kopfnüsse mit podcast

Jetzt legen wir das Smartphone aber einmal weg, gell!

Österreichs Weg in die Selfiekratie: Wo ist der Videoschiedsrichter, wenn man ihn einmal wirklich braucht? Und ein bisschen was zu Indiena Kurz.

Schau, mein Smartphone hat mehrere Nachtmodi
Schau, mein Smartphone hat mehrere Nachtmodi
Andy Wenzel, Kanzleramt
Newsflix Kopfnüsse
Akt. Uhr
Teilen

In der vergangenen Woche waren viele Bälle in der Luft zu halten. In Wimbledon wurde rasend gutes Tennis gespielt, bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland langweilten die Engländer sich und uns zeitgleich ins Finale. Die beiden Sportarten eint, dass jeweils das Runde ins Eckige muss, beim Tennis ist das Tor allerdings am Boden aufgemalt. Auch in der primären Zielsetzung bestehen gewisse Unterschiede. Ich habe jedenfalls noch keinen Tennisspieler erlebt, der vor dem Match gesagt hat: "Heute spiele ich auf Unentschieden."

Beim Fußball ist das grundsätzlich anders, da ist ein Remis kein Beinbruch, sondern sozusagen die zweite Luft. Der Tie Break heißt hier Elfmeterschießen und liefert für die Nachbetrachung oft den meisten Diskussionsstoff. Doch bei der aktuellen EM war das anders, interessanterweise wurde nach den Fußballspielen am meisten übers Handspielen geredet.

Deutschland und die Niederlande fühlten sich von ihren jeweiligen Schiedsrichtern hinters Flutlicht geführt. Sie fanden die Zweitbezeichnung Unparteiischer unangemessen, weil ihnen parteiisch Elfmeter vorenthalten worden sein sollen. Die Schiris wiederum dachten, dass ein Handspiel im Strafraum für ein Match durchaus bereichernd wirken kann.

Nein, kein MediaMarkt, sondern ein Blick in den Videokeller der EM für die Zusatzschiedsrichter, er lag im Erdgeschoss
Nein, kein MediaMarkt, sondern ein Blick in den Videokeller der EM für die Zusatzschiedsrichter, er lag im Erdgeschoss
Picturedesk

Früher gab es im Fußball einen Schiedsrichter und in den besseren Klassen zwei Linienrichter. Der Schiri hatte eine Pfeife und wenn er eine Pfeife war, dann konnte man auch nichts machen, was entschieden, war entschieden. Heute laufen Schiedsrichter aufs Feld wie Handelsvertreter, sogar eine Dose Rasierschaum haben sie am Gürtel befestigt, falls die Stoppeln kratzen und gemeint sind nicht die von den Fußballschuhen.

Ein Schiedsrichter hat heute unendlich viele Möglichkeiten, seine Entscheidungen abzusichern. Er verfügt über eine Spezialuhr, auf der ihm angezeigt wird, ob der Ball die Torlinie überquert hat und das innerhalb einer Sekunde. Es gibt ein Video-Überprüfungssystem mit 40 Kameras und eine halbautomatische Abseitstechnologie in Echtzeit. In Leipzig saßen während der EM zwei Extra-Schiedsrichter in einem 36 Quadratmeter großen Raum mit Fichtenholzwänden, ein weiterer Schiri stand, um den Überblick zu behalten und gemeinsam mit zusätzlichen Technikern schauten sich alle auf 13 großen Monitoren strittige Szenen an. Oder auch nicht.

Der Schiedsrichter war über Funk mit dem "Video Assistent Referee" verbunden, vielleicht konnte er auf diesem Weg auch Hörbücher abrufen oder sich Sushi bestellen. Wenn ihm danach war, ging er in die "Review Area" und schaute sich eine Spielszene genauer an oder die "Weißblauen Geschichten", da weiß man, dass danach immer Großes passiert. In den Spielbällen, die inzwischen so intelligent sind, dass sie die Zentralmatura schaffen würden, wenn auch ohne VWA, befand sich ein Chip, der aufquietschte, wenn er von einer Hand berührt wurde. Fußtritte waren im wurscht.

Zeitvertreib am Spielfeldrand: Der Schiedsrichter schaute sich strittige Szenen an
Zeitvertreib am Spielfeldrand: Der Schiedsrichter schaute sich strittige Szenen an
Picturedesk

Geholfen hat das alles nichts. Vielleicht braucht man noch mehr Überwachung, drei Videokeller statt einem, wobei man dazu sagen muss, dass der Keller in Leipzig im Erdgeschoss lag. Um den Sport noch gerechter ungerecht zu machen, sollten Entscheidungen nicht mehr endgültig sein, sondern es müsste Berufungsmöglichkeiten geben, auch bei den Gelben Karten. Der Schiedsrichter könnte ein Notebook mitführen, um das Verfahren gleich elektronisch zu eröffnen. In den zusätzlichen Videokellern im Erdgeschoss könnte der ganze Instanzenzug bis zum Oberstgericht abgehandelt werden. Wenn man das zügig erledigt, muss das gar nicht so lange dauern wie bei Karl-Heinz Grasser.

Es wird ohnehin schon in diese Richtung gedacht. In Deutschland wurde jüngst eine Entwicklung zum Patent angemeldet, die mittels "Blickdaten" die Handlungen des Schiedsrichters überwacht, die also schaut, wohin er schaut. Es soll live während des Spiels analysiert werden, ob die vom Schiri getroffenen Entscheidungen korrekt sind. "Das System soll sogar die Wahrscheinlichkeit beurteilen können, ob möglicherweise eine Voreingenommenheit bzw. Befangenheit vorliegt", schreibt das deutsche Patent-und Markenamt. "Die Daten können über mehrere Spiele hinweg gesammelt werden, um ein Verlässlichkeits-Profil für den Schiedsrichter zu erstellen".  "Schiri, ich weiß, wo dein Auto steht",  war früher als Schmähgesang von der Tribüne zu hören. "Schiri, ich weiß, wie viel Dioptrien du hast", das ist die Zukunft.

Film ab! YouTuber and TikToker Fidias Panayiotou schaffte es ins EU-Parlament
Film ab! YouTuber and TikToker Fidias Panayiotou schaffte es ins EU-Parlament
Picturedesk

Aber nicht nur auf dem Fußballplatz werden derzeit seltsame Bilder erzeugt. Die Politik inszeniert sich zunehmend als Social Media-Projekt und das ist ausnahmsweise keine österreichische Lokalspezialität. Bei der EU-Wahl schaffte Fidias Panayiotou auf Zypern einen Stimmenanteil von 19,4 Prozent und wurde drittstärkste Partei, ohne überhaupt eine Partei zu sein. Panayiotou ist Influencer, er hat unter seinem Berufsnamen Fidias auf YouTube 2,6 Millionen Abonnenten und auf TikTok 8,1 Millionen Likes eingesammelt. Er produziert Prankster-Videos, spielt also Menschen Streiche. Für das EU-Parlament bedeutet er sicher eine Belebung.

Der 20 Minuten lange Clip "Ich habe die 100 berühmtesten Prominenten der Welt umarmt" wurde schon 15 Millionen aufgerufen, was vor allem an Elon Musk liegt, der darin geknuddelt wird, Fidias hatte ihm tagelang vor dem X-Firmensitz aufgelauert. Panayiotou hat weder als Panayiotou noch als Fidias jemals gewählt, wie er selbst einbekennt, obwohl er mit 24 dem Jugendwahlrecht schon einigermaßen entwachsen scheint. Ein wirkliches Wahlprogramm hat er auch nicht, aber das macht nichts, Love, post und Vollgas reicht.

Das lässt mutmaßlich Dominik Wlazny neue Hoffnung schöpfen. Der Chef der Bierpartei stellte am Donnerstag sein Programm für die Nationalratswahl vor, es passt auf ein paar Bierdeckel.

Wlazny unterstützt Wlazny, auch eine schöne Erfahrung
Wlazny unterstützt Wlazny, auch eine schöne Erfahrung
Picturedesk

Fidias ist beileibe nicht der Einzige, der es über die sozialen Medien ins EU-Parlament schaffte und es gibt zwei Betrachtungsweise der Entwicklung. Die einen halten den Vorgang für ein bisschen verrückt, die anderen freuen sich, dass auf diesem Weg junge Menschen in die Politik Eingang finden, jedenfalls hoffen sie, dass sie den Eingang finden. Das eigentliche Problem wird vielleicht übersehen: Konventionelle Politiker, also die mit einem gewissen Weltbild, einer Verwurzelung, einem analogen Lebenslauf, versuchen da mitzuhalten. Und da wird es oft peinlich.

Politiker treten dann als Fußballmäuse auf oder erzählen uns von ihren Pfandflaschen daheim. Sie treiben unser Nationalteam mit Fangesängen in Niederlagen wie gegen die Türkei, hüpfen vor Kameras in Badeseen, wandern, joggen, klettern oder rollen Pizzateige aus. In nicht wenigen Fällen wirkt das aufgesetzt und anbiedernd und ohne jetzt den Spießbürger in mir zu Markte tragen zu wollen, denke ich mir, weniger wäre manchmal mehr.

Aber das würde nichts machen, gäbe es dafür klare Grenzen. Also ein Politiker oder eine Politikerin soll auf Instagram oder auf TikTok ruhig die Sau rauslassen, aber dafür scheint der offizielle Account nicht der richtige Platz zu sein. Privat ist privat, Partei ist Partei und Amt ist Amt und das hat auch mit Respekt vor einer politischen Aufgabe zu tun. Oder singen Regierungsmitglieder bei Staatsbesuchen den Gastgebern auch "Barbaras Rhabarberbar" vor?

Irgendwas an diesem Bild ist seltsam. Und der Tiger schaut auch komisch aus.
Irgendwas an diesem Bild ist seltsam. Und der Tiger schaut auch komisch aus.
Picturedesk

Claudia Plakolm ist Staatssekretärin für Digitalisierung, Jugend & Zivildienst. So steht es auf ihrer Instagram-Seite, 22.900 Menschen folgen ihr. In der vergangenen Woche postete Plakolm in ihrer Funktion als Staatssekretärin ein Video, es zeigt sie beim Verspeisen eines Döners, der Clip ist mit der entsprechenden Ballermann-Musik untermalt. Danach wurde ein bisschen Aufregung inszeniert, warum die ÖVP-Nachwuchshoffnung mit ländlichem Migrationshintergrund ein türkisches Nationalgericht zu sich nimmt. Also postete Plakolm am Tag danach neuerlich ein Video, diesmal isst sie einen steirischen Backhendlsalat mit Kernöl. Mag sein. Aber wir reden hier immer noch vom offiziellen Instagram-Auftritt einer Politikerin, die der Regierung zuarbeitet.

Drei Tage davor war Plakolm ebenfalls auf Instagram zugange. In einem kurzen Video kündigte sie an, nun mit einem "Mutiger", einer Mischung aus Kuh und Tiger, auf Tournee durch Österreich zu gehen – und zwar für die Junge ÖVP. Also was haben wir jetzt da? Den Account einer Staatssekretärin? Einer Parteifunktionärin? Oder einer Privatperson, die gern Döner und Backhendlsalat isst? Es wäre schön, wenn sich eine Unterscheidung herausarbeiten ließe, schließlich wird das sicher sauber getrennt abgerechnet und bezahlt. Wird es doch, oder?

Irgendwo von daher muss er bald kommen
Irgendwo von daher muss er bald kommen
Helmut Graf
Ich bin gespannt, wie lange der seine Hand so halten kann
Ich bin gespannt, wie lange der seine Hand so halten kann
Helmut Graf

Auch der Kanzler steuerte in der abgelaufenen Woche schöne Bilder bei. Der indische Premierminister war in Österreich zu Gast und es gab niemanden, der sich so unbändig darüber freute wie Karl Nehammer. Ob sich Narendra Damodardas Modi darüber gefreut hat, dass sich Nehammer gefreut hat, lässt sich nicht sagen, er ist eher ein Mann der reduzierten Mimik und sparsamen Gesten. Was der Kanzler zu viel hatte, ging Modi vollends ab. Ob er nach dem vegetarischen Menü im Do&Co auf der Terrasse des Haas-Hauses mit Nehammer parlierte oder sich von ihm zärtlich die linke Hand auf den Oberarm legen und die rechte Hand gleichzeitig abreißen ließ, er machte meistens gute Miene zum guten Spiel. Nur als ihn Nehammer vor dem Stephansdom in ein Selfie drängte, zeigte er den Anflug eines schelmischen Grinsens, im Gesamtbild wirkte es wie schallendes Gelächter.

Modi wurde eben in Indien wiedergewählt, er kam auf rund 250 Millionen Stimmen. Ich will jetzt der Meinungsforschung vor dem 29. September nicht vorgreifen, aber ich denke, so viele Stimmen wird Nehammer nicht schaffen, da kann er noch so viele Selfies machen.

Nehammers neuer Augenstern kam direkt aus Moskau, er war dort seinem "Freund" Wladimir Putin um den Hals gefallen, aber Österreich wollte nicht nachtragend sein. Die EU rang ohnehin noch nach Worten, weil der aktuelle Ratsvorsitzende Viktor Orbán ebenfalls bei Putin war, allerdings ohne ihm um den Hals zu fallen. Die Mission des ungarischen Regierungschefs blieb ebenso erfolgreich erfolglos wie die Visite von Nehammer im April 2022. Die betreffenden Personen benutzen freilich lieber ein alternatives Wort für ihr Scheitern – sie seien "Brückenbauer" gewesen. Ohne Errichtungsvollzug freilich.

Endlich wieder ein Selfie, man kann sich gar nicht vorstellen, welche Freude mir das macht
Endlich wieder ein Selfie, man kann sich gar nicht vorstellen, welche Freude mir das macht
Picturedesk

Es war der erste Besuch eines indischen Premierministers in Österreich seit 41 Jahren und der Anlass gebot es, in den österreichischen Medien von allerlei Seiten beleuchtet zu werden. Der "Standard" etwa beschäftigte sich mit dem Modestil des Gastes, oder heißt das Modistil? Er sei jedenfalls "stramm, aber entspannt neben Nehammer" gestanden, berichtete die Zeitung, "gekleidet in eine weiße Kurta, die ihm der Tradition entsprechend bis über die Knie reichte. Darüber trug er eine dunkelgraue, ärmellose Weste. Modi lässt seine Kleidung dem Vernehmen nach in seinem Heimatbundesstaat Gujarat fertigen – und überlässt dabei nichts dem Zufall. Wenn er in Indien Tempel einweiht, dann gern mit bunter, traditioneller Kopfbedeckung. Vor seinen Anhängern in Indien trägt er oft Orange – die Farbe seiner BJP-Partei. Für Schlagzeilen sorgte sein Outfit 2015, als er Barack Obama in Delhi empfing: Da trug er gar einen Anzug, auf dem sein Name "Narendra Damodardas Modi" als Nadelstreifen eingestickt war." Was sollte sonst eingestickt sein? Schlumpf?

So weit brachte es Sebastian Kurz nicht, nach Indien aber schon. Er war Gast einer Hochzeit, bei der das Geld abgeschafft schien, Kurz kennt das von seinem Freund René Benko. Milliardärssohn Anant Ambani heiratete die Millionärstochter Radhika Merchant und das drei Tage lang, andere Ehen sind in dieser Zeit schon wieder geschieden. Kurz war vor Ort, weil er den Brautvater kennt, er hielt sich modisch wie auf der Einladung erbeten an den örtlichen Kleidungsstil. Ich freue mich schon auf die Modereportage im "Standard" über Indiena Kurz.

Grüß Gott! Meine Hand hätte ich dann gerne wieder zurück
Grüß Gott! Meine Hand hätte ich dann gerne wieder zurück
Helmut Graf

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Die Kopfnüsse machen jetzt kurz Sommerpause. Also sie machen nicht wirklich Sommerpause, sondern ich wildere statt frischer Ware jetzt die zweite Staffel der Corona-Kopfnüsse aus. Acht Folgen über das Jahr 2021, die Originaltexte, aber gejätet und und umgetopft, jede Folge steht natürlich auch als Podcast zur Verpflanzung in den Kopf zur Verfügung. Am nächsten Sonntag geht es los. Jetzt, wo die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen und die Masken wieder eine dicke Lippe riskieren, erinnert man sich sicher gerne wieder an die gute alte Zeit zurück.

Es gibt ein Wiedersehen mit Wolfgang Mückstein und seinem E-Audi, mit dem er nach Tirol wollte und es fast bis Linz schaffte. Mit viel Licht am Ende des Tunnels, entscheidenden Wochen, mit Sebastian Kurz und Rudolf Anschober im Gespräch mit den ersten Impfpatientinnen über Marchfeld-Spargel. Mit harten Lockdowns und weichen Lockdowns und dem Lockdown Ost. Mit Dashboard-Zahlen, die nicht zueinander passen wollten, einmal waren sogar mehr Menschen geimpft als Impfdosen ausgeliefert.

Alles erst drei Jahre her, klingt aber wie aus einem anderen Leben. Verbringen Sie einen schönen Sommer! Bleiben Sie gesund! Der Herbst wird unser politisches Immunsystem ohnehin auf eine harte Probe stellen und wieder wird uns kein Videoschiedsrichter zu Hilfe eilen.

Akt. Uhr
#Kopfnüsse
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.