"The Union"
Wie Mark Wahlberg auf Netflix zu James Bond wird
Ein Geheimdienst, der heißt wie eine Gewerkschaft, ein Arbeiter, der zum Geheimagenten umsattelt: In "The Union" retten die Normalos Mark Wahlberg und Halle Berry die Welt. Ab sofort zu streamen.
Nachdem die von Kritikern gern als "woke" gebrandmarkte Diversitäts-Masche vieler Filmstudios nicht mehr so recht zu funktionieren scheint und auch das Superhelden-Genre seinen Zenit wohl überschritten hat, sind Hollywoods Produzenten auf der Suche nach neuen Mustern – und landen dabei in der Vergangenheit. Gefragt ist wieder vermehrt klassische, durch das Kino der 80er- und 90er-Jahre inspirierte Action-Kost ohne progressive politische Agenda, die sich auf die Kerntugenden des Genres besinnt: Flotte Sprüche, inszenierte Gewalt und harte Männer (und immer mehr auch Frauen).
Revival des Testosteron-Films Beispiele gibt es dafür in letzter Zeit genügend, egal ob es sich nun um "Reboots", also Neuinszenierungen bekannter Stoffe, und Sequels, also Fortsetzungen handelt (z. B. "Top Gun: Maverick", "Twisters", "Road House") oder um neue Stoffe ("The Beekeeper", "Tyler Rake: Extraction", "The Instigators"). Diese Filme lassen sich auch als Revival des maskulin geprägten Testosteron-Films sehen, in dem die Darstellung harter, körperlicher Gewalt der Unterhaltung dient. Mit dem Unterschied, dass inzwischen auch Frauen diese klassisch "männlichen" Rollen übernehmen dürfen und als gleichberechtigte Partnerinnen, Kolleginnen oder sogar Vorgesetzte auftreten.
Streaming-Blockbuster In diese Kerbe schlägt auch "The Union" des Briten Julian Farino, der bisher vor allem als Regisseur für TV-Serien arbeitete. Bekanntheit erlangte er in erster Linie für seine Arbeit an der Serie "Entourage". Nun wurde ihm ein kalkulierter Streaming-Blockbuster anvertraut, der mit Mark Wahlberg und Halle Berry, aber auch mit J.K. Simmons (Oscar für "Whiplash"), Lorraine Bracco ("Goodfellas") oder Mike Colter ("Luke Cage") hochklassig besetzt ist.
Jersey Boy Mark Wahlberg spielt den "Jersey Boy" und Bauarbeiter Mike McKenna, ein Mittvierziger, der seinen Heimatort nie verlassen hat, immer noch mit den selben Freunden abhängt wie in der High School, weiter bei seiner Mama wohnt und seit kurzem eine Affäre mit seiner ehemaligen Lehrerin hat. Mike ist, was die Amerikaner "Blue Collar" nennen, also Arbeiterklasse durch und durch. Im Soundtrack wirkungsvoll platzierte Bruce Springsteen-Songs sollen das zusätzlich deutlich machen, dass es auch wirklich jeder versteht.
Die Normalo-Geheimagenten Eines Tages taucht plötzlich seine High School-Liebe Roxanne (Halle Berry) wieder auf, die ihn nach dem Abschluss hat sitzen lassen, und entführt ihn kurzerhand nach London. Dort stellt sie Mike vor eine Wahl: Sie arbeite für einen Geheimdienst namens "The Union" (so heißen in den USA auch Gewerkschaften, sic!), der sich aus "Normalos" rekrutiert, wie dessen Leiter Tom Brennan (J. K. Simmons) nicht ohne Stolz erklärt. Nicht die elitären Yale- und Harvard-Absolventen seien in der Einheit aktiv, sondern – auch hier wieder – ganz normale Typen, die die Geheimdienstarbeit am Laufen halten und die "echte Arbeit" ausführen würden, für die CIA und FBI dann die Lorbeeren einheimsen. Mike passe genau in das Job-Profil der "Union" und solle von nun an dort als Agent werken, an der Seite von Roxanne.
Working Class Action Hero Denn beim letzten Auftrag ging etwas schief: Mehrere Union-Agenten verloren ihr Leben, eine Festplatte mit den Namen aller westlichen Agenten wurde entwendet und muss dringend zurückerlangt werden. Dafür ist McKenna genau der Richtige – zumindest sieht Roxanne das so. Das ist zwar alles auch für Hollywood doch etwas sehr weit hergeholt und konstruiert, aber eben auch zweckmäßig, damit "The Union" das sein kann, was der Film sehr deutlich sein will: Die Geschichte eines Arbeiterjungen, der zum Geheimagenten und Actionhelden wird.
Konstruiertes Drehbuch Und obwohl das Drehbuch teilweise recht arg konstruiert, wenig glaubhaft und beizeiten auch generisch daherkommt, funktioniert das Endresultat erstaunlich gut. Das liegt zum einen an Mark Wahlberg, der seine Figur gewohnt glaubhaft verkörpert. Halle Berry als sein Gegenpart, seine "Mentorin" (natürlich knistert es auch ordentlich zwischen den beiden) ist zwar am Papier eine gute Idee, schauspielerisch und in der Rolle als weiblicher Action Star ist ihr Auftritt aber eher enttäuschend.
Heitere Bonmots Dieses Manko gleichen aber die überzeugenden Nebendarsteller, allen voran Simmons und Colter, aus. Die Actionszenen – natürlich das Herzstück eines solchen Films – sind solide inszeniert und ganz unterhaltsam. Dazwischen werden immer wieder kleine Bonmots entweder von Simmons oder von Wahlberg eingestreut, die zum Schmunzeln anregen.
Mainstream-Unterhaltung "The Union" ist kein Meisterwerk geworden, und auch im neuen Genre der Retro-Actioner hat der Film gegenüber vielen der oben genannten Mitbewerber das Nachsehen. Trotzdem bietet er mehr als zwei Stunden gute Mainstream-Unterhaltung, die für ein möglichst breites Publikum konzipiert ist – und dieses vermutlich auch erreichen wird.
Fazit Das Setting ist eindeutig so konzipiert, dass die Tür offen bleibt für mögliche Fortsetzungen. Und am Ende kehrt der Film dorthin zurück, wo er angefangen hat: In den Vorort in New Jersey, wo Mikes Kumpel gerade seine Jugendliebe heiratet. Und auch Roxanne darf gegen Schluss erkennen, dass ihr Drang, die Welt zu sehen, doch nicht ganz das Wahre war. So ist "The Union" nicht zuletzt auch eine Ode an das beschauliche Kleinstadtleben, die "Community" - und die amerikanische Working Class. Zwar manchmal etwas plakativ, aber trotzdem nicht uncharmant.
"The Union", USA 2024, 133 Minuten, ab sofort auf Netflix