Neue Regierung
Das müssen Sie anpacken, Frau Bildungs-Ministerin*!
ReligionEN-Unterricht für alle, Kochen als Schulfach, Lehre für Gymnasiasten, Schüler-Freifahrt auch für Lehrer: Die To-do-Liste für die neue Regierung, von Experte Niki Glattauer. Was nötig ist, um unsere Schulen nach vorne zu bringen. Hier Teil 1.
"Best of Schule" betitelte ich mein letztes, satirisches Buch. Ein "Best FOR Schule" will hoffentlich die neue Regierung, wann immer wir sie auch kriegen werden. Aber egal ob sie als "Christkindl" oder "Neujahrs-Konzert" (hoffentlich nicht erst als "Osterhase") kommt, aus welchen und wie vielen Parteien sie gebaut sein wird, sie wird uns eine neue Bildungsministerin bescheren (Mann nicht ausgeschlossen).
Was es jetzt für unsere Schulen braucht
Im "Falter" haben sich die drei in Bildungsfragen versierten Journalistinnen Nina Horaczek, Katharina Kropshofer und Barbara Tóth die Mühe gemacht, die besten Ideen für eine neue Schule aus den Parteiprogrammen und Think Tanks herauszuklauben. Hier und in Teil 2, remixed und gesampelt, diese "To-do-Liste" (in 2 mal 8 Punkten und kursiver Schrift) und mein persönlicher Senf dazu: einmal süß, einmal scharf, mitunter beides, wie es sich gehört.
1. Mehr Geld für Schulen an sozialen Brennpunkten
Schulen mit vielen Kindern, die Deutsch nicht als Alltagssprache haben oder deren Eltern keine Akademiker sind, sollten mehr Ressourcen kriegen als solche, in die viele Akademiker-Kinder gehen. Wiens "Brennpunktschulen" hätten dank eines solchen "Sozialindex" mehr Geld zur Verfügung und könnten sich ein fixes Team aus Schulpsychologie, Sozialarbeit und eine volle administrative Kraft leisten. Pilotprojekte gibt es seit 2022 an hundert Schulen in Österreich, es braucht aber mehr.
Meine Meinung: Wer braucht, soll kriegen "Chancenindex" heißt das in Österreich, wächst auf dem Bildungs-Dung der AK und fristet – während in vielen Ländern (England, Skandinavien etc.) längst State of the Art – ein Schubladendasein, wie ich bereits einmal geschrieben habe. In Wien hat Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr im Schuljahr 22/23 mit dem "Wiener Bildungsversprechen" eine Art "Mini-Chancenindex" eingeführt, damals beginnend mit 10 Volks- und Mittelschulen.
Das Geld bleibt liegen Inzwischen bekommen 37 Schulen ziemlich unbürokratisch ziemlich viel zusätzliches Geld – im Schnitt 50.000 bis 100.000 Euro – , sofern sie belegen können, damit sinnvolle und nachhaltige, sprich: leistungssteigernde Arbeit am Standort zu finanzieren. Das geht vom Gestalten des Schulgartens bis zum Gender-Projekt. So die graue Theorie.
Ein Pro-zäh-dere In der Praxis ist das Abwicklungsprozedere zäh, viele Schulen wollen sich den Aufwand (Workshops, Coaching, Papier- und Dokumentierkram) schon bald nicht mehr antun, die Projekte versanden, Geld bleibt liegen. Und steigt die Leistung mit erhöhtem Chancenindex wirklich? Nix Genaues weiß man nicht, solange der Output der Schulen nicht gemessen, bewertet und verglichen wird.
2. Kindergartenpflicht ab den 4. Lebensjahr
Her mit der Kindergartenpflicht ab dem 4. Geburtstag: Das hilft, Sprach- und Entwicklungsdefizite auszugleichen, damit die Kinder mit gleichen Chancen in die Volksschule starten. (…) Ein gesetzlich garantierter Kinderbetreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr hilft Müttern, zurück in den Job zu kommen, und ist eine wichtige Investition in frühkindliche Bildung.
Meine Meinung: Ab in den Kindergarten Da geht es also um das viel diskutierte zweite verpflichtende Kindergarten-Jahr. Kostet halt. Platz, Ressourcen, Personal. Und zwar die Gemeinden, solange der Kindergarten Ländersache ist. Die neue Regierung müsste also den Kindergarten endlich in die Zuständigkeit der Bildungsministerin übergeben und dann den Mut haben zu differenzieren: Wenn ein Kind den frühen Kindergarten braucht (festzumachen z. B. über einen so genannten Elternführerschein), soll er durch die Schulbehörde verpflichtend gemacht werden können.
Väter, bleibt zuhause! Dass wir in Österreich zu wenige ganztägig geöffnete Kindergartenplätze haben (auch weil an allen Ecken und Enden das Personal fehlt), ist bekannt und von mir thematisiert. Aber die Roten wollen den "garantierten Kinderbetreuungsplatz", die Grünen wollen ihn, die Pinken wollen ihn. Nur die Schwarzen sagen: Sollen die Mütter doch zuhause bleiben! Was die Blauen sagen, weiß man nicht so genau.
Mama UND Papa ran Sollen doch die Mütter UND Väter (nachdrücklich dazu ermuntert) länger zuhause bleiben, dem Kind wird's in der Regel nicht schaden. Und dann, liebe neue Regierung, siehe oben: Kindergartenpflicht ab dem 5. Lebensjahr. Für die, die's brauchen.
3. Schnupper-Lehre für Gymnasiasten
Auch Gymnasiasten sollten in der Unterstufe ausprobieren, ob eine Lehre zu ihnen passt. Bei jeder Lehre sollte ein Abschluss mit oder ohne Matura möglich sein.
Meine Meinung: G'scheite Lehrlinge braucht das Land Schon vor 15 Jahren schrieb ich Ähnliches in eins meiner Bücher: Nach der 8. Schulstufe sollte ein für alle Schüler verpflichtendes "Berufe-Schnupper-Jahr" eingeführt werden. Verpflichtend auch für Gymnasiasten. Die werden derzeit auf Grund entsprechender kognitiver Leistungen und/oder diverser elterlicher Ressourcen in die AHS-Unterstufe geschoben und dort dann an einem frühen Berufseinstieg vorbei manövriert.
Nicht jeder passt auf die Uni So stolpern viele AHS-Schüler Richtung Universität, ohne dafür wirklich geeignet zu sein. Während der Gesellschaft profunde Handwerker, smarte Arbeiter und künftige Selbstständige für zig Berufssparten verloren gehen.
4. Die tägliche Schul-Sportstunde
Jeden Tag eine Stunde Schul-Sporteln: Wird seit Jahren versprochen, sollte man umsetzen.
Meine Meinung: Gut, aber nicht umsetzbar Die "bewegte Schule" sollte man umsetzen. Wird man aber nicht können. Es gibt die Turnsäle nicht, es gibt die Turnlehrerinnen nicht, die nämlich für die Mädchen. Und die Stundenpläne lassen es auch nicht zu. Klar wäre es besser, der Mathe, Englisch- oder Geschichtelehrer würde die Schüler in einer seiner Stunden Sport & Bewegung machen lassen, aber sag das einmal der Mathe-, Englisch- oder Geschichtelehrerin.
Buben und Mädchen wieder gemeinsam Ich würde ja als Sofortmaßnahme wenigstens die Trennung in Buben- und Mädchen-Turnen wieder rückgängig machen. Das würde Ressourcen sparen. Und warum bitte, sollen in einem co-edukativen Schulsystem Mädchen und Buben nicht gemeinsam Sport machen können? Ist z. B. Fußball nur etwas für Buben? Das mit dem Umziehen wird man ja hinkriegen.
5. Gratis-Fahrten für Schüler UND Lehrer
Seit diesem Schuljahr gibt es für Schüler und Schülerinnen in Wien die Gratisfahrt bei Ausflügen und Lehrausgängen. Und: Ihren Lehrerinnen und Lehrern bezahlt die Stadt seit heuer sogar die Öffi-Jahreskarte. Beides könnte österreichweit eingeführt werden.
Meine Meinung: Zuckerl, aber für wen? Das Wohl der Schüler war für die löbliche Aktion made in Vienna halt nur sekundär. Vielmehr ging es mit der Gratis-Öffi-Karte darum, der drohenden Rückwanderung des in Wien arbeitenden Personals aus Niederösterreich mit einem "Zuckerl" entgegenzuwirken.
Gratisparkplätze für Lehrer – what? Aus demselben Grund fordert die Wiener Lehrer-Gewerkschaft für alle "Kollegen", die in Wien unterrichten, seit heuer auch Gratisparkplätze. Als nächstes wahrscheinlich Libro-, Thalia- und Billa-Gutscheine. Okay, stimmt schon: Wenn's den Lehrern gut geht, geht's den Schülern gut. Ich finde trotzdem, dass man dafür anderes anbieten muss als Parkplätze.
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6. Gemeinsamer ReligionEN-Unterricht
Derzeit nur ein Pilotprojekt: Statt im getrennten Religionsunterricht lernen die Schülerinnen und Schüler in einem Religionen-Unterricht für alle zusammen die Traditionen und Wertesysteme der jeweiligen Religionen kennen – und die ihrer neuen Heimat Österreich.
Meine Meinung: ReligionEN statt Religion, jawohl! Verpflichtender gemeinsamer ReligionEN-Unterricht mit einander abwechselnden buddhistischen, jüdischen, christlichen und islamischen Lehrerinnen wäre vermutlich eine der effektivsten "pädagogischen Maßnahmen" gegen religiöse Fundamentalisten jeder Art, z. B. selbsternannte muslimische Sittenwächter (Schüler mit verschwommenem Koran-Hintergrund), aber auch christliche Kreuzzügler in Gedanken (Lehrer mit verschwommenem Katechismus-Hintergrund).
7. Eltern in den Schul-Alltag mit einbeziehen
Die "Eltern-Arbeit" gehört verstärkt. In der kanadischen Multikulti-Stadt Toronto werden Moms and Dads in den Schulalltag eingebunden, mit Dolmetschern und in eigenen "Parenting and Literacy Centers", in denen es Infos zu Sprachkursen, Kindergesundheit, Erziehung gibt.
Meine Meinung: Eltern – nicht immer beliebt "Eltern-Arbeit" ist eine heikle und zweischneidige Angelegenheit. Nicht wenige MS-Lehrerinnen nennen als einzigen Bonus ihrer Arbeit, dass sie es dort wenigstens nicht mit komplizierten Eltern zu tun hätten.
"Die Eltern am wenigsten gemocht" Umgekehrt beichtete mir die ehemalige AHS-Direktorin Christa Koenne, eine Doyenne der österreichischen Bildungspolitik, schon vor Jahren ohne jeden Genierer: "Am wenigsten habe ich an der Schule die Eltern gemocht." Eltern in Österreich in den Schulalltag einzubinden, heißt nämlich allzu oft, sich dann von ihnen erklären lassen zu müssen, wo's langgeht.
Palaver bei Mama und Papa Das positive Gegenbeispiel wäre die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule im deutschen Göttingen. Sie bekam 2011 den deutschen Schulpreis nicht zuletzt deswegen, weil sie auf "die personale Bindung von Schülern, Lehrern UND Eltern" setzt. Die "Klassen" eines Jahrgangs bestehen in dieser Schule aus Tischgruppen zu je sechs Schülern. Mindestens zwei Mal im Jahr treffen sich diese Tischgruppen bei jedem der Schüler zu Hause (!).
12 Treffen pro Jahr Was ein Minimum von 12 Haus-Treffen pro Schuljahr ausmacht, bei denen die sechs Schüler der Gruppe, deren Eltern und die Tutoren (die jeweils zuständigen Lehrerinnen) zusammenkommen, um zu bequatschen, was schulisch, aber auch familiär gerade so läuft.
Eltern ohne Bindung an das Schulsystem Um eine Eltern-Arbeit der anderen Art geht es umständehalber derzeit in Österreichs Städten, allen voran Wien. Zuwanderung und Nachzug geschuldet, kriegen es die Schulen vermehrt mit Eltern zu tun, denen unser Schulsystem, ja unsere Bildungsziele als Ganzes fremd sind. Dem muss entgegengewirkt werden – wie es ginge, schreibe ich hier.
Was ist ein Mitteilungsheft? In den Wiener Orientierungsklassen für Nachzügler (hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan) nimmt man Mütter und Väter, sofern vorhanden, bereits an die Kandare: Was ist eine gesunde Jause? Was ein Heft? Was ein Mitteilungsheft? Was ein Bildungsabschluss? Und warum muss man in Österreich einen solchen haben, wenn man eines Tages Geld verdienen will?
Da fehlt noch viel Gut so. Aber da muss "von oben" noch mehr kommen: Kinder, die nicht Deutsch können, haben in regulären Klassen nur dann etwas verloren, wenn sie dort auch "integriert" werden können. Sprich: ein bis maximal zwei Kinder pro Klasse.
8. Neues Schulfach "Kochen"
Führt landesweit und für alle Schularten das Unterrichtsfach Kochen samt Lebensmittelkunde & Ernährungswissen ein! Das spart Milliarden im Gesundheitssystem, verändert die Landwirtschaft und schafft kritische Konsumenten.
Meine Meinung: Kochen macht Schule Den Gegenstand "Ernährung" gibt es ja in vielen Mittelschulen bereits, und, ja, Kochen sollte ausgeweitet werden. Aber bitte, ohne dass Lehrer und Mitschüler auf religiöse Befindlichkeiten Rücksicht nehmen müssen. Natürlich, wer kein Schweinefleisch oder Rindfleisch isst (Moslems bzw. Hindus), soll keines essen müssen, und wer nur koscher isst (Juden), sollte das auch dürfen. So weit so klar.
Leberkäs ist nicht giftig Dennoch sollte es jeder, der sich dafür entschieden hat, in Österreich zu leben, lernen, "unser" Essen anzugreifen, ohne in Schockstarre zu verfallen, es zu verkochen und zu servieren. Anders gesagt: Wer in Österreich lebt, hat in "Kochen" auch die Vor- und Nachteile von Käsleberkäs, Extrawurstsemmel mit Gurkerl und dem ordinären "Schweinswiener" kennenzulernen. Aus. Und Vegetarier, Veganer & Co. – bitte jetzt keine Panik aufreißen! In gut sortierten Schulküchen mit Fokus auf gesunder Ernährung steht Fleisch eh nicht öfter als einmal im Monat auf dem Speiseplan.
* Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mitgemeint
In Teil 2: Vom Unterrichtsbeginn um 9 Uhr bis zum verpflichtenden Schwimmkurs
Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010