Der Fall Tesla
Im Krankenstand: Darf mich der Chef daheim besuchen?
In Deutschland besuchten jetzt Tesla-Manager krankgeschriebene Mitarbeiter daheim, um "an ihre Arbeitsmoral zu appellieren", die Gewerkschaft ist entsetzt. Wäre das auch in Österreich möglich?
Elon Musk und die Deutschen, das wird keine Love Story mehr.
Zuerst baut der reichste Mensch der Welt (aktuell 257,3 Milliarden Dollar) eine gigantische Fabrik ins Umland von Berlin, die "Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg", 300 Hektar groß, mitten auf die grüne Wiese (die vorher ein Wald war), Drei-Schicht-Betrieb für 12.000 Mitarbeiter, die im Jahr bis zu 100.000 Elektroautos vom Typ Tesla Y herstellen sollen. Etwa eine Milliarde Euro hätte das Unternehmen dafür an Förderungen erhalten sollen, verzichtete jedoch ohne Angabe von Gründen kurzerhand auf das Geld. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemutmaßt, dass Musk die Bürokratie und die behördlichen Auflagen zu restriktiv waren.
Erweiterung an- und wieder abgesagt Eine angesagte Erweiterung der Fabrik, für die nochmals 100 Hektar Kiefernwälder fallen sollten, führte Anfang 2024 zu massiven Protesten gegen das Unternehmen, eine Bürgerbefragung erteilte Musks Plänen eine Abfuhr. Ein versuchter Sturm auf die Fabrik durch Umweltschützer wurde nur durch den größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes Brandenburg abgewendet. Schließlich gab es trotz der Proteste von der Politik grünes Licht für den Plan, da sagte plötzlich Tesla die Erweiterung ab. Der Elektroauto-Markt war mittlerweile eingebrochen, statt Erweiterung stand nun ein Mitarbeiterabbau im Raum.
Zu viele Krankenstände Und kaum haben sich auch diese Wogen geglättet, steht Tesla schon wieder im Scheinwerferlicht. Die Zahl der Krankenstände in dem Werk – übrigens das einzige Tesla-Werk in Europa – sei seit Monaten massiv zu hoch, weshalb nun die Geschäftsführung damit begonnen hat, unangekündigte Hausbesuche bei krankgeschriebenen Mitarbeitern durchzuführen, um "an die Arbeitsmoral der Belegschaft zu appellieren". Der Aufschrei bei der zuständigen Gewerkschaft war vermutlich bis in die USA zu hören, doch das Management störte sich nicht daran und kündigte prompt an, mit den Hausbesuchen weiter zu machen.
Dürfen's das denn? Aber – ist dieses Vorgehen der Unternehmensführung überhaupt zulässig? Und könnte sowas auch in Österreich geschehen? Weshalb Tesla zu so außergewöhnlichen Mitteln greift, welche Rechte Arbeitnehmer im Krankenstand haben und was Rechtsanwältin und Newsflix-Expertin Katharina Körber-Risak zu der Sache sagt – hier der Überblick:
Was ist bei Tesla eigentlich passiert?
Das Unternehmen hat in den letzten Wochen bei mehreren Dutzend Mitarbeitern, die im Krankenstand waren oder noch sind, Hausbesuche unternommen. Nach Angaben von Tesla seien der Fertigungs- und der Personalleiter unangekündigt zu den krankgeschriebenen Mitarbeitern nach Hause gegangen, um mit ihnen zu sprechen. "Wir wollten an die Arbeitsmoral appellieren", so der Leiter des Tesla-Werkes in Brandenburg, André Thierig, Dabei sei ein Großteil der Besuchten nicht angetroffen worden, jene, die die Türe öffneten, hätten teilweise "aggressives Verhalten" an den Tag gelegt.
Weshalb griff das Tesla-Management zu solchen drastischen Mitteln?
Werksleiter André Thierig, erklärte gegenüber Medien, dass man sich zu diesem Schritt entschlossen hätte, weil es überdurchschnittlich hohe Krankenstandszahlen gäbe. Phasenweise seien in den Sommermonaten 17 Prozent der 12.000 Beschäftigen krankgeschrieben gewesen, berichtet das "Handelsblatt". Laut Thierig hätte man an die 200 Mitarbeiter identifiziert, die seit Monaten krankgeschrieben seien und 2024 noch keinen einzigen Tag gearbeitet hätten. Und es würde vor allem an Freitagen und in der Spätschicht vermehrt zu Krankmeldungen kommen. "Das suggeriert, dass das Sozialsystem ein Stück weit ausgenutzt wird", so der Manager.
Was sagt der Betriebsrat zu dieser Aktion?
Bis jetzt gar nichts. Hintergrund ist der, dass es seit vielen Monaten einen Richtungskampf im Unternehmen gibt, was die Arbeitnehmervertretung anbelangt. Die zuständige Gewerkschaft IG Metall wird seitens Tesla massiv attackiert. Führende Tesla-Vertreter, bis hinauf zu Eigentümer Elon Musk, haben bereits mehrfach Stimmung gegen die IG Metall im Unternehmen gemacht.
Und was halten die Mitarbeiter davon?
Die Führung des Werkes informierte die Mitarbeiter bei einer Versammlung am 19. September über die Krankenstands-Problematik und verteidigten bei der Gelegenheit auch die Hausbesuche. Werksleiter Thierig berichtete danach, es sei auf große Zustimmung der Belegschaft gestoßen. Zuvor habe es bereits das Feedback gegeben, dass Beschäftigte wegen der hohen Abwesenheit ihrer Kolleginnen und Kollegen frustriert seien. Mitarbeiter mit hohen Fehlzeiten wurden vom Management u.a. als "nicht ehrenhaft" bezeichnet.
Und die Gewerkschaft?
Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall, hat das Vorgehen von Tesla als "nächste abwegige Aktion gegen den seit Langem deutlich überdurchschnittlichen Krankenstand in der Gigafactory" bezeichnet. Beschäftigte aus fast allen Bereichen des Werks berichteten von "extrem hoher Arbeitsbelastung", schildert Schulze. Wenn Personal fehle, setze Tesla die Kranken unter Druck und überlaste die noch Gesunden mit zusätzlicher Arbeit. "Wenn die Werksleitung den Krankenstand senken will, sollte sie diesen Teufelskreis durchbrechen."
Ist die Aktion von Tesla rechtlich überhaupt gedeckt?
Krankschreibungen werden in Deutschland vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen kontrolliert, nicht vom Arbeitgeber, auch wenn Werksleiter Thierig das gegenüber Medien anders sieht und zur gängigen Praxis erklärt. Das Tesla-Management agiert hier in einem Graubereich. Hausbesuche bei krankgeschriebenen Mitarbeitern sind grundsätzlich nicht zulässig, zumindest nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Arbeitnehmers - primär geht es hier um die Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Aber mögliche Sanktionen gegen das Unternehmen sind nur durchsetzbar, wenn der betroffene Mitarbeiter persönlich mittels einer Klage dagegen vorgeht.
Wie steht das Management zu seiner Kontroll-Aktion?
Es sieht die Hausbesuche als vollen Erfolg. Werksleiter André Thierig betonte, einen Generalverdacht gegen Kranke gebe es bei Tesla nicht. "Wir wollten den Dialog mit Mitarbeitern suchen und wissen, was bei ihnen los ist. Ein persönlicher Besuch hat dabei eine andere Wirkung als ein Anruf." Die Krankenstände seien auch zurückgegangen. "Wir haben einen Effekt der Verbesserung festgestellt." Weitere Hausbesuche wollte der Manager dann auch dezitiert nicht ausschließen.
Wie ist hier die rechtliche Situation in Österreich?
Im Grunde genauso wie in Deutschland. "In Österreich ist für die Kontrolle des Krankenstandes die Österreichische Gesundheitskasse ÖGK zuständig", sagt die Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak. "Der Krankenbesuchsdienst überprüft die Einhaltung der ärztlichen Anordnungen sowie der Ausgehzeiten. Bei begründeten Einzelfallverdachtsmomenten wäre der Einsatz des Detektivs möglich. Eine generelle Überwachung der Belegschaft wäre unzulässig, sogar dann, wenn der Betriebsrat dieser zustimmen würde."
Was würde geschehen, wenn ein Unternehmen in Österreich wie Tesla agieren würde?
"Es gäbe sicherlich einen Aufschrei der betrieblichen und überbetrieblichen Sozialpartner", so Juristin Katharina Körber-Risak. "Durch das Erlauben von Kontrollen durch den Arbeitgeber stünden Arbeitnehmer unter Generalverdacht. Der Betriebsrat könnte eine Unterlassungsklage, wohl sogar verbunden mit einem Antrag auf Einstweilige Verfügung, abgeben."
Könnten sich betroffene Mitarbeiter auch persönlich dagegen wehren?
Ja, auch einzelne Arbeitnehmer könnten auf Unterlassung klagen und Einstweilige Verfügungen einbringen, so Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak. Sogar Schadenersatzansprüche hält sie für denkbar, weist aber drauf hin, dass hier nach der derzeitigen Rechtslage Neuland betreten würde.
Könnte einem Unternehmen, das sich so verhält, auch ohne arbeitsrechtliche Klage eine Strafzahlung drohen?
Nein, gerichtliche Strafen oder Verwaltungsstrafen für ein derartiges Verhalten seitens eines Arbeitgebers gebe es nicht, so Katharina Körber-Risak.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat ein Arbeitgeber, wenn Mitarbeiter seiner Meinung nach zu oft im Krankenstand sind?
"Der Arbeitgeber hat in diesem Fall wenig Möglichkeiten", erläutert Katharina Körber-Risak. "Er kann im Einzelfall engmaschig Krankenstandsbestätigungen verlangen, die aber nicht den Grund der Krankheit angeben. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit dieser Bestätigungen, kann eine Untersuchung durch einen Amtsarzt oder die Gebietskrankenkasse verlangt werden. Auch hier besteht aber kein Zugriff auf die medizinischen Daten."
Bei begründetem Verdacht im Einzelfall, dass ein Arbeitnehmer seinen Krankenstand vortäuscht, könne eine Überwachungsmaßnahme durch einen Detektiv gerechtfertigt sein. Auch hier sei aber der Arbeitgeber insofern im Dunkeln, als er die Diagnose nicht kennt und daher nicht sicher abschätzen kann, ob es sich beim Verhalten seines Mitarbeiters wirklich um "genesungsfeindliches" Verhalten handelt, das zu einer fristlosen Entlassung führen kann.
Wie verhält man sich als Arbeitnehmer im Krankheitsfall korrekt?
"Im Krankheitsfall muss der Arbeitgeber von der Arbeitsverhinderung unverzüglich informiert werden", erklärt Katharina Körber-Risak. "Eine ärztliche Bestätigung über die Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber grundsätzlich ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen. Wahlarztbestätigungen können, müssen aber nicht akzeptiert werden.
Wie lange bekommt man im Krankheitsfall seinen Lohn bzw. sein Gehalt ausbezahlt?
Im unverschuldeten Krankenstand besteht ein Anspruch auf Entgelt-Fortzahlung für 6 Wochen. Die Zeitraum der Entgeltfortzahlung erhöht sich abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses auf maximal 12 Wochen. Danach besteht noch ein vierwöchiger Anspruch auf das halbe Entgelt, währenddessen besteht auch bereits ein Anspruch auf das halbe Krankengeld aus der Krankenversicherung. Danach erhält man kein Entgelt vom Arbeitgeber mehr, aber das volle Krankengeld. Krankengeld wird aber nur auf Antrag gewährt.
Kann man im Krankenstand gekündigt werden?
"Eine Kündigung während des Krankenstandes ist zulässig", sagt Juristin Körber-Risak. "Zu beachten ist jedoch, dass der Entgelt-Fortzahlungsanspruch für die Dauer des Krankenstandes besteht, also gegebenenfalls auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, maximal aber für die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs."