Christian Nusser
Eine Kabinenparty, die Koalition und ihr wahres Gesicht
Jetzt mit Podcast: Die Kopfnüsse sind eine runde Sache. Über Politik, "The Burschen" und einen Heurigen, den der Kanzler absagen ließ, weil Österreich seine Hilfe gegen die Türkei nötig hat.
Am 17. Juni stand der Kanzler da und bebte. Die Grünen, sagte Karl Nehammer, und seine Zähne knirschten noch ein bisschen hörbarer als sonst, hätten nun "ihr wahres Gesicht" gezeigt. Aber nur rund eine Woche später bejubelte derselbe Kanzler gemeinsam mit dem "wahren Gesicht" das österreichische Fußball-Nationalteam und die Zähne hatten Freigang. Es entstand eines dieser Bilder, die Zweifel aufkommen lassen, ob Politik in Österreich nur hin und wieder Showelemente aufweist, oder eine Show an sich ist.
Im Leben kommt es oft auf Kleinigkeiten an. In der Sprache reicht schon ein Buchstabe und der Sinn ändert sich grundlegend. Denken Sie nur an Geflügel und Gehflügel. Da macht ein H einen Riesenunterschied. Einen Hendlhaxn können Sie grillen, aber bis ein Gehflügel durch ist, dauert es seine Zeit. Es bemühen sich auch kaum Tierschutzorganisationen um die artgerechte Haltung von Gehflügeln. Bei Geflügel ist das anders, da wird auf Freilandhaltung geschaut. Aber wildern Sie einmal einen Gehflügel aus.
Bei Wahlen und Walen ist das ähnlich. Diese Woche las ich in der "Presse" über eine neue Studie. In den vergangenen fünf Jahren hatten Killerwale, die selbst die Bezeichnung Orcas für sich vorziehen, vor der Küste von Spanien, Portugal und Marokko 673 Boote gerammt, vor allem die Ruderanlagen hatten es ihnen angetan. Die Regierungen der Länder fanden, die Tiere übertreiben es etwas, also setzten sie eine Kommission ein, die nach den Gründen für die Rüpeleien suchen sollte und das Ergebnis überraschte die Politiker mehr als die Orcas.
Nach eingehendem Studium kam das Wissenschafts-Team zum Schluss: "Es handle sich nicht um aggressives Verhalten gegenüber Menschen", schrieb die "Presse, "sondern um eine Modeerscheinung unter gelangweilten Walen." Das war natürlich eine boulevardeske Zuspitzung. Den Walen war nicht langweilig, die wollten nur spielen. Sie wollten Spaß haben, so die Forscher, der Ozean bietet nicht viele Gelegenheiten dafür, also wurden die Ruderanlagen ihr Lieblingsspielzeug.
Auch unsere Regierung hat ein neues Lieblingsspielzeug, das Fußball-Nationalteam. Hier lassen sich aber ebenso feine Unterschiede ausmachen. Österreichs Politiker wollen nämlich nicht spielen, sondern sie wollen zu den Spielen. Als hätte es das Nationalteam nicht schon schwer genug, rückt nun zu jedem Match ein Abordnung aus der Heimat an und verbreitet vor Ort eine Art von Fröhlichkeit, die daheim abhanden gekommen zu sein scheint. Die Motivlage dahinter ist klar: "The Burschen" gewinnen und welcher Politiker hat schon jemals eine Chance ausgelassen, zu den Siegern zu gehören? Eben!
"The Burschen", so wurde unsere Mannschaft vom TV-Sender CNN getauft, es ist ein Begriff, der haften bleiben wird. An der Beantwortung dieser Haftungsfrage will Österreichs Regierungsspitze mitwirken. In der abgelaufenen Woche setzte sich der Kanzler in einen Flieger und der Vizekanzler in einen Zug, es ist schön zu sehen, dass es für jede politische Bewegung mittlerweile ein passendes Verkehrsmittel gibt. Die beiden nahmen Kurs auf die deutsche Hauptstadt. Karl Nehammer hatte seinen Fotografen mit, der hielt bildlich fest, wie dem Kanzler der Schal im Nacken saß und das von vorne, von hinten und von der Seite.
In Berlin traf Österreich am Dienstag auf die Niederlande, die Ehrentribüne war gut gefüllt. Karl Nehammer war da, weil er Kanzler ist, Werner Kogler war da, weil er witzigerweise Sportminister ist, Magnus Brunner war da, weil er gut Tennis spielt und Wolfgang Sobotka war da, weil er es so wollte. Nur Fußballmaus Johannes Rauch musste daheimbleiben.
Nach dem überraschenden Sieg eilten der Kanzler und der Vizekanzler in die Kabine von "The Burschen". Die Spielerkabine ist an sich eine Tabu-Zone, ein Rückzugsort. 2010 hatte Angela Merkel diesbezüglich für wilde Debatten gesorgt. Die deutsche Kanzlerin war nach dem 3:0 in der EM-Qualifikation gegen die Türkei in der Kabine der Nationalmannschaft aufgetaucht. Die Spieler standen mit nacktem Oberkörper da wie die Özilgötzen, Mutti dribbelte sich im grünen Blazer händeschüttelnd durch die Reihen. Viele fanden das Verhalten unangemessen, von wessen Seite, wurde nie ermittelt.
Karl Nehammer und Werner Kogler kennen da weniger Standesdünkel. Kaum war der Kanzler in der Kabine, hielt er das Handy hoch und schoss ein Selfie, der grinsende Vizekanzler dahinter kam gerade noch dazu, einen "Schumi-Daumen" zu formen.
Vielleicht finde nur ich das seltsam. Daheim erweckt die Volkspartei den Eindruck, als würde sie nach dem als grobes Foul empfundenen Verhalten von Leonore Gewessler knapp vor der Forderung nach Spielabbruch stehen. In der Fremde aber feiern die Spitzen von ÖVP und Grünen eine Kabinenparty. Daheim werden Ministerräte abgesagt, in der Fremde trifft man sich zum Gruppenselfie. Die Wählerschaft kann sich nun aussuchen, was sie für glaubwürdiger hält, das Wedeln mit der Roten Karte oder den freundschaftlichen Leiberltausch. Wieder so eine kleine Feinsinnigkeit, die den Unterschied macht.
Ralf Rangnick kann ich auf dem Selfie mit der Regierungsspitze übrigens nicht entdecken. Kann Zufall sein, muss es aber nicht. Nach dem Interview mit dem Teamchef in der ZiB 2 habe ich ohnehin den Eindruck, Rangnick ist stärker politisiert also so mancher, der das beruflich macht.
Nehammer und Kogler wollen jetzt auch am Dienstag dabei sein, wenn Österreich in Leipzig auf die Türkei trifft. Ob sich wieder ein Abstecher in die Kabine ausgeht, ist unklar, aber der Kanzler nimmt die Sache ernst, denn er hat für das Ereignis extra seinen Terminkalender ausgeräumt. Ausgerechnet für den Dienstag hatte Nehammer für 18 Uhr nämlich einen "Medienheurigen" anberaumt, ob als "Bundeskanzler" oder als "Bundesparteichef" blieb unklar, zur Sicherheit schrieb er beides auf die Einladung.
Tatbegehungsort wäre der Heurige "Friseurmüller" in der Hameaustraße in Wien-Döbling gewesen. Auch hier war bei der Einladung Achtsamkeit geboten, denn ein kleiner Fehler in der Schreibweise hätte in die Irre führen können. Wenn der Kanzler also zum Friseur Müller eingeladen hätte, dann wären vielleicht manche enttäuscht gewesen, wenn sie nur ein Achterl gekriegt hätten und keinen neuen Undercut oder Pixie.
Das spielt nun keine Rolle mehr, denn der Termin wurde abgesagt. Anders als Sebastian Kurz kann Karl Nehammer nicht an mindestens zwei Orten gleichzeitig sein. In Wien um 18 Uhr beim Friseur und um 21 Uhr dann in Leipzig, wenn wir die Türken rasieren, das geht sich nicht aus. Generalsekretär Christian Stocker teilte also den "geschätzten Vertreterinnen und Vertretern von Presse, Hörfunk, Fernsehen, Foto- und Internetredaktionen" mit, dass der Medienheurige "voraussichtlich auf Ende des Sommers verschoben werden" muss. Offensichtlich hängt Nehammer an das Ländermatch noch zwei Monate Urlaub in Leipzig an.
Das ist schade, denn der Heurige "Friseurmüller" hat einiges zu bieten, vor allem am Dienstag, da gibt es ein "Achterlfinale". Das Match wird auf einer Leinwand im Lokal gezeigt, für jedes Tor, das Österreich schießt, geht ein Achterl aufs Haus. Falls Sie jetzt auf ein Elfmeterschießen und auf den billigsten Fetzen ihres Lebens hoffen: Auf der Nudelsuppe ist der Friseur auch nicht dahergeschwommen. Für Tore beim Elfmeterschießen gibt es keine Gratisachterl, denn das hätte böse Folgen haben können. Sagen wir einmal, wir gewinnen das Elferschießen 5:4, über so viele Rettungsautos verfügt Wien jetzt auch wieder nicht.
Ich weiß noch nicht, wo ich mir das Türkeimatch anschaue, vom Spiel gegen die Niederlande habe ich jedenfalls nur gehört. Ich saß zu dieser Zeit nämlich im Gastgarten eines Wiener Lokals, nicht aus Trotz, sondern aus Gründen. Vor Monaten schon hatte ich einen Termin zugesagt, das war unvorsichtig, ich weiß, jetzt wollte ich die jungen Leute nicht enttäuschen, vielleicht wollte ich sie aber gerade eben damit enttäuschen, dass ich kam.
Drinnen im Lokal lief ein Fernseher in voller Lautstärke, der Kommentator war nicht zu hören, aber jede Gemütserregung des Publikums. So hatte ich ein Grundgefühl über die Vorkommnisse, als ich mich während der zweiten Halbzeit auf den Heimweg machte. Es war ein seltsames Erlebnis. Die Stadt war leergefegt, sogar den Autos war es zum Fahren zu blöd. Ich gestehe, ich bin bei Rot über die Ringstraße gegangen. Ich hätte eine Zeitlang warten müssen, bis ich einen Wagen finde, der mich überrollt. Wenn die Grünen den Ring zu einer Fußgängerzone machen wollen, ich hätte da eine Idee: Fußball.
Wenig später ging ich eine Straße entlang, in der sich ein Lokal an das nächste reihte, in jedem war Fußball zu sehen. Allerdings wurden dafür offenbar unterschiedliche Quellen angezapft, vielleicht nutzten die einen Kabel, die anderen Satellit oder Internet oder was auch immer. Das sorgte beim Kick jedenfalls für einen zusätzlichen Kick.
Als Romano Schmid, einer von "The Burschen", in der 59. Minute das 2:1 köpfte, jubelte zunächst Lokal 1 und Lokal 2 wunderte sich, warum Lokal 1 wegen einer ganz normalen Spielszene in Euphorie geriet. Dann fiel das Tor auch in Lokal 2 und Lokal 3 wunderte sich, warum Lokal 2 jubelte, während sich Lokal 1 darüber wunderte, dass schon wieder ein Tor gefallen zu sein schien. Als das Tor auch in Lokal 4 fiel, war das den anderen wurscht, sie sahen schon längst den Gegenangriff der Niederländer. Wir sehen auch hier, wie Kleinigkeiten große Dinge mit unserem Alltag anstellen können.
Wenn der Kanzler mit seiner Türkenbelagerung fertig ist, muss er sich heimsputen. Von Mittwoch bis Freitag finden in der kommenden Woche im Nationalrat die letzten Plenarsitzungen vor der Sommerpause statt, sie sind einer der Hauptgründe, warum Nehammer die Koalition noch nicht abgepfiffen hat. Es stehen um die 60 Gesetzesbeschlüsse an, darunter auch ein paar, die der Volkspartei sehr zu Herzen gehen. Für die Feuerwehren soll es mehr Geld geben, Zivildiener bekommen einen Papamonat, die Gemeinden so über den Daumen 1,7 Milliarden Euro, der Bürgermeisterpartei ÖVP ist das ein besonderes Anliegen.
Auch der Misstrauensantrag der FPÖ gegen Klimaministerin Leonore Gewessler kommt auf die Tagesordnung, es ist nicht zu erwarten, dass er erfolgreich sein wird (Josef Votzi hat hier alles Nennenswerte dazu aufgeschrieben). Die ÖVP wird mit der geballten Faust in der Hosentasche gegen eine Abwahl stimmen. Der Kanzler höchstpersönlich hat entschieden, dass die Partei die Abstimmung für ihre Mandatare nicht freigeben wird, es kann also nicht jeder stimmen wie er will. Man sollte es mit dem Gegenpressing auch nicht übertreiben.
Die bereits fix und fertig ausgehandelte Neuregelung der Beschlagnahme und Datenauswertung von Handys, wurde von der Tagesordnung genommen, obwohl der Justizausschuss im Parlament das Gesetz schon durchgewunken hatte. Es gibt grobe Bedenken aus der Justiz gegen die Änderungen, vor allem aber empörte viele, dass ihnen für die Begutachtung nur eine Frist von zwei Wochen eingeräumt worden war. Für die Verordnung zur vegetarisch-veganen Kochlehre gab es eine Begutachtungsfrist von vier Wochen. Ob wir dem Wiener Schnitzel eine neue Heerschar an Lupinenköchen entgegenstellen sollten, will schließlich gut überlegt sein.
Sollte es im Sommer keine Sondersitzung geben, dann findet das nächste Plenum nach dieser Woche erst in 75 Tagen statt, am 18. September nämlich, 11 Tage vor der Nationalratswahl. Ob dabei tatsächlich das "Handygesetz" beschlossen wird oder erneut Milliarden-Zuckerln verteilt werden, die wir nicht haben, wird sich erst zeigen.
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Georg Dornauer, der SPÖ-Doskozil des Wilden Westens, hat sich das Match der Österreicher gegen die Niederlande auch live vor Ort angeschaut. Die Tickets bekam der Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreter und Sportlandesrat vom Tiroler Fußballverband geschenkt, die Reisespesen gingen aufs Haus, wurden also aus der Regierungskassa, also vom Steuerzahler gezahlt. Auch zwei Mitarbeiter Dornauers und ein Mitglied des SPÖ-Klubs waren mit von der Partie bei der Partie, berichtet die "Tiroler Tageszeitung".
Mit Anwürfen, Spitzen und parlamentarischen Anfragen an Nehammer und Kogler wird sich die SPÖ nicht ganz leicht tun. Vielleicht sollte Andreas Babler bei Karl Nehammer anrufen und ihn fragen, ob er ihn zu den Türken mitnimmt. Statt das Beste aus beiden Welten zu sein, könnte sich die nächste Koalition dann als "The besten Burschen" vermarkten.