überraschung in stockholm
Wie KI und Google nun auch die Nobelpreise kaperten
Sowohl der Physik-, als auch der Chemie-Nobelpreis gehen heuer an Forschungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Gleichzeitig mahnt das Nobel-Komitee eine "umsichtige Regulierung" von KI ein. Alles zum Nobelpreis, wer sonst noch gewonnen hat.
Zeitenwende in Stockholm: Sowohl der Nobelpreis für Physik, als auch jener für Chemie gehen heuer an insgesamt fünf Forscher, die maßgebliche Erfolge bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz erzielt haben. Damit rückt das Nobelpreis-Komitee das Thema Künstliche Intelligenz in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Verleihung von gleich zwei Preisen zeigt, welch große Bedeutung dieser Technologie beigemessen wird.
Nicht minder außergewöhnlich: Drei der fünf Ausgezeichneten forschen nicht an Universitäten, sondern arbeiteten oder arbeiten noch immer für die KI-Entwicklung von Google – auch das gab es so bisher noch nicht.
Gleichzeitig sprechen die Mitglieder des Komitees eine deutliche Warnung vor einem verantwortungslosen Gebrauch von Künstlicher Intelligenz aus: Sie appellierten an die Verantwortung der Menschen, dass diese Technologie "sicher und ethisch vertretbar zum Nutzen der Menschheit" eingesetzt werden müsse. Was Sie über die Nobelpreise 2024 wissen müssen:
Welche KI-Forschungen wurden ausgezeichnet?
Im Fachbereich Physik geht der Nobelpreis heuer an den US-Physiker John Hopfield, 91, und den britischen Informatiker Geoffrey Hinton, 76. Ihre Forschungen gelten als Grundlage für die rasante KI-Entwicklung in den vergangenen Jahren. Sie nutzten die Prinzipien der Physik, um künstliche neuronale Netzwerke zu entwerfen und zu trainieren und schufen damit die Grundlagen für eine Technologie, die heute in so gut wie allen Bereichen der Künstlichen Intelligenz Anwendung findet.
Und im Bereich Chemie?
Der Chemie-Nobelpreis geht zur Hälfte an David Baker von der Universität Washington und zur anderen Hälfte an die beiden britischen Forscher John M. Jumper und Demis Hassabis. Baker sei "das fast unmögliche Kunststück gelungen, völlig neue Arten von Proteinen zu bauen", so das Komitee. Hassabis und Jumper haben mit künstlicher Intelligenz (KI) ein Modell entwickelt, mit dem sich die komplexen Strukturen von Proteinen vorhersagen lassen.
Wo hat Google seine Finger im Spiel?
John M. Jumper und Demis Hassabis arbeiten beide für die KI-Sparte von Google namens Google DeepMind. Hassabis hatte das ursprüngliche Startup DeepMind 2010 in Großbritannien mitbegründet und 2014 an Google verkauft, wo es in Google DeepMind aufging, dem Hassabis nun als CEO vorsteht. Und der Informatiker Geoffrey Hinton verkaufte ebenfalls sein Startup 2012 an Google und arbeitete bis 2023 für den Hichtech-Giganten. Seine Kündigung begründete er mit dem Anliegen, nur so offen über das existenzielle Risiko durch künstliche Intelligenz sprechen zu können.
Ein KI-Kritiker bekommt einen Nobelpreis für KI?
Ja, und Hinton ist sich der etwas schrägen Optik offenbar selbst bewusst. Wie das Nobelpreis-Komitee, zeigt sich auch der frischgebackene Nobelpreisträger besorgt über die rasanten Fortschritte von KI. Auf die Frage, ob er seine Entwicklung bereut, antwortete er, dass er zwar nichts rückgängig machen wolle, äußerte sich aber ehrfürchtig über möglichen Konsequenzen: "Es könnte am Ende nicht gut ausgehen." Und weiter: "Wir haben keine Erfahrung damit, wie es ist, wenn es Dinge gibt, die schlauer sind als wir." So könnten "letztlich Systeme entstehen, die intelligenter sind als wir und irgendwann die Kontrolle übernehmen".
Weshalb arbeitet der Nobelpreisträger dann weiter an KI?
Weil sich Hinton auch der unglaublichen Möglichkeiten, die sich uns durch KI bieten können, bewusst ist: "Die Menschen werden in der Lage sein, mit einem KI-Assistenten in viel kürzerer Zeit den gleichen Umfang an Arbeit zu erledigen", so der Informatiker.
Welche Nobelpreise wurden noch vergeben?
Jener für Literatur ging heuer an die Südkoreanerin Han Kang. Kaum einer der Literaturexperten hatte die 53-jährige zuvor auf der Rechnung, sie ist überhaupt erst die 18. Frau, die den Literaturnobelpries erhalten hat (bei 103 männlichen Gewinnern). Sie gilt als expertin für die Darstellung traumatisierter Personen. Ihr bekanntestes Werk ist "Die Vegetarierin", das auch schon verfilmt worden ist.
Der Friedensnobelpreis ging heuer an die japanische Organisation Nihon Hidankyo. Sie wurde von Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gegründet und setzt sich für eine atomwaffenfreie Welt ein.
Und der Wirtschaftsnobelpreis – eigentlich der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften – ging an ein US-Trio: Daron Acemoglu, Simon Johnson beide vom Massachusetts Institute of Technology MIT) und James A. Robinson (Universität Chicago) beschäftigen sich mit der Frage, wie Institutionen gebildet werden und welchen Einfluss sie auf den Wohlstand einer Gesellschaft haben.
Wie war das am letzten Montag beim Medizin-Nobelpreis?
Fast klassisch. Gary Ruvkun, 72, Genetiker und Professor an der Harvard Medical School sowie am Massachusetts General Hospital, und Victor Ambros, 70, Biologe und Professor für Molekulare Medizin an der University of Massachusetts Medical School, wurden ausgewählt. Dabei gestaltete sich der Versuch des Nobelpreis-Komitees, die beiden Ausgezeichneten über ihren Erfolg zu informieren, gar nicht so einfach.
Das erste Telefonat mit dem Nobelpreisträger Gary Ruvkun
Wie erfuhren die Preisträger, dass sie Preisträger sind?
Beide Forscher arbeiten an der US-Ostküste, Zeitunterschied sechs Stunden. Als die Nobelpreise bekanntgegeben wurden, war es bei den beiden Ausgezeichneten 5.30 Uhr. Ruvkun konnte von Thomas Perlmann, Sekretär der Nobelversammlung des Karolinska-Instituts, geweckt werden. Also fast. Genau genommen hob seine Frau ab und es dauerte eine Zeitlang bis er an den Hörer kam. "Er klang sehr müde", sagte Perlmann, es habe ein paar Augenblicke gedauert, bis er wusste, was passiert war. Bei der Frau ging das offenbar schneller. "Sie wollte noch eine ganze Weile mit mir plaudern."
Und wie erfuhr Ambros vom Nobelpreis?
Er hob seine Handy nicht ab. Perlmann hinterließ eine Botschaft auf der Mailbox. Der Reporter des schwedischen Radiosenders SR erreichte den 70-Jährigen schließlich flotter: "Wow, das ist unglaublich! Das wusste ich gar nicht", war die Reaktion des Professors.
Wofür wurden die beiden auszeichnet?
Das Nobelpreis-Institut nennt ihre Forschung "bahnbrechend". Ruvkun und Ambros entdeckten die sogenannte MicroRNA. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Festlegung, wie sich Organismen entwickeln und wie sie funktionieren - und wie sie manchmal eben nicht funktionieren.
Das erste Telefonat mit Nobelpreisträger Victor Ambros
Warum ist das wichtig?
"Das eröffnete ein völlig neues Verständnis dafür, wie Krankheiten auftreten. Wir bekamen neue Möglichkeiten, Entwicklungen umzukehren", sagte Jon Lorsch, Direktor des National Institute of General Medical Sciences, der "New York Times". Er arbeitete im selben Gebäude wie Ruvkun und bekam die Entwicklung aus erster Hand mit.
Worum handelt es sich bei MicroRNA?
Gene regeln etwa, wie der Körper funktioniert, wie er gebaut ist und aussieht. Menschen tragen mehr als 20.000 unterschiedliche Gene in sich. Ruvkun und Ambros entdeckten, wie die Gentätigkeit gesteuert wird. Die MicroRNA aktiviert oder deaktiviert Gene. Eine Fehlfunktion kann zu schweren Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Autoimmunität führen, zu Osteoporose, im Gehirn zu psychischen Erkrankungen.
Wie geht das vor sich?
Die MicroRNA arbeitet als eine Art "Controller" in dem Prozess, der Proteine produziert und der RNA sagt, wann sie langsamer werden oder aufhören soll.
Die Bekanntgabe der Preisträger
Wie viele Arten von MicroRNA gibt es?
Tausende, die für die Entwicklung und Funktion von Organismen wichtig sind.
Wie ist den Forschern die Entdeckung gelungen?
Dabei spielte Caenorhabditis elegans die wesentliche Rolle. Der nur millimetergroße Fadenwurm wird seit Jahrzehnten von Wissenschaftern in der genetischen Forschung als Untersuchungsobjekt verwendet. Der Grund dafür ist simpel: er ist recht einfach gebaut und kann im Labor problemlos vermehrt werden. Gleichzeitig enthält er viele Arten von relevanten Zellen.
Wann gelang den beiden die Entdeckung?
Ruvkun und Ambros arbeiteten getrennt, aber miteinander vernetzt. Erste Erkenntnisse publizierten sie bereits 1993 in der Zeitschrift "Cell", und zwar unabhängig voneinander.
Wie war die Resonanz?
Überschaubar. Das Nobelpreis-Institut verwendete dafür den Begriff "ohrenbetäubende Stille". Dies deshalb, weil die meisten anderen Wissenschafter dachten, die Erkenntnisse wären nur auf den Fadenwurm anwendbar.
Warum änderte sich das später?
Weil Forscher seitdem Tausende von Formen von microRNA bei Menschen und anderen Tieren gefunden haben. Das bestätigte, dass dieses neue Prinzip der Genregulation "für alle komplexen Lebensformen unerlässlich" ist, so das Nobelpreis-Komitee.
Wie viele Nobelpreise werden heuer vergeben?
Wie immer sechs, wobei der Nobelpreis für Wirtschaft genau genommen "Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften" heißt. Er wurde erst 1969 eingeführt, die ersten Nobelpreise gab es 1901. Präzise gesagt zum Teil erst 1902. Die Entwürfe der Rückseiten der "schwedischen" Nobelpreismedaillen wurden nicht rechtzeitig fertig, um sie von alle Institutionen genehmigen zu lassen. Also gab es 1901 provisorische Medaillen, 1902 die echten.
Wer wählt die Preisträger aus?
Das ist ein mehrstufiger Prozess. Es gibt vier Preisverleihungs-Institutionen, die für jeweils für Kategorien verantwortlich sind (Physik und Chemie wurde zusammengezogen). Diese Institutionen verschicken im September an rund 3.000 Personen Einladungen. Die Ausgewählten haben bis zum 31. Jänner Zeit für Nominierungen (sich selbst nominieren geht nicht). Da es oft zu Doppel- oder Mehrfachnennungen kommt, putzen die Institutionen die Listen, übrig bleiben dann in der Regel zwischen 200 und 350 Namen.
Beim Friedensnobelpreis ist das aber anders, oder?
Ja, hier ist keine Einladung nötig. Kandidatinnen und Kandidaten können von einem erweiterten Kreis nominiert werden, auch Regierungen, Friedensorganisationen. Ein Komitee aus fünf Personen, bestellt vom norwegischen Parlament, trifft die Wahl.
Wer kürt bei den anderen die Sieger?
Die vier Preisverleihungs-Institutionen geben Empfehlungen ab. Über die betreffenden Personen werden Gutachten erstellt, die Besten dann der Nobelversammlung (Nobel Assembly) am Karolinska-Institut in Stockholm vorgelegt. Das – geheime – Gremium besteht aus 50 Personen und trifft per Wahl die Letztentscheidung. Wer "nur" nominiert, aber nicht ausgezeichnet wurde, bleibt 50 Jahre geheim.
Warum werden oft mehrere Preisträger geehrt?
Pro Kategorie können bis zu drei Forscherinnen und Forscher ausgezeichnet werden. Es handelt sich immer um Personen. Lediglich der Friedensnobelpreis kann auch an Organisationen vergeben werden.
Wann die Nobelpreise vergeben werden
- Nobelpreis für Medizin, Montag, 7. Oktober, 11.30 Uhr
- Nobelpreis für Physik, Dienstag, 8. Oktober, 11.45 Uhr
- Nobelpreis für Chemie, Mittwoch, 9. Oktober, 11.45 Uhr
- Nobelpreis für Literatur, Donnerstag, 10. Oktober, 13 Uhr
- Friedensnobelpreis, Freitag, 11. Oktober, 11 Uhr
- Nobelpreis für Wirtschaft, Montag, 14. Oktober, 11.45 Uhr
Werden nur Lebende geehrt?
Grundsätzlich ja, aber es gab Ausnahmen. Der kanadische Immunologe Ralph Steinman bekam 2011 den Nobelpreis für Medizin, war aber drei Tage vor der Bekanntgabe verstorben. Er blieb Preisträger, weil das Komitee nichts von seinem Tod gewusst hatte.
Wie viele Nobelpreisträger hatte Österreich?
Das ist laut Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) schwer zu sagen, zwischen 23 und 35. Das Komitee ordnet Preisträger nicht nach Staatsbürgerschaft, sondern nach dem Land, in dem er oder sie gerade tätig sind. Elias Canetti erhielt den Literaturnobelpreis 1981 als Brite für Werke, die er in deutscher Sprache in Wien geschrieben hat. Geboren wurde er in Bulgarien, hat in Deutschland, in der Schweiz und in England gelebt.
Wer war der letzte Nobelpreisträger aus Österreich?
Der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger erhielt 2022 den Nobelpreis für Physik. Ferenc Krausz allerdings bekam ebenfalls den Nobelpreis für Physik ein Jahr später. Er hat die österreichische und die ungarische Staatsbürgerschaft.
Und wie ist das heuer?
Da sind wir auch ein bisschen Nobelpreis. Der US-Genetiker Ruvkun ist Mitglied des Scientific Advisory Board des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Wann werden die Nobelpreise verliehen?
Die Verleihung der Preise in Stockholm und Oslo (Frieden) findet jedes Jahr am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, statt.
Wie hoch ist das Preisgeld?
Hoch, aber nicht so hoch wie der Prestigegewinn. Wie im Vorjahr sind die Nobelpreise mit 11 Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) dotiert. Das Geld wird unter den Gewinnern aufgeteilt.