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"Ein neuer Sommer": Reich und schön – und verkommen
Nicole Kidman gehört zu den fleißigsten Serien-Darstellerinnen Hollywoods. In "Ein neuer Sommer", einer Mischung aus Krimi und Satire, gibt sie einmal mehr das manipulative Miststück. Ab sofort auf Netflix.
Auf den ersten Blick wirkt "Ein neuer Sommer" wie eine Kopie des HBO-Hits "Big Little Lies" aus dem Jahr 2017, und das liegt nicht nur an Nicole Kidman. "Ein neuer Sommer" spielt größtenteils auf dem noblen Sommeranwesen der Winburys, einer klassischen amerikanischen Old-Money-Familie, auf der malerischen New-England-Insel Nantucket ("Big Little Lies" spielte im kalifornischen Monterey). Und hier wie da beginnt alles mit einem unerwarteten Mord.
Erzählung über Rückblenden Selbst die Erzählart von "Ein neuer Sommer" weist eindeutige Parallelen zu dem von Produzent David E. Kelley geschaffenen Vorbild "Big Little Lies" auf: Vieles wird in Rückblenden geschildert, das Publikum erhält durch Polizeiverhöre mit Verdächtigen relevante Informationen. Nur ganz so kunstvoll wie in "Big Little Lies" gelingt das hier nicht – aber mit Serien-Mastermind Kelley hatte man es auch mit einem Gegner aus der allerersten Liga zu tun.
Serien-Debüt "Ein neuer Sommer", im Original um einiges passender "The perfect couple" ("Das perfekte Paar") betitelt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Elin Hilderbrand aus 2018. Adaptiert wurde der Stoff von der in dieser Rolle bisher eher unbekannten Jenna Lamia, die auch als Showrunnerin fungierte. Aufmerksamen Serienfans wird der Name aber nicht gänzlich unbekannt sein: Im Serien-Geheimtipp "Resident Alien" (erste Staffel auch auf Netflix verfügbar) spielt sie die Nebenrolle Judy Cooper. Auch trat sie dort in einigen Episoden als Autorin auf. "Ein neuer Sommer" ist aber bisher eindeutig ihr größtes Projekt hinter der Kamera.
Namhafte Besetzung Für die Regie der sechs Folgen von "Ein neuer Sommer" zeichnet dier Dänin Susanne Bier verantwortlich. Sie war vor einigen Jahren für den Netflix-Überraschungshit "Bird Box" verantwortlich, inszenierte in den letzten Jahren aber auch Serien wie "The Night Manager" oder "The First Lady". Zur ansehnlichen Besetzung zählen neben Nicole Kidman als Greer Garrison Winbury auch Liev Schreiber als ihr Gatte Tag, reicher Millionenerbe und damit Ursprung des Winbury'schen Reichtums. Dazu kommen die Winbury-Söhne Benji, Thomas und Will, Benjis Verlobte Amelia Sacks (Eve Hewson), Thomas' Frau Abby (Dakota Fanning) und Amelias beste Freundin Merrit Monaco (Meghann Fahy).
Netz aus Lügen Sie alle (und noch viele Personen mehr) treffen also auf dem üppigen Sommeranwesen der Winburys zusammen, um die Hochzeit von Benji und Amelia zu feiern. Doch das Probe-Dinner und die ausgelassene Party danach werden durch eine Leiche gecrasht: Merrit wird am Morgen von Amelia tot am Strand aufgefunden. Möchte man zuerst von einem Unfall ausgehen, offenbaren die Polizeiermittlungen schnell ein Netz aus Lügen, Geheimnissen und gegenseitigen Abhängigkeiten, das bald so gut wie alle Anwesenden verdächtig erscheinen lässt.
Satirische Krimi-Soap "Ein neue Sommer" versucht sich in der Folge als eine Mischung aus Agatha Christie-Whodunnit, schwarzhumoriger Sozialsatire und melodramatischer Soap (wozu auch der etwas unpassende Soundtrack seinen Teil beiträgt). Nicht immer fügt sich diese Mischung zusammen, aber die fraglos toll konstruierte Vorlage und gute Darstellerleistungen machen die Mini-Serie alles in allem sehenswert, auch wenn man dergleichen in ähnlicher Form schon einige Male gesehen hat.
Schlangengrube Als dramaturgischer "Anker" und Identifikationsfigur für das Publikum fungiert in erste Linie Amelia, die zu Beginn wie die einzige halbwegs "normale" Person in dieser durchtriebenen Schlangengrube der Reichen, Schönen und Verlogenen wirkt. Durch ihre Liebe zu Winbury-Sohn Benji wurde sie in eine ihr fremde Welt gestoßen, in der Auftreten und Oberfläche alles sind.
Versnobte Matriarchin Als Paradebeispiel der versnobten (Neu)Reichen, die Amelia das Leben schwer macht, tritt Nicole Kidman auf: Das Vermögen gehört eigentlich der Familie ihres Mannes, sie ist nur "angeheiratet", hat sich aber in die Rolle der Familienmatriarchin gekämpft, die jedem seinen Platz zuteilt, auch Amelia. Inzwischen ist auch sie mit einer von ihr geschriebenen Kitschroman-Reihe die einzige, die aktiv zum Reichtum der Winburys beiträgt. Ihre herablassende Überheblichkeit erscheint wie eine Kompensation wofür auch immer, die wahren Hintergründe erfährt das Publikum aber erst in der wendungsreichen Auflösung am Ende.
Dauerbekiffter Millionenerbe Ihr Gatte Tag hingegen gibt sich Größtenteils unbeteiligt und unbehelligt: Sein Leben lang habe er keinen Tag gearbeitet, sagen andere wenig wohlwollend über ihn, die meiste Zeit habe er entweder einen Joint oder einen Drink in der Hand. Oder eine Geliebte im Arm. Greer weiß darüber Bescheid, es scheint ihr aber egal zu sein.
Zeitsprünge So ist "Ein neuer Sommer" auch ein Porträt der "Reichen und Schönen", die dabei erwartungsgemäß wenig vorteilhaft davonkommen. Die Serie changiert zwischen Sozialsatire und Krimi, wobei sie beides recht solide erfüllt. Kritik kann man am Drehbuch üben, das in manchen Phasen recht chaotisch wirkt: Die vielen Zeitsprünge und Rückblenden wären nicht zwingend nötig gewesen, denn der Stoff bietet auch so genug Spannung.
Fazit Trotz dieser kleinen Schwächen ist Netflix eine weitere, kurzweilige und empfehlenswerte Mini-Serie gelungen, die man an einem Wochenende locker durchschauen kann. "Ein neuer Sommer" erfindet das Rad nicht neu und bedient sich teils recht schamlos an Vorbildern wie eben "Big Little Lies", besitzt aber dennoch genug Eigenständigkeit, um über eine bloße Kopie hinauszugehen. Die durchwegs überzeugenden Darstellerleistungen tragen das Ihre bei, dass diese Mischung aus Krimi und Sozialporträt gut funktioniert.
"Ein neuer Sommer", USA 2024, 6 Episoden à ca. 40-60 Min., ab sofort auf Netflix