WahlAnalyse
Wie Deutschland rechts abbog – und die Ampel überfuhr
Die Wahl in zwei Bundesländern endete am Sonntag mit einem Debakel für die Bundesregierung und einem Triumph für die rechtsextreme AfD. Olaf Scholz (SPD) ist nur mehr ein Kanzler auf Abruf.
Wahlverlierer in Bundesländern sehen die Schuld für schlechte Ergebnisse gerne in "negativen Bundestrends". Die Bundesparteien spielen den Ball dann zurück ins regionale Feld und orten dortige "Besonderheiten".
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag waren die Ergebnisse für die Kanzlerpartei SPD jedoch so eindeutig wie katastrophal, dass nicht einmal Generalsekretär Kevin Kühnert eine Ausrede suchte. Die Sozialdemokraten schafften in Sachsen keine acht Prozent und schnitten im benachbarten Thüringen noch schlechter ab. Was Sie über die Sonntagswahlen wissen müssen:
Wo wurde überhaupt gewählt?
In zwei von 16 deutschen Bundesländern, Thüringen (Hauptstadt Erfurt) von der Fläche her etwas kleiner als Niederösterreich, knapp über 2,1 Millionen Einwohner. Und in Sachsen (Hauptstadt Dresden), einen Hauch größer als Thüringen, aber mit fast doppelt so vielen Einwohnern.
Was war die Ausgangsposition?
In beiden Bundesländern wurde mit einem starken Abschneiden der rechtsextremen AfD (Alternative für Deutschland) gerechnet. Neu kam das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dazu, eine Abspaltung der Partei Die Linke. Das BSW wurde erst im Jänner 2024 gegründet, Namensgeberin ist die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, das politische Personal stammt zum Großteil aus ihrer früheren Partei. Wagenknecht ist seit 2014 mit Oskar Lafontaine verheiratet, Kanzlerkandidat der SPD 1990.
Wie wurden die beiden Bundesländer bisher regiert?
In Sachsen gab es eine Dreierkoalition aus CDU, SPD und Grünen, Ministerpräsident ist Michael Kretschmer (CDU). In Thüringen regiert ebenfalls eine Dreierkoalition, in diesem Fall aus Die Linke, SPD und Grünen. Ministerpräsident ist Bodo Ramelow (Die Linke).
Wie gingen die Wahlen am Sonntag in Thüringen aus?
Die AfD gewann haushoch. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Landtagswahl liegt sie über 9 Prozentpunkte vor der zweitplatzierten CDU. Das Bündnis Sahra Wagenknecht kam aus dem Stand auf 15,8 Pozent.
Das vorläufige Wahlergebnis in Thüringen
- AfD 32,8 % (+9,4 %)
- CDU 23,6 % (+1,9 %)
- BSW 15,8 % (15,8 %)
- Linke 13,1 % (-18,0%)
- SPD 6,1 % (-2,2 %)
- Grüne 3,2 % (-2,0 %)
- FDP 1,1 % (-3,9 %)
Und die Wahlen in Sachsen?
Hier rettete sich die regierende CDU als Erster über die Ziellinie, der Vorsprung auf die zweiplatzierte AfD beträgt allerdings nur 1,3 Prozentpunkte. Alle anderen Parteien folgen erst mit großem Abstand, nur die BSW überschritt noch die 10-Prozent-Grenze.
Das vorläufige Wahlergebnis in Sachsen
- CDU 31,9 % (+0,2 %)
- AfD 30,6 % (+3,1 %)
- BSW 11,8 % (11,8 %)
- SPD 7,3 % (-0,4 %)
- Grüne 5,1% (-3,5%)
- Linke 4,5 % (-5,9 %)
Was bedeutet das Abschneiden der AfD?
Sie sicherte sich jeweils fast ein Drittel der Stimmen. Der deutsche Inlandsgeheimdienst sieht die AfD in beiden Bundesländern als "gesichert rechtsextremistisch" an. Begründung: Er vertrete verfassungsfeindliche Positionen, die sich "gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richten".
Wie lief die Wahl für die Ampelregierung im Bund?
Sie endete in einem Desaster. Deutschland wird im Bund seit 8. Dezember 2021 von einer Ampelregierung aus SPD (Kanzler Olaf Scholz), Grünen (Vizekanzler Robet Habeck) und FDP (Finanzminister Christian Lindner) regiert. SPD und Grüne schrumpften in Thüringen und Sachen endgültig zu Kleinparteien, die FDP fand fast gar nicht mehr statt.
Was sind die Gründe dafür?
Die Wähler sind des Streits zwischen den drei Parteien leid. Als Hauptschuldiger ist Kanzler Olaf Scholz ausgemacht, der die unterschiedlichen Interessen und Ziele von Rot, Grün und Gelb nicht bändigen kann – sei es bei Energiepolitik, Migration oder dem Krieg in der Ukraine.
Wie reagierte die Ampel auf das Debakel?
Nach einem derartigen Wahldebakel gibt es zwei Wege: zerfleischen oder zusammenrücken. Ungünstigerweise entschieden sich SPD und Grüne noch am Wahlabend für die jeweils gegensätzlichen Möglichkeiten. Die SPD lasse sich im Bund nicht länger bieten, dass zentrale Projekte künftig ausgesessen werden, polterte SPD-Generalsekretär Kühnert. "Wir leisten gute Arbeit, zerreden diese aber durch überflüssigen Streit", entgegnete der grüne Parteichef Omid Nouripour – jener Mann, der vor Kurzem für Streit sorgte, weil er die eigene Ampel-Koalition als "Übergangsregierung" abgestempelt hatte.
Was bedeutet das Ergebnis für die CDU?
Die CDU und ihre bayerische Schwester CSU können derzeit bundesweit mit 31 Prozent der Stimmen rechnen. Auf so viel, beziehungsweise wenig, kommen SPD, Grüne und FDP zusammen. Allzu sehr freuen darf sich auch die CDU nicht. Denn die Umfragen zeigen, die etablierten demokratischen Parteien Mitte-links und Mitte-rechts - Union SPD, Grüne und FDP - gewinnen derzeit bundesweit nicht einmal zwei Drittel der Wählerschaft für sich.
Wie wählten die Jungen am Sonntag?
Vor allem AfD. Laut Hochrechnungen stimmten in Thüringen 37 Prozent der 18-24-Jährigen für die AfD. Sie wurde damit stärkste Kraft bei den Jüngsten und legte im Vergleich zu 2019 gleich um 19,5 Prozent zu. Die Grünen stürzten bei den Jungen um 10,5 Prozent auf 6 Prozent ab. Ähnlich lief es in Sachsen, auch hier liegt bei den 18-24-Jährigen die AfD vorne. Sie kam auf 31 Prozent.
Wie ist das Bündnis Sahra Wagenknecht einzuordnen?
Die frühere Politikerin der Linkspartei punktet mit "linksautoritärem Friedenspopulismus", wie Politikwissenschafter Karl-Rudolf Korte das Programm nennt. Auf diese Weise halbiert Wagenknecht zwar nicht wie angekündigt die AfD, deklassiert aber ihre einstige politische Heimat. Nur wenige Monate nach ihrer Gründung übertrifft das BSW sowohl in Thüringen als auch in Sachsen deutlich die Zehn-Prozent-Marke.
Gibt es eine Schnittmenge mit der AfD?
Ja, teilweise. Verständnis für Russland, keine militärische Hilfe für die Ukraine und keine Stationierung von US-Waffen in Deutschland: Hier herrscht traute Einigkeit zwischen der AfD und dem BSW. Für Thüringen hat Wagenknecht eine Zusammenarbeit mit der AfD unter Björn Höcke ausgeschlossen. Zugleich deutet sie an, das BSW könne einzelnen Anträgen im Landtag zustimmen, wenn sie die Inhalte teile.
Was bedeutet das Ergebnis für die Regierungsbildung?
Sie wird in beiden Bundesländern schwierig. In Sachsen und in Thüringen wird das BSW Zünglein an der Waage. Ohne Wagenknecht geht nichts. Für Thüringen heißt das mutmaßlich: CDU, SPD, BSW. Für Sachsen: CDU, SPD, BSW. die AfD dürfte in beiden Ländern leer ausgehen.
Und wie geht es im Bund weiter?
SPD, Grüne und FDP werden sich an die Macht klammern. Aber die Ampel ist nach diesem Sonntag noch einmal geschwächt, Olaf Scholz ist nur mehr ein "Übergangskanzler". In einem Jahr wird gewählt. Angesichts der Umfragewerte bleibt der Ampel-Regierung nur die Hoffnung auf ein Wunder.
Hat die Wahl vom Sonntag Relevanz für Österreich?
Die Perspektive klingt jedenfalls verdächtig vertraut in heimischen Ohren. Nach jetzigem Stand deuten alle Umfragen auf einen blauen Sieg hin. Für die FPÖ gilt aber dieselbe Frage wie für die AfD: Was nutzt ein Wahltriumph, wenn anschließend niemand mit Höcke oder Kickl koalieren will?