Mikhail Lemeshko

YouTube-Professor: So wurde ich Österreicher (und es war nicht einfach)

Willkür, Unklarheiten, Wartezeiten: Mikhail Lemeshko, theoretischer Physiker am ISTA Klosterneuburg, ist in der Sowjetunion geboren. Dann wurde er Österreicher. Was er dabei alles erlebte.

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Der 21. Jänner ist für mich sehr besonders. An diesem Tag bin ich 2022 Österreicher geworden. Ich meine damit, dass ich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen habe – die Wahrnehmung meiner Person durch die sogenannten Autochthonen hat sich allerdings kaum geändert. Damals, fünf Wochen vor dem Kriegsausbruch und sechs vor der Geburt meiner Tochter, war ich so mit Emotionen überfüllt, dass ich mein erstes (und wahrscheinlich einziges) "Gedicht" in deutscher Sprache meiner Wahlheimat Österreich gewidmet habe. Hier können Sie sich das Video anschauen:

Einbürgerung ist in Österreich ein oft angesprochenes Thema. Jeder fünfte unter den in Österreich lebenden Menschen hat keine österreichische Staatsbürgerschaft. In Wien ist das sogar jeder Dritte. Nimmt man die durchschnittliche Wahlbeteiligung zum Maßstab, bedeutet das, dass die Anzahl der Menschen, die in Österreich in der Tat ihre Stimme abgeben, nur doppelt so hoch ist wie die Anzahl jener, denen dieses Recht nicht zugebilligt wird.

Mikhail Lemeshko ist Professor für Theoretische Physik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
Mikhail Lemeshko ist Professor für Theoretische Physik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
Mikhail Lemeshko

Und trotzdem bin ich jedes Mal irritiert, wenn ich von Politiker:innen oder Journalist:innen Meinungen zur Einbürgerung und Staatsbürgerschaft höre. Hier berichte ich sozusagen aus dem Inneren des Verfahrens: Als Ausländer a.D. beschreibe ich meine Erfahrungen auf dem Weg zur Einbürgerung mit ein paar Kommentaren zum Thema.

Österreicher zu werden ist schwer, aber nicht unbedingt, weil es so lange dauert Glücklicherweise sind zehn Jahre rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt nur die Allgemeinregel, von der es viele Ausnahmen gibt. Schon nach sechs Jahren bekommt zum Beispiel jene Person den Reisepass, die mit einer Österreicherin oder einem Österreicher verheiratet ist, eine andere EU-Staatsbürgerschaft schon besitzt, in Österreich geboren wurde, oder – was ich am wichtigsten finde – Deutsch auf B2-Niveau kann. Und nur wenige Länder auf der Welt erlauben eine schnellere Einbürgerung als nach fünf bis sechs Jahren.

Eine kurze Erklärung für die glücklichen Autochthonen Das Sprachniveau einer Person wird entsprechend des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen stufenweise in A1, A2 (Anfänger), B1, B2 (Mittelstufe) und C1, C2 (Experte) aufgeteilt. Mit A1 kannst du das Alphabet, mit A2 kannst du manchmal verstehen, was die Frau Beamtin von dir will (vorausgesetzt, sie strengt sich an, österreichisches Standarddeutsch zu sprechen), mit B1 kannst du schon einmal antworten, mit B2 wird sie netter, mit C1 kannst du schon an der Uni studieren oder als Arzt arbeiten. C2 braucht fast niemand, es sei denn, man möchte Deutsch (als Ausländer) unterrichten oder Dolmetscher werden. Bei der C2-Prüfung würden auch nicht wenige Muttersprachler durchfallen. Nach zehn Jahren Aufenthalt in Österreich kann man sich mit B1-Deutsch einbürgern lassen.

Innerhalb von sechs Jahren Deutsch bis zum B2-Niveau zu erlernen ist keine unlösbare Aufgabe Den Staatsbürgerschaftsantrag darf man sogar früher stellen, da es im Staatsbürgerschaftsgesetz – dem sogenannten StbG 1985 – um die Verleihung und nicht die Antragsstellung "erst nach sechs Jahren" geht. Und das gesamte Verfahren kann schon bis zu sechs Monate dauern. Theoretisch. Die Praxis ist leider anders, insbesondere in Wien.

Vor kurzem hat der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr als eine NEOS-Leistung präsentiert, dass die Zeit bis zum Erstgespräch (!) bei der MA35 (Wiener Ausländerbehörde) von einem Jahr auf ein halbes Jahr reduziert wurde.

Der Kabarettist Dirk Stermann engagierte sich für "Pass egal!"
Der Kabarettist Dirk Stermann engagierte sich für "Pass egal!"
Denise Auer

Was ist das Erstgespräch? Wenn man die nötigen Unterlagen gesammelt hat und den Antrag offiziell stellt, fängt der Prozess an. Aber, damit man weiß, welche Dokumente genau man bräuchte (nein, die Liste gibt es online nicht), verabredet man noch davor das sogenannte Erstgespräch. Die Idee dahinter war vermutlich einmal schön – sich dem deinem Verfahren zugewiesenen Beamten höchstpersönlich vorstellen zu dürfen, die individuellen Details sofort nachfragen zu können… Und, ich habe gehört, es läuft in manchen Bundesländern noch so.

Nicht in Wien. Ein Jahr lang auf die ziemlich allgemeinen Informationen warten zu müssen, die man eigentlich auf einer Webseite durch zwei Klicks finden können sollte. Bevor man dann erst anfängt, die Unterlagen zu sammeln, was auch mehrere Monate dauern kann. Und erst dann stellt man den Antrag und das Verfahren läuft danach und bis zur Einbürgerung oft viel länger als "die maximalen" sechs Monaten. Na ja, jetzt kann man sich schon am Beginn ein halbes Jahr sparen – herzlichen Dank dafür.

Die österreichische Lösung Dass sowohl die Bedingungen als auch die nötigen Unterlagen nur sehr allgemein geschildert werden, öffnet die Tür für eine gewisse Willkür. Die sogenannte "Unbescholtenheit", die für alle Österreicher:innen-to-be eine Voraussetzung ist, ist ein Beispiel dafür. Um eingebürgert zu werden, sollte man neben "keinen anhängigen Strafverfahren sowohl im In- als auch im Ausland" und "keinen gerichtlichen Verurteilungen" auch "keine häufigen und/oder schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen mit besonderem Unrechtsgehalt" begangen haben. Was genau "zu häufig", "zu schwerwiegend" oder "zu unrecht" ist und was schon passen könnte, wird hier den Beamten in der Ausländerbehörde zur Entscheidung überlassen.

Der "ausreichende Lebensunterhalt" ist ein weiteres Thema. Um Österreicher:in zu werden, darf man keine Sozialhilfe bezogen haben und muss genug Einkommen nachweisen können. Dieses "genug" ist in der Regel ziemlich hoch: derzeit über 1.200 Euro monatlich netto, nach dem Abzug von allen regelmäßigen Ausgaben (Miete, Betriebskosten, Kredite, Versicherungen, Alimente, …). Vielen gebürtigen Österreichern bleibt auf dem Konto monatlich weniger.

Der Lebensunterhalt wird immer für den Antragsteller samt allen Mitbewohner:innen berechnet, nicht unbedingt Familienmitglieder. Hier muss man aufpassen: wenn du jahrelang eine WG mit jemandem geteilt hast, der die Sozialhilfe bezogen hat… habe ich schlechte Nachrichten für dich. Der Weg zur Staatsbürgerschaft ist also für die ärmeren Leute sowie Leute mit Schulden quasi gesperrt.

Die vorherige Staatsbürgerschaft abzulegen, was man in den meisten Fällen bei Einbürgerung machen muss, schreckt auch viele ab.

Es gibt noch viel mehr Der Antragstellung legt man die Liste von allen Auslandsaufenthalten in den letzten 20 Jahren bei. Innerhalb der vorigen sechs bzw. zehn Jahren muss man 80 Prozent der Zeit in Österreich verbracht haben. Wenn man alle Urlaubs- und Berufsreisen hochrechnet, verzichtet man schon lieber auf ein Auslandssemester.

Noch was: "Was frogn Sie, alles steht drauf!" Das habe ich außer bei der MA35 nur in (Post-) Sowjetrussland gehört. Zugegeben nicht während der Einbürgerung (da waren alle Beamtinnen äußerst nett), sondern vor Jahren bei der Erneuerung des Aufenthaltstitels. Vielleicht zählt das nicht.

Mikhail Lemeshko ist Professor für Theoretische Physik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
Mikhail Lemeshko ist Professor für Theoretische Physik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
Helmut Graf

Der Einbürgerungstest Auf dem Weg zur Einbürgerung gibt es so viel Frustration, unnötige Bürokratie, unerklärbare Warte- und Öffnungszeiten und so wenig Logik. Wenn mich "Autochthone" fragen: "War es einfach, den Staatsbürgerschaftstest zu bestehen?", dann kann ich sofort spüren, wie wenig sie vom Prozess wissen. Der Test, der aus drei Teilen besteht (Österreich / dein Bundesland / die EU) ist das einfachste dabei.

Obwohl ich mich frage, wie viele gebürtige Österreicher:innen ihn so auf Anhieb bestehen würden. In welchem Jahr wurde das Kaiserreich Österreich gegründet? Wer wurde der erste Staatskanzler der Ersten Republik? Wann lebte Erzherzogin Maria Theresia in Wien? Was befindet sich zwischen dem Naturhistorischen und dem Kunsthistorischen Museum? Auf Initiative wessen österreichischen Bundeskanzlers wurde Wien 1979 UNO-Sitz? Und noch viele spannende Fragen. Probier’s einmal: Hier geht es zum Test

Mikhail Lemeshko ist Professor für Theoretische Physik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Nach seinem Doktorat am Fritz-Haber Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin forschte der gebürtige Russe an der Harvard Universität in den USA. Seit 2014 ist er am ISTA in Klosterneuburg und erforscht atomare, molekulare und optische Physik. Auf seinem YouTube-Kanal Prof. Lemeshko beantwortet er Alltagsfragen aus Physik und Naturwissenschaft

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