"slow horses"

Diese lahmen Gäule sind die Besten im Agenten-Stall

Mit dem heruntergekommenen Geheimagenten Jackson Lamb schuf Oscar-Gewinner Gary Oldman eine Kultfigur. Nun ist die meist übel riechende Spürnase in Staffel 4 von "Slow Horses" im Einsatz. Ab sofort auf Apple TV+.

Zynisch, ungepflegt – und gleichzeitig mit allen Wassern gewaschen: Gary Oldman als Jackson Lamb in Staffel 4 von "Slow Horses"
Zynisch, ungepflegt – und gleichzeitig mit allen Wassern gewaschen: Gary Oldman als Jackson Lamb in Staffel 4 von "Slow Horses"
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Newsflix Redaktion
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Es kommt nicht oft vor, dass eine Serie in gerade einmal zwei Jahren absolutes Kult-Potenzial entwickelt. In der Regel dauert sowas Jahre, manchmal gar Jahrzehnte, hin und wieder geschieht es erst, wenn die Serie längst ausgelaufen ist. Doch "Slow Horses" ist da – ganz entgegen dem Titel - flinker. Der Aufstieg des britischen Spionage-Thrillers mit jeder Menge schwarzem Humor zu einer der Top-Serien der Gegenwart war alles andere als langsam. Das mag auch damit zu tun haben, dass in gerade einmal zweieinhalb Jahren vier Staffeln ausgestrahlt wurden bzw. werden und die fünfte bereits abgedreht ist (wobei das Veröffentlichungsdatum noch aussteht).

Zerstückelte Langfilme Natürlich, die Staffeln haben je "nur" 6 Folgen, sind aber trotzdem in sich geschlossene Geschichten. Sie lassen sich am ehesten als in leicht konsumierbare Häppchen unterteilte Langfilme charakterisieren, die Spannung wird durch geschickt platzierte Cliffhanger dennoch von Folge zu Folge aufrecht erhalten. So ist das auch bei Staffel 4, die im Original den Titel "Spook Street" trägt und deren erste Folge seit 4. September auf Apple TV+ abrufbar ist. Die weiteren Episoden folgen wie gewohnt im Wochentakt.

Roman-Adaption "Slow Horses" basiert auf der gleichnamigen Spionageromanreihe des englischen Autors Mick Herron. Das erste Buch erschien 2010 und wurde gleich ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik. Der englische Comedian und Produzent Will Smith (nein, nicht der) adaptierte es 2020 zunächst als Miniserie und ist seither Showrunner der Produktion geblieben und damit einer der Väter des großen Erfolges. Nach Corona-bedingten Verschiebungen feierte die 1. Staffel von "Slow Horses" schließlich im April 2022  Premiere auf dem Streaming-Kanal Apple TV+.

Im Sumpf des MI5 Grob zusammengefasst handelt "Slow Horses" von einer heruntergekommenen Einheit des britischen Inlands-Geheimdienstes MI5, deren ebenso heruntergekommene Zentrale "Slough House" (etwa "Sumpfhaus") genannt wird. Dort landen gescheiterte Agenten, die sich im regulären Betrieb Dinge zu Schulden kommen haben lassen oder aus anderen Gründen nicht (mehr) für den regulären Dienst am Vaterland taugen, aber dennoch nicht entlassen werden.

Die "Slow Horses" in ihrem Hauptquartier, dem "Sumpfhaus”
Die "Slow Horses" in ihrem Hauptquartier, dem "Sumpfhaus”
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Außenseiter-Einheit Wenngleich als Ausgedinge für unbrauchbar gewordene Agenten verspottet und vom "echten" MI5 als bedeutungslose Gruppe untalentierter Außenseiter abgekanzelt, geraten die "Slow Horses" (also die lahmen Gäule) aus dem Slough House immer wieder in bedeutende Spionagefälle. Und müssen nicht selten den Kollegen aus dem "Park" (in der Serie residiert der MI5 in einem ultramodernen Zentrale im Regent's Park, in der Realität ganz woanders) den Kopf retten.

Kaputter Gary Oldman Direktor des Slough House ist Jackson Lamb, in der Serie absolut grandios dargestellt von Gary Oldman, der in seinem Karriereherbst noch einmal eine große Rolle gefunden hat. Lamb ist ständig grummelig, unfreundlich, zynisch, schimpft über seine Mitarbeiter, seine Vorgesetzten (u. a. Kristin Scott Thomas als MI5-Vizedirektorin) und die Welt, ist exzessiv ungepflegt und die Hälfte der Zeit betrunken. Mit jeder Staffel sieht er noch kaputter aus. Doch Lamb zelebriert sein Assozialen-Image, es ist ihm auch Mittel zum Zweck: Denn durch sein abstoßendes Auftreten wird er von seinen Gegenübern meist unterschätzt. Dabei blickt er auf eine vielfältige Vergangenheit als Top-Agent zurück uns zählt noch immer zu den gewieftesten Geheimdienst-Köpfen des Landes.

Eiskalt, berechnend und zynisch: Kristin Scott Thomas als MI5-Vizedirektorin Diana Taverner
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Kultfigur Oldmans Jackson Lamb kann man schon jetzt als Kultfigur bezeichnen, die sich in die Riege weiterer großer TV-Ermittler und -Gesetzeshüter einreiht. Mit seinem zerfledderten Understatement, der gespielten Unbedarftheit und Zerknautschtheit findet sich auch eine Parallele zu Peter Falks Columbo, der für Oldman wohl eine Inspiration bei der Vorbereitung auf seine Rolle gewesen sein mag.

Agenten wie du und ich Aber auch die anderen "Slow Horses" sind keine glanzvollen Geheimagenten á la James Bond, sondern Jedermänner (und -frauen) wie du und ich. Zum einen wäre da etwa der junge, clevere River Cartwright (Jack Lowden), der wegen eines groben Schnitzers im Rahmen seiner Ausbildung im Slough House landete. Oder Catherine Standish (Saskia Reeves), ehemalige Alkoholikerin und langjährige Büro-Managerin von Lamb, die ihm in einer gegenseitigen beruflichen Hass-Liebe verbunden ist.

Saskia Reeves als Catherine Standish, trockene Alkoholikerin und Jackson Lambs Assistentin
Saskia Reeves als Catherine Standish, trockene Alkoholikerin und Jackson Lambs Assistentin
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Underdogs mit Identifikationspotential Überhaupt sind alle Mitarbeiter von Lamb von menschlichen Fehlern gezeichnet, die eine große Geheimdienst-Karriere verhinderten: Spielsucht, Drogen, völlige Teamunfähigkeit und andere Laster lasten auf ihnen. Sie sind klassische Underdogs, die aus ihren schwierigen Voraussetzungen trotzdem versuchen, das Beste zu machen. Das macht sie sympathisch, für das Publikum zugänglich und verleiht ihnen Identifikationspotenzial.

Schock-Start Staffel 4 startet mit einem Schock: Der oben erwähnte River Cartwright, Jackson Lambs mitunter wichtigster Mitarbeiter, wird von seinem greisen Großvater David (Jonathan Pryce), selbst ein ehemaliger MI5-Agent, scheinbar erschossen. Unabsichtlich, wie es wirkt, denn David Cartwrights Geisteszustand ist zunehmend von Demenz gekennzeichnet (das wurde auch in den früheren Staffeln bereits mehrfach thematisiert). River trifft sich zudem noch kurz vor dem tragischen Vorfall mit einer Kollegin und schildert ihr, dass ihn sein Opa letztens nicht einmal mehr erkannt hätte.

Sir Jonathan Pryce als David Cartwright, MI5-Urgestein im Ruhestand und Großvater von "Slow Horse" River Cartwright
Sir Jonathan Pryce als David Cartwright, MI5-Urgestein im Ruhestand und Großvater von "Slow Horse" River Cartwright
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Identitätsdiebstahl? Als Jackson Lamb zum Unglücksort gerufen wird, um die Leiche Rivers zu identifizieren, fehlt von dessen Großvater bereits jede Spur. Auch die Identifizierung des Toten ist nicht einfach, da ihm das Gesicht weggeschossen wurde, Lamb gibt trotzdem zu Protokoll, es wäre wohl sein Mitarbeiter. Wie meistens weiß er da bereits mehr, aber das behält er für sich. Da der Titel der ersten Episode jedoch "Identitätsdiebstahl" lautet, kann sich auch das Publikum ausmalen, dass hier nicht alles ist, als es scheint.

Fazit Die erste Episode der 4. Staffel von "Slow Horses" bietet Gewohntes: Einen Gary Oldman in Bestform, dubiose Vorgänge, ein zu lösendes Rätsel. Und einen Terroranschlag, der wohl den zweite Handlungsstrang neben dem Verschwinden von River Cartwright darstellt. Ein Unbekannter rast mit seinem Auto in ein Einkaufszentrum mitten in London und tötet dutzende Unschuldige. Ob und wie das alles miteinander verbunden ist, werden die folgenden Episoden zeigen. Das Publikum kann sich jedenfalls auf eine weitere Dosis Jackson Lamb freuen und Folge 1 ist ein solider Start in die neue Staffel.

"Slow Horses", Staffel 4, Großbritannien 2024, 6 Folgen à ca. 50 Minuten, Folge 1 seit 4. September online, danach jeden Mittwoch eine weitere Folge, Apple TV+

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