Agenten-Krimi
Zwei Spione, ihr Geld-Kühlschrank und die Spur nach Wien
Sie lagerten Geldbündel mit Hunderttausenden Euros im Eiskasten-Geheimfach, erfanden zwei Mamas aus Österreich, wurden von Putin mit "Buenas noches" begrüßt: Die filmreife Geschichte hinter Maria und Ludwig (die natürlich anders heißen).
Es war schon finster, als die Maschine am Moskauer Flughafen Wnukowo landete. Die Tür ging auf und am Fuß der Gangway, die mit einem Teppich ausgelegt war, wartete ein älterer Herr mit Halbglatze, in seiner Nähe standen ein paar Menschen mit Blumen in der Hand. Es waren bizarre Bilder, die Russland Staats-TV am 2. August in die Welt schickte, aber Sofia (12) and Daniel (9) hatten sich über so vieles an diesem Tag gewundert, da fiel der Abschluss auch nicht mehr ins Gewicht. Vor allem hatten sie keine Ahnung, wer der ältere Herr mit Halbglatze war, der sie erwartete. Wenig später wussten sie es: Wladimir Putin, Russland Staatschef, ihr neuer Staatschef.
Am vergangenen Mittwoch ging der bisher spektakulärste Gefangenen-Austausch seit dem Mauerfall zwischen dem Westen und Russland über die Bühne. Er umfasste 24 Personen. Russland ließ 16 Menschen frei, der Westen im Gegenzug 8. Darunter Artem Viktorovich Dultsev und Anna Valerevna Dultseva, die Eltern von Sofia und Daniel. Spione für Russland, wie sie selbst gestanden, ihr Hauptquartier hatten sie in Ljubljana, 147 Kilometer Fahrstrecke von der österreichischen Grenze, aufgeschlagen.
In der Hauptstadt von Slowenien gab sich das Paar eine bürgerliche Fassade, tatsächlich waren die beiden als Putins Geldboten quer durch Europa unterwegs. Die Recherchen mehrerer Medien, vom Wall Street Journal über die New York Times bis zum Guardian, zeichnen nun das Leben der Spionagefamilie nach. Was gesagt werden kann: In einer Hollywood-Verfilmung wäre die Biographie kein Einakter. Die erstaunliche Geschichte und ihre Hintergründe:
Was ist mit Gefangenen-Austausch gemeint?
Über Ankara in der Türkei tauschten insgesamt acht Länder am 2. August Gefangene mit Russland aus. Es war ein umstrittener Deal. Der Westen erhielt Staatsbürger zurück, die unter obskuren Umständen in Russland eingesperrt worden waren, etwa Evan Gershkovich, Korrespondent der US-Zeitung Wall Street Journal, oder Rico Krieger, Mitarbeiter beim Deutschen Roten Kreuz. Im Gegenzug durften echte Schwerverbrecher heim in Putins Reich, etwa "Tiergartenmörder" Wadim Krassikow, der in Berlin einen Georgier erschossen hatte.
Wer sind Artem Dultsev und Anna Dultseva?
Ein Spionage-Ehepaar, dessen Tarnung im Dezember 2022 in Slowenien aufgeflogen war. Die beiden kamen in Haft, ihre zwei Kinder, die ahnungslos waren, was ihre Eltern so trieben, landeten bei Pflegeeltern.
Was war der Job des Agenten-Pärchens?
Das Paar nutzte Slowenien als Basis für seine Aktivitäten. Das beschauliche Land ist EU-Mitglied, NATO-Mitglied, bietet visumfreien Zugang zu Europa, hat nur zwei Millionen Einwohner, steht nicht im Fokus und hat begrenzte Möglichkeiten zur Spionageabwehr. Von Ljubljana aus bereisten die beiden Europa, versorgten Agenten mit Bargeld und sammelten Botschaften ein, die sie nach Moskau übermittelten.
Wie lebten die beiden?
Unauffällig muss fast als Übertreibung angesehen werden. Sie wohnten in einem pastellfarbenen, recht ansehnlichen Haus in Črnuče, dem dritten Stadtbezirk von Ljubljana, fuhren einen weißen Kia Sedan, hielten sich so penibel an die Gesetze, dass sie nicht einmal einen Strafzettel fürs Falschparken kassierten. Artem Viktorovich Dultsev gab vor, ein IT-Startup zu leiten. Anna Valerevna Dultseva betrieb ein Online-Kunstgalerie namens 5’14, der Instagram-Account ist immer noch aktiv. Zu betrachten sind Hunderte zeitgenössische Werke, aber auf keinem ist die Besitzerin zu sehen. Von ihr existieren lediglich Facebook-Fotos, auf denen sie von hinten oder von der Seite her abgebildet ist.
Welche Überraschung bot das Wohnhaus?
Zunächst einmal Computer mit einer Codierungs-Software, um unerkannt mit Moskau kommunizieren zu können. Weder slowenischen noch amerikanischen Technikern gelang es, die Verschlüsselung zu knacken. Und dann gab es noch das große Geheimfach im Kühlschrank, in dem Geldbünden aufbewahrt wurden, gesamt mehrere Hunderttausend Euro, die bei der Sicherstellung wegen der Lagerung in der Kälte knisterten.
Wie tarnten sich die beiden?
Vor allem einmal mit falschen Namen. Anna Valerevna Dultseva nannte sich Maria Rosa Mayer Muños, sie ist tatsächlich leitende Offizierin beim russischen Auslandsgeheimdienst SVR (Sluzhba Vneshney Razvedki). Artem Viktorovich Dultsev trug den Tarnnamen Ludwig Gisch, er ist Elite-Offizier und ebenfalls beim SVR tätig.
Wie gaben sie sich gegenüber den Nachbarn aus?
Als Weltbürger, die es nach Slowenien verschlagen hatte. "Ruhig" und "normal", so beschrieben Anwohner die beiden gegenüber Reportern dem Wall Street Journal. In Gesprächen mit Freunden wechselten das Paar fließend vom Englischen ins Deutsche, mit Sohn und Tochter sprachen sie akzentfrei Spanisch. Die Kinder gingen in die British International School, das Schulgeld betrug 10.000 Dollar im Jahr pro Schüler, das lag weit über der Einkommensklasse der "ruhigen" und "normalen" Leute, aber niemandem fiel das auf.
Welche Geschichte tischten die beiden auf?
Maria Rosa Mayer Muños erzählte Bekannten, dass sie aus Argentinien geflüchtet seien, nachdem sie in Buenos Aires an einer roten Ampel von einer bewaffneten Gang überfallen und ausgeraubt worden waren. Das steckt ein Körnchen Wahrheit drin, denn in Südamerika lebten sie davor tatsächlich.
Wann begann der Spionage-Thriller?
Nach den Recherchen der verschiedenen Medien vor 12 Jahren. 2012 reiste Ludwig Gisch an Bord eines Busses von Uruguay nach Argentinien ein, Maria Muños folgte wenig später aus Mexiko. Erstes Ziel: Die Erlangung der Staatsbürgerschaft und dabei spielte Österreich eine Rolle.
Was das mit Österreich zu tun hat?
Nun, Ludwig Gisch gab an, als österreichischer Staatsbürger in Namibia geboren worden zu sein, und zwar als Sohn einer argentinischen Mutter. Das brachte ihn beim Antrag für die Staatsbürgerschaft auf die Fast Lane. Maria Muños gab sich als Mexikanerin aus, die in Griechenland geboren worden war – ebenfalls von einer österreichischen Mutter. Sinn der Verwirrtaktik: Möglichst viele Länder einzubeziehen, um die Nachverfolgung zu erschweren.
Wie baute das Paar eine neue Identität auf?
Die beiden siedelten sich in Buenos Aires in einem Wohnblock mit 146 Apartements an, eröffneten Bankkonten, sie besuchte Kurse in Public Relations, gezahlt wurde immer in bar. Gisch suchte 2012 um die argentinische Staatsbürgerschaft an, Muños ein Jahr später, 2013 kam Tochter Sophie auf die Welt, die Staatsbürgerschaft hatte ihre Mama da schon in der Tasche. Im August 2015 folgte Daniel, ein Monat später heirateten Gisch und Muños, tatsächlich war es das zweite Mal. Nach Recherchen des Wall Street Journal dürften die beiden in Russland schon einmal getraut worden sein. Arrangierte Ehen sind im Spionagefach eine gängiger Teil der Tarnung.
Warum kam Österreich ein zweites Mal ins Spiel?
Weil Maria Muños 2016 die Nationalität ihrer Mutter von "Österreich" auf "Mexiko" ändern ließ. Das Spionage-Paar hatte den Marschbefahl nach Slowenien erhalten, wegen der räumlichen Nähe wollten die Russen kein Risiko eingehen. Ein Background-Check in Österreich hätte die falsche Identität aufliegen lassen können.
Wann begann der Einsatz in Slowenien?
2017 landete die Familie in Ljubljana, in Buenos Aires blieb nur ein Bankkonto zurück. Füllstand: umgerechnet 21 Euro. In Ljubljana fuhr Gisch fortan mit dem Motorrad in seine Firma DSM & IT, sie betrieb Cloud Hosting und verkaufte Internet-Adressen, ihr X-Account hatte nur drei Follower, einer davon war die Galerie seiner Frau.
Wie wurde die Spionage betrieben?
Dafür war die Galerie von Maria Muños die perfekte Hülle. 2019 erhielt das Paar dauerhafte Aufenthalts-Bewilligungen, der Weg zu Staatsbürgerschaft schien geebnet. Beide bereisten intensiv Europa, er besuchte Messen, sie Ausstellung und Galerien von Zagreb bis Edinburgh, postete Fotos davon auf ihrem Instagram-Account. Beide Unternehmen machten dem Schein nach Gewinn, die Galerie 5’14 von Muños erzielte 2021 einen Erlös von 25.220 Euro, die IT-Firma von Gisch im selben Jahr 43.785 Euro. Dann flog alles auf.
Wie wurde das Spionage-Paar enttarnt?
Um die slowenische Staatsbürgerschaft zu erlangen, benötigte das Paar neue argentinische Pässe. Also reiste die Familie im Februar 2022 nach Buenos Aires und gab die Anträge dafür ab. Dabei gerieten sie ins Visier der Geheimdienste. Denn: Russland war in der Ukraine einmarschiert, in der Folge flogen in Europa 400 russische Agenten auf, auch die Dultsevas. Ein paar Monate später und nach längeren Ermittlungen gab Großbritanniens MI5 der slowenischen Spionageabwehr SOVA, "Eule" genannt, einen Tipp. Von da an zog sich das Netz endgültig zu.
Wie nagelten die Geheimdienste das Paar fest?
Es passte nichts mehr zusammen. Im Geburtsort, den Gisch am Passantrag angegeben hatte, hatte er nie gelebt. Die kolumbianischen Trauzeugen in Buenos Aires gab es nicht. Galerie und IT-Firma entpuppten sich als Fassade. Also wurde das Haus verwanzt, abgehörte Textnachrichten und eine Auflistung von Reisezielen in Europa vervollständigten das Gesamtbild. Am 5. Dezember 2022 stürmte eine Polizeieinheit nach Mitternacht das Haus der Familie, nahm das Spionagepaar fest.
Was passierte danach?
Artem Viktorovich Dultsev und Anna Valerevna Dultseva verweigerten die Aussage. Am 1. August bekannten sie sich aber beim Prozess völlig überraschend der Spionage und Dokumentenfälschung schuldig und wurden zu jeweils eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Schon am nächsten Tag saßen sie im Flugzeug nach Moskau, die beiden Kinder an der Seite. Sofia und Daniel erfuhren erst in der Luft, dass sie russische Staatsbürger sind. Wenig später begrüßte sie Putin am Flugfeld mit "Buenas noches" ("Guten Abend“).
Wie nutzt Russland das Paar nun für Propaganda?
Die gesamte Familie, inklusive der Kinder, wurde im Staats-TV interviewt. Daniel bekam dabei Kuscheltiere überreicht, er feierte seinen neunten Geburtstag. Irgendwann im Gespräch wird Sofia gefragt, was sie einmal werden will. "Vielleicht Spionin", antwortet sie.