"Joker: Folie à deux"
Warum Teil 2 der Joker-Saga viel besser ist als ihr Ruf
Von den Fans verachtet, von Kritikern herunter geschrieben, an den Kinokassen ein Flop – dabei ist der Film mit Joaquin Phoenix als Verbrecherkönig und Superstar Lady Gaga ein sehenswertes Erlebnis.
Mit Erwartungshaltungen ist das so eine Sache: Sind sie zu hoch, wird man fast immer enttäuscht. So ging es offenbar einem Gutteil des Publikums von "Joker: Folie à Deux", denn nur so lassen sich die negativen Reaktionen auf die Fortsetzung von "Joker" aus 2019 erklären. Bei der Rating-Plattform Rotten Tomatoes, die die Einschätzungen professioneller Filmkritiker sammelt, steht der Film bei miserablen 39 Prozent. Bei den Google-Bewertungen des Publikums ist es noch schlimmer: 1,3 von 5 Punkten!
Flop an den Kinokassen Und das bisherige Ergebnis an den Kinokassen ist ein schlechter Witz: Lediglich 40 Millionen Dollar spielte "Joker 2" am Startwochenende in den USA ein – bei Produktionskosten von 190 Millionen. Zum Vergleich: Der erste "Joker"-Film holte 2019 gleich am ersten Wochenende 96 Millionen Dollar bei Produktionskosten von nur 50 Millionen. Am Ende konnte ein Einspielergebnis von mehr als 1 Milliarde Dollar verbucht werden.
Enttäuschte Reaktionen Nun sind solche Werte keine absoluten Gradmesser der Güte von Filmen oder Serien, sie können aber Tendenzen abbilden. Wer es etwas genauer wissen möchte, kann sich auch Reaktionen auf die Screenings im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig zu Gemüte führen, wo das Werk im Wettbewerb lief: "langatmig", "mit Absicht schlecht", "mühsam", "trist" und "leblos" waren einige der wenig schmeichelhaften Attribute, mit denen die "Joker"-Fortsetzung versehen wurde.
Unterlaufene Erwartungen Das Interessante an "Joker: Folie à Deux" ist, dass all diese Verrisse vor allem eines illustrieren: Wie extrem der Film die Erwartungshaltung vieler unterläuft – und enttäuscht –, die sich etwas ganz anderes erhofft hatten. Nämlich vermutlich noch mehr Anarchie, Chaos, Gewalt und Wahnsinn. Dabei macht der Film über weite Strecken das Gegenteil: Er hinterfragt die Geschehnisse aus Teil 1, reflektiert Jokers Wahnsinn – und damit auch den Fan-Kult und die Idolisierung, die sich inzwischen (auch im Film) um Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) etabliert haben.
Unzurechnungsfähig? Aber von Anfang an: "Joker: Folie à Deux" beginnt mit Aufnahmen eines ausgemergelten Arthur Fleck, der seit zwei Jahren im Arkham Asylum, einem Gefängnis für psychisch gestörte Straftäter, auf seinen Prozess wartet. Wir erinnern uns: Er hat in Teil 1 fünf Menschen umgebracht, einen davon live im Fernsehen in einer Talk-Show. Fleck spricht nicht, starrt mit seinem leeren Blick ins Nichts, wirkt abwesend. Seine Anwältin versucht, die Sache auf "unzurechnungsfähig" hinzudrehen – ihr Mandat würde an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leiden, der "Joker" sei eine abgespaltene Persönlichkeit, für deren Taten Fleck nicht zur Verantwortung gezogen werden könne.
Krank oder böse? Der Film verbringt dann im Grunde über 2 Stunden damit, zu eruieren, ob Fleck nun psychisch krank oder böse ist. Als "Partner in Madness" zur Seite gestellt wird ihm Lady Gaga als Harley Quinn, eine seiner größten Verehrerinnen, die sich selbst nach Arkham einweisen ließ, nur um ihrem Idol nahe zu sein. Die beiden kommen einander dann auch körperlich und emotional näher, planen eine gemeinsame Zukunft, die im Film über Musical-Einlagen illustriert wird, die sich aber nur in den Köpfen der beiden abspielen.
Ein armer Irrer? Der seltsam anmutende Filmtitel "Folie à Deux" verweist übrigens genau auf den Mechanismus, auf dem diese Beziehung gründet. Das Wörterbuch definiert wie folgt: "psychotische Störung, bei der Wahnvorstellungen oder Fixierungen einer Person von einer anderen, ihr nahestehenden übernommen werden". Damit pathologisiert der Film im Grunde bereits im Titel seinen Protagonisten, den man zumindest in Teil 1 noch als klassischen "Anti-Helden" mit Identifikationspotential lesen konnte. Taugt der Joker am Ende gar nicht zum Idol, ist er gar kein Genie, sondern nur ein armer Irrer?
Schmerzensmann Wer erwartet hatte, dass der Grimassen schneidende Clown, erneut überzeugend verkörpert von Joaquin Phoenix, die Welt endgültig in die Luft jagt, irrt. Vielmehr stellt die Fortsetzung die Frage, wie eine Gesellschaft mit dem Wahnsinn einzelner umgehen soll. Was "Wahnsinn" überhaupt bedeutet, was "Verantwortung" bedeutet. Und was es bedeutet, falsche Götzen zu verehren. Arthur Fleck ist kein grandioser Rächer der Entrechteten mehr, sondern ein ewig leidender Schmerzensmann.
Fragen, keine Antworten Was viele Fans des ersten "Joker" wohl zusätzlich irritieren dürfte ist die Tatsache, dass "Folie à Deux" keine Antworten gibt. Der Film ist ein Schlag ins Gesicht, die Ikone wird nicht weiter etabliert, sondern hinterfragt, was einen Gutteil der enttäuschten Reaktionen erklären könnte. Hinzu kommen das langsame Erzähl-Tempo und eine gewisse Sperrigkeit. Und das weitgehende Ausbleiben von Gewaltdarstellungen. Auch da unterläuft Regisseur Todd Phillips wieder Erwartungen – und man bekommt den Eindruck, er tut es mit Absicht.
Genre-Mischung Insgesamt lässt sich der Film als eine Mischung aus Psycho-Drama, Gerichtsthriller, Charakterstudie und Musical bezeichnen. Lady Gaga hat man offenkundig vor allem für Letzteres verpflichtet, ob die Musical-Nummern wirklich nötig waren, sei dahingestellt. Insgesamt bleibt Gagas Rolle auf jene der verblendeten Verehrerin des Jokers beschränkt, die die Fassade (Joker) der komplexeren Wirklichkeit (Fleck) vorzieht. Lobenswert hervorheben muss man den Soundtrack von Hildur Guðnadóttir, der die Tragik der Hauptfigur immer wieder hervorragend tonal untermalt.
Schwere Kost Schwer tut man sich mit einer Meta-Interpretation von "Joker: Folie à Deux": Offensichtlich ist, dass Todd Phillips Erwartungen brechen und sich kritisch mit dem Thema fragwürdiger Idolisierungen auseinandersetzen möchte. Der Film bezieht sich dabei eher auf den Vorgänger und auf sich selbst, als auf reale Vorbilder. Am Ende gibt es jedenfalls keine Auflösung, keine Erlösung, ein letzter Schlag in die Magengrube: "Joker: Folie à Deux" geht über Nihilismus hinaus, er verweigert den Nihilismus, die Zerstörung, ist ein einziges schwarzes Loch. Ohne Ausweg. Schwere Kost also. Schwer, aber doch gehaltvoll.
Fazit Langsam und sperrig präsentiert sich "Joker: Folie à Deux" – und untergräbt damit bewusst die Erwartungshaltung des Publikums. Eine überzeugende Leistung von Joaquin Phoenix, ein toller Soundtrack und interessante Ansätze zur Entmystifizierung des fragwürdigen Helden machen den Film trotzdem zu einem sehenswerten Erlebnis.
"Joker: Folie à Deux", USA 2024, 138 Minuten, ab sofort im Kino