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Warum Harrison Ford heute doppelt alt aussieht

"Aus Mangel an Beweisen": 1990 war "Indiana Jones" als mordverdächtiger Staatsanwalt ein Kino-Ereignis, heute tritt Jake Gyllenhaal  in seine Fußstapfen. Als Serie ab 12. Juni auf Apple TV+.

Gleich klicken die Handschellen: Staatsanwalt Rusty Sabich (Jake Gyllenhaal, Mitte) wird verdächtigt, seine Kollegin und Geliebte getötet zu haben. Sein Chef Raymond Horgan (Bill Camp, re.) kann nur tatenlos zusehen. Die Serien-Verfilmung des Thrillers "Aus Mangel an Beweisen" von Scott Turow startet am 12. Juni auf Apple TV+
Gleich klicken die Handschellen: Staatsanwalt Rusty Sabich (Jake Gyllenhaal, Mitte) wird verdächtigt, seine Kollegin und Geliebte getötet zu haben. Sein Chef Raymond Horgan (Bill Camp, re.) kann nur tatenlos zusehen. Die Serien-Verfilmung des Thrillers "Aus Mangel an Beweisen" von Scott Turow startet am 12. Juni auf Apple TV+
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Newsflix Redaktion
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Ich habe sie nicht getötet!
Rozat "Rusty" Sabich, stellvertretender Staatsanwalt in "Aus Mangel an Beweisen"

Dass Exekutivbeamte, vulgo Polizisten, auf die falsche Seite des Gesetzes geraten, ist ein alter Hut, in der einschlägigen Literatur sowieso, aber auch im wahren Leben (wenngleich da wesentlich seltener). Dass jedoch ein Mitarbeiter der Justiz die Seiten wechselt, ist schon eine ganz andere Nummer. Und dann auch noch Mord? Das ist der Stoff, aus dem Bestseller geschnitzt werden.

Blaupause moderner Justizthriller "Aus Mangel an Beweisen", im amerikanischen Original "Presumed Innocent" (etwa "als unschuldig geltend"), war so ein Bestseller. 1987 vom US-Anwalt und Autor Scott Turow verfasst, 1990 erstmals mit Harrison Ford in der Titelrolle für das Kino umgesetzt, markieren Buch wie Film einen Wendepunkt in der Kriminalliteratur. Die Geschichte vom Anklagevertreter, der seine eigene Kollegin und damit gleichzeitig seine Geliebte umgebracht haben soll und anschließend in die Mühlen seiner eigenen Justiz gerät, betrat erzählerisches  Neuland. Und weiß auch heute noch zu fesseln.

Neue Serie, alter Verdächtiger Das ist auch in der aktuellen Umsetzung als achtteilige Serie für den Streaming-Anbieter Apple TV+ nicht anders. In der Rolle Harrison Fords glänzt heute Jake Gyllenhaal (großartig u.a. in "Prisoners", "Zodiac" oder "Nightcrawler"), der für seine Fehler durchs Fegefeuer gehen muss. Für die zeitgemäße Adaptierung des mehrfach in die Jahre gekommenen Stoffes zeichnen David E. Kelley (u.a. Produzent von "Ally McBeal", "Boston Legal", "Big Little Lies", "The Undoing" oder – ganz neu – "Ein ganzer Kerl") und J. J. Abrams (u.a. "Star Wars", "Star Trek" und "Mission Impossible") verantwortlich.

Worum geht es? Rusty Sabich, stellvertretender Staatsanwalt in Chicago, führt mit seiner Frau Barbara (Ruth Negga) und den Kids Kyle (Kingston Rumi Southwick) und Jaden (Chase Infiniti) ein beschauliches Leben, als ihn die Nachricht erreicht, dass seine Kollegin Carolyn Polhemus (Renate Reinsve) in ihrer Wohnung erschlagen aufgefunden worden ist. Rusty verliert kurzzeitig die Nerven, fängt sich dann aber bald wieder und erhält von seinem Vorgesetzten und Freund Raymond Horgan (Bill Camp) den Auftrag, den Fall zu bearbeiten.

Geheimes Doppelleben Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Rusty und Carolyn hatten eine intensive Affäre und kurz vor Carolyns Tod hatten die beiden Streit. Als schließlich die Leitung der Staatsanwaltschaft wechselt (weil die Justiz in den USA von der Politik dominiert wird) und die Polizei in Carolyns Wohnung Fingerabdrücke von Rusty findet, beginnt sich die Schlinge um dessen Kopf langsam aber sicher zuzuziehen. Und je mehr der Ehebrecher ins Fadenkreuz seiner Kollegen rückt, desto mehr gerät auch seine Familie ins Visier der sensationslüsternen Medien …

Hatte eine leidenschaftliche Affäre mit ihrem Kollegen Rusty: Carolyn Polhemus (dargestellt von der Norwegerin Renate Reinsve)
Hatte eine leidenschaftliche Affäre mit ihrem Kollegen Rusty: Carolyn Polhemus (dargestellt von der Norwegerin Renate Reinsve)
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Adaptierte Story Wer jetzt aber denkt, er weiß schon wie es weitergeht, da er die erste Verfilmung des Stoffes durch Alan J. Pakula mit Harrison Ford, Greta Scacchi als Carolyn, Bonnie Bedelia als Rustys Ehefrau und dem großen Brian Dennehy als Oberstaatsanwalt Ray Horgan noch erinnert, könnte einem Irrtum aufsitzen. Denn Produzent und Drehbuchautor David E. Kelley hat, in Zusammenarbeit mit Buchautor Scott Turow, die eine oder andere Adaption der Story umgesetzt.

DNA-Analyse als Spielverderber Denn zum Zeitpunkt, als der Jurist und Buchautor seinen Roman-Erstling verfasste, war die Kriminaltechnik noch nicht in der Lage, aus Körpersekreten die DNA zu ermitteln und so einen Spurenabgleich durchzuführen. Da die Serie aber keinerlei historischen Anspruch hat, sondern in der Gegenwart spielt, waren Änderungen in der Geschichte unabdingbar. "Rusty hätte mit den sichergestellten Spuren und der heutigen Technologie keine andere Wahl gehabt, als sich schuldig zu bekennen", meint auch Autor Scott Turow in einem Interview mit dem US-Online-Magazin "Remind". "Deshalb musste es Änderungen geben."

Harrison Ford in der gleichnamigen Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1990: "Rusty hätte mit den sichergestellten Spuren und der heutigen Technologie keine andere Wahl gehabt, als sich schuldig zu bekennen", meint Autor Scott Turow
Harrison Ford in der gleichnamigen Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1990: "Rusty hätte mit den sichergestellten Spuren und der heutigen Technologie keine andere Wahl gehabt, als sich schuldig zu bekennen", meint Autor Scott Turow
Ronald Grant Archive / Mary Evans / picturedesk.com

Starke Frauen … Aber auch abseits der kriminaltechnischen Ebene hat sich der Sound des Stoffes merkbar gewandelt gegenüber der 34 Jahre alten Verfilmung. Und am augenfälligsten wird das bei der Ausgestaltung der Frauenrollen. Bereits der Hollywoodfilm wurde primär von zwei außerordentlich starken und selbstbewussten Frauen getragen – einerseits Greta Scacchi als Carolyn, die sich einfach nimmt, wonach ihr ist, gleichgültig wo sie damit aneckt oder welche Konsequenzen das für sie haben könnte. Und andererseits Bonnie Bedelia als Barbara Sabich, die alles in die Waagschale wirft, um zu verteidigen, was sie nicht verlieren möchte.

… und selbstgerechte Männer Verglichen mit den Taten dieser beiden Frauen, sind die Ränke der Männer absolute Kindereien. Ihnen geht es nur ums Ego (Sex, Politik, Karriere) bzw. um den kurzfristigen Lustgewinn. Erst in den letzten Szenen des Films erkennt Rusty (Harrison Ford), aus welchem Holz seine Frau geschnitzt ist – und fügt sich in das Alternativlose. Denn schließlich hat er durch sein (Nicht-)Handeln die Spirale der Gewalt erst in Gang gesetzt.

Carolyn Polhemus (Greta Scacci) nimmt sich in der Verfilmung von 1990 Harrison Ford einfach deshalb, weil sie es kann
Carolyn Polhemus (Greta Scacci) nimmt sich in der Verfilmung von 1990 Harrison Ford einfach deshalb, weil sie es kann
Ronald Grant Archive / Mary Evans / picturedesk.com

Neue Rollen, neue Bilder Auch die Frauen der Serien-Verfilmung sind tough – aber sie haben einen unschätzbaren Vorteil gegenüber ihren Kolleginnen aus dem Film: Sie haben wesentlich mehr Zeit (Film: 2 Stunden Länge; Serie: 8 Stunden) und Gelegenheit, ihre Profile zu entwickeln und ihre Handlungen für die Zuschauer verständlicher zu machen. Denn was im Film oft ansatzlos daherkommt, ergibt in der Serie auf einmal tatsächlich Sinn – über eine Laune hinaus. Und: Es wurden zudem einige Frauen-Rollen aus dem Buch, die im 1990er-Film dem begrenzten Zeitbudget zum Opfer fielen, belassen, was dem Stoff zusätzlich mehr Farbe und Vielfalt verleiht.

Der Buchautor liebt die neue Version Auch für Scott Turow sind die Adaptionen, die an seiner Vorlage vorgenommen wurden, um diese zeitgemäßer und griffiger zu gestalten, ein einziger Gewinn: "Eine der Änderungen, die mir am besten gefallen hat, ist, dass dies nun fast ebenso Barbara Sabichs Geschichte wird wie Rustys Geschichte. Und ich habe das ganz sicher nicht so geschrieben", so der Autor im "Remind"-Interview. "Ich weiß nicht, was ich heute, 35 Jahre später, tun würde, aber so habe ich es damals nicht gemacht."

    Rusty (Jake Gyllenhaal), Barbara (Ruth Negga), Jaden (Chase Infiniti) und Kyle (Kingston Rumi Southwick) führen ein an sich beschauliches Familienleben
    Rusty (Jake Gyllenhaal), Barbara (Ruth Negga), Jaden (Chase Infiniti) und Kyle (Kingston Rumi Southwick) führen ein an sich beschauliches Familienleben
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    1/8

    Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs Während die Drehbuchautoren dem weiblichen Cast also eine grundsätzliche Aufwertung zugestanden haben, agieren die Männer – in der Serie ebenso wie im Film – so, wie es das Klischee ihnen zuschreibt: egoistisch, triebgesteuert, eitel und tendenziell wehleidig. Vor allem Jake Gyllenhaal (Rusty Sabich) spielt diese Gratwanderung zwischen Kränkung, Schmerz, Verlustängsten und purer Panik erschreckend realistisch. So sehr, dass es einem oft schwer fällt, Mitleid mit ihm zu empfinden, hat er sich doch seine Grube vollkommen alleine und ohne Not gegraben. Und wo Harrison Ford, wohl nicht zuletzt mangels mimischer Vielfalt, primär zwischen Zorn und Stoik pendelte, bedient Jake Gyllenhaal fast die gesamte emotionale Tonleiter.

    Fazit: "Aus Mangel an Beweisen" ist großes Kino – im übertragenen Sinne. Der Cast ist top, die Story zeitgemäß adaptiert, um kluge Aspekte und einige Twists erweitert und das Gesamtbild qualitativ auf höchstem Serien-Niveau. Wer Gerichtssaal-Thriller schätzt, kommt an dieser Adaption nicht vorbei. Und dass der – keineswegs schlechte – Film aus 1990 vielen Cineasten nach wie vor im Gedächtnis geblieben ist, schadet dem Genuss an der Serie in keiner weise.

    "Aus Mangel an Beweisen", USA 2024, 8 Folgen à ca. 60 Minuten, die ersten beiden Folgen ab 12. Juni, danach jeden Mittwoch eine weitere Folge, Apple TV+

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