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Wie der Thunfisch sein H zurückbekam und der Genderstern verglühte
Der Rat der deutsche Rechtschreibung hat seine Regeln überarbeitet. Was jetzt neu ist, was wieder alt wird und warum die Gender-Vorschriften, nun ja, etwas kompliziert sind.
Es gibt nur wenige Bereiche unserer Existenz, die strenger reglementiert sind als die deutsche Sprache. Das Standardwerk "Die deutsche Rechtschreibung" aus dem Duden Verlag ist derzeit in der 28. Auflage und hat knapp 1.300 Seiten. Es gibt Regeln für so ziemlich alles, was unsere Sprache ausmacht, ganz gleich ob gesprochen oder geschrieben. Wenn es wo Ausnahmen gibt, existiert mit großer Wahrscheinlichkeit eine Regel für diese Ausnahme. Und für jedes Wort, das dem Deutschen zuzurechnen ist, wird exakt festgelegt, wie es geschrieben zu sein hat. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite Gleichzeitig aber gibt es auch kaum einen Bereich unseres Menschseins, der so unstet und permanent einem derart großen Wandel unterworfen ist wie unsere Sprache. Wir haben Regeln für jeden Beistrich, jede Deklination und jede Beugung. Und im selben Moment wird Sprache jeden Tag, jede Stunde neu erfunden und weiter entwickelt. Weil sie lebt und sich an die Realität anpassen muss. Zwischen "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche" und "Gemma Lugner?!" liegt ein Ozean der Bildung, gleichzeitig ist es ein Katzensprung. Und nur der wahrhaft Sprachbegabte versteht beides – und weiß auch, was wann wo und wie anzuwenden ist.
Ein Rat für die Rechtschreibung Nicht immer leicht, bei dieser Vielfalt den Überblick zu bewahren. Ist aber auch gar nicht notwendig, denn dafür gibt es den "Rat für deutsche Rechtschreibung". Dieses Gremium wurde vor 20 Jahren gegründet, um die Einzigartigkeit der deutschen Sprache in Wort und Schrift zu erhalten – und gleichzeitig an die sich permanent ändernden Gegebenheiten anzupassen. Das geschieht, indem dieser Expertenrat laufend beobachtet, wie wir schreiben und sprechen – und daraus regelmäßig notwendige und sinnvolle Änderungen für unsere Rechtschreibung ableitet. Nun war es wieder einmal so weit.
Der "Rat für deutsche Rechtschreibung" hat jetzt routinemäßig sein Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung überarbeitet. Herausgekommen ist dabei eine der umfangreichsten Änderungen der geltenden Regeln seit Einführung der Neuen Rechtschreibung im Jahr 1996. Newsflix erklärt, wo wir umlernen müssen – und wer überhaupt bestimmen kann, was geändert wird.
Was ist der "Rat für deutsche Rechtschreibung"?
Ein Gremium, das im Jahr 2004 ins Leben gerufen wurde, um Vorschläge zur Anpassung des Rechtschreib-Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache auszuarbeiten. Diese Vorschläge werden den Vertretern aller im Rat versammelten Länder regelmäßig zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt. Stimmen alle zu, werden die Änderungsvorschläge in das Regelwerk übernommen.
Wer sitzt aller im "Rat für deutsche Rechtschreibung"?
Vertreter aller Staaten, in denen Deutsch Amtssprache ist. Das sind Deutschland, Österreich, die Schweiz, die autonome italienische Provinz Bozen-Südtirol, die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens und das Fürstentum Liechtenstein, Luxemburg ist beratend vertreten. Für Österreich sitzen neun Vertreter aus den Bereichen Schule, Didaktik, Wissenschaft, Wörterbuch, Öffentlichkeit, Pädagogik, Journalismus, Verlage und Autoren im Gremium. Insgesamt besteht der Rat aus 42 Mitgliedern, die meisten kommen aus Deutschland.
Welche Aufgaben hat dieser Rat?
"Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks (…) weiterzuentwickeln", wie es offiziell heißt. Dazu gehören die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung, die Klärung von Zweifelsfällen in der Rechtschreibung und die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache.
Auf welcher Basis erarbeitet der Rat seine Änderungsvorschläge?
Primär aus einer digitalen Textsammlung mit mittlerweile mehr als 14 Milliarden (!) Wortbelegen, die seit 1995 erfasst und ausgewertet werden und alle im Rat vertretenen Länder und Regionen abbilden. Diese Sammlung wird laufend erweitert, analysiert und trägt dem jeweils aktuellen Nutzungsverhalten der Konsumenten Rechnung. Dazu kommen weitere nationale Textsammlungen einzelner Länder.
Welche Texte werden da gesammelt und ausgewertet?
Vor allem Zeitungs- und Zeitschriftentexte aller Länder und Regionen mit Deutsch als Amtssprache. Diese sind so zusammengestellt, dass sie einen repräsentativen Querschnitt durch die Texte von professionell schreibenden Menschen bilden.
Wie geschieht das konkret?
Durch ständige Beobachtung und Auswertung der Schreibentwicklung im gesamten deutschen Sprachraum.
Kann der Rat überhaupt bestimmen, wie wir zu schreiben haben?
Der Rat macht Vorschläge, die dann von den jeweils zuständigen staatlichen Stellen in den einzelnen Ländern abgesegnet werden. In Österreich ist das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter Minister Martin Polaschek (VP) verantwortlich.
Und wenn alle Länder die Änderungsvorschläge abgesegnet haben?
Dann werden die Änderungen ins Regelwerk eingebaut und von jedem Staat in seinem Wirkungsbereich umgesetzt. In Österreich hat das zuständige Bildungsministerium allerdings nur Einfluss auf die Schulen und die Dienststellen in seinem Wirkungsbereich. Das bedeutet, dass auf Bundesebene theoretisch jedes Ministerium in seinem Wirkungsbereich (sprich in allen einem Ministerium zugeordneten Dienststellen und Behörden) entscheiden kann, welche Änderungen in der Rechtschreibung umgesetzt werden und welche nicht. Und auch in den Bundesländern obliegt es grundsätzlich den jeweiligen Landesregierungen, ob sie Änderungen am Regelwerk der Rechtschreibung mittragen und in ihren Verwaltungsbereichen umsetzen möchten.
Muss man sich eigentlich an die Rechtschreibung halten?
Nur wenn man Schüler oder Beamter ist. Als Schüler bekommt man schlechtere Noten, wenn die Rechtschreibung nicht passt, und als Beamter unterliegt man den entsprechenden Beschlüssen der staatlichen Stellen. Für alle anderen Bereiche bestehen keinerlei staatlich verbindlichen Normierungen für Sprache oder Schreibweise. Aber, wie es der "Rat für deutsche Rechtschreibung" so schön formuliert: "Es liegt in der Freiheit und Verantwortung der Sprechenden und Schreibenden*, die Verständlichkeit ihrer Äußerungen zu sichern." Und sich dabei auf ein allgemein gültiges und verlässliches Regelwerk zu beziehen, ist in jedem Fall eine gute Idee.
Was wurde denn nun tatsächlich geändert?
Insgesamt sind es fünf große Themenbereiche, in denen die Regelhüter der deutschen Sprache Änderungen durchgesetzt haben. Die wahrscheinlich augenfälligste betrifft den Umgang mit fremdsprachlichen Begriffen bzw. deren "Eindeutschung". Hier wurde manches, das in den vergangenen Jahren Sprach-Puristen Alpträume beschert hat, wieder zurückgenommen.
1. Warum der Thunfisch sein H zurückbekommen hat
Bei der letzten großen Anpassung der Rechtschreibung im Jahr 2006 wurde für zahlreiche Begriffe aus anderen Sprachen auch eine eingedeutschte Schreibweise erlaubt. Konkret geht es um die Begriffe Thunfisch (Tunfisch), Spaghetti (Spagetti), Polonaise (Polonäse), Panther (Panter), Joghurt (Jogurt), Exposé (Exposee), Frigidaire (Frigidär), Bouclé (Buklee), Drainage (Dränage), Kathode (Katode), fotogen (photogen) oder Courtage (Kurtage). Hier stellte der Rat fest, dass bei diesen Begriffen die eingedeutschte Schreibweise (jeweils in Klammern) kaum oder gar keine Verwendung fand. Daher werden diese Schreibweisen wieder gestrichen und sind somit nach dem neuen Rechtschreib-Regelwerk nicht mehr gestattet. Die ebenso eingedeutschte Majonäse war übrigens bereits 2017 wieder zur altbekannten Mayonnaise geworden.
2. Wie "Denglisch" Einzug in die deutsche Rechtschreibung hält
Die Durchmischung der deutschen Sprache mit englischen Ausdrücken ist längst Alltag – das haben auch die Sprachhüter mittlerweile gecheckt und dafür die Regeln der Rechtschreibung erweitert. Vor allem für zusammengesetzte Begriffe, auch mit Fremdworten, sind jetzt vielfach mehrere Schreibweisen mit unterschiedlichen Groß-/Kleinschreibungen gestattet, etwa Last-minute-Angebot UND Last-Minute-Angebot.
Auch viele Begriffe aus dem Englischen, die längst Eingang in unsere Alltagssprache gefunden haben, waren bisher nicht rechtschreibkonform. Wer zum Beispiel etwas timed, liked oder mailt, war bislang zwar umgangssprachlich up to date, aber von der Rechtschreibung her nicht sattelfest. Das wurde jetzt behoben. Und auch bei der Schreibweise derartiger Anglizismen wurde auf Alltagstauglichkeit geachtet. Wer etwas vorspielt, hat nun die Wahl zwischen faken / fakte / gefakt und gefaked. Wird das Wort allerdings mit einem deutschen kombiniert, ist nur mehr die eingedeutsche Variante zulässig: also gefakte Nachrichten – oder eben faked news.
3. Vereinfachung einer Beistrich-Regel
"Ein Autofahrer hat versucht, seinen Wagen in einer engen Gasse zu wenden." – Solch eine Satzkonstruktion besteht aus so genannten "satzwertigen Infinitivgruppen" ("erweiterter Infinitiv mit zu"). Bisher war es optional, diese beiden Satzteile durch ein Komma zu trennen, ab sofort müssen sie verbindlich mit einem Beistrich getrennt werden. Somit erspart man sich künftig das Überlegen – hat man einen "erweiterten Infinitiv mit zu", wird ein Komma gesetzt.
4. Wie man richtig gendert – und was gar nicht (mehr) geht
Die Geschichte des Genderns ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Was erst vor wenigen Jahren auf breiter Basis ein Thema wurde, entwickelte in der Folge sehr rasant eine Eigendynamik. Was mit dem Binnen-I zur Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten begann, wurde in der Folge mit Unterstrich, Doppelpunkt und Sternchen (Fachbezeichnung Asterisk) immer vielfältiger – und verwirrender.
Die Regelhüter des Rechtschreib-Rates haben damit jedoch keine Freude – wenn auch aus anderen Gründen, als man vielleicht vorschnell annehmen möchte. Denn derartige Sonderzeichen haben ihrer Ansicht nach inmitten eines Wortes schlicht nichts verloren. "Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie", so die Expertise des Rates. Und weiter: "Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten. Diese Sonderzeichen als Bedeutungssignale innerhalb von Wörtern können nicht in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufgenommen werden, weil sie derzeit nicht wissenschaftlich eindeutig zu begründen sind."
Relativierender Nachsatz:"Andererseits kann der Rat nicht darüber hinwegsehen, dass Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung aller Geschlechter benutzt werden."
Was heißt das konkret?
Im Grunde, dass der Rat sehr wohl erkennt, dass hier ein gesellschaftliches Bedürfnis besteht – nämlich "dass alle Menschen aus Respekt vor ihrer unantastbaren Würde angemessen und gleichwertig anzusprechen und zu behandeln seien". Diese Thematik aber nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden kann: "Dies ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe und Herausforderung, die auch durch sprachliche Mittel, aber nicht durch orthografische Regeln und ggf. deren Veränderung zu lösen ist."
Ab wann gelten die neuen Rechtschreibregeln in Österreich?
Das neue, aktualisierte und erweiterte Regelwerk gilt seit dem 1. Juli 2024. Aus dem Bildungsministerium ist zu erfahren, dass die Änderungen im September 2024 per Rundschreiben an alle Schulen übermittelt werden. In Kraft treten werden die neuen Regelungen per 1. September 2025 mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren.
Wie ist das Thema Gendern in Österreich geregelt?
In der Bundesverwaltung ist "Gender Mainstreaming" als "Strategie zur Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern" seit dem Jahr 2000 in der Bundesverfassung festgeschrieben. Laut Artikel 7 der Verfassung gilt der Gleichheitssatz und damit "ein Diskriminierungsverbot nach Geschlecht" sowie die "Verpflichtung zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern". Die Verwendung gendergerechter Sprache ist dabei ein Teil der Geschlechtergleichstellung sowie deren Förderung.
Wie wird das umgesetzt?
Nach dem Grundsatz "jeder kocht sein eigenes Süppchen", also auf sehr österreichische Art. Das Bildungsministerium etwa hält sich diesbezüglich an den "Kommunikationsleitfaden des Bundeskanzleramtes". Darin heißt es, es gebe zwei Möglichkeiten der geschlechtergerechten Formulierung:
- die vollständige Paarform ("Bewerberinnen und Bewerber", "Kolleginnen und Kollegen" usw.
- geschlechtsneutrale Formulierungen, also etwa '"Studierende", "Lehrende" oder "Lehrpersonal"'
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich jede andere Bundes- oder Landesbehörde ebenso orientieren muss. Es ist also durchaus möglich, dass – aus welchen Gründen auch immer - eine Behörde in ihrer Kommunikation weiterhin an den Gender-Sternchen festhält, auch wenn diese nicht den Rechtschreibregeln entsprechen.
(Wie) wird künftig an unseren Schulen gegendert?
Laut Bildungsministerium ist das "Amtliche Regelwerk" zur deutschen Rechtschreibung, also die Publikation des Rates, die Grundlage für die Leistungsbeurteilung in den Schulen. Nachdem dieses Regelwerk keine Regelungen für die Nutzung geschlechtergerechter Sprache umfasse, können alternative Schreibungen in diesem Bereich auch nicht negativ beurteilt werden, so das Ministerium. Mit zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler können und sollen dann unterschiedliche Schreibweisen und deren Wirkung im Unterricht thematisiert werden.
Und welche Auswirkungen wird die neue Regelung auf die Universitäten haben?
So gut wie keine, denn Art und Weise, wie geschlechtergerechte Formulierungen an den Universitäten umgesetzt werden, obliegt laut Bildungsministerium den jeweiligen Hochschulen selbst – verantwortlich dafür ist das Universitätsgesetz, dass den Hochschulen weitgehende Autonomie bei der Umsetzung des gesetzlichen Auftrages einräumt. Hier ist also theoretisch alles möglich, von Hardcore-Gendern bis zu Rechtschreibregeln von anno dazumal.
* hier stand ursprünglich "Sprechen und Schreiben", das wurde korrigiert