Kopfnüsse
Sobotka weg, jetzt ist im Parlament der Wurm drin
Goldenes Klavier 2.0: An seinem letzten Arbeitstag ließ Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka gestern zwei Skulpturen von Erwin Wurm ins Parlament liefern. Im Alleingang. Kosten: 240.000 Euro plus Umsatzsteuer. Ein Kopfnüsse-Lokalaugenschein.
Die Erfolge gingen ihm sichtlich leichter von den Lippen. Von all den Plagen, die Menschen heimsuchen können, wird Wolfgang Sobotka von einem Laster am seltensten ereilt: mangelndem Selbstbewusstsein. Am vergangenen Sonntag war der Nationalratspräsident im "Hohen Haus" zu Gast und er musste erneut nicht schwer an sich leiden.
Mit KI-Stimme: Sobotka weg, jetzt ist im Parlament der Wurm drin
Die ORF-Sendung widmete sich in großen Stücken dem Abgang des Präsidenten, sieben Jahre lang stand er dem Nationalrat vor. Was ihm "gut gelungen" und was ihm "weniger gut gelungen" sei, wollte Moderatorin Rebekka Salzer vom scheidenden Hausherren wissen. Der lächelte und begann dann mit einer umfassenden Aufzählung von Errungenschaften. Die Niederlagen ließ er weg.
Salzer musste nachfassen, aber wirkliche Missgriffe wollte Sobotka nicht benennen. Bei "Beschaffungen" hätte man "vielleicht zweimal überlegen sollen, ob das ein "Angriffsziel wäre", sagte er und meinte das goldene Klavier, den Bösendorfer Flügel, den er in Eigenregie ins Parlament bringen hatte lassen. Einen Fehler sieht er darin allerdings nicht. Das sei "hochgespielt worden", er habe das höchstens "falsch eingeschätzt". Den Unterschied zu einem tatsächlichen Schuldeingeständnis möchte man Klavier spielen können.
Es dominierten auch sonst die eher sanften Klänge. Man hätte vielleicht manchmal "noch mehr kommunizieren müssen" und sich "noch mehr darum kümmern müssen, alle mitzunehmen", geißelte sich Sobotka, allerdings unter Zuhilfenahme nur einer Pfauenfeder. Auf seine letzte Reise nahm er dann erneut niemanden mit, von sich selbst einmal abgesehen.
Im November 2022 war die Affäre um das goldene Klavier hier in den Kopfnüssen erstmals angeklungen. Mir kam damals zu Ohren, dass Sobotka die Anmietung eines Flügels aus dem Hause Bösendorfer plante, und ich nahm die Enthüllung vor. Nicht aus Kleingeistigkeit, ein herausragendes Kunstobjekt kann durchaus zu einer Attraktion werden, aber das roch nach Großmannssucht.
Das gewählte Modell "Secession" verfügte über einen vergoldeten Rahmen, an der Innenseite des Deckels befanden sich Lorbeerblätter aus 23-karätigem Blattgold. Das Klavier kostete zum damaligen Zeitpunkt 190.000 Euro, Sobotka mietete es für 36.000 Euro im Jahr an und ließ es im Empfangssalon des Hohen Hauses aufstellen. Aber lange spielte es das nicht.
Der Vorgang sorgte für einige Misstöne. Am Ende musste Sobotka das Goldstück zurückgeben, das Parlament bekam im Vorjahr einen schlichten schwarzen Flügel geliefert. Die Pleite beeindruckte Sobotka nicht nachhaltig. "Ich war nie ein Unterlasser; sondern immer ein Unternehmer", sagte er im "Hohen Haus" und unternahm folgerichtig am Ende seiner Amtszeit nun wieder etwas.
Am gestrigen Mittwoch fuhr am Vormittag ein Lastwagen der Firma "Kunsttrans" auf der Rampe des Parlaments vor. Das 'Logistik-Unternehmen ist auf den Transport von Gemälden und Skulpturen spezialisiert. Im Laderaum des LKW befanden sich diesmal zwei Arbeiten von Erwin Wurm aus der Serie "Skins". Beide Exponate sind je vier Meter hoch, zu sehen sind einmal zwei Beine und einmal ein Bein, das in eine Hand übergeht.
Die zwei Skulpturen wurden bis Mittag vor der Säulenhalle aufgestellt und für die ideale Platzierung ein paar Mal hin und her gerückt. Erst stand das Bein-Bein rechts und das Arm-Bein links, dann wurden die Standorte getauscht. Denn die Exponate waren gekommen, um zu bleiben. Wolfgang Sobotka hat sie im Namen des Parlaments angekauft. Zum Stückpreis von 120.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer.
Es sind nicht die Kunstwerke, die im Nachgang für Debatten sorgen könnten. Erwin Wurm ist ein international anerkannter Könner, findet regelmäßig Aufnahme in Ranglisten der weltweit bedeutendsten Kunstschaffenden, seine Arbeiten lassen viele schmunzeln. Die Albertina Modern widmet ihm bis zum 9. März 2025 eine "Retrospektive zum 70. Geburtstag".
Für Kopfschütteln sorgt vielmehr die Art und Weise, wie Bein-Bein und Arm-Bein ins Hohe Haus kamen. Im Sololauf. Also sie stapften natürlich nicht selbst die Parlamentsrampe hinauf, Sobotka bat sie ins Gebäude, er ist Hausherr und Hausmeister und er machte in seinen sieben Jahren im Amt von diesen Befugnissen ausgiebig Gebrauch. "Der Präsident übt das Hausrecht in den Parlamentsgebäuden aus und erlässt nach Beratung in der Präsidialkonferenz die Hausordnung," steht in Paragraph 14 der Geschäftsordnung. "L'État, c'est moi!"
Die Präsidiale übersprang Sobotka diesmal erneut behände, er unterrichtete niemand Befugten im Haus von seinen Plänen, außer sich selbst. "Der Parlamentsdirektion liegt aktuell keine Information über die Befassung einer Parlamentsfraktion seitens des Nationalratspräsidenten vor," beantwortet die Parlamentsdirektion meine diesbezügliche Anfrage mit einer gewissen Elegance.
Der Wurm hat eine Vorgeschichte. Von 2017 an war das Parlaments-Gebäude am Ring saniert worden. Ehe es Anfang 2023 wieder bezogen werden konnte, erarbeitete Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold-Museums, ein stimmiges Kunstkonzept für das Haus und das unter starker Einbindung von Parteien, "Präsidiale" und Bundesdenkmalamt. Zwölf neue Werke wurden angeschafft, sie verliehen dem Haus einen neuen Charakter.
Auf dem Vorplatz, also im Freien am Ring, sollten zwei Objekte aufgestellt werden, eine Skulptur von Joannis Avramidis und eine von Erwin Wurm, beide jeweils 14 Meter hoch. Bei Wurm sollte ein Unterarm aus dem Asphalt ragen, die dazugehörige Hand drei Stifte zwischen den Fingern tragen. Weil es sich um öffentlichen Raum handelt, musste das Wiener Magistrat befasst werden und es sagte nein. Das Projekt wurde abgeblasen.
Die aktuellen Skulpturen haben laut Parlamentsdirektion nichts mit dem "kuratierten Kunstkonzept anlässlich der Sanierung und Wiedereröffnung des Parlamentsgebäudes" zu tun. Aber Sobotka fühlte sich Wurm offenbar im Wort. Zunächst allerdings geschah nichts. Erst nach dem Sommer 2024 kam wieder Bewegung in die Sache und zwar auf ungewöhnliche Weise.
Aus kundiger Quelle höre ich, dass in der Parlamentsdirektion eine Anfrage einging, mit der man zunächst wenig anfangen konnte. Das Management von Erwin Wurm wollte wissen, wohin man die Skulpturen liefern dürfe. Welche Skulpturen? Worum geht es überhaupt? Keine zuständige Stelle im Haus wusste Bescheid, Sobotka hatte niemandem gesagt, dass er sich neue Kunst in sein Refugium holen möchte.
Es tauchten rechtliche Bedenken auf, sie wurden weggewischt. Sobotka erteilte eine schriftliche Weisung für die Anschaffung, aber nichts schien zu passieren, bis sich am Dienstag die Firma "Arttrans" im Parlament meldete. "Die Skulpturen kommen morgen" wurden den verdutzten Mitarbeitern mitgeteilt. Es stellte sich heraus: Sobotka hatte den Deal in Eigenregie abgewickelt.
"Diese beiden Skulpturen wurden über Entscheidung und mit Vertragszeichnung 22. Oktober 2024 durch den amtierenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka .... angekauft und ... und nach Vorgaben des Präsidenten an der Stelle vor der Säulenhalle platziert," schreibt die Parlamentsdirektion. "Der Ankauf dieser Skulpturen ist vom formalen Entscheidungsrahmen eines Nationalratspräsidenten umfasst."
Heute wird eine neue "Präsidiale" gewählt, auch der Nachfolger von Wolfgang Sobotka. Wie der künftige Präsident mit den Skulpturen umgeht, ist ihm überlassen. "Der Ankauf ist vertraglich erfolgt und rechtswirksam" so die Parlamentsdirektion. "Jeder weitere Umgang mit diesen Kunstobjekten ist in einer kommenden Gesetzgebungsperiode einer/m dann amtierenden Nationalratspräsident:in vorbehalten."
Ich wünsche einen kunstsinnigen Donnerstag. Die Wahl des Nationalratspräsidenten könnte heute spannend werden. Sie wird auch viel darüber aussagen, wie geschlossen die einzelnen Parteien sind und wie sicher Parteichefs im Sattel sitzen. Das könnte bei den Regierungsverhandlungen noch eine Rolle spielen. Bis in einer kleinen Weile!
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