KAthrin HAbermann

"Wie viel Smartphone ist für mein Kind denn gut?

Kathrin Habermann weiß, wie wahnsinnig gern Kinder ihr Handy haben – und was Eltern dabei wahnsinnig macht. Das Podcast-Interview über moderne Erziehung, gegenseitiges Vertrauen und ein Schulfach Medienkompetenz.

Ergotherapeutin und Autorin Kathrin Habermann beim Newsflix-Podcast
Ergotherapeutin und Autorin Kathrin Habermann beim Newsflix-Podcast
Helmut Graf
Newsflix Redaktion
Akt. Uhr
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Kinder und Handys – das ist in den allermeisten Familien ein Reizthema. Durchschnittlich zwei bis drei Stunden verbringen Jugendliche mittlerweile am Handy und damit im Internet – und zwar täglich. Was sie dort machen, auf welchen Seiten oder Plattformen sie sich bewegen und was sie dabei zu sehen bekommen, wissen die wenigsten Eltern wirklich.

Kathrin Habermann ist studierte Ergotherapeutin, sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie viel und welche Art von Handy-Konsum für Kinder und Jugendliche gut ist und hat darüber auch bereits mehrere Bücher geschrieben. Im Newsflix-Podcast erklärt sie, weshalb es in dieser Sache keine Patentrezepte gibt und Verbote nicht mehr zeitgemäß sind. Kathrin Habermann über:

Wie man als Ergotherapeutin zum Thema Handy-Konsum bei Kindern kommt
Im Zuge meiner ergotherapeutischen Praxis habe ich immer wieder gesehen, wie viele Eltern Probleme mit dem Medienkonsum ihrer Kinder haben. Also habe ich aus Eigeninteresse begonnen, mich dazu zu informieren. Die Frage, ab welchem Alter man Kindern ein Smartphone geben sollte, beschäftigt so gut wie jede Familie, und viele Eltern stellen mir diese Frage, wenn ich mit ihren Kindern therapeutisch arbeite.

Der Umfang der Handy- und Social Media-Nutzung durch die Kinder ist ein Dauerstreitpunkt in sehr vielen Familien
Der Umfang der Handy- und Social Media-Nutzung durch die Kinder ist ein Dauerstreitpunkt in sehr vielen Familien
Getty Images/iStockphoto

Ab wann Kinder ein Smartphone haben sollten
Da gibt es leider keine einheitliche Empfehlung. Es kommt primär auf den Entwicklungsstand des Kindes an und auf die Bedürfnisse, wozu überhaupt ein Mobiltelefon für das Kind angeschafft werden soll. Möchte man nur haben, dass das Kind erreichbar ist, soll es damit Spiele spielen können oder soll es damit auch ins Internet können. Oft ist gar nicht unbedingt ein Smartphone notwendig.

Ob die gesetzliche Altersgrenze von 14 Jahren für Social Media-Portale gut ist
Ja, obwohl diese Grenze häufig umgangen wird und sich auch jüngere Kinder anmelden, meistens ohne, aber manchmal auch mit dem Wissen der Eltern. Aber aus entwicklungstechnischer Sicht macht es Sinn, dass Kinder erst ab 14 Jahren auf Social Media unterwegs sind, außer es ist in Begleitung mit den Eltern der Fall.

"Klicksafe" nennt sich die Initiative der EU, die die Internet- und Social Media-Nutzung durch Kinder und Jugendliche sicherer gestalten möchte
"Klicksafe" nennt sich die Initiative der EU, die die Internet- und Social Media-Nutzung durch Kinder und Jugendliche sicherer gestalten möchte
Jens Kalaene / dpa / picturedesk.com

Wie viel Handy-Benutzung pro Tag für Kinder und Jugendliche gut ist?
Gut gibt es da in dem Sinn nicht. Es gibt Initiativen, etwa "klicksafe" von der EU, wo man nachlesen kann, mit welchem Alter ungefähr welcher Konsum empfohlen wird. Ich persönlich halte aber gar nichts von Minuten-Angaben, weil man immer darauf schauen muss, wie es dem Kind mit dem Medien-Konsum geht.

Welche Zeichen auf eine Überforderung hindeuten
Wenn das Kind nach dem Medien-Konsum extrem still und müde wirkt – oder aber komplett überdreht ist. Denn jeder Medien-Konsum stellt eine Reizüberflutung für Kinder dar. Das heißt, das Gehirn wird mit Reizen geflutet, kann diese aber nicht gleichzeitig verarbeiten, und schüttet massiv Dopamin aus. Die Kinder sind dann vollkommen aufgeputscht und überdreht, das ist wie ein Zuckerschock.

Gegen die multimediale Reizüberflutung im Internet hilft es oft einfach, gemeinsam mit den Kindern das Medium zu wechseln, entweder zum Fernsehen, oder vielleicht sogar zu einem guten, alten Kinderbuch
Gegen die multimediale Reizüberflutung im Internet hilft es oft einfach, gemeinsam mit den Kindern das Medium zu wechseln, entweder zum Fernsehen, oder vielleicht sogar zu einem guten, alten Kinderbuch
Florian Peljak / SZ-Photo / picturedesk.com

Was im Fall solch einer Überforderung zu tun ist
Manchmal genügt es schon, das Medium zu wechseln, etwa gemeinsam eine Sendung im Fernsehen zu schauen, anstatt auf dem Handy. Und dass man beobachtet, nach wie vielen Minuten das Kind überfordert wirkt und beim nächsten Mal die Zeit am Handy reduziert.

Welche Vorbildfunktion die Eltern haben
Das Verhalten der Eltern, wie diese Handy oder Tablets benutzen, ist wesentlich dafür, weshalb diese Geräte für Kinder so attraktiv sind. Sie schauen sich das Verhalten älterer Personen ab. Dazu kommt, dass wenn das Telefon klingelt und die Mutter nimmt den Anruf an, dann erfolgt eine sehr schnelle Reaktion. Und wenn dann die Reaktion auf den Anruf auch noch emotional ausfällt – etwa weil sich Mimik oder Stimmlage verändern –, dann finden Kinder das besonders spannend. Dann muss dieses Gerät etwas Besonderes an sich haben.

Vor allem Social Media-Plattformen stehen für eine endlose Abfolge von BIldern und Videos, an die man sich schon Minute später nicht mehr erinnert
Vor allem Social Media-Plattformen stehen für eine endlose Abfolge von BIldern und Videos, an die man sich schon Minute später nicht mehr erinnert
Getty Images

Wie Eltern ihren eigenen Handy-Konsum überwachen können
Indem sie sich selbst die gleichen Fragen stellen, die sie sich auch bei ihren Kindern stellen sollten: Wie geht es mir nach dem Medien-Konsum? Bin ich müder? Habe ich mir überhaupt gemerkt, was ich gesehen habe? Gerade auf Social Media sieht man ein Video nach dem anderen und nach zwei, drei Minuten kann man nicht mehr sagen, was man da überhaupt gesehen hat. Und man kann bei den meisten Handys auch Einstellungen anwählen, die den quantitativen Handy-Konsum ausweisen.

Ob es bei der Handy-Nutzung auch den Unterschied zwischen Qualitätszeit und Quantitätszeit gibt?
Ja, wenn ich zum Beispiel ein Hörbuch höre oder mir etwas anhöre oder anschaue, was meinen Interessen entspricht, mich weiterbringt in meinen Freizeitaktivitäten oder beruflich, ist das was ganz anderes, als wenn ich nur durch Social Media scrolle, um mich abzulenken.

Kinder müssen erst lernen, welche Gefahren und Fallstricke im Internet auf sie warten
Kinder müssen erst lernen, welche Gefahren und Fallstricke im Internet auf sie warten
Getty Images

Wie man Kinder an die Nutzung eines Handys heranführt
Eine Handy- oder Medien-Nutzung durch Kinder sollte niemals unbegleitet sein. Es sollte immer ein Elternteil oder eine andere Bezugsperson dabei sitzen und auch mit dem Kind mit die Inhalte besprechen – was sehen wir da gerade, warum siehst du das gerne, was macht dir an dem Spaß? Das fängt schon bei kleinen Kindern an, mit denen man Sendungen im Fernsehen sieht: Was hast du gerade gesehen, kannst du mir erzählen, wie die Geschichte gerade gegangen ist? Oder fragen, wie sich das Kind in dieser oder jener Situation gefühlt hat. Und je älter die Kinder werden, desto mehr kann man ihnen beibringen: Was Werbung ist, was ein wirklicher Inhalt ist, was Datenschutz bedeutet und was mit meinen Daten im Internet passiert. Das ist für Kinder wenig begreiflich, sie müssen es erst lernen.

Ab wann Kinder den Unterschied zwischen Werbung und Programm verstehen
Das erkennen Kinder erst mit sechs, sieben Jahren. Wir schätzen sie so ein, als würden Sie das früher verstehen, das ist aber nicht so.

Mark Zuckerberg, Chef von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram, bei einer Anhörung. Der Konzern hat angekündigt, bei Instagram eigene Teenager-Konten einzuführen
Mark Zuckerberg, Chef von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram, bei einer Anhörung. Der Konzern hat angekündigt, bei Instagram eigene Teenager-Konten einzuführen
Andrew Harnik / AP / picturedesk.com

Wie Kinder Social Media "lernen"
Auch hier gilt: immer mit Begleitung der Eltern. Also zusammen einen Account erstellen, schauen, was sind meine Interessen, wem möchte ich folgen, und auch hier in der Nutzung begleiten.

Was von speziellen "Teenager-Konten" auf Social Media-Portalen zu halten ist
Es bleibt abzuwarten, was auf solchen Konten dann zu sehen ist und was nicht. Aber es wird auch da viel Werbung geben, denn gerade Werbung für Kinder ist eine der größten Maschinerien im Social Media-Bereich. Es geht immer darum, die Interessen von Kindern zu erfahren und die Daten von Kindern zu bekommen, um entsprechend Werbung schalten zu können.

Handys abgeben wird in immer mehr Schulen Pflicht. Habermann: "Von Bestrafungen oder gar Verboten halte ich gar nichts"
Handys abgeben wird in immer mehr Schulen Pflicht. Habermann: "Von Bestrafungen oder gar Verboten halte ich gar nichts"
Getty Images

Welche Möglichkeiten Eltern haben, den Social Media-Konsum ihrer Kinder zu überwachen
Man kann die App-Nutzung zeitlich beschränken und oft auch andere Einschränkungen vornehmen. Es gibt auch Spionage-Apps, die die Nutzung eines Smartphones aufzeichnen. Ich halte davon aber wenig. Es ist viel wichtiger, den Kindern eine gewisse Medienkompetenz beizubringen und sie auch zu lehren, das Smartphone bewusst wegzulegen. Dafür braucht es Stärke, denn gerade der Gruppenzwang kann sehr stark sein. Von Bestrafungen oder gar Verboten halte ich allerdings gar nichts.

Ob Handys in der Schule weggesperrt gehören
Ich finde, das Wegsperren von Handys ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben es ständig und überall um uns herum, weshalb sollten Kinder oder Jugendliche damit nicht umgehen dürfen. Es kommt immer darauf an, wie sie verwendet werden. Wenn Schüler während des Unterrichts damit spielen oder auf Social Media unterwegs sind, ist das natürlich nicht gut. Aber wenn man das Handy nutzt, um den Schulinhalt anders zu gestalten, sich neue Informationen zu suchen, es als Quelle zu verwenden und wirklich eine multimedialen Unterricht macht, finde ich das sehr sinnvoll und es stärkt wiederum die Medienkompetenz.

"Ich finde, das Wegsperren von Handys ist nicht mehr zeitgemäß, auch nicht in der Schule"
"Ich finde, das Wegsperren von Handys ist nicht mehr zeitgemäß, auch nicht in der Schule"
Helmut Graf

Ob es ein Unterrichtsfach Medienkompetenz braucht
Ja, denn Medienkompetenz ist einer der Grundkompetenzen, ähnlich wie Rechnen, Schreiben und Lesen. Das hat auch die Europäische Union festgelegt. Im Moment fehlen dazu meist noch die entsprechenden Kapazitäten, aber ein Fach Medienkompetenz wäre wichtig.

Was in einem solchen Fach unterrichtet werden sollte
Ich würde Schwerpunkte in den Bereichen Datenschutz, Fake News und Digital Well-being setzen, also wie kann ich das Telefon zu meinem Gunsten nutzen, ohne dass ich dadurch die schädlichen Auswirkungen habe.

Ob Handys Gewalt fördern oder zur Verrohung von Kindern und Jugendlichen beitragen
Nein, es gibt keine Studienlage darüber, dass die Nutzung von digitalen Medien gewaltfördernd wirkt.

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