wurde die Strompreisbremse benutzt, um zweifach zu kassieren, von den Kunden und von der öffentlichen Hand.
Was unternahmen die Kontrollbehörden?
Die Bundeswettbewerbsbehörde und die E-Control richteten – aufgrund einer Anzeige von Rechtsanwalt Zanger - wie bereits erwähnt im Jänner 2023 eine gemeinsame Taskforce ein. Untersucht werden sollten etwa die Markkonzentration, die Entwicklung der Preise für Gas und Strom am Großhandel und für Endkunden, sowie die Wirkung der Strompreisbremse. Vor wenigen Tagen wurde der zweite Zwischenbericht präsentiert.
Was fanden die Ermittler heraus?
Eine ganze Menge und die Beschreibung der Entwicklungen zeigt einen aus den Fugen geratenen Markt. Die Taskforce identifizierte folgende "Problemfelder":
- Die Marktkonzentration stieg in den Energiemärkten an
- Es kam zu einer "deutlichen Reduktion" der Angebote
- Es entwickelten sich "extreme Unterschiede" zwischen Tarifen für Neu- und Bestandskunden
- "Preise für Neukund:innen bleiben weiterhin auf einem stark erhöhten und vielfach nicht den Großhandelspreisen entsprechendem Niveau"
- Es kam zur "Ungleichbehandlung von Verbraucher:innen", je nachdem wo sie wohnten und welcher Kundengruppe sie angehörten
- Und: Es gab eine auffallende "zeitliche Nähe von Preiseerhöhungen zum In-Kraft-Treten des Stromkostenzuschusses". Die Vermutung: Die Energieanbieter steckten die Förderung als Körberlgeld ein.
Müssen Kunden das hinnehmen?
Nein, sie können zu viel gezahlten Geld zurückfordern. Anwalt Georg Zanger hat bereits 2023 begonnen, Klagen einzubringen. Private, aber auch Unternehmer konnte sich an ihn wenden und das risikolos, ein Prozessfinanzierer übernahm die Kosten. Alle Verfahren bisher endeten mit einem Vergleich, die Energieversorger zahlten, um ein Prozessrisiko zu vermeiden. Für Private ging es dabei um Hunderte Euro, Unternehmen bekamen bis zu vier Millionen Euro zurück.
Aber haben die Energieanbieter nicht selbst Rückzahlungen gestartet?
Ja, aber laut Zanger diente das lediglich der Ablenkung, weil an die Kundinnen und Kunden nur ein Bruchteil vom dem Geld rücküberwiesen wurde, das ihnen eigentlich zustehen würde.
Warum brennt jetzt der Hut?
Weil die Ansprüche mit Ende 2024 "verjähren". Wer zu spät kommt, den bestraft also das Leben.