Favoriten, der Film
"Wo wirft man Briefe denn hinein?" "In das Postkätzchen."
Niki Glattauer über "Favoriten". Das beeindruckende Ergebnis einer "Langzeitstudie" von Ruth Beckermann in einer Wiener Volksschulklasse. 28 Kinder und 1 Lehrerin. 29 Helden im Kampf gegen … tja, wogegen eigentlich NICHT? Jetzt im Kino!
Es beginnt mit Lachen im Hintergrund, dann werden Namen aus dem Off laut vorgetragen: Alper, Amina, Arian, Beid, Dani, Danilo, David, Davud, Eda, Elif, Enes, Egemen, Fatima, Furkan, Hafsa, Ibro, Liemar, Majeda, Manessa, Melisa, Natalia, Mohammed, Nerjiss, Rebeca, Selen, Selin, Theodora, Valentin. Und nein, ein österreichisches Kind ist nicht dabei, ein katholisches übrigens auch nicht, wie Toni Faber, Beruf Dompfarrer, kommentarlos zur Kenntnis nehmen wird, aber davon später.
Normal ist da gar nichts Im Abspann bedankt sich das Filmteam bei ihnen allen und nennt sie auch bei ihren Familiennamen. Bis dahin hat man sie für die Dauer eines Films (Regie: Ruth Beckermann, Buch: Beckermann, Elisabeth Menasse) kennengelernt: normale Kinder einer normalen Klasse einer normalen Volkschule in Wien-Favoriten. Nur, bis dahin weiß man auch: Nichts daran ist wirklich "normal" – die Leben der Kinder nicht, der Einsatz der Lehrerin nicht, die Umstände nicht, unter denen kleinen Menschen hier ins große Leben hineingeholfen wird. Erfolgreich hineingeholfen wird, um das gleich vorwegzunehmen. Besser geht‘s nicht – und anders vermutlich auch nicht.
Sind alle Lehrer so gut? "Hast du viele solche Lehrerinnen?", frage ich, bewusst naiv, Horst Pintarich, der beim Start der fast dreijährigen Dreharbeiten der Direktor der GTVS Quellenstraße 142 war. Inzwischen ist er zum "Schulqualitätsmanager" auf-, er würde wohl sagen umgestiegen. Nach einem Zwischenspiel in Ottakring ist er seit heuer wieder in Favoriten "zuständig", diesmal nicht für eine Schule, sondern für rund 60, "aber eh zu zweit". "Hast du also viele Lehrerinnen wie diese?" Die Antwort sind drei Worte: "Ja, zum Glück."
Briefe für das Postkätzchen Eben habe ich "Favoriten" zum zweiten Mal gesehen. Ich treffe Horst Pintarich ganz bewusst zu einem Zeitpunkt, als der Film in mir noch nachhallt. Zum Beispiel die Szene, in der die Kinder nacheinander über die Berufe ihrer Eltern sprechen. "Man Papa macht Zebrastreifen und manchmal auch die 30er Zone …", sagt ein Bub voll Stolz. Ich muss schmunzeln. "Mein Papa bringt Briefe." Die Lehrerin: "Wo wirft man Briefe denn hinein?" Man hat das Wort bereits gelernt. Schweigen. Die Lehrerin beginnt zu helfen. "In das Postkä …". Jetzt weiß es das Kind wieder: "In das Postkätzchen." Ich muss lachen.
Papa geht bei Baustelle "Mein Vater ist Schneider. In Syrien war er so, in Wien ist er jetzt so Taxifahrer und repariert Autos und so. Er arbeitet viele Sachen." "Meine Mutter ist Diplomkrankenschwester, sie muss alten Menschen Essen geben, Spritzen geben, mit ihnen spielen. Und mein Vater ist Spengler, er misst und isoliert", sagt ein Kind. Für diese Formulierung gibt es Lob der Lehrerin.
"Mein Papa geht bei Baustelle, er baut so … Häuser." - "Meine Mama arbeitet in Kino, er geht…" Die Lehrerin korrigiert: "Du meinst, sie geht." Das Kind: "Ja, er putzt dort." – "Meine Mama putzt die Fenster oder die Boden, und mein Papa arbeitet bei Baustelle." – "Meine Mutter, wenn sie in Syrien war, war eine Lehrerin, und in Wien ist eine Verkäuferin … aber sie hat aufgehört, weil sie ist schwanger, und sie putzt jetzt und kocht." Mir vergeht das Lachen allmählich.
Die Lehrerin, die türkisch kann Die Lehrerin heißt Ilkay Idiskut, ist 35 Jahre alt, Tochter von Türken. Viele in ihrer Familie seien Lehrer, sagt sie an einer Stelle des Films, und die Kamera – Bild: Andreas Hammel – verrät den Stolz darüber in ihrem Gesicht. Lehrer in der Türkei, betont sie, auch ihre Mutter sei Lehrerin gewesen, in Wien, im Kindergarten. In dieser Zuwandererfamilie, denke ich, ist längst angekommen, was so viele autochthone Österreicher noch immer nicht begriffen haben: Im Kindergarten ist man Pädagogin, Lehrerin. Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger.
Die Lehrerin wird schwanger Ilkay Idiskut ist verheiratet (mit einem Polizisten übrigens), im letzten Viertel des Films "gesteht" sie ihrer Klasse die Schwangerschaft: viertes Monat. Drei Monate werde man noch zusammen sein, dann müsse sie in den Mutterschutz. Und sie warnt sie vor: "Ich sag euch ehrlich, prinzipiell will keiner mehr eine Klasse übernehmen. Manchen geht's gesundheitlich nicht so gut. Die Nicole zum Beispiel hat nur acht Stunden, da kann sie schwierig eine Klasse führen. Es sind immer weniger Lehrerinnen, die viele Stunden haben, und deswegen gibt's keine Lehrerin, die diese Klasse übernehmen kann. Noch."
Liebesbriefe von Kindern Von ihren Schülerinnen wird sie später Abschiedsbriefe bekommen, nicht wenige sind Liebesbriefe, Liebesbriefe von Kindern an eine Lehrerin, die für manche auch Mutter war. Auf einem steht: "Eine gute Lehrerin ist schwer zu finden, hart zu verlassen und unmöglich zu vergessen." Gut, das hat ein Elternteil geschrieben, vermutlich im Internet gefunden, aber die Tränen des Kindes zeigen, dass es meint, was da steht.
Die Spaltung in Nahaufnahme Drei Schuljahre lang hat sich Ilkay Idiskut bis zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Arbeit filmen lassen. Für einen Dokumentarfilm? "Favoriten" ist mehr geworden. "Favoriten" ist ein Befund. Ein Befund unserer Gesellschaft, die sich im Mikrokosmos Schule spiegelt. Die süßen Gesichter der Kinder in den Nahaufnahmen, kombiniert mit den teils schockierenden Sätzen (Ton: Andreas Hamza, Montage: Dieter Pichler) zeigen die Fratzen der Spaltung unserer Gesellschaft, der nicht gelingenden Integration, das große allgemeine Unverständnis, mit dem Kinder wie diese allein gelassen werden, gäbe es da nicht Lehrerinnen …
"Sie hat an mir 'so geriecht'" Ein Kind erzählt von Entführung und Organhandel. Ihre Mutter habe sie gewarnt, sie müsse besonders achtsam sein: "Das ist mitten in der Nacht, man muss 10.000 Euro zahlen, wenn die Mutter das Kind zurückhaben will." Die Lehrerin: "Das ist in Österreich glaub ich, nicht so." Ein Kind erzählt, wie an einer Supermarktkasse eine Frau an ihr "so geriecht hat" – "Du meinst, sie hat an dir geschnuppert. Vielleicht, weil du so gut gerochen hast? Vielleicht hast du ein Parfum getragen?" Sie betont die Wörter "gerochen" und "getragen", die Kinder sollen etwas lernen. – Aber das Mädchen meint etwas anderes und verzieht ihr Gesicht, um zu demonstrieren, wie sie im Beisein ihrer Großmutter von einem wildfremden Menschen erniedrigt wurde. "Diese Familie hat auch etwas zu meiner Oma gesagt, auf Deutsch. Aber sie kann nur Türkisch, deswegen sind wir schnell wieder aus diesem Laden rausgegangen."
Dauer-Thema Gewalt Anlass ist der Krieg in der Ukraine. Ein Kind erzählt, was er von seinen Eltern weiß: "In der Ukraine ist ein Schatz, den wollen die Russen holen." Der mazedonische Bub findet es gut, allseits gewaltbereit zu sein. Die Lehrerin: "Ist es gut, wenn du auf der Straße gehst und fremde Menschen schlägst? "Ich finde das gut", sagt der Bub. "Darüber müssen wir reden", sagt Ilkay Idiskut – und redet. Und hört zu. Und redet. Später meldet sich ein syrisches Flüchtlingskind. "Es geht nur um Ukraine und Russland. Was ist mit Syrien los?" Warum? "Der Chef dort wollte alle Menschen tot machen."
Reden. Zuhören. Reden "Die Kinder dürfen mir alles sagen. Auch wenn ihnen das Schlagen gefällt oder der Krieg, aber es muss besprochen werden", nennt Ilkay Idiskut später in den "Gedanken" auf Ö1, aufgenommen zum Filmstart am 19. September (https://oe1.orf.at/player/20240915/769246), eines ihrer Credos. Die Kinder kämen mit den Wertvorstellungen ihrer Eltern in die Schule. "Für manche ist wichtig, dass wenn ein Kind geschlagen wird, dass es zurückschlägt. Andere sagen, geh zur Lehrerin." Da gebe es extreme Unterschiede, hier helfe nur das Reden. "Das Reden ist der springende Punkt."
Was ist ein Bikini? Auch, wenn es um Geschlechterrollen geht. Zum Beispiel in Vorbereitung auf die erste Stunde Schwimmunterricht. Was ist ein Badeanzug. Was ist ein Bikini. "Ein Bikini ist bauchfreie Badebekleidung", sagt die Lehrerin. Ein Bub lacht. "Warum lachst du?" "Wenn sie Frauen sind, dürfen sie das nicht." – "Was dürfen sie nicht." – "Den Bauch herzeigen." Die Lehrerin: "Warum nicht? Darf sie das nicht selbst entscheiden?" – "Der Vater entscheidet, er ist der Mann."
Den Bauch, den Brust, den Po Ein Mädchen kommt dem Buben zu Hilfe: "Mein Papa sagt, du darfst nicht deinen Bauch zeigen, das ist Haram." Die Lehrerin gibt sich naiv: "Den Bauch darf man nicht, sonst darf man alles?" Sie setzt nach: "Die Beine?" – "Ja." – "Arme?": "Ja." – "Den Kopf?" – "Ja." - Ein Mädchen beendet den Dialog: "Den Bauch, den Brust, den Po muss man abdecken." Die Lehrerin lässt es vorerst gut sein, nicht ohne Nachsatz: "Also ich lasse keinen Mann für mich entscheiden, was ich mir anziehe. Mein Gewand such ich mir selber aus."
Lieber Ottakring als Hietzing Nach der Karenzzeit ist Ilkay Iduskut nicht mehr in ihre "alte" Schule zurückgekehrt. Jetzt arbeitet sie im 16. Bezirk, unweit ihrer Wohnung. Die Klientel ist die gleiche. In ihren ersten Jahren sei sie in einer Schule im noblen Hietzing gewesen, erzählt mir Horst Pintarich. "Sie hat mir einmal gesagt, warum sie aus Hietzing weggegangen ist. Weil sie sich dort nicht gebraucht gefühlt hat."
"Ich habe geschlafen" In den so genannten "Brennpunktschulen" fühlt sie sich gebraucht. Das zeigt "Favoriten" in jeder einzelnen Szene. "Entschuldige, dass ich zu spät gekommen bin", sagt der Bub kleinlaut, als er nach dem Läuten die Klasse betritt. – "Was war?" – "Ich habe geschlafen." Sie bessert "geschlafen" nicht in "verschlafen" aus. Nicht jetzt. "Ok", sagt sie und schiebt ihm liebevoll das Kapperl vom Kopf.
"Schau ihr in die Augen" Oder: "Frau Lehrer, er redet die ganze Zeit mit mir", klagt das Mädchen, das später die Noten fürs Gymnasium haben wird, als eine von fünf unter 25. Die Lehrerin, statt Mohammed zu rügen: "Und wie kann ich dir helfen, wenn es dich stört?" – Das Mädchen weiß nicht, was sagen. "Na, hast du ihm schon gesagt, dass du dich dadurch gestört fühlst?" – "Ja." – "Was hat er dir für eine Antwort gegeben?" – "Nix" – "Entschuldigung", murmelt da Mohammed. "Schau ihr in die Augen, wenn du mit ihr redest, Mohammed!" Schließlich einigen sie sich die beiden. "Möchtet ihr also weiter zusammenarbeiten?" Er: "Ja." Sie: "Okay." Die Lehrerin: "Das ist nett."
"Die hat Läuse!" Oder Mobbing: Einem in der 4. Klasse quereingestiegenem Mädchen wird übel mitgespielt. Von körperlichen Attacken am Schulweg ist die Rede. "Spielt nicht mir ihr, sie hat Läuse!", soll es geheißen haben. Sie sei deswegen auch schon angespuckt worden. Jetzt revanchiere sich das Mädchen, indem es regelmäßig den Wuzzler, den Fußballtisch, sabotiere. Die Lehrerin redet, hört zu, redet. Manchmal platzt ihr auch einfach der Kragen: "Man kann nicht die ganze Zeit jemanden ausschließen. Wir sind momentan 24 Kinder. Nur vier spielen ab und zu mit ihr? Was ist los? Ich kenne euch jetzt dreieinhalb Jahre. Manchmal frage ich mich, wer ihr geworden seid?" Der Film zeigt nicht, wieviel Zeit die Lehrerin dafür verwendet haben muss, diese Situation zu entspannen. Aber es ist ihr gelungen. Am Ende der vierten Klasse gehört "die Neue" dazu.
Das Gute kommt zu kurz Hort Pintarich, Ilkay Idiskuts ehemaliger Direktor: "Es passiert so viel Gutes in den Klassen. Aber in der Öffentlichkeit kommt es zu kurz. Wir lesen in den Zeitungen und jetzt ja auch in Büchern immer nur von den fünf Buben, die in einem Schuljahr das Messer ziehen, aber wir lesen nicht über die 5.000, die lieb und bemüht und auf einem guten Weg sind. Natürlich, gegen die fünf muss es Konsequenzen geben. Aber bitte schütten wir doch nicht das Kind mit dem Bad aus!" Seine eigene Tochter, erzählt mir Pintarich, stehe in ihrem Lehramtsstudium vor dem Bachelor und lasse sich heuer erstmals in einer Schule einsetzen. "Sie hat bewusst eine Mittelschule gewählt und kein Gymnasium." Es gibt sie also, die Lehrerinnen und Lehrer, die damit zurechtkommen, nicht nur zu unterrichten.
Unterricht geht verloren Auch Ilkay Idiskut macht kein Hehl aus ihrer "Rolle". In den Ö1-"Gedanken" erzählt sie ein Beispiel: Der muslimische Bub macht sich über ein serbisches Kind lustig, weil es eine Wurstsemmel mit Schweinefleisch isst. "Pfui, du isst Schweinefleisch!" Das Kind meint es gar nicht wirklich bös, es hat es nur von seinen Eltern nicht anders gelernt, es sagt ja nur die Wahrheit, "seine Wahrheit". Also musst du es zum Thema machen. "Musst du pfui sagen? Musst d u das essen? Nein. Wie würde es dir gehen, wenn man das, was du gern isst, als pfui bezeichnet?" Ilkay Idiskut: "Da versucht man eine ganze Stunde lang mit den Kindern das aufzuarbeiten. Aber es geht natürlich Unterricht dabei verloren …"
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5 von 25 kommen in die AHS Es sind nicht viele Kinder, die aus einer solche Klasse in der ersten Klasse unserer Zwei-Klassen-Schule landen. "Fünf von 25 schaffen den Einstieg ins Gymnasium", sagt Horst Pintarich, während es wienweit fast zwei Drittel sind.
Manchmal muss man lachen Nicht selten ist "Favoriten" einfach lustig. Als sich zwei Kinder zum Thema Kultur selbst interviewen. Da erklärt der eine dem anderen: "Kultur ist etwas, was du machst, aber nicht zu oft. Verstehst du? Zum Beispiel, du und ich gehen manchmal draußen, aber nur manchmal – das ist Kultur. Wenn man es nur manchmal macht. Verstehst du jetzt?"
Ein Penis ist kein Strich Oder im Aufklärungsunterricht: Die Kinder zeichnen danach Mann und Frau an die Tafel, wie Gott sie schuf. "Ja, da ist die Scheide, sagt die Lehrerin, die Vagina, und hier … der … Penis? Aber ein großer Körper hat auch einen dementsprechenden Penis, nicht nur so ein Stricherl."
Kein einziges Kind ist katholisch Tragischkomisch geraten auch die Szenen zum "Lehrausgang" in den Wiener Stephansdom. Der Dompfarrer muss nach der Frage an die Lehrerin, wie viele Kinder in der Klasse denn katholisch seien, zur Kenntnis nehmen, dass es kein einziges ist. Dass er es kommentarlos tut, ist Kommentar genug. Dann lässt er die Kinder an den Altar. "Den braucht man aber nicht angreifen, den Altar. Macht einen Kreis, aber vorsichtig."
Der Jesus im Brot im Tabernakel Dann fragt ein Kind, ein Bub aus einer orthodoxen Familie, neugierig: "Wo ist Jesus?" Und bekommt von Toni Faber folgende Antwort (wörtlich): "Jesus ist in Gestalt des Brotes in dem Schrank daneben auf dem Altar. Dort, wo ein rotes Licht brennt, ist das ein Zeichen dafür, dass wir Jesus in Gestalt des Brotes in dem Kasten des Tabernakels aufheben, und das ist eine heilige Speise für uns. Im Brot ist Jesus für uns da." Die Kamera fängt den ratlosen Blick des Kindes nach dieser Antwort ein. Ein Bild – mehr als tausend Worte.
Leider keine Sozialarbeiterin mehr "Favoriten" endet in seinen letzten Szenen, wie er in den ersten Szenen begonnen hat – mit subtil geübter Systemkritik. Da überbrachte der Direktor seinen Lehrerinnen in der ersten Konferenz im Schulhof "die traurige Nachricht", dass "die Sozialarbeiterin gegangen ist" und man nun – "bisher leider erfolglos, weil die Sekundarstufe gegenüber der Primarstufe Vorrang hat" – nach einer neuen suche. "Nicht fragen, was das für eine Sinn macht, wenn wir alle halben Jahre eine neue Sozialarbeiterin bekommen." Außerdem sei die Schulpsychologin schwanger. Nüchterner Kommentar: "Die werma auch nicht mehr lang haben."
Leider noch keine Nachfolgerin In den letzten Szenen ist es die Lehrerin, die ihre Klasse und die Zuschauer fassungslos zurücklässt. Unter Schluchzen und Tränen verabschiedet sie sich am letzten Tag vor ihrer Karenz von ihren Kindern – und muss gestehen, dass es keine Nachfolgerin für sie gibt. "Es tut mir aber ur leid, dass ihr … es keine andere Person gibt, die kommt. Es tut mir ur weh, dass ich euch nicht übergeben kann." Dass sie ihre bitteren Tränen sogar vor der Kamera nicht zurückhalten kann, zeigt, welches Vertrauensverhältnis zwischen der Klasse und Ruth Beckermanns Filmteam inzwischen entstanden ist.
Bleibt wie ihr seid! Der Film endet mit Zuversicht. "Bleibt wir ihr seid!", sagt Ilkay Idiskut ihrer 4e. "Zeigt, was ihr könnt, Ihr könnt viel. Ihr habt viel gelernt in den letzten vier Jahren, und ich bin mir sicher, ihr werdet alle was Supertolles werden und viel schaffen. Merkt euch das für die Zukunft."
Am Mistplatz geht's weiter Wer in der Quellenstraße 142 einen Lokalaugenschein vornehmen möchte, wird enttäuscht sein. Dort wird derzeit generalsaniert. Dennoch ist es der Stadt Wien gelungen, für die Zeit der Renovierung der größten Volksschule der Stadt mit 32 Klassen und bis zu 28 Schülern pro Klasse quasi ums Eck ein gleichwertiges Ausweichquartier aus dem Boden zu stampfen – auf dem Boden des ehemaligen Mistplatzes der MA48… Auch das ist Favoriten.
Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010