Christian Nusser
Hulapalu, Muhahha, Gott und die Welt
Die Affäre um Lena Schilling zieht immer weitere Kreise. Nun kommt sogar der Herrgott ins Spiel. Und Andreas Gabalier. Du lieber Himmel, wo wird das alles noch enden?
Wieder eine Woche, in der uns ein paar relevante Neigungsgruppen im Land dankenswerterweise in ihren Schriftverkehr einbezogen haben. Wir bekommen jetzt ständig Post von Menschen, die wir gar nicht so richtig kennen, es wäre vermutlich nicht nur mir inzwischen lieber, es bliebe dabei. Vielleicht gibt es bald so Pickerln wie für die Briefkästen, wenn man keine Werbesendungen haben will. Die klebt man dann auf den Computer. "Bitte hier keine Lena Schilling einwerfen!", könnte draufstehen. Oder: "Bitte keine Sendungen mit Bohrn Mena zustellen, weder einzeln noch zu zweit."
Nicht ganz drei Wochen nach Beginn der Enthüllungen, drängen sich jetzt zwingend ein paar Fragen auf: Wie haben wir eigentlich gelebt, als es Lena Schilling noch nicht gab, zumindest nicht in unserem Alltag? Womit haben wir die Zeit totgeschlagen oder die Zeit uns? Was war unser eigentlicher Daseinszweck? Noch viel banger: Was tun wir, wenn das einmal vorbei ist, was aber ohnehin niemals passieren wird?
Wenn das vorbei ist, was zu keiner Zeit vorbei sein wird, dann werden wir auf Entzug gehen müssen, soviel ist sicher. Vielleicht betteln wir dann wildfremde Menschen in der Straßenbahn an, damit sie uns ihre Chatverläufe zeigen. Wir schenken Politikern und solchen, die es nach einem Amt gelüstet, ein oder zwei zusätzliche Smartphones, damit sie laufend Stoff für uns erzeugen können. Wir schreiben uns selbst WhatsApp-Nachrichten, empören uns darüber, machen Screenshots, treffen uns mit uns selbst auf einer Parkbank und übergeben uns dann die Ausdrucke in einem braunen Kuvert. Unser Leben muss nicht wirklich ärmer werden, wenn es in diesem Leben keinen Schilling mehr gibt.
Ich habe längst den Faden verloren, worum es aktuell genau geht, aber das macht mir überhaupt nichts aus. Diese penetrant duftende Seifenoperette, die uns jeden Tag mit einer neuen Folge umnebelt, ermöglicht den Einstieg zu jeder beliebigen Uhrzeit. Die Schausteller sind uns inzwischen so vertraut wie Airbnb-Gäste, die Schlüsselkinder von heute. Wir leiden mit, wir fühlen mit, wir weinen mit. In der Arbeit erzählen wir uns, welche abstrusen Wendungen die Geschichte wieder genommen hat und überlegen, was den Autoren und der Regie demnächst einfallen wird, um uns zu fesseln, wenn auch nur an uns selbst.
Diese Woche war es so, glaube ich: Es tauchten ein paar neue Chats zwischen den Postsendungen auf, die wir nicht mehr zugestellt haben möchten. Die Gespräche stammten vom Jänner oder vom März, es können dieselben sein oder andere. Die Botschaften aus dem Jänner oder März erweckten den Eindruck, dass Schilling so eine Art "Ocean's Eleven" geplant hatte, das aber nicht in Las Vegas spielen sollte, sondern in Wien-Meidling und ein bisschen auch im Waldviertel. George Clooney kommt nicht vor, aber ein KPÖ-Funktionär, der im Herbst in Österreichs Bellagio will, also ins Kanzleramt.
Zwischen den beiden Postsendungen lief etwas Konversation, die vom "Standard" in Teilen veröffentlicht und dann vom "Falter" ergänzt wurde, Teamarbeit wird immer wichtiger. Schilling plante das ganz große Ding. Sie wollte sich zur Spitzenkandidatin der Grünen putschen, obwohl sie ebendiese Grünen "ihr Leben lang gehasst" hat, nur um nach der Wahl zu den Linken im EU-Parlament überzulaufen, weil "dann bin ich gewählt, und die Grünen können nichts mehr machen muhahha". Bei den Filmfestspielen in Gumpoldskirchen gäbe es dafür sicher einen goldenen Buchsbaumzünsler, wenn es die Filmfestspiele in Gumpoldskirchen endlich gäbe.
Die eine Seite sagt, es war ein Spaß, die andere Seite, es war ernst gemeint, ich wundere mich, dass in Österreich da noch ein Unterschied gemacht wird. Jedenfalls wird bald jeder im Land jemanden kennen, der eine eidesstattliche Erklärung in der Affäre abgegeben hat, die Termine beim Notar dürften schnell rar werden.
Das Leben kann immer seltener mit dem Leben Schritt halten. Nicht einmal die TV-Sender kommen mit dieser rasanten Abfolge noch zurecht. ORF III begann in der vergangenen Woche damit, die Spitzenkandidaten für die EU-Wahl aufeinander loszulassen. Vielleicht dachte man sich, dass es auch andere Zukunftsfragen in Europa geben könnte als die Ungewissheit, welche Zukunft Lena Schilling hat.
Für potentielle Straßenfeger hielt man die Zweierkonfrontationen offenbar nicht, denn sie wurden in den Nachmittag verbannt. Wer jetzt also etwa das Wildwest-Duell Andreas Schieder gegen Reinhold Lopatka verfolgen will, muss ab 16 Uhr alles liegen und stehen lassen. Am Dienstag der vergangenen Woche war als Opener Harald Vilimsky vs. Helmut Brandstätter zu sehen, im Hauptabendprogramm lief aber eine Doku über die "Geheimnisvolle Augustinerkirche". Solche Sachen werden ja schnell alt. Tags darauf, als sich Lena Schilling zunächst mit Lopatka und dann mit Schieder zur Jause traf, entführte uns ORF III ab 20.15 Uhr in die Gegend "Rund ums Fellhorn".
Falls Sie es verpasst haben, die Sendung macht so einen Gusto: "Das Fellhorn zwischen Kaiserwinkl und St. Johann lockt auf einer Höhe von knapp 1.800 Metern mit einem beeindruckenden Ausblick auf die umliegende Bergwelt. Direkt unterhalb des Gipfels liegt die Eggenalm. Jeden Sommer treiben die Bauern der Region ihre Rinder hier herauf. Als Wächter über die Alm ragt ein hölzernes Kreuz samt Kapelle. Vor jedem Almsommer schmücken Klaus Endstrasser und sein Kollege Johann Keuschnigg das Kreuz mit frischen Latschenästen – das ist Tradition."
Die Duelle haben in ihrer noch jungen Tradition einen zweiten Nachteil, sie sind nicht live, sondern aufgezeichnet. Als das entschieden wurde, war Lena Schilling mutmaßlich noch auf dem Weg von der Lobau nach Wien. Nun aber ist sie angekommen und wir wissen, dass sie nicht nur einen Tunnel verhindert, sondern zwischendurch auch in ihrer Handy-Konversation ein paar Tiefenbohrungen durchgeführt hat. Das macht die Sache nun erdig.
Am Mittwoch traf sich Schilling wie erwähnt zur Jause mit Lopatka und Schieder, aber diese Jause hatte in Wahrheit schon am Tag davor stattgefunden. Und weil die Jause schon am Vortag aufgezeichnet worden war, wurde nicht der aktuelle Stand der Schilling-Affäre zum Thema gemacht, sondern der Stand vom Vortag in der Schilling-Affäre. Der aktuelle Stand der Schilling-Affäre hatte aber rein gar nichts mit dem Vortags-Stand in der Schilling-Affäre zu tun. Das Publikum, das vor den TV-Schirmen jausnete und natürlich den aktuellen Stand der Schilling-Affäre kannte, war verwirrt, dass ihnen hier der Stand der Schilling-Affäre vom Vortag vorgekaut wurde. Sie wussten ja nicht, dass es sich um etwas Aufgewärmtes handelte.
Das fiel besonders auf, als Andreas Schieder in der Zweierkonfrontation auf Lena Schilling traf. Falls sie das nicht mehr im Kurzzeitgedächtnis gespeichert haben: Schieder tritt für die SPÖ bei der EU-Wahl an, die wiederum finden am 9. Juni statt, sie sind der eigentliche Auslöser dieser ganzen Seifenoperette. Auf ORF III debattierten Schilling und Schieder am Mittwoch, also eigentlich am Dienstag, über den Hass der grünen Spitzenkandidatin auf die Grünen, nicht aber über die "Silberstein-Methoden" und den vermeintlichen Drahtzieher Andreas Schieder dahinter, dem eigentlichen Thema des Tages. Die Dienstagsjause war am Mittwoch schon verputzt.
Die Grünen hatten zu Wochenanfang fieberhaft überlegt, wie sie der Seifenoperette eine neue Duftnote geben könnten und da muss ihnen Olga Voglauer vor die Nase gefallen sein. Sigi Maurer, zumindest Miterfinderin von Lena Schilling, hat sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurückgezogen, sie ist jetzt als grüne Klubchefin lieber mehr bei sich. Es ist so wie vor ein paar Jahren bei den zwei Päpsten, ohne dass es nun eine erste Päpstin gäbe.
Werner Kogler feiert mutmaßlich immer noch den Meistertitel von Sturm Graz. Vielleicht ist er aber auch in Paris und verhandelt mit Kylian Mbappé über einen Wechsel an die Mur. Der Stürmer-Star geht bekanntermaßen aus Paris weg und es wäre nicht das erste Mal, dass in Saint-Germain Verträge mit einer gewissen Relevanz für Österreich geschlossen werden.
Also Olga Voglauer. Eine brillante Idee, das hätte man vorher ahnen können, nachher wusste man es. Die Generalsekretärin übererfüllte am Mittwoch alle Erwartungen, selbst jene, die es nicht gegeben hatte. Sie redete rund 18 Minuten (hier können Sie den Wortlaut nachlesen), immer wieder unterbrochen von längeren Gedankenpausen, für sich oder für uns, netto also so um die 12 Minuten. Voglauer schilderte, mit welchen brutalen Fragen die Grünen derzeit von Journalisten konfrontiert werden. Gedankenpause. Etwa "wann Lena Schilling das letzte Mal die Uni besucht hat?" Gedankenpause. Ich wüsste jetzt gar nicht, wozu sie auf der Uni gewesen sein sollte. Sind dort Tanzkurse? Will sie Sebastian Kurz treffen, der auch ein bisschen gebummelt hat die letzten Jahre beim Studium?
Voglauer sprach von Quecksilber, das "zusammengefunden" habe, dann von "Silberstein-Methoden", die man "mittlerweile bestätigen" könne, ohne eine Bestätigung folgen zu lassen. Andreas Schieder machte sie diffus als vorderen Hintermann der Affäre aus, weil er doch aus dem gleichen Bezirk käme wie Sebastian Bohrn Mena, aus derselben Partei sowieso. Nachher entschuldigte sich die Generalsekretärin auf X für den Silberstein und den Silberschweif am Horizont, aber das nutzte nicht mehr viel. Der Geist war aus der Flasche und entpuppte sich noch dazu als Ungeist.
Zu Lena Schilling hat inzwischen jeder eine Meinung im Land, oft sind es sogar zwei oder drei. Die können sich ergänzen oder widersprechen, im freien Spiel der Kräfte ist alles erlaubt. Die Gedankenwelt dieses Marxismus-Lenanimus erweitert sich beinahe täglich, diese Woche kam ein Podcast der "Kleinen Zeitung" hinzu, er heißt "Let's face it, samma ehrlich". Kylian Mbappé wird sich wundern, wenn er dann für Sturm Graz spielt, wie viele Sprachen die Steirer drauf haben und da wird von Stoasteirisch noch gar nicht die Rede sein.
In "Let's face it, samma ehrlich" ging es zunächst um Gott und die Welt und später um Gott selbst. Religion ist grundsätzlich zwar Privatsache, aber die Grenzziehung erfolgt mittlerweile recht freihändig, vor allem wenn Lena Schilling zu Gast ist. Man muss dazu sagen, dass der Podcast schon am 15. April aufgezeichnet wurde, in Österreich ist momentan wenig live, vielleicht liegt darin auch eine Chance. Am 15. April war Lena Schilling noch nicht mehr als eine Kandidatin der Grünen fürs EU-Parlament und keine Natter am Busen der Partei, als die sie jetzt von manchen hingestellt wird.
Schülerinnen und Schüler aus der Steiermark, die am 9. Juni erstmals wählen dürfen, wurden von der "Kleinen" eingeladen, Fragen zu stellen, und das taten sie auch. Wieder einmal lernt man, dass die Probleme am Land und die Probleme in der Stadt nur eine geringe Schnittmenge miteinander aufweisen. "Let's face it": Was die Leute in Wien an den Weltuntergang glauben lässt, sorgt in Mürzzuschlag nicht einmal für einen Ohrenwackler.
Die Schulenden – wobei man dazu sagen muss, dass Gendern der steirischen Landjugend auch recht wurscht war – wollten etwa wissen, ob sie in Zukunft noch mit dem Motorradl und dem Automobil fahren dürfen, mit der E-Mobilität fremdeln sie noch etwas. Nach den Gründen gefragt, antwortete ein Mädchen nach einigem Überlegen: "Weil sie neu ist."
Schilling, wie gesagt damals noch unbefleckt, blieb generös. "Wenn man gerne Auto oder Motorrad fährt, ist das total legitim", sagte sie und zeigte sogar ein Herz für Benzinbrüder. Ihr gehe es "auch um die Menschen, die im Stau stehen. Die vielleicht gar keine andere Möglichkeit haben, in die Arbeit zu kommen". Die Aktionen der Klimakleber sah sie skeptisch, die Frage, ob sie sich selbst festkleben würde, beantwortete sie wie aus der Pistole geschossen mit "nein".
Dann kam Gott ins Spiel. Und Andreas Gabalier, die steirische Dreifaltigkeit. Sie glaube nicht, sagte Schilling, "dass Andreas Gabalier die Person ist, die über die Klimakrise mitentscheidet". Hulapalu! Wenn später einmal die Rede davon sein wird, ab wann Schilling die Wählerschaft davongelaufen ist, dann sollte man sich diesen Moment gut einprägen. Chats hin oder her.
Mit Gott wollte es sich Schilling nicht grundsätzlich verscherzen. "Nein", antwortete sie auf eine entsprechende Frage, "ich glaube tatsächlich nicht an einen Gott. Aber ich find's total schön, wenn Leute das tun und total wichtig und okay. Ich finde, Religion war in meinem Leben ehrlicherweise nie eine sehr große Rolle. Ich bin nicht einmal getauft."
Sie habe auch ihre parareligiösen Augenblicke, gestand Schilling ein. Die ganz Linken mögen jetzt bitte weghören. "Also ich bin sehr wenig religiös aufgewachsen", sagte sie. "Und trotzdem und ich glaub das ist so ein Urinstinkt, habe ich Momente, in denen ich zum Beispiel nervös bin oder in denen ich angespannt bin, wo ich dann trotzdem hoff', dass es irgendwas gibt und dass es irgendwie alles Sinn macht." Diese Momente boten sich ihr in den drei Wochen nach dem Podcast zuhauf.
"Unser Land ist geprägt von Katholizismus und das ist auch nichts Verwerfliches oder Schlechtes", beschloss Schilling das Kapitel. "Das ist einfach so und das ist auch gut so. Aber Staat und Religion gehörten getrennt. "Fangen wir doch an, die Kreuze in den Schulen abzuhängen!"
"Let's face it:" Eine gerade eben noch "Krone"-Kolumnistin, die in der Schule die Kreuze abhängen will, das ist so, als würde Michael Jeannée unter einem Kanzler Babler das Genderministerium leiten. Schwierig! "Samma ehrlich."
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Wir sollten nicht ganz außer Acht lassen, dass zur EU-Wahl in zwei Wochen auch andere Parteien antreten. Nicht dass sie sich in der Wahlzelle wundern, wenn es mehr Möglichkeiten gibt. Sie können also nicht nur bei Lena Schilling ein Ja oder Nein ankreuzen, sondern die Auswahl ist größer. Wobei: Eine größere Auswahl bedeutet nicht immer zwingend ein größeres Angebot.
Im Windschatten der sanften Lenanisierung des Landes, ist die FPÖ massiv in den EU-Wahlkampf eingestiegen. Sie nutzt dafür vor allem FPÖ TV, auf YouTube hat der Kanal 205.000 Abonnenten. Am Donnerstag ging ein Video online, das es mit über 37 Minuten fast auf Spielfilmlänge bringt und schon im Titel deutlich macht, was uns die Freiheitlichen im Wahlkampf-Endspurt mitteilen wollen: "Mit Euch gegen das System." "System", diesen Begriff werden wir jetzt öfter hören und sehen und lesen.
Am Samstag erschreckten die Freiheitlichen dann ihr Publikum mit einem neuen Clip, er heißt "Unglaublich: EU-Bürger sollen Insekten essen!" Der 33 Sekunden lange Spot endet mit einem Werbeplakat, auf dem Spitzenkandidat Harald Vilimsky zu sehen ist. Als Slogan ist "Vorhang auf für Österreich" zu lesen und damit das jeder kapiert, schiebt Vilimsky einen EU-Vorhang zur Seite. Allerdings nicht mit seinen eigenen Händen, das geht sich anatomisch nicht aus, außer er hat Arme wie Barbapapa. Es ist also doch so, dass die KI nicht nach den Anfangsbuchstaben von Herbert Kickl benannt wurde. Wieder was gelernt.