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"Informant – Angst über der Stadt" spielt mit Terror-Furcht
Die deutsche Mini-Serie ist überraschend intensiv und braucht sich vor vergleichbaren Produktionen aus den USA oder Großbritannien nicht zu verstecken. Im Streaming und linear in der ARD.
Die ARD, das Erste Deutsche Fernsehen, ist nun nicht zwingend ein Sender, der für überragend innovative Bewegtbildprodukte bekannt ist, der durchschnittliche ARD-Konsument ist laut einer Erhebung aus dem Jahr 2022 etwa 64 Jahre alt. Nur das ZDF lag mit 65 Jahren noch darüber. Die Jugend und Teile der Erwachsenen "mittleren Alters", also die "werberelevante Zielgruppe", sind längst Richtung Streaming abgebogen, das klassische, lineare Fernsehen gilt für manche als Auslaufprodukt.
Hybrides Format für heterogenes Publikum Mit der neuen Event-Miniserie "Informant: Angst über der Stadt" versucht der öffentlich-rechtliche deutsche Rundfunk nun ganz offensichtlich, ein heterogeneres Publikum anzusprechen. Dafür wurde ein hybrides Veröffentlichungsformat gewählt, das am Ende vielleicht ein bisschen zu hybrid ist. Auf Arte – der deutsch-französische Kultursender hat mit produziert – und in der ARD sind alle 6 Folgen der Serie bereits in den Mediatheken abrufbar. Allerdings blockieren beide Sender derzeit ein Abspielen der Serie, man benötigt daher einen Browser mit VPN-Dienst, um "Informant" in Österreich online zu sehen. Im linearen TV hat Arte die Serie bereits komplett gezeigt, die ARD strahlt sie am 16. und 17. Oktober aus (jeweils 3 Folgen ab 20.15 Uhr).
Angebot an neue Publikumssegmente Das ist etwas verwirrend, aber so möchte man sich wohl gezielt an die verschiedensten Publikumssegmente wenden, gerade an solche, die man sonst mit seinen Programmen eher nicht erreicht. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen, da bei einer derartigen Aufsplitterung (de facto vier verschiedene "Premierenzeiten") natürlich auch Risiken bestehen.
Vielfältig "Informant" ist aber nicht nur in seiner Darreichungsform vielfältig, sondern auch thematisch und inhaltlich, sowie in Bezug auf die Figuren. Hier wurde von Autor und Regisseur Mathias Glasner offenkundig ebenso das Ziel verfolgt, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen, denn für jeden ist was dabei: Jürgen Vogel gibt den (laut ironischer Selbsteinschätzung) "alten, weißen Mann" Gabriel Bach, einen ehemaligen Undercover-Cop und nunmehrigen LKA-Ermittler in Hamburg. Er soll das männliche Publikum 50+ bedienen.
Bunte Figurenauswahl Ihm zur Seite gestellt wird die junge BKA-Kollegin Holly Valentin (Elisa Schlott), eine "Streberin" (so Bach), geradlinig, besserwisserisch und lesbisch – sie ist das Role Model für die jungen Feministinnen und Karrierefrauen. Bachs Vorgesetzte wiederum ist eine "Mutti Merkel"-Figur, die sich fast liebevoll um ihren Schützling kümmert, wenn mit ihm wieder einmal das Temperament durchgeht. Und dazwischen tummeln sich vor allem einige aalglatte Beamtenfiguren.
Anschlag auf die Elbphilharmonie Zweiter Haupt-Schauplatz neben den Innenräumen der Hamburger Behörden ist die einschlägige Community mit Migrationshintergrund: Die Ermittler haben Wind von einem geplanten islamistischen Anschlag auf die Elbphilharmonie bekommen und versuchen nun alles, um zu verhindern, was das Publikum schon am Anfang der 1. Folge sieht und was dann in Rückblenden und mehreren Handlungssträngen erzählt wird.
Migrant und Informant Die eigentliche Handlung von "Informant: Angst über der Stadt" beginnt damit, dass Ermittler Bach einen seiner Spitzel in der Migranten-Community kontaktiert, um an Informationen über einen Verdächtigen zu kommen. Kurz darauf ist der Spitzel tot, Gabriel und Holly brauchen einen neuen Informanten, den sie in die Szene einschleusen können. Fündig werden sie in Reza Shaheen (Ivar Wafaei), einem Deutsch-Afghanen Anfang 20. Mit der Islamisten- und Drogendealer-Szene hat er eigentlich gar nichts am Hut, über einen zufälligen Kontakt bekommt er aber Zugang. Und die Ermittler nutzen das – und ihn – eiskalt aus.
Hauptfigur voller Ambivalenzen Der eigentliche Star der Serie ist dann auch die komplexe Figur Reza, einer, der "zwischen den Welten" schwimmt, ohne das gewollt zu haben. Sein Darsteller Ivar Wafaei macht einen außerordentlich guten Job und spielt sogar Jürgen Vogel, eine Größe des deutschen Films, zeitweise an die Wand. Was die Figur so interessant macht, ist, dass sie extrem gut geschrieben und voller Ambivalenzen ist und so absolut nicht in das oft (je nach politischer Ausrichtung) verkürzte Schema vom "Flüchtling als Täter" oder "Flüchtling als Opfer" passt.
Heiße Themen, ohne Klischees Diesen Zugang muss man "Informant" allgemein zugute halten: Die Serie greift viele relevante, aktuelle und gerade in letzter Zeit heiß diskutierte Themen auf, ohne sie einseitig oder klischeehaft abzuhandeln. Es geht um Terror und Migration, Islamismus und Behörden(versagen), Bürokratie und Ermittlungspolitik – und ganz allgemein um eine "Angst", die die Gesellschaft ergriffen hat, wie schon der Titel verkündet. All diese Themen werden außerordentlich realistisch behandelt, worin eine der größten Stärken der Serie liegt.
Interessante Nebenhandlungen Neben der Haupthandlung, der Suche nach dem möglichen Attentäter, sind auch die diversen Nebenstränge interessant: Man taucht ein in eine der Migranten-Communitys von Hamburg, in den Alltag einer afghanischen Familie in Deutschland. Und in das chaotische Privatleben des Ermittlers Bach, einem Mann mit mysteriöser Vergangenheit. Auch seine Figur ist komplex und getrieben, man vernimmt sogar ein fernes Echo klassischer Noir-Ermittler.
Gelungener Spannungsaufbau Was der Serie in jedem Fall gelingt: Das Interesse des Publikums zu wecken und Spannung aufzubauen. Die achronologische Erzählweise ist zwar manchmal etwas herausfordernd, trägt aber das Ihre dazu bei, dass man am Ball bleibt. Jede Episode beginnt mit einer Befragung der Ermittler, die über den erfolgten Anschlag Auskunft geben müssen. Man hat so stets Informationen von "beiden Enden" der Handlung, die sich aber nur schrittweise, wie ein Puzzle, zusammenfügen.
Fazit Qualitativ rangiert diese neue ARD-Serie somit auf dem selben Level wie überdurchschnittliche Streaming-Produkte von Netflix und Co. Auch inhaltlich – gerade durch den Fokus auf die migrantische Jugendkultur der Großstadt Hamburg – sollte man eine jüngere Zielgruppe ansprechen können. Die Frage ist, ob das junge Publikum den Weg vor den Fernseher oder in die Mediatheken von Arte und ARD finden wird. "Informant" wäre es jedenfalls zu wünschen.
"Informant – Angst über der Stadt", Deutschland 2024, Mini-Serie mit 6 Folgen à ca. 50 Minuten, im Stream in den Mediatheken von Arte und ARD (Achtung Geoblocking – Sie benötigen einen Browser mit VPN), im TV in der ARD am 16. (Folgen 1-3) und 17. Oktober (4-6)