"Büro der Legenden"

Jenseits von Bond: Ah, so leben also Agenten wirklich

Streaming-Perlen: Die französische Agenten-Serie begeisterte über fünf Staffeln durch ihre spannende und realitätsnahe Story. Ab sofort ist sie auf Paramount+ wieder zu sehen. Unbedingte Empfehlung!

Sondieren, taktieren und reden, reden, reden: Mathieu Kassovitz als Undercover-Agent Malotru und Léa Drucker als Geheimdienst-Psychologin Laurène Balmes
Sondieren, taktieren und reden, reden, reden: Mathieu Kassovitz als Undercover-Agent Malotru und Léa Drucker als Geheimdienst-Psychologin Laurène Balmes
Xavier Lahache
Martin Kubesch
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Der Streaming-Markt ist unersättlich. Alleine Netflix, der Branchen-Primus, bringt im Jahr 2024 insgesamt 166 neue Serien bzw. Mini-Serien auf den Markt. Alles in allem werden heuer wieder zwischen 400 und 500 neue Serien bzw. Serien-Fortsetzungen die Streaming-Plattformen fluten. Das ist natürlich großartig für alle Fans erstklassiger Serien-Ware. Nie zuvor gab es eine so große Zahl herausragender Produktionen, niemals war die Auswahl dermaßen riesig.

Überforderung für Seher Doch der Boom hat auch Schattenseiten. Der Streaming-Kosmos ist längst unübersichtlich geworden. Selbst Profis gelingt es kaum mehr Schritt zu halten mit all den Neustarts, Ankündigungen, Verlängerungen und Absetzungen auf den diversen Plattformen und von den zahlreichen Anbietern. Fans führen längst Listen mit all jenen Serien, die sie sich vorgenommen haben. Und trotzdem rutschen auch den organisiertesten Sehern immer wieder Perlen durch, Serienprojekte, die eine breite Aufmerksamkeit verdient hätten, aber schlicht von der Masse an Angeboten weggespült worden sind.

Lagebesprechung in der Zentrale der DGSE: Mathieu Kassovitz als Guillaume Debailly,  Codename Malotru, muss einen in Algerien verschwundenen Informanten finden
Lagebesprechung in der Zentrale der DGSE: Mathieu Kassovitz als Guillaume Debailly, Codename Malotru, muss einen in Algerien verschwundenen Informanten finden
Xavier Lahache

Zweite Chance für erstklassige Serien Auf solche Streaming-Perlen will Newsflix in unregelmäßigen Abständen aufmerksam machen. Serien, die bereits bei der zweiten oder dritten Staffel angelangt sind, während die erste noch längst nicht alle potenziellen Seher erreicht hat. Oder die vielleicht nicht mehr brandaktuell sind, aber so gut, dass es sich immer noch lohnt, einen Blick auf sie zu werfen. Wie die herausragende französische Produktion "Büro der Legenden".

Büro der Legenden komplett Insgesamt 5 Staffeln à je 10 Episoden liefen zwischen 2015 und 2020 sehr erfolgreich in Frankreich, der englische Sprachraum folgte bald, auf Deutsch tat sich die Serie schwerer. Zunächst lief sie auf RTL Crime, wechselte dann zu Canal+ und ist nun bei Paramount+ gelandet. Hier sind alle 5 Staffeln zu sehen, eine Chance, die sich Fans von Spionagegeschichten nicht entgehen lassen sollten. Denn "Büro der Legenden" zeichnet ein realistisches Bild von der Geheimdienstarbeit, weit weg von James-Bond-Glamour und fetziger "Mission Impossible"-Action. Und ist dabei spannender als fast alles, was das Genre sonst zu bieten hat.

Worum geht es? Protagonist der Serie ist Guillaume Debailly (Mathieu Kassovitz), Codename Malotru, ein Undercover-Agent des französischen Auslands-Geheimdienstes DGSE (Direction générale de la Sécurité extérieure, zu deutsch Generaldirektion für äußere Sicherheit). Er wurde dafür ausgebildet, unter falschem Namen in einem anderen Land zu Leben und Informationen zu sammeln.

Sechs Jahre in Syrien Im Falle von Malotru ist sein Zielgebiet die syrische Hauptstadt Damaskus, wo er mittlerweile seit sechs Jahren als Französischlehrer arbeitet – das ist seine Legende – und gleichzeitig Kontakte zu für Frankreich interessanten Personen knüpft. So hat er auch ein Verhältnis mit einer Syrerin begonnen, weil es der DGSE für wahrscheinlich hält, das diese Frau, Nadia El Mansour, irgendwann eine wichtige Rolle für das Assad-Regime spielen könnte.

Rückkehr in die Heimat Am Beginn der ersten Staffel erhält Malotru den Auftrag, Syrien und seine Geliebte Nadia zu verlassen und auf Umwegen (die seiner Legende geschuldet sind) nach Paris zurückzukehren. Er soll eine Führungsaufgabe beim DGSE übernehmen, ein Schreibtisch-Job. Doch der Agent, kaum zurück in Frankreich, meldet sich aus Sehnsucht und ohne Wissen seines Arbeitgeber bei Nadia, die mittlerweile selbst in Paris ist – im Auftrag des syrischen Regimes. Malotru führt sein Verhältnis mit ihr fort ohne zu ahnen, dass er seine Geliebte und auch sich selbst dadurch in große Gefahr bringt.

Henri Duflot (Jean-Pierre Darroussin) leitet das Büro der Legenden innerhalb des DGSE und leidet mit seinen Undercover-Agenten mit
Henri Duflot (Jean-Pierre Darroussin) leitet das Büro der Legenden innerhalb des DGSE und leidet mit seinen Undercover-Agenten mit
Xavier Lahache

Informant in Gefahr In einem zweiten Handlungsstrang verschwindet ein langjähriger Informant des DGSE in Algerien plötzlich von der Bildfläche und Malotru erhält den Auftrag, diesen aufzuspüren und zu befreien – nicht zuletzt, damit der Informant keine brisanten Geheimnisse über seine Arbeitgeber in Paris ausplaudern kann.

Standing Ovations vom DGSE Als "Büro der Legenden" in Frankreich 2015 erstmals über die Bildschirme flimmerte, bekam die Serie Stehende Ovationen vom realen DGSE. So gut wie alles an der Serie wirke authentisch, ließen die Schlapphüte damals verlauten: Die engen, fensterlosen Büros, die langen und unregelmäßigen Arbeitszeiten der Mitarbeiter und das Fehlen jedes gesellschaftlichen Lebens. Die Inzestuösität der Situation – man bleibt möglichst unter sich, um sich und seinen Job nur ja nicht zu verraten –, die obsessive Geheimhaltung, das alltägliche Wechselspiel aus Verdacht und Verlogenheit und die daraus resultierende Paranoia.

Filterkaffee statt Wodka Martini "Büro der Legenden" macht keinen Hehl daraus, dass die Mitarbeiter von Nachrichtendiensten im Grunde arme Hunde sind: Gefangen in einer geheimen Welt, von der sie niemandem erzählen dürfen, sammeln sie Lageberichte von ihren Agenten im Feld, halten den codierten Kontakt mit ihren Schutzbefohlenen in der Fremde und leiden mit diesen mit, wenn es einmal brenzlig wird, ohne irgend etwas für sie tun zu können. Und wenn es wieder einmal lange wird im Büro, gibt es als Catering nicht mehr als Kaffee aus der Maschine und dazu Kekse aus dem Supermarkt statt Beluga-Kaviar und Wodka Martini.

Marina Loiseau (Sara Giraudeau) erlebt in der ersten Staffel ihre Ausbildung zur Undercover-Agentin und wird am Ende als Seismologin in den Iran geschickt
Marina Loiseau (Sara Giraudeau) erlebt in der ersten Staffel ihre Ausbildung zur Undercover-Agentin und wird am Ende als Seismologin in den Iran geschickt
Xavier Lahache

Von wegen hunderte Agenten Ein weiterer Mythos, mit dem die Serie aufräumt, ist die Masse an Undercover-Agenten, die für Frankreich spionieren. Gerade einmal neun Männer und Frauen seien es, wird der neue Abteilungsleiter beschieden, die die Grande Nation derzeit irgendwo in der Welt mit einer möglichst bombensicheren Legende eingeschleust habe. Und für jeden wird massiver Aufwand betrieben, um sie oder ihn möglichst lange ungefährdet im Spiel zu behalten.

Als eine neue Agentin in den Iran losgeschickt wird, um dort Informationen über das Atomprogramm des Landes zu sammeln, verabschiedet sie der Chef persönlich mit den Worten: "Sie werden vielleicht in zwei, vier oder sechs Jahren zurückkommen, das alles wird sich erst weisen. Alles Gute!"

Kleine "Easter Eggs" Dazu bietet die Serie kleine, versteckte Leckerbissen für Fans und Experten, die Freude machen, wenn man sie erst einmal entdeckt. So tragen etwa alle Undercover-Agenten des DGSE Codenamen, die aus den Schimpftiraden des ständig betrunkenen Kapitän Haddock aus den "Tim und Struppi"-Comics von Hergé stammen. "Malotru" bedeutet auf Französisch "Rüpel", und "Rocambole", der Codename der neuen Agentin im Iran, ist eine Lauchpflanze.

Laurène Balmes (Léa Drucker) ist Psychologin und soll den Mitarbeitern des Büros professionell beistehen. Aber sie verbirgt auch ein großes Geheimnis …
Laurène Balmes (Léa Drucker) ist Psychologin und soll den Mitarbeitern des Büros professionell beistehen. Aber sie verbirgt auch ein großes Geheimnis …
Xavier Lahache

Hommage an CIA-Stammvater Ein weiteres "Easter Egg" ist die Figur des Geheimdienstmitarbeiters Jean-Jacques Angel, der in den Staffeln 4 und 5 vorkommt. Seine Initialen JJA spielen an auf James Jesus Angleton, einen der Stammväter der amerikanischen CIA, der vor allem für seine Gegenspionage-Aktivitäten berüchtigt gewesen ist und es sich zur heiligen Aufgabe gemacht hatte, feindliche Undercover-Agenten in den Reihen seines Geheimdienstes zu enttarnen.

Zwischen CIA und IS Apropos CIA: Die Amerikaner spielen natürlich auch eine massive und ambivalente Rolle in "Büro der Legenden". Schließlich haben die USA massive geopolitische Interessen in jenen Ländern, in denen auch der DGSE alleine schon historisch bedingt stark ist, also vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in den ehemaligen Kolonien Afrikas. Und als allgegenwärtige Bedrohung ist vor allem das Gespenst des radikalislamistischen IS omnipräsent - ein Szenario, das zur Zeit, als die Serie geschaffen wurde, höchst aktuell gewesen ist und derzeit wieder zurück in den Mittelpunkt der Terrorszene drängt.

Guillaume Debailly alias Malotru (Mathieu Kassovitz) beginnt aus Liebe ein doppeltes Spiel zu spielen
Guillaume Debailly alias Malotru (Mathieu Kassovitz) beginnt aus Liebe ein doppeltes Spiel zu spielen
Xavier Lahache

Fazit "Büro der Legenden" ist kurzweilig, extrem spannend, sehr realistisch und kommt über weite Strecken ohne jene Macho-Attitüden aus, die viele andere Serien aus romanischen Ländern teilweise ein wenig mühsam machen. Es gibt hier keine wirklichen Helden und auch auf Seiten der Bösewichte ist nicht alles Schwarz und Weiß. Kurz gesagt: Streaming wie es sein soll. Schade, dass nach fünf Staffeln bereits Schluss war.

"Büro der Legenden", Frankreich 2015 - 2020, 5 Staffel à 10 Folgen mit je ca. 50 Minuten, derzeit auf Paramount+

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