Kopfnüsse
Warum ich nicht mehr alles verstehen muss (oder will)
Wie die Fans von Taylor Swift Österreichs Tourismus retteten und den Kanzler trösteten (oder umgekehrt). Warum es Beate Meinl-Reisinger plötzlich doppelt gibt, die SPÖ aber eher lernen sollte, einfacher zu denken.
Ist dieser Sommer eventuell eine Illusion? Also findet er in Wirklichkeit gar nicht statt? Der Eindruck drängt sich auf. Denn die Woche, die sich schon in der Phase der Zugaben befindet, war geprägt von einem Ereignis, das sich gar nicht ereignet hat, das dafür aber gleich drei Mal. Taylor Swift trat nicht in Wien auf, ein Umstand, der allerlei über das Land offenbarte, auch einen Generationenkonflikt.
Dieser Generationenkonflikt wurde dadurch gelöst, dass sich ein älterer Mann den Nöten der Jugend annahm. Früher haben Teenager in Ausnahmezuständen die Hilfe von Oma, Wirtshaus oder dem örtlichen Pfarrer, der seelischen Dreifaltigkeit also, in Anspruch genommen, heute werden sie ins Kanzleramt eingeladen. Dort residiert nämlich neuerdings ein Swiftversteher.
Karl Nehammer empfing am Freitagnachmittag eine "Swiftie-Delegation", ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass die Fans der Sängerin über eine politische Vertretung verfügen. Man wird beizeiten über die diplomatische Anerkennung reden müssen. Vielleicht wollte der Kanzler aber auch nur schauen, wie es ist, wenn man sich mit Vertretern einer größeren Partei unterhält, nach den Wahlen könnte sich das Problem stellen. Kurzfristig kann es helfen, ein Swiftversteher zu sein, mittelfristig aber scheint eine Zusatzausbildung zum Kicklversteher ratsam.
Die "Swiftie-Delegation" war vom Besuch jedenfalls sehr angetan und auch dem Kanzler hat es gefallen. Auf dem Video, das die politische Vertretung auf Instagram postete, schaut Nehammer sehr gebenedeit aus, die "Kronen Zeitung" goss das in ein paar mitfühlende Zeilen: "Um die Enttäuschung der Fans nachvollziehen zu können, empfing ÖVP-Chef Karl Nehammer am Freitagnachmittag spontan eine Swiftie-Delegation bei sich im Bundeskanzleramt. Er hörte aufmerksam zu, nahm die Sorgen ernst und spendete Trost." In welcher Form ist leider nicht überliefert, vielleicht war auch Toast gemeint.
Ich bin ja allerlei, der Generation Taylor Swift aber gehöre ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht an. Trotzdem habe ich mich in den letzten Tagen redlich bemüht, das Phänomen zu verstehen. Das ist mir nicht gelungen, aber jetzt stört es mich wenigstens nicht mehr. Ich halte das für einen schönen Erfolg, vergleichbar mit einem dritten Platz im Hoffnungslauf der Olympischen Spiele.
Am Donnerstagabend war ich in der Wiener Innenstadt unterwegs und geriet in eines der Spontankonzerte der Swifties. Zu diesem Zeitpunkt hätte der eigentliche Auftritt des Superstars – womit in diesem Fall nicht Karl Nehammer gemeint ist – im Wiener Ernst-Happel-Stadion stattfinden sollen, aber ein Wirrkopf, von anderen Wirrköpfen für eine wirrköpfige Ideologie fanatisiert, ließ Tausende Jugendträume platzen. Das Konzert wurde abgesagt, Österreich stand in der Welt plötzlich als gefährliches Land da, vom Terrorismus durchdrungen, der Polizeiapparat nicht in der Lage, für eine sichere Lebensführung zu sorgen.
Dann kamen die Swifties. Ohne über eine Organisationsform zu verfügen, wenn man von Instagram oder TikTok einmal absieht, fluteten die Fans die innerstädtischen Bezirke. Die Mitglieder der Neigungsgruppe fanden an mehreren Orten wie von selbst zusammen und begannen zu singen. Auch im Sacher Salon, an dem ich vorbeikam und Erstaunliches erlebte. Ein paar Stunden zuvor hätte man mit ihren Tränen noch den Zicksee befüllen können, jetzt tanzten die Konzertbesucher ohne Konzert ausgelassen zu den Liedern ihres Idols und sangen sich die Seele aus dem Leib.
Die meisten hatten sich so zurechtgemacht, wie sie auch ins Stadion gegangen wären. Im Inneren des Sacher Salons wurde auf einem Monitor eine Show von Taylor Swift eingespielt, eine bescheidene Lichtanlage verlieh dem Raum das optische Klima einer Landdisco aus den siebziger Jahren. Im kleinen Gastgarten standen vorrangig Mädchen und junge Frauen dicht an dicht, kletterten auf Sessel und Tische und plärrten einen Hit nach dem anderen in den Nachthimmel. Jede Textzeile saß, mir hätten sie die Speisekarte vorsingen können, ich hätte den Unterschied nicht bemerkt. Ich ruderte immer noch im olympischen Hoffnungslauf, im Einer ohne Steuermann.
Die Straße hinter der Oper füllte sich mehr und mehr, einige schauten, anderen stimmten ein. Es herrschte eine ungezwungen, fröhliche Stimmung, ein trotziger Gegenentwurf zur oft verkopften Mieselsüchtigkeit auf Twitter und seiner Chili-Version X. Es war vermutlich nicht ganz so wie bei einem Swift-Konzert, aber fast. Der Wirrkopf, von anderen Wirrköpfen für eine wirrköpfige Ideologie fanatisiert, schien ganz weit weg. Er hatte diesen Menschen ein Erlebnis für ihr Leben genommen, aber die Swifties wischten die Tränen weg, richteten sich ihr Krönchen und machten aus dem Umstand, der kein Zustand war, ihren eigenen Umstand. Sie werden sich ihr Lebtag an diese Zeit erinnern, vielleicht intensiver, als hätten sie Taylor Swift live gesehen.
So nebenbei haben die fröhlichen jungen Menschen in all ihrer unbekümmerten Spontanität auch Österreich errettet. Einen Tag lang schickten wir die Botschaft in die Welt hinaus, ein Terrorland zu sein, in dem ein Besuch lebensgefährlich erscheint. Für ein Gebiet, das vom Tourismus lebt, sich aber nicht als Geisterbahn vermarktet, eine Naturkatastrophe. Keine 24 Stunden später sah die Welt Videos aus Österreich von heiteren jungen Menschen, die tanzten und sangen und Party machten. Rund um den Globus, auf den großen Webportalen von der "New York Times" abwärts, in den sozialen Medien, überall war "Sound of Music".
Ich kenne mich mit Orden und Auszeichnungen nicht aus, aber wenn ich Verantwortung hätte, was unverantwortlich wäre, dann würde ich den Vertretern einer "Swiftie-Delegation" alle Ehrenzeichen und Urkunden und Medaillen und Ehrennadeln anheften oder in die Hand drücken, die mir zur Verfügung stehen. Ich weiß schon, Personenkult, Obacht. Aber was sie für das Urlaubsland Österreich geleistet haben, übersteigt die Fähigkeiten und Möglichkeiten jeder Tourismuswerbung um ein Vielfaches. Und es hat nicht einmal etwas gekostet.
Auch die Sommergespräche im ORF leisten heuer einen unschätzbaren Beitrag zur Fremdenverkehrswerbung. Sie finden am malerischen Traunsee statt, Martin Thür begrüßte bei der Premiere Beate Meinl-Reisinger auf einem Bankerl direkt am Wasser. Es war eine fast romantische Szene, die sich ein paar Wespen ebenfalls aus der Nähe anschauen wollten. In Zeiten der Inflation muss auch das Tierreich schauen, wo es ein Essen für lau gibt, und wenn dann sogar eine Politikerin aus Wien anreist, dann heißt es zulangen, sonst macht man im Leben keinen Stich mehr. Oder hat einen.
Da die NEOS-Chefin zuvor schon bei den Sommergesprächen auf Puls 4 zu sehen war, erlebten die Zuschauer eine Wiederholung des Gesagten vor einer schöneren Kulisse. Meinl-Reisinger zog also denselben Zettel aus derselben roten Mappe, statt "ich war auf der Webseite des Bildungsministeriums" sagte sie diesmal "ich habe auf die Webseite des Bildungsministeriums geschaut". Dann sprach sie ein zweites Mal über die Schulreform von 1774 unter Maria Theresia und die Schulreform 1918 von Otto Glöckel und schüttelte ein zweites Mal den Kopf darüber, dass die letzte größere Schulreform 1962 stattgefunden habe. Österreich zieht eben seine Kraft aus der ständigen Wiederholung des annähernd Gleichen. Sebastian Kurz wird das mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, er ist also nicht für alle Zeiten chancenlos.
Was Meinl-Reisinger sagte, stimmte, war aber natürlich eine grobe Verkürzung. Das Ende der AHS-Aufnahmeprüfung, die Einführung von Gratisschulbuch und Freifahrt in den Kreiskyjahren, die Etablierung der Neuen Mittelschule 2009 fielen unter den Klassentisch. Am Befund ändert das nichts. Im Schulbereich kann unser Mut zu Neuem mit der Innovationskraft der Swifties nicht mithalten.
Wo Beate Meinl-Reisinger schon war, landete diesmal Andreas Babler an. Im Sommergespräch auf Puls 4 erfuhr man einiges Neues über den SPÖ-Chef: Dass er das Doskozil-Buch noch nicht gelesen hat. Dass er bei der Jagd Schusswaffen verwendet und nicht Pfeil und Bogen. Dass er sich Taylor Swift nicht anschauen wollte, aber am 31. August im Linzer Posthof bei Kettcar ist. Dass er sich beim Fahrscheinkauf in der Badner Bahn von seiner neunjährigen Tochter beraten lässt. Es war ein solides Gespräch, Babler wirkte aufgeräumter, nicht so fahrig im Auftreten, nicht so schusselig im Reden. In Erinnerung bleibt davon wenig und das hat Gründe. Ich muss etwas ausholen, Sie verzeihen.
Politik ist ein Kommunikationsjob. Fürs Fachliche hat jeder ein Umfeld, das kennt sich in der Regel besser aus. Der Gesundheitsminister ist kein Arzt und die Klimaministerin hat Politikwissenschaft studiert. Also muss man intern seine Vorstellungen kommunizieren, daraus entstehen Pläne, Vorhaben und Konzepte, die bringt man der Außenwelt näher. Wer nicht dazu in der Lage ist, wird nicht erfolgreich sein.
Das Ziel von politischer Kommunikation ist es, Bilder im Kopf zu erzeugen. Wer das nicht schafft, wird nicht gewinnen. Das Stück Weg, das man miteinander geht, war nicht einfach so dahergesagt, es war Kopfkino.
Ich habe bisher nichts über die syrische Großfamilie mit sieben Kindern in Wien geschrieben, die 4.600 Euro Mindestsicherung im Monat erhalten soll. Mir war die Faktenlage zu dürftig, zudem erscheint der aktuelle Erregungsfall ausgemeint, jeder hat schon etwas dazu gesagt. Der Weg zu dieser Ausmeinung war gepflastert mit wohlmeinenden Kommentaren, die mehr Wünsche widerspiegelten als die Realität abzubilden. Deshalb ein paar Worte dazu.
Natürlich führen wir eine Debatte über Zuwanderung und selbstverständlich eine über Neid, da brauchen wir nicht um den heißen Humus herumreden. Geld und Neid sind siamesische Zwillinge, die gehen gemeinsam durchs Leben. Nicht jeder ist allen alles neidig, aber viele vielen vieles schon. Das gilt es zu beachten.
Neid tarnt sich, er nennt sich einmal Streben nach Gerechtigkeit, dann wieder Hausverstand und er ist skalierbar. 4.600 Euro für eine österreichische Familie hätte für Ärger gesorgt, 4.600 Euro für eine migrantische Familie sorgt für Zorn. So ehrlich müssen wir sein, auch zu uns.
Das liegt an den Bildern, die spontan entstehen und scheinbar ganz von allein. An wen denken wir im aktuellen Erregungsfall? An eine Familie, die vor dem Krieg geflüchtet ist, sich möglichst schnell integrieren will, Deutsch lernen, arbeiten, die das Sozialsystem aus ihrer akuten Notlage heraus benutzt und das nur als Überbrückung? Oder an eine Familie, die dauerhaft in der Hängematte Platz nehmen möchte und die Mindestsicherung als bedingungloses Grundeinkommen betrachtet, um die Kinder auf eine kriminelle Karriere vorbereiten zu können?
Wir wissen nicht, was davon stimmt. Aber das Bild, das wir im Kopf erzeugen, entscheidet darüber, wie wir denken und wie wir fühlen. Deshalb darfst du als Partei, als Spitzenkandidat die Gestaltung dieses Bildes nie anderen überlassen. Übernimm die Kontrolle über die Kommunikation und wenn du die Kontrolle über die Kommunikation übernommen hast, dann übernimm die Kontrolle über die Handlung! Am Ende müssen die anderen als Unmenschen dastehen oder zumindest als "weird".
Dafür ist eine professionelle Kommunikation nötig und dazu ist die SPÖ momentan offenbar nicht in der Lage. Es war zu erwarten, dass im Wahlkampf derartige Angriffe kommen werden und es ist eine Sünde, sich darauf nicht vorbereitet zu haben, aber sie wiegt nicht tonnenschwer. Eine Todsünde aber ist es, kein Instrumentarium fix und fertig in der Schublade zu haben, was zu passieren hat, wenn etwas passiert. Wer spricht für die Partei? Wann? Wie? Wer erarbeitet Gegenstrategien? Wie wird kommuniziert? Wer hat die Führung? Wer sorgt für Flankenschutz?
Das ist vor allem wichtig für die eigenen Anhänger. Denen muss man Argumente liefern, die müssen eine Gegenerzählung serviert bekommen. Die SPÖ sucht momentan Menschen für Hausbesuche, zum Klinkenputzen. Viel Spaß dabei! Die Partei hat tagelang alle im Stich gelassen, die ihr wohlmeinend gegenüberstehen, sie wussten nicht, wie sie reagieren sollten, wenn sie auf den aktuellen Erregungsfall angesprochen werden. Das unprofessionell zu nennen, ist fast eine Behübschung.
Man kann natürlich auch den Wiener Soziallandesrat Peter Hacker losschicken, dann aber läuft das so wie bei einer falsch verstandenen Registrierkasse. Jedes Mal wenn die Lade aufgeht, greift eine andere Partei rein und nimmt Wähler raus. Aber ich muss ja nicht mehr alles verstehen.
Es ist keine gute Idee, Menschen das Gefühl zu geben, sie sind Nazis oder Trottel oder beides, wenn sie Fragen zu 4.600 Euro Mindestsicherung haben. Es nutzt auch nichts zu sagen, dass es nur ganz wenige Fälle gibt, so eine Form der Kommunikation funktioniert nie. Die Bank Eisenraiff stellt sich auch nicht und sagt: "Wir haben 1.723 Filialen in Österreich, aber die gute Nachricht ist, nur drei wurden heute überfallen." Es ist vor allem für einen Sozialdemokraten unstatthaft, Menschen, die Gewand in der Familie weiterreichen, eine Kleiderschwäche fürs Mittelalter zu unterstellen.
Dem hätte Andreas Babler im Sommergespräch entgegentreten müssen. Mit klaren Worten, einem klaren Konzept (er konnte sein eigenes nicht einmal gut erklären). Mit dem Versprechen, aufs Steuergeld besser aufzupassen, als der Hund auf die Wurst. Mit Bildern, die den Hängematten-Bildern der syrischen Großfamilie entgegengesetzt werden können. Das hat er nicht geschafft. Ein paar Mal gibt es noch Gelegenheit dazu, weg gehen wird das Thema nicht.
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Bei den Sommergesprächen auf Puls 4 war übrigens live mitzuerleben, dass die Bäume beim Gendern auch nicht in den Himmel wachsen. Über einen QR-Code, den Interviewer Meinrad Knapp sehr volksnah als "Kuh-Art-Code" ausspricht, können Zuseherinnen und Zuseher ihre Meinung zur Sendung abgeben. Gundula Geiginger, die für die anschließende Analyse der Sommergespräche zuständig ist, sprach von einer "Zuseher-Innenbefragung". Aber es stimmt schon: Manchmal kann einem Österreich wirklich auf den Magen schlagen.