urteil und die folgen
USA sind ein "faschistischer Staat", der Richter ist "ein Teufel"
Wüterich-Auftritt nach dem Schuldspruch. Donald Trump kündigte Berufung an, und nannte Joe Biden "den dümmsten Präsidenten, den wir je hatten".
Vor neun Jahren war er die goldene Rolltreppe heruntergefahren, um seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen anzukündigen. Am Freitag nutzte er die Aula seines Towers in New York für eine Wutrede. Donald Trump teilte nach allen Seiten aus, nur mit sich selbst ging er gnädig um. Richter Juan Merchan, der seinen Fall verhandelt hatte, sehe aus wie ein Engel, sei aber "ein Teufel", sagte er, Präsident Biden einer "der dümmsten Präsidenten, den wir je hatten". Zu der Verurteilung meinte er: "Wir leben in einem faschistischen Staat."
Diesmal kam er allein, keine Spur von Melania. "Ich fühle mich in gewisser Weise geehrt", sagte er. "Es ist nicht so, dass es angenehm wäre. Es ist sehr schlimm für Familie, Freunde und Unternehmen. Aber ich fühle mich geehrt, daran beteiligt zu sein." Er redete knapp 34 Minuten lang, behauptete, seine Umfragewerte seien in den letzten zwölf Stunden um sechs Prozentpunkte in die Höhe geschossen, 39 Millionen Dollar Spenden geflossen, belegen lässt sich das alles nicht.
Seine Anhänger fluten das Netz mit Hassbotschaften. Sie rufen dazu auf, Richter Juan Merchan zu liquidieren. Einige wollen den Bürgerkrieg. "1.000.000 Männer müssen nach Washington gehen und alle aufhängen. Das ist die einzige Lösung."
Auch US-Präsident Joe Biden reagierte. Er übermittelte Israel und der Terrororganisation Hamas einen neuen Vorschlag, er sieht drei Phasen vor: Waffenruhe und Abzug der Israelis, Geiselaustausch, Neuaufbau des Gazastreifens mit US-Hilfe. Auf X äußerte sich Biden auch zu Trump. Er nannte seinen Vorgänger "eine Bedrohung für die Demokratie". Was Sie über das Trump-Verfahren wissen müssen:
Wie liefen der Prozess und die dramatischen Stunden ab?
Man hätte einfach eine Kamera mitlaufen lassen können und ein perfekter Hollywoodfilm wäre entstanden. Das Verfahren gegen Donald Trump enthielt mehr, als ein üppiges Drehbuch jemals glaubhaft machen könnte: Sex, Schweigegeld, falsche Namen, einen windigen Magazin-Verleger, das politische Washington, einen Ex-Präsidenten mitten in einem Wahlkampf, Gerüchte über Verschwörungen und Vertuschung. Es war ein Gerichtsprozess wie gemalt für Kinoleinwände.
Am Donnerstag, knapp vor Mitternacht europäischer Zeit, wurde Trump nun in New York in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden. Ein verurteilter (Ex-)Präsident, das gab es in der US-Geschichte noch nie. Aber worum ging es in dem Verfahren eigentlich und was hat der Schuldspruch für Folgen?
Wie kam die Affäre an die Öffentlichkeit?
Am 12. Jänner 2018 publizierte das "Wall Street Journal" einen Artikel, der gehörig Staub aufwirbelte. Die Zeitung behauptete, Michael Cohen, Anwalt von Donald Trump, habe 2016 einer "Ms. Clifford" 130.000 Dollar zukommen lassen. Schweigegeld, damit sie eine mutmaßliche sexuelle Begegnung mit Trump nicht öffentlich macht. Bei "Ms. Clifford" handelte es sich um Stephanie Gregory Clifford, die unter dem Namen "Stormy Daniels" in mehreren Pornofilmen zugange war.
Wie reagierte das Trump-Team?
Der Vorfall wurde abgestritten. Anwalt Cohen legte eine von "Stormy Daniels" unterzeichnete Erklärung vor, in der sie eine Affäre mit Trump und den Erhalt von Schweigegeld bestritt. Das "Wall Street Journal" aber konterte. Die Zeitung berichtete, dass Anwalt Cohen eine eigene Firma – "Essential Consultants LLC" – in Delaware gegründet hatte, um die Zahlung abzuwickeln. Abgedruckt wurde auch ein Faksimile der Übereinkunft.
Wurde Trump im Vertrag genannt?
Nein, nicht direkt. Für Stormy Daniels wurde das Pseudonym "Peggy Peterson" verwendet, Trump hieß "David Dennison". In dem Vertrag steht aber auch, dass es sich um Falschnamen handle und dass die richtigen Namen in einem Sideletter erfasst seien.
Wie ging es dann weiter?
Am 13. Februar 2018 gab Anwalt Cohen in einer Erklärung an, dass er die Zahlungen aus seinen persönlichen Mitteln geleistet habe, die "Trump Organization" habe damit nichts zu tun. Am 6. März reichte Stephanie Gregory Clifford Klage gegen Donald Trump und die Schweigegeld-Firma "Essential Consultants LLC" ein. Cohen habe "Einschüchterungs- und Zwangstaktiken" angewandt, um sie zu zwingen, die Erklärung zu unterschreiben, sagte sie. Der Anwalt dementierte. Also verklagte Clifford auch ihn. "Er hat mich als Lügnerin hingestellt."
Wie reagierte Trump?
Erwartbar, er stritt alles ab. Man sollte vielleicht erwähnen, dass er zu diesem Zeitpunkt amtierender Präsident der Vereinigten Staaten war. Am 5. April sagte Trump an Bord der Air Force One zu Reportern, er habe von den 130.000 Dollar nichts gewusst. Auch nicht, woher das Geld gekommen sein könnte. Dazu müsse man Mr. Cohen befragen.
Wie reagierte die Justiz?
Am 9. April 2018 führte das FBI Hausdursuchungen im Büro, im Hotelzimmer und in der Wohnung von Anwalt Cohen durch. Das "Wall Street Journal" berichtete, dass dabei Bankunterlagen zu den 130.000 Dollar gesichert wurden.
Warum sich das Blatt dann wendete?
Trump engagierte Rudy Giuliani als neuen Anwalt, ehemaliger Bürgermeister von New York, Nationalheld bei 9/11, inzwischen bankrott. In einem Interview für Fox News gab Giuliani in der Folge zu, dass Trump seinem Ex-Anwalt tatsächlich die 130.000 Dollar zurückgezahlt habe, und zwar schon 2017, in monatlichen Raten von je 35.000 Dollar. Aber das sei alles legal. Trump twitterte dazu: "Derartige Vereinbarungen sind unter Prominenten und wohlhabenden Leuten sehr üblich."
Wie es zum Prozess kam?
Die Anklage wurde am 30. März 2023 beim New York Supreme Court eingereicht. Der Prozess begann am 15. April 2024. Richter war Juan Marchan, ein ehemaliger Staatsanwalt, der mit Trump seine liebe Not hatte. Er erließ sogar eine "gag order", ein Redeverbot. Trump durfte Justiz, Geschworene oder Zeugen nicht mehr persönlich in der Öffentlichkeit angreifen. Das klappte mittelgut.
Was soll 2016 zwischen Trump und Stormy Daniels geschehen sein?
Das wurde ausführlich im nunmehrigen Prozess besprochen. So ausführlich, dass der Richter Stormy Daniels mehrmals einbremsen musste. Sie trat am 7. Mai 2024 in den Zeugenstand und schilderte, was 2006 in der Hotel-Suite am Lake Tahoe passierte. Trump (der ihr eine Rolle in seiner TV-Show "The Apprentice" versprochen haben soll) habe sie im Satin-Pyjama begrüßt, sich dann umgezogen. Als sie aber das Bad aufsuchte, habe sie Trump bei ihrer Rückkehr in Boxershorts und T-Shirt empfangen. Es kam zum (kurzen) Sex ohne Kondom, Details tun hier nichts zur Sache. Sie habe sich nicht bedroht gefühlt, sagte Daniels aus, aber sie sei "verwirrt" gewesen.
Wie Trump auf die Aussage reagierte?
Er schloss die Augen, schüttelte häufig den Kopf, bestritt die Vorgänge. Vor allem bei der Erzählung über Melania. Stormy Daniels sagte, sie habe ihn auf seine Ehefrau angesprochen. "Mach dir wegen ihr keine Sorgen", soll er gesagt haben. Sie hätten getrennte Schlafzimmer (tatsächlich sogar auf unterschiedlichen Stockwerken).
Warum das "System Trump" alles kollabieren ließ?
Cohen war für Trump nicht bloß Anwalt, er hielt ihm über die Jahre den Rücken frei. Und das öfters in Tateinheit mit dem windigen Verleger David Pecker. Über dessen Trash-Magazin "National Enquirer" wurden für Trump unliebsame Geschichten abgewürgt. Sie wurden einfach vom Markt gekauft. Der Portier eines Trump-Gebäudes erhielt 30.000 Dollar und schwups hatte Trump kein uneheliches Kind mehr. Das ehemalige Playboy-Model Karen McDougal bekam 150.000 Dollar und ihre zehnmonatige Affäre im Jahr 2006 (als er schon mit Melania verheiratet war und Sohn Barron gerade auf die Welt kam) mit dem späteren Präsidenten hatte nie stattgefunden.
Warum das Spiel diesmal nicht aufging?
Weil Pecker nicht mitmachen wollte, die Summe war ihm zu hoch.
Warum gab es überhaupt einen Prozess?
Trump hatte seinem Anwalt Cohen, wie erwähnt, die 130.000 Dollar in Raten zurückgezahlt. Verbucht hatte er allerdings unter "Rechtskosten" 420.000 Dollar und er machte daraus Steuervorteile geltend. Diese insgesamt 34 Falschbuchungen ergaben die 34 Anklagepunkte im Gerichtsverfahren. Und deshalb konnte Trump am Donnerstag in 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen werden.
Wie lautet das Urteil nun konkret?
Es gab insgesamt 20 Verhandlungstage, 22 Zeugen, die 12 Geschwornen berieten sich zwei Tage. Dann der Donnerstag. Um 17.06 Ortszeit (23.06 MEZ) begann die Verkündung des Urteilsspruchs. Alle 34 Anklagepunkte wurden einzeln aufgerufen, bei allen lautete das Urteil "guilty".
Wie reagierte Trump?
Wie Trump eben. Er sprach von einem "manipulierten, schändlichen Prozess". Das eigentliche Urteil werde am 5. November vom Volk gefällt, sagte er vor Journalisten außerhalb des Gerichtssaals. "Und das Volk weiß, was hier passiert ist, und jeder weiß, was hier passiert ist." Trump nannte sich einen "sehr unschuldigen Mann". Sein Ex-Anwalt Cohen (der zum zentralen Zeugen der Anklage geworden war) sprach von einem "wichtigen Tag für die Rechtsstaatlichkeit".
Sonst so?
Auf "Truth Social", der X-Kopie von Trump, veröffentlichte der Ex-Präsident noch am Donnerstag einen Spendenaufruf für seine Wahl-Kampagne. Eine Grafik zeigte ihn mit den Worten: "ICH BIN EIN POLITISCHER GEFANGENER!"
Wann wird das Strafmaß verkündet?
Am 11. Juli, vier Tage vor der Republican National Convention, auf der Trump offiziell zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gemacht wird.
Was droht Trump?
Maximal vier Jahre Haft. Trump selbst sprach am Freitag von "187 Jahren Gefängnis". Wohl reichlich übertrieben. Da er unbescholten ist, könnte die Strafe deutlich geringer ausfallen, es könnte auch auf eine Geldbuße hinauslaufen. Ach ja: Sollte er doch wieder US-Präsident werden, kann er sich nicht selbst begandigen. New Yorks Gouverneur könnte das machen, das gilt aber als unwahrscheinlich.
Kann Trump mit seiner Kandidatur weitermachen?
Ja, Trump ist weiterhin berechtigt, für die Präsidentschaft zu kandidieren und im Falle seiner Wahl das Amt zu übernehmen. Trumps Rechtsbeistand hat nach dem Urteil in New York 30 Tage Zeit, Berufung einzulegen, und sechs Monate, um die vollständige Berufung einzureichen. Ein etwaiges Berufungsverfahren geht sich wahrscheinlich bis zur Präsidentschaftswahl am 5. November nicht aus.
Aber da war ja noch was, oder?
Ja, Trump sieht sich drei weiteren Anklagen gegenüber, zwei wegen seiner angeblichen Bemühungen, Präsident Bidens Wahlsieg 2020 zu kippen, und eines wegen des Vorwurfs, er habe nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus illegal geheime Dokumente aufbewahrt. Keiner dürfte vor dem Wahltag vor Gericht kommen. Aber: Der Fall des Schweigegeldes wurde von vielen Beobachtern als der am wenigsten schwerwiegende der vier Fälle angesehen.
Wie reagierte US-Präsident Joe Biden?
Mit einem Spendenaufruf für sich auf Twitter und den Worten: "Es gibt nur einen Weg, Donald Trump aus dem Oval Office fernzuhalten: an der Wahlurne."