Wahl-Kopfnüsse, Folge 20

Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei

Im letzten ORF-Zweierduell vor der Wahl trafen am Montagabend Karl Nehammer und Herbert Kickl aufeinander. Was überraschte (die Tonalität), welchen Pakt ÖVP und FPÖ schlossen (Nein zu Gewessler), wie der Kanzler seinen Erzfeind lobte.

Das Bild täuscht: Nehammer und Kickl suchten häufig Blickkontakt
Das Bild täuscht: Nehammer und Kickl suchten häufig Blickkontakt
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Es gibt Kämpfe, die führt man für sich und Kämpfe, die führt man für jemand anderen. Magnus Brunner platzierte sich am Montagabend ungefähr genau irgendwo dazwischen. Sein derzeitiges Schlachtfeld heißt Wahlkampf, er ist daran beteiligt, aber wiederum auch nicht.

Mit KI-Stimme: Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei

Vor einer Woche wurde Brunner zum EU-Kommissar für Migration designiert. Er steht aber auch auf Platz 3 der ÖVP-Bundesliste. Den Volkspartei-Kanzler und den Volkspartei-Finanzminister trennt nur die Listenzweite, Volks-Posaunistin Claudia Plakolm.

Brunner ist zudem Spitzenkandidat der Volkspartei in Vorarlberg und in dieser Funktion, die gar keine Funktion ist, war er am Montagabend in Dornbirn zu einer Wahldiskussion geladen. Der ORF übertrug. Brunner kam. Und das, obwohl er im künftigen Nationalrat keine nachhaltige Rolle spielen wird. Am 24. Oktober treffen sich die frisch gewählten Abgeordneten erstmals im österreichischen Parlament, Brunner ist da schon mit einem Tennisarm in Brüssel.

Volkspartei-Finanzminister Magnus Brunner mit Volks-Posaunistin Claudia Plakolm
Volkspartei-Finanzminister Magnus Brunner mit Volks-Posaunistin Claudia Plakolm
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Kanzler, Vizekanzler, Minister oder Ministerin kann jeder in Österreich per Zuruf werden. Manchmal reicht auch Zufall. Ich erinnere mich noch an die Entstehungsgeschichte des Kabinetts Kurz I. Als alle Jobs vergeben und vermarktet waren, trat eine längere Nachschub-Pause ein. Ich erkundigte mich nach den Gründen und erfuhr: Die Favoritin sei auf Skiurlaub und bisher so unzugänglich wie das Gelände.

Das verstand ich. Viele mögliche Auserwählte entfernen sich in Zeiten einer Regierungsbildung nicht weiter als zwei Klingeltöne von ihrem Handy. Aber manche ahnen nicht, dass sie zu möglichen Auserwählten zählen. Und fahren dann Ski.

Die Antwort allerdings verblüffte mich doch. "Was geschieht, wenn die Kandidatin nicht zeitnah erreichbar ist?", fragte ich. "Dann wird jemand anderer Minister", wurde mir beschieden. "Man muss halt ein paar Kompetenzen hin und her schieben." Das mit den Kompetenzen hinterfrage ich seitdem. Die Skifahrerin bekam übrigens den Job.

Geheimwaffe rote Mappe: Andreas Babler setzt darauf ...
Geheimwaffe rote Mappe: Andreas Babler setzt darauf ...
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In der EU ist das anders, designierte Kommissare erhalten zunächst ein paar Fragebögen, in denen sie frühere Tätigkeiten, Nebentätigkeiten oder finanzielle Vermögenswerte offenlegen müssen – Aktien, Anleihen, Kredite und derlei. Aber nicht nur für sich, sondern auch für ihre Lebenspartner und die Kinder.

Dann müssen sich alle Hearings durch das Europäische Parlament stellen. Dabei wird man nicht gefragt, ob man die Leberkäs-Semmel lieber mit scharfem oder süßem Senf isst. Es gibt 26 einzelne Anhörungen, jede dauerte drei bis vier Stunden. Zunächst kann sich der Kandidat oder die Kandidatin 15 Minuten lang vorstellen, dann muss er 25 Fragen beantworten, die Verteilung unter den Fraktionen ist feinste Mathematik. Am Ende darf sich der Petent fünf Minuten lang verabschieden.

Nicht alle kommen durch. Bei den letzten Anhörungen 2019 mussten Rumänien, Ungarn und Frankreich neue Kandidaten nominieren, weil die Erstgenannten vom Parlament abgelehnt worden waren. Das ist auch diesmal zu erwarten und deshalb bleibt unklar, wann die Kommission ihre Tätigkeit aufnehmen kann. Von Anfang November bis Jahresende ist alles zu hören. Vielleicht braucht Brunner bis dahin also doch noch ein warmes Plätzchen im Nationalrat.

... aber auch Beate Meinl-Reisinger hatte einen roten Ordner mitgebracht
... aber auch Beate Meinl-Reisinger hatte einen roten Ordner mitgebracht
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Um ein warmes Plätzchen ganz nah an der Sonne der Macht ging es am Montagabend auch im ORF. Die letzten beiden TV-Duelle vor der Wahl standen an, zunächst traf Beate Meinl-Reisinger auf Andreas Babler. Der SPÖ-Chef hätte sich lieber in der Konfrontation danach gesehen, da duellierten sich der Volkskanzler und der Volkspartei-Kanzler. Es wäre tatsächlich unterhaltsam gewesen, wenn Babler einfach im Studio geblieben wäre. Jetzt, wo die Klimakleber wieder anderen Beschäftigungen nachgehen, ist ja das gesamte Genre unbesetzt.

Ich war zur Analyse im Nachgang auf ORF III geladen, deshalb schaute ich mir die Duelle pitzelig an wie ein Buchhalter und wurde überrascht. Babler, der eben noch Kickl unter Entfaltung einer 1,80 Meter langen Papyrusrolle allerlei Vergehen von FPÖ-Politikern an den Kopf geworfen hatte, war an diesem Abend die reinste Frohnatur. Und das, obwohl sich Beate Meinl-Reisinger recht subtil um Provokation bemühte. Sie versuchte, den SPÖ-Chef als alten Mann dazustellen, der einer greisen Partei vorsitzt. Framen sagt man heute dazu.

Kanzler Karl Nehammer traf erst kurz vor dem Duell im ORF-Zentrum ein
Kanzler Karl Nehammer traf erst kurz vor dem Duell im ORF-Zentrum ein
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"Retro" nannte sie die SPÖ und "retro" nachher Babler selbst. Auch "unernst" wie Doris Bures. "Die siebziger Jahre haben angerufen und wollen ihre Sicherheitspolitik zurück", sagte sie. "Die Republik ist voller Schubladen mit Papieren", spottete sie über mangelnden Reformwillen. Und: "Wenn ich Sie anschaue, denke ich immer an die siebziger Jahre". Babler lächelte, verteidigte sich sanft, entschuldigte sich bei der Moderatorin, wenn er nicht zum Thema sprach und mitten in die Beleidigungen hinein sagte er: "Das ist ein gutes Gespräch."

Ob das zweite Gespräch ein gutes Gespräch war, liegt im Auge des Betrachters. Nach den ersten paar Minuten dachte ich mir: "Na, das wird was werden." Da hatte Kickl sein Verhältnis zu Nehammer als "schwierig" beschrieben, er führe die "schlechteste Regierung der Zweiten Republik". Zum Corona-Management des Kanzlers sagte er, "dass ich jetzt nicht Dummheit sagen möchte" und sagte es damit erst recht.

Gewohnheit oder absichtlich eingesetzt: Kickl richtet sich häufig die Brille
Gewohnheit oder absichtlich eingesetzt: Kickl richtet sich häufig die Brille
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Aber das Klima besserte sich, vielleicht auch weil dem Duell einiges fehlte. Die Debatte über die Inflation etwa, das Thema Asyl wurde ganz am Ende reingequetscht. Die Chance, den Hochwasseropfern Mut zuzusprechen und den Helfern zu danken, wurde von beiden ausgelassen. Aber sie kamen drauf: Hey, wir können uns zwar nicht leiden, aber inhaltlich werden unsere Brote mit derselben Sorte Butter beschmiert. Ab da war mehr Heidi und Ziegenpeter, vor allem weil es eine gemeinsame Feindin auf der Alm gab: Leonore Gewessler.

Die Chancen, dass die grüne Umweltministerin nach der Wahl ihren Job behält, wurden an diesem Abend renaturiert. Bis auf Gewessler selbst hatte ohnehin niemand an ihren Verbleib geglaubt, nun wurde es offen ausgesprochen. Kickl warf Nehammer vor, er habe sich den Grünen "ausgeliefert. Es sei ein "kapitaler Fehler" gewesen, das Energie-Ressort und das Infrastruktur-Ressort an "eine Person zu vergeben", die "sektiererische Anwandlungen" hat.

Duell 2, milder als erwartet: Karl Nehammer, Susanne Schnabl, Herbert Kickl
Duell 2, milder als erwartet: Karl Nehammer, Susanne Schnabl, Herbert Kickl
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Man kann jetzt nicht sagen, dass sich der Kanzler in der Folge für seine Regierungskollegin vor den Bus warf. Nein, er gab Kickl in der Personalie Gewessler "vollkommen recht". So eine Konzentration wie jetzt im Energieministerium werde es "in der nächsten Regierung nicht mehr geben".

In Minute 30 der Debatte bekam die Umweltministerin den Ratschlag, sich um eine anderen Tätigkeit umzuschauen. Von zwei Herren, die sich an diesem Abend erstaunlich gut verstanden. "Danke vielmals," rief Kickl bei der Verabschiedung Nehammer zu. Es klang wie eine Ermunterung, mehr daraus zu machen.

Ich wünsche einen duellfreien Dienstag. Morgen erzähle ich Ihnen vielleicht ein bisschen was über ein paar mysteriöse Telefonanrufe. Schönen Tag!

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