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"The Grand Tour" nimmt die letzte Ausfahrt Botswana
Das erfolgreichste Fernseh-Format der letzten zwei Jahrzehnte biegt mit einer epischen Reise durch Afrikas Süden auf die Zielgerade ein. Ab 13. September auf Amazon Prime.
Einmal noch dürfen sie ihre inneren Buben rauslassen, die längst grauhaarigen (oder gefärbten) älteren Herren Jeremy Clarkson, James May und Richard Hammond. In der finalen Folge ihrer Autoshow "The Grand Tour" spulen sie zum letzten Mal jenes Programm ab, das sie zu Stars gemacht hat: Drei überdrehte, abenteuerlustige Burschen rasen feixend und kichernd in mehr oder weniger alten Autos durch die wildesten Landschaften des Planeten und kommentieren dabei Pannen oder sonstige Missgeschicke ihrer Kollegen mit durch britische Zurückhaltung nur notdürftig kaschierter Häme. That's it.
Damit geht eine der langlebigsten und erstaunlichsten Erfolgsgeschichten des internationalen Fernsehens nach insgesamt 22 Jahren zu Ende.
"The Grand Tour" – die letzte Folge Ungewohnt offenherzig plauderten die Macher der Show, also die Moderatoren Jeremy Clarkson, 64, James May, 61, und Richard Hammond, 54, sowie Producer Andy Wilman im Vorfeld der Veröffentlichung der letzten Episode über deren Inhalte. Etwa, dass das Trio mit "drei Autos, die sie schon immer besitzen wollten" – nämlich einem Lancia Beta Monte Carlo aus 1982 (Clarkson), einem Triumph Stag aus 1974 (May) und einem Ford Capri 3 Liter, Serie 1 aus 1974 (Hammond), dieses Mal durch Simbabwe nach Botswana unterwegs waren. Oder dass sie auf ihrem Road Trip atemberaubende Landschaften durchfuhren, den größten Stausee der Welt überquerten und wie immer unzählige Pannen meistern mussten, ehe sie ihre Reise in Botswana beendeten.
Es endet, wo es begann Botswana wurde deshalb als Endstation ihrer Reise gewählt, weil hier 2007 alles begann, mit einem Special, das noch für die Vorgängersendung des Trios produziert worden war. Und weil Afrika für die Drei generell ein Sehnsuchtsort ist, mit dem sie die schönsten Erinnerungen verbinden. Und wenn die Jungs am Ende der Episode zusammenstehen, der Abspann beginnt und als Musik "Brothers In Arms" von den Dire Straits läuft, werden wohl vor Millionen Fernsehergeräten auf der Welt mindestens so viele Tränen zerdrückt, wie wenn Emily in Paris ihren Lieblingskoch anschmachtet und doch weiß, dass sie ihn nie für sich alleine haben wird.
Aus der Zeit gefallen Um den Erfolg von "The Grand Tour" zu verstehen, muss man ein paar Jahrzehnte zurückspulen, konkret 22 Jahre. 2002 unterzog die britische BBC ihre wöchentliche Motorsendung "Top Gear" einer massiven Überarbeitung. Der Moderator Jeremy Clarkson, der die Show bereits in den 1990ern moderiert hatte, erhielt bei der Gestaltung freie Hand. Er holte sich neue Co-Moderatoren – James May und später Richard Hammond – und machte aus der kreuzbraven Sendung einen überdrehten Trip für Testosteron-gesteuerte Benzinbrüder (und einige vereinzelte -schwestern). Im Mittelpunkt standen nun weniger Berichte über Neuwagen, sondern vor allem abgedrehte Challenges, in denen Autos bis an ihre Grenzen ausgereizt – und nicht selten auch zerstört – wurden.
Weit weg von jeder Korrektheit Diese pubertäre Show garnierte Moderator Clarkson mit Ansagen, die auch damals bereits jenseits jeder politischen Korrektheit waren (und heutige Sensitivity Reader vermutlich in einen Nervenzusammenbruch schicken würden). Ergebnis: Die Zuschauerzahlen gingen durch die Decke, die Sendung wurde an unzählige TV-Stationen weltweit weiter verkauft und erreichte auf ihrem Höhepunkt bis 350 Millionen Zuschauer. "Top Gear" war neuartig, unkorrekt und über weite Strecken wirklich witzig, kurz: das Maß aller Dinge im Auto-TV-Geschäft.
Clakrson, der Unruhestifter Doch die größte Stärke des Formats war zugleich auch seine Achillesferse: Jeremy Clarkson. Der begnadete Showman steht gleichzeitig für Unangepasstheit und Widerspruch. Heißt: Clarkson legt sich mit jedem an. 2015 zerkrachte er sich mit der Führung der BBC, nach einem tätlichen Angriff auf einen hochrangigen Mitarbeiter. Folge: Sein Vertrag wurde beendet.
Neues Format "The Grand Tour" Der damals gerade in der Aufbauphase befindliche Streaming-Anbieter Amazon Prime nutzte die Gelegenheit und "kaufte" Clarkson und seine Co-Moderatoren May und Hammond sowie deren langjährigen Produzenten Andy Wilman ein in Bausch und Bogen ein und beauftrage sie mit einer neuen Show im Stile von "Top Gear". Die Geburtsstunde von "The Grand Tour".
Junge Herren auf großer Reise In früheren Jahrhunderten wurde als "Grand Tour" jene Bildungsreise bezeichnet, die die Söhne Adeliger oder reicher Bürger nach ihrem Erwachsenwerden absolvierten, um einerseits die Welt kennen zu lernen und andererseits eine Schule des Lebens zu durchlaufen, ehe sie sich niederließen und heirateten.
Noch schriller, schräger, schärfer Dergleichen Kultiviertes mag auch dem automobilen Quartett (die drei Jungs plus Produzent Wilman) vorgeschwebt sein, entstanden ist eine schrille Adaption ihres "Top Gear"-Erfolgsrezeptes mit noch mehr Action, noch mehr Auto-Stunts und noch mehr Verrücktheiten. Und vor allem: "The Grand Tour" war von Anfang an international, jede Folge wurde an einem anderen Ort auf der Welt produziert.
Erfolg mit Ablaufdatum 45 Folgen lang wurde so ziemlich jede legal (und einige nur illegal) erreichbare Straße rund um den Globus mit allem befahren, was Räder hatte und Spaß versprach. Dazu kamen Wüsten, Eiswüsten, Dschungel und die eine oder andere Wasserstraße. Die Ziele wurden immer ausgefallener, um dem Publikum neue Action zu bieten. Gleichzeitig wurden die Moderatoren älter und abgeklärter, irgendwann hat man jeden Blödsinn auf vier, drei oder zwei Rädern angestellt und war am Ende froh, noch zu leben und einigermaßen unbeschadet zu sein. Die Show hatte ein klares Ablaufdatum.
Es ist vorbei, Jeremy Also die 46. und letzte Folge, "One For The Road". Es ist die 4. Folge der 5. Staffel, zuletzt hatte Amazon die Erscheinungsweise der Show bereits massiv gestreckt, nur mehr alle sechs Monate erschien eine neue Folge. Noch einmal bemüht sich das Trio redlich abzuliefern, und zwar jene obskur-machohafte Mischung, die sein Publikum auf der ganzen Welt so liebt und für die vor allem Jeremy Clarkson in seiner grau gewordenen Bullenhaftigkeit mehr steht als jeder andere an der Show beteiligte.
Etwas Kritik zum Abschied Vor allem die britische Presse überschlägt sich zum Abschied mit Hommagen, darunter mischen sich vereinzelt kritische Töne: Dass die Show immer nur die drei Benzinbrüder und ihre Vorstellung von Action in den Mittelpunkt gestellt und sich nirgendwo auf der Welt für Land und Leute, geschweige denn für irgendeine lokale Automobilkultur interessiert hätte. Geschenkt. Millionen Menschen (Männer) haben "The Grand Tour", wie auch zuvor "Top Gear", als Nische in ihrem Alltag gesehen, in der sie mögen können, was ihnen wirklich gefällt, ohne sich um die Vorstellungen, was und wie Unterhaltung zu sein hat, kümmern zu müssen. Für sie hätte "The Grand Tour" auch auf dem Supermarktparkplatz um die Ecke stattfinden können. Es ging um die Idee. Das ist jetzt vorbei.
Mehr von den Jungs Jedenfalls fast. Denn jeder für sich macht weiter mit dem Fernsehen, alle drei "Grand Tour"-Buben haben längst auch ihre eigenen, ganz persönlichen Shows gefunden. Hammond präsentiert zahlreiche Sendungen für diverse Sender, Natur-Shows, aber auch solche, die sich mit der Restauration von Autos beschäftigen. May hat auf Amazon eine Reise-Sendung etabliert, "Our Man In …" schickt den 61-Jährigen wund um den Globus und lässt ihn fremde Orte, Sitten und Gebräuche entdecken. Und Clarkson ist mit seiner Amazon-Show "Clarkson's Farm" seit drei Staffeln erfolgreich, Staffel 4 ist in Vorbereitung.
Brothers In Arms Ob er seine beiden Co-Moderatoren vermissen werde, jetzt, wo sie nie mehr gemeinsam eine Autosendung drehen werden, wurde Jeremy Clarkson im Rahmen seiner Abschieds-Runde von der Londoner "Times" gefragt. "Nicht wirklich", so seine lakonische Antwort. Und weiter: "Ich kann sie sehen, wann immer ich will." So soll es sein.
"The Grand Tour", Staffel 5, Folge 4 "One For The Road", ca. 130 Minuten, ab 13. September auf Amazon Prime