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"Tulsa King": Wie sich Stallone noch einmal neu erfindet

Als New Yorker Mafioso, der nach Oklahoma ins Ausgedinge geschickt wird, hat der "Rocky"-Darsteller seine Altersrolle gefunden. Staffel 2 startet am 15. September auf Paramount+.

Hat nach 25 Jahren Zuchthaus die Unterwelt von Tulsa, Oklahoma, im Visier: Dwight Manfredi (Sylvester Stallone)
Hat nach 25 Jahren Zuchthaus die Unterwelt von Tulsa, Oklahoma, im Visier: Dwight Manfredi (Sylvester Stallone)
Paramount+
Martin Kubesch
Akt. Uhr
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Dieses Gesicht. Diese Hände. Dieser Brustkorb. Als wäre der ganze Mann aus einem riesigen Brocken Granit gehauen. Dazu dicke Goldringe an den Fingern, eine fette goldene Panzerkette am Handgelenk und eine in Anbetracht der Körperdimensionen viel zu zarte Dress Watch, wie man sie in der Oper trägt, aber nicht bei einem Rodeo. Das alles steckt in italienischen Anzügen die aussehen, als würden sie jede Sekunde vom Körper abplatzen, weil sie den Muskeln nichts entgegenzusetzen haben. Gestatten, Dwight Manfredi.

25 Jahre Gefängnis … Dwight Manfredi ist ein New Yorker Mafioso, obwohl es eigentlich müßig ist, das zu erwähnen. Denn Manfredi ist ein Oldschool-Mafioso, im Grunde ist er die Karikatur eines Mafioso. Alles zu viel, zu schwer, zu dick aufgetragen. Aber das muss so sein. Denn er war 25 Jahre im Gefängnis, während sich die Welt weiter gedreht hat, er weiß nicht mehr, was heute geht und was nicht. Saß ein, weil er seinem Paten Pete Invernizzi die Mauer gemacht hat. Kein Wort gesagt, nichts verraten, seine Zeit abgedient, seine Muskeln fleißig trainiert. Und auch das Köpfchen. Dwight ist nicht dumm.

"Chickie" (Domenick Lombardozzi, l.), der Sohn des alternden Paten, schickt Dwight (Sylvester Stallone) nach dessen Haftentlassung nach Oklahoma, um eine "Filiale" für die Familie aufzubauen
"Chickie" (Domenick Lombardozzi, l.), der Sohn des alternden Paten, schickt Dwight (Sylvester Stallone) nach dessen Haftentlassung nach Oklahoma, um eine "Filiale" für die Familie aufzubauen
Brian Douglas/Paramount+

… und dann das Und so kapiert er auch gleich, dass ihm sein Pate alles andere als einen Gefallen tut, als er Dwight nach dessen Entlassung aufträgt, New York zu verlassen und nach Tulsa im Bundesstaat Oklahoma zu gehen, um da eine "Filiale" für die Familie aufzubauen. Dwight weiß: Er wird nicht befördert für treue Dienste, sondern abgeschoben. Denn daheim weht nun ein anderer Wind, der Pate ist alt und krank, sein Sohn "Chickie" strebt nach der Macht. Und der will mit dem Senior aus dem Bau nichts zu tun haben. Dwight ist über 70, ein Relikt. Den Vornamen gaben ihm seine Eltern aus Verehrung für Weltkriegs-General Dwight D. Eisenhower. Der war Präsident, als er zur Welt kam, in den Fünfzigerjahren. Es wäre wirklich besser gewesen, Dwight wäre in der Haft gestorben.

Stehaufmännchen Aber Dwight ist Italiener und ein guter Christ und er trägt sein Kreuz. Also auf nach Oklahoma. Außerdem: Was hat er schon zu verlieren? Kann ja auch Spaß machen, unberührtes Land zu entdecken und zu erobern. Und ein Geschäft aufzubauen hat Dwight von der Pike auf gelernt, ob in New York oder anderswo ist gleichgültig. Also stelzt er in seinen italienischen Lederschuhen und im feinen Zwirn aus dem Flughafen von Tulsa, hinein ins Nirgendwo, bereit für seinen dritten Frühling. Oklahoma, here I come …

La Famiglia, 2.0: Dwight mit seinem Fahrer Tyson (Jay Will, l.) und seinem Drogenlieferanten "Bodhi" (Martin Starr)
La Famiglia, 2.0: Dwight mit seinem Fahrer Tyson (Jay Will, l.) und seinem Drogenlieferanten "Bodhi" (Martin Starr)
Brian Douglas/Paramount+

Unerwarteter Erfolg So startete vor zwei Jahren die erste Staffel der Serie "Tulsa King" auf der Streaming-Plattform Paramount+, im deutschen Sprachraum ging die Serie im März 2023 erstmals on Air. Mit Alt-Actionheld Sylvester Stallone als Dwight Manfredi. Der damals 76-Jährige war einer der wenigen noch brauchbaren 80er-Jahre-Filmstars, der noch keine eigene Serie hatte. Also "Tulsa King". Doch was zunächst als kleine Fingerübung angedacht gewesen ist, entwickelte sich zum Selbstläufer. Die Show wurde ein voller Erfolg, in den USA und dann im Rest der Welt. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie anfangs niemand wirklich ernst genommen hat.

"Rambo" wird altersmilde Am allerwenigsten Stallone selbst. Der "Rocky"- und "Rambo"-Darsteller spielt den Mafioso im Ausgedinge so leichtfüßig und mit so viel sichtbarem Vergnügen, dass alleine das schon eine Freude ist. Und selbst wenn er in seiner Rolle tut, was Mafiosi eben manchmal so tun, um ihren Mafia-Job zu erledigen, fehlt ihm jene brutale Grimmigkeit, mit der er als John Rambo hunderte Feinde dahin metzelte, und jene sture Verbissenheit, mit der Rocky Balboa seine Gegner aus dem Ring boxte. Fast könnte man meinen, dass Stallone mit Dwight Manfredi jene große Altersrolle gefunden hat, nach der sein ewiger Konkurrent im Muskelmann-Actionhelden-Genre, Arnold Schwarzenegger, nach wie vor sucht (und mit dem schrecklichen "Fubar" auf Netflix definitiv noch nicht gefunden hat).

Gehört ebenfalls zu Dwights Truppe: Barkeeper Mitch (Garrett Hedlund), ein ehemaliger Bullenreiter
Gehört ebenfalls zu Dwights Truppe: Barkeeper Mitch (Garrett Hedlund), ein ehemaliger Bullenreiter
Brian Douglas/Paramount+

Gangster, die Gangster-Dinge tun Wie läuft es also für Dwight in Tulsa? Besser als befürchtet – jedenfalls zu Beginn von Staffel 1. Rasch rekrutiert er eine Gruppe versprengter Seelen und macht sie zu seiner "Familie", er reißt sich das eine oder andere Drogen-Business unter den Nagel und beginnt ein Verhältnis mit einer Agentin der Bundesbehörde ATF (die sind zuständig für Alkohol, Tabak und Firearms, also Schusswaffen). Dass der massige Italiener, der aussieht wie ein Zuchtbulle in einem Zegna-Anzug, der lokalen Polizei nicht sofort auffällt, ist eine weitere glückliche Fügung des Drehbuchs, das es mit Glaubwürdigkeit ohnedies nicht sehr genau nimmt.

"Tulsa King" geht in die Verlängerung Da das Publikum die Serie rasch in sein Herz schloss, zögerte Paramount nicht lange und orderte flugs eine zweite Staffel. Und so endete Durchgang 1 mit einem veritablen Cliffhanger. Nachdem Dwight seinen ersten Bandenkrieg bravourös für sich entscheiden konnte, feiert er mit den Seinen – und wird prompt verhaftet. Bestechung einer Bundesbeamtin, so der Vorwurf. Denn der altmodische Kerl hatte seinem ATF-Gspusi Stacy etwas Geld zugesteckt (es war mehr als nur etwas …), da sie einen Finanzengpass hatte. Doch anstatt sich erkenntlich zu zeigen, zeigte sie ihn prompt bei ihren Vorgesetzten an. Verstehe noch wer die Frauen in den 2020er-Jahren. Und so endete Staffel 1 damit, dass der King mit Handschellen in einen Streifenwagen gesetzt wurde.

ATF-Agentin Stacy (Andrea Savage) bringt Dwight zuerst in ihr Bett und danach ins Gefängnis
ATF-Agentin Stacy (Andrea Savage) bringt Dwight zuerst in ihr Bett und danach ins Gefängnis
Brian Douglas/Paramount+

Und jetzt Staffel 2 Ab 15. September kann man nun Woche für Woche miterleben, wie es mit Dwight und seiner Gang weiter geht. Die zweite Staffel der Erfolgsserie hat zehn Episoden (Staffel 1 hatte "nur" 9) und diese werden Woche für Woche, jeden Sonntag eine, veröffentlicht. Was man jetzt schon sagen kann: Es geht weiter wie bisher. Dwight sitzt nicht lange hinter Schloss und Riegel, sondern kann schon bald wieder sein Business aufnehmen. Dafür wird das örtliche Organisierte Verbrechen auf den Zuzügler aus dem Osten aufmerksam und stellt ihm die Rute ins Fenster: Abschied aus Oklahoma oder Abschied für immer. Ob sich der Macho das sagen lässt?

The Sheridan-Touch Erdacht wurde "Tulsa King" von Taylor Sheridan, einem der Big Player im aktuellen Serien-Business. Der 55-Jährige stammt selbst von einer Farm in Texas und versuchte sein Glück zunächst als Schauspieler in Hollywood, sattelte aber schon bald um auf Drehbuchschreiber. Seine ersten beiden Filme als Autor – der Drogen-Thriller "Sicario" und der Neo-Western "Hell Or High Water" wurden beide große Erfolge und Sheridan galt rasch als Schreiber mit dem gewissen Etwas. Nach weiteren Film-Erfolgen ("Sicario 2", "Wind River") hatte Sheridan die Idee zu "Yellowstone", einer Neo-Western-Serie mit Kevin Costner in der Titelrolle, die mittlerweile zu den erfolgreichsten Serien der Welt gehört, mit mehreren Spin-Offs und einer gewaltigen Fangemeinde.

Mastermind des Mittelwestens Das von Sheridan erdachte und auf einer Tom-Clancy-Vorlage basierende Serienprojekt "Gnadenlos" spielt genauso im Militär-Millieu wie seine Special-Forces-Saga "Special Ops: Lioness" (u.a. mit Nicole Kidman). Doch sein "Mayor of Kingstown" ist wie auch Yellowstone in der US-Provinz angesiedelt (hier Michigan, da Montana), und "Tulsa King" hat der Serien-Landkarte nun noch Oklahoma hinzugefügt. Während die Mehrzahl der US-Mainstream-Serien an der Ost- oder der Westküste spielen, sucht sich Taylor Sheridan mit Vorliebe jene Regionen als Schauplätze aus, in denen sich sonst nur Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Bunte Truppe: Dwight (Sylvester Stallone, 2. v. l.) mit seiner Schwester Joanne (Annabella Sciorra, l.), seiner Tochter Tina (Tatiana Zappardino, 2. v. r.) und seinem Fahrer Tyson (Jay Will)
Bunte Truppe: Dwight (Sylvester Stallone, 2. v. l.) mit seiner Schwester Joanne (Annabella Sciorra, l.), seiner Tochter Tina (Tatiana Zappardino, 2. v. r.) und seinem Fahrer Tyson (Jay Will)
Brian Douglas/Paramount+

Erfolgsrezept Auch, aber bei weitem nicht nur deshalb stellen Sheridans Serien (die fast alle auf Paramount+ laufen) so etwas wie einen heimatverbundenen Gegenentwurf zum üblichen Hochglanz-Serien-Einerlei dar, wie es von den meisten anderen Streaming-Anbietern aktuell bevorzugt wird. Doch das alleine wäre bei weitem zu wenig, um den Erfolg der von dem Texaner verantworteten Arbeiten zu erklären. Es ist vor allem so, dass Taylor Sheridan ein Händchen dafür hat, spannende Storys auf mitreißende Art zu erzählen.

Sly in Bestform Der zweite Kreativposten von "Tulsa King" ist ohne Zweifel Sylvester Stallone. Der Mime blickt auf mehr als 50 Jahre Erfahrung im Hollywood-Business zurück und kann es sich längst leisten, über den Dingen zu stehen. Dass er sich bei den Dreharbeiten zur zweiten Staffel unangemessen verhalten haben soll, wie von einigen Medien kolportiert, mag man angesichts seiner Leistung vor der Kamera zwar kaum glauben, ist aber natürlich keinesfalls unmöglich. Vielleicht sind ihm die Steroide zu Kopf gestiegen, die den Körper des nun 78-Jährigen nach wie vor in einer Form halten, wie es 40 Jahre jüngeren Männern nicht ohne chemische Hilfe gelingt.

Cal Thresher (Neal McDonough) ist als lokaler "Geschäftsmann" über den neuen Mitbewerber aus New York City nur bedingt erfreut
Cal Thresher (Neal McDonough) ist als lokaler "Geschäftsmann" über den neuen Mitbewerber aus New York City nur bedingt erfreut
Brian Douglas/Paramount+

Fazit So oder so ist "Tulsa King" ein großes Vergnügen. Natürlich darf man die Story nicht zu ernst nehmen, aber darum geht es auch nicht. Die Serie ist schnörkellos gute Unterhaltung mit einem durch die Bank spielfreudigen Cast und einem Star in Bestform. Einziger Wermutstropfen der deutschen Synchronisation: Da Stallones jahrzehntelange deutsche Stimme Thomas Danneberg vergangenen Herbst verstorben ist (und schon vorher von die Synchronarbeit eingestellt hatte), wird Stallone in "Tulsa King" von Jürgen Prochnow gesprochen. Der macht seine Sache ausgezeichnet – trotzdem wird man das Gefühl nicht los, es fehlt etwas. Aber so ist das eben.

"Tulsa King", Staffel 2, 10 Folgen à ca. 45 Minuten, ab 15. September jede Woche eine neue Folge auf Paramount+

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