Kopfnüsse

Wie Andreas Babler zu Robin Hood wurde (und warum)

Jetzt mit Podcast! Eine Woche am Boden, jetzt mit der zweiten Luft. Die neue Wahlkampf-Strategie der SPÖ, die Chancen, die Risiken und was das alles mit Jörg Haider zu tun hat.

Und wenn ihr mi ned wöhlts, dann lernts mei Faust kennan: Andreas Babler beim SPÖ-Wahlkampfauftakt in Linz
Und wenn ihr mi ned wöhlts, dann lernts mei Faust kennan: Andreas Babler beim SPÖ-Wahlkampfauftakt in Linz
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Am Ende der Woche stellten sich mir ein paar seltsame Fragen: Wer oder was ist eigentlich eine Partei? Und wozu ist sie nütze?

Wer im Fernsehen beim Zappen hin und wieder an Natursendungen vorbeikommt, wird Zeuge eines auf den ersten Blick seltsamen Rituals. Tiere sind zu sehen, die ungeniert an Büsche oder Bäume pinkeln, sie markieren damit ihr Revier. Da Tiere außerhalb von "König der Löwen" sprachlich bestenfalls inselbegabt sind, können sie sich nicht einfach hinstellen und sagen: "Des is jetzt meins". Also pinkeln.

Bei Menschen funktioniert das nur sehr eingeschränkt. Also man sieht schon immer wieder Leute, vorrangig Männer, die irgendwo hinpinkeln, ich habe sogar den Eindruck, das passiert viel häufiger als früher. Aber es wird damit kein Revier markiert, und wenn, findet die Enteignung spätestens mit der Schneeschmelze statt.

Nein, die Betroffenen haben beim Heurigen die Oktanzahl des Dargereichten unterschätzt oder der konsumierte Matetee muss auf die Matte. Jedenfalls ist man früher für derartige Verrichtungen ins Unterholz gegangen, jetzt stehen Männer oft mit ihrem Ast in der Hand neben der Fahrbahn wie Anhalter, die nicht an sich halten können.

Dann nennt der Kickl die Salzburger Festspiele eine "Inzuchtpartei" und seine eigenen Blauen gehen hin ...
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Helmut Graf
Manchmal übertreibst du es mit deiner Österreichplanerei, Karl: Harald Mahrer mit dem Kanzler bei der Vorstellung des Wirtschaftsprogramms für den Wahlkampf
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Helmut Graf

Pinkeln kann eine gewisse Strahlkraft haben, aber es eignet sich nicht gut, um Besitzverhältnisse zu klären, vermutlich deshalb wurde das Grundbuch erfunden, es ermöglicht die Verschriftlichung des in den Schnee geschriebenen. Um etwas notariell zu beglaubigen, musste man sich von da an nicht mehr an Büschen und Bäumen erleichtern, eine Unterschrift genügte, ein Pinselstrich quasi. Ich erzähle Ihnen das deshalb, weil ich in der vergangenen Woche den Eindruck hatte, auch in der SPÖ würden Reviere markiert. Nicht mittels pinkeln, aber es kam auf dasselbe hinaus.

Es war für mich sowieso eine Woche der vielen Erkenntnisse. Ich hatte am vergangenen Sonntag nachgezeichnet, was in der Sozialdemokratie innerhalb von ein paar Tagen alles passieren kann, üblicherweise ist für einen Pallawatsch derartiger Dimension ein Zusammenspiel mehrerer Parteien nötig, die SPÖ schaffte das ganz allein. Wer politische Neigungsgruppen mit der eigenen Realität konfrontiert, benötigt ein schnelles Pferd, das wusste ich, wer die Sozialdemokratie in Augenschein nimmt, braucht einen Feuerrappen, das lernte ich dazu.

Ich wurde ein bisschen beflegelt, gescholten, Enttäuschung machte sich darüber breit, dass ich vom wahren Glauben abgefallen schien. Ich sei gekippt, ein Agent der anderen Parteien, ausgeschickt, um Babler zu demolieren und Österreich in die Arme der Rechten zu treiben. Die Debatte um die Todesstrafe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vom Zaun oder vom Zaum gebrochen, wer weiß, vielleicht wäre mein Delikt, worin immer es bestanden haben mag, auch unter diese Strafandrohung gefallen. Die Wahrheit scheint nicht nur eine Zumutung zu sein, sondern tatsächlich nicht allen zumutbar.

Sonnenblumenkönig Werner Kogler beim Wahlkampfauftakt der Grünen in Wien
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Helmut Graf
Glaub ned, dass i di später amoi wähl, nur weilst mi jetzt grün anschmierst
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Helmut Graf

Es war, als hätte ich die Büchse der Babler geöffnet, aber das machte nichts. Für mich wurden schon für viele politische Häuser Meldezettel ausgefüllt und das ganz ohne mein Zutun. Wenn ich auf allen Schößen gesessen wäre, auf die ich gebeten worden sein soll, hätte ich längst einen ideologischen Dekubitus.

"Gott liebt alle, die ihn suchen", sagte Dompfarrer Toni Faber am Samstag bei der Verabschiedung von Richard Lugner. "Zöllner und Dirnen kommen eher in den Himmel als Obermoralisten." Ich sehe mich weder dem Grenzschutz noch dem horizontalen Gewerbe zugeordnet, also werde ich wohl weiter nach Gott suchen müssen, die SPÖ wird mir sicher eine Stütze dabei sein.

Da jetzt weitgehend alle Parteien ihr Wahlprogramm fertig haben, sei der Einwand gestattet, dass darin eventuell relevante Passagen fehlen. In den jeweiligen Medienkapiteln vermisse ich ein paar Klarstellungen, etwa: "Die Partei tritt rückhaltlos für eine freie Presse ein. Wenn die freie Presse aber auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich in die inneren Angelegenheiten der Partei einzumischen, dann soll sie sich bitte über die Häuser hauen." Und: "Fake News müssen an der Wurzel gepackt werden, außer die Fake News werden von der Partei selbst verbreitet, dann gelten sie als automatisch verifiziert."

Die SPÖ hat keine Chance, die muss sie jetzt nützen: Andreas Babler beim Wahlkampfauftakt in Linz
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Am Donnerstag dieser Woche gab der Linzer SPÖ-Bürgermeister sein Smartphone ab, am Freitag chauffierte ihn sein Fahrer ein letztes Mal zum Rathaus, ab Montag ist Klaus Luger Privatmann. Die Hofwochen der SPÖ gingen mit ein paar fast filmreifen Bildern zu Ende, sollte Netflix daraus jemals eine Serie machen, könnte sie "Brucknerhaus of Cards" heißen.

Das Drehbuch für "Brucknerhaus of Cards" schriebe sich fast von selbst, es wäre mit einer Lügenaffäre, ein paar Intrigen, einem geheimen Brief prall gefüllt. Mit der Schlusspointe aber würde wohl niemand rechnen: Das vermeintliche Opfer steigt nämlich als Profiteur aus der Angelegenheit aus. Ich weiß, das klingt etwas verrückt, aber ich bewerte die Vorgänge in der SPÖ im Nachgang etwas anders als viele momentan.

Babler müsste eigentlich drei Vaterunser, vielleicht besser drei Leninunser beten, dass passiert ist, was passiert ist. Vielleicht wird man später die Chaostage einmal als Wendepunkt sehen, als Erweckungserlebnis. Als Datum, an dem die SPÖ eigentlich keine Chance mehr hatte, die aber gut zu nutzten wusste.

Wenn Sie den Stephansdom hier schief sehen – nein, Bier ist nicht schuld daran
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Helmut Graf

Opposition ist die Conference League der Politik. Du darfst mitkicken, aber dein Spielfeld ist nicht das Bernabéu-Stadion, sondern der Krautacker nebenan. Die SPÖ, das Flutlicht von Kanzlerschaften gewohnt, erlebte das in den vergangenen sieben Jahren auf schmerzvolle Art und Weise. Sie fand medial kaum statt, Ihre Themen schafften es in Zeitungen bestenfalls zu Kellergeschichten, das sind die, die unten im Eck stehen, dort, wo selten wer hinschaut. Berichte in Online-Medien und im Fernsehen waren mehr Gnadenakte, Pressekonferenzen erreichten selten die Zugkraft von Taylor-Swift-Konzerten. Schon Pamela Rendi-Wagner sprach oft zu weißen Wänden, ihrem Nachfolger erging es nicht besser.

Und jetzt? Plötzlich alles da! Präsenz in den Medien. Aktion. Emotion. Mobilisation. Andreas Babler findet statt, die weiße Wand ist weg, er zieht Aufmerksamkeit auf sich. Ein Strudel aus eigentlich verheerender Berichterstattung hat ihn nach oben gespült, er wurde am Weg nicht verschluckt, es wurde ihm vielmehr eine zweite Luft geschenkt. Es liegt jetzt an Babler – und nur an ihm – ob er die Welle surfen kann, die sich ihm nun bietet, oder ob er in ihr untergeht.

Das Wesen von Ballons ist ja, dass sie hochfliegen können, aber auch zerplatzen
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Wahlkämpfe sind Phasen, in denen die Wahrheit beschworen wird, aber die Lüge lebt. Es handelt sich um Theateraufführungen, relevant ist nicht, was stimmt, sondern was geglaubt wird. Je näher der Wahltermin rückt, desto lauter und greller geraten politische Botschaften. Weltuntergang und Weltrettung werden Zimmernachbarn. Die Schalmeien sind längst weggepackt, Pauken und Trompeten geben nun den Ton an. In Reden wird Aufbauschung zum wichtigsten Stilmittel.

In solchen Situationen ist Ruhe die Höchststrafe. Wenn sich keiner mehr für dich interessiert, dann bist du schon vor der Wahl abgewählt. Aus die Maus! Babler muss Klaus Luger und Doris Bures deshalb eigentlich unendlich dankbar sein. Die beiden haben ihn, ohne es zu wissen und wohl ohne es zu wollen, in ein Match zurückgebracht, in dem er nicht einmal mehr auf der Ersatzbank saß, sondern vor dem Stadion auf den Bus heim nach Traiskirchen wartete.

ORF-Sommergespräch in der Rialtobrücken-Edition
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Der Wind frischte erstmals beim ORF-Sommergespräch auf und er begann sich zu drehen. Babler war mit einem Rucksack voller Parteiaffären angereist, beladen bis zum Rand mit Mühlsteinen. Zu rechnen war mit einem nervösen, unsicheren, stammelnden, defensiven Spitzenkandidaten, der am Ufer des Traunsees zur Freischwimmer-Prüfung antritt. Aber das passierte nicht. In dem Moment, als alle dachten, dass Babler untergeht, ging er nicht unter und aus diesem Grund war es weniger bedeutsam, was er sagte, sondern wie. Wie er auftrat, wie er sich gab, wie er war.

Und noch etwas passierte. Babler nutzte den Augenblick und setzte alles auf eine Badekarte. Er schubste Doris Bures nicht vom Drei-Meter-Turm, aber er teilte das Wasser unter ihr. Die SPÖ stand plötzlich nicht mehr als die Partei mit den vielen verschiedenen Flügeln am Beckenrand, sondern es gab mit einem Mal eine "SPÖ alt" und eine "SPÖ neu". Die neue Sozialdemokratie, so wurde es vermittelt, ist die von Babler. Die mit den Expertenrunden. Mit dem alternativen Personal. Mit dem Wahlprogramm, das weitgehend ohne "SPÖ alt" entwickelt, aber ihr gnadenhalber zur Abstimmung vorgelegt wurde.

Eure Vorzugsstimmenzettel sind etwas groß geraten, oder? Nora Summer, Madeleine Petrovic und Monika Johanna Henninger-Erber von der Liste LMP
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Das macht jetzt vieles möglich. Die SPÖ rutscht plötzlich in eine Rolle, die eigentlich von den Freiheitlichen besetzt schien. "Sie sind gegen ihn. Weil er für euch ist", der blaue Spruch von Jörg Haider wird nun mit roter Tinte geschrieben. Babler inszeniert sich als Einzelkämpfer, der von Teilen der eigenen Partei sabotiert wird, der kein Medienhaus hinter sich hat, von den Journalisten verfolgt wird, den die Reichen, die Millionäre und die Milliardäre verhindern wollen, den das Establishment fürchtet. Die Establishment-Partei SPÖ, die sich gegen das Establishment auflehnt, das ist die zweite ironische Duftnote, die in den Wahlkampf einströmt.

Die erste hatte Herbert "Euer Wille geschehe" Kickl abgesetzt, der die Besucher der Salzburger Festspiele "Heuchler" und "Inzuchtpartie" nannte. Und später feststellen musste, dass sich die blaue Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek ebenfalls zur "Inzuchtpartie" gesellt hatte. In Salzburg ist eben jedermann Jedermann, selbst eine Jederfrau.

Das ist sicher nur ein Schreibfehler,  "Euer Willi geschehe", sollte hier stehen
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Helmut Graf

Ob die "SPÖ neu" ein Ritt ins Glück wird, lässt sich noch nicht sagen. Ein Robin Hood an der Spitze einer Rebellengruppe, die eine Schneise durch Löwelwood Forest schlägt, das kann zu einem Ergebnis deutlich über 20 Prozent führen, aber auch zu einem schmerzlichen Absturz unter den symbolträchtigen Grenzwert. Am schlimmsten wäre für die SPÖ irgendwas mittendrin. Dann müssten vermutlich wieder ein paar Briefe geschrieben werden.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Ab Dienstag gibt es die Kopfnüsse bis zum 29. September – und vielleicht ein paar Tage darüber hinaus – täglich, also zumindest fast. Keine Sorge, die Wahl-Kopfnüsse werden deutlich kürzer ausfallen, es ist nicht nötig, sich extra dafür frei zu nehmen. Es wird die Texte auch als Podcast geben, meine Stimme ist zu hören, aber auch wieder nicht. Ich habe mich nämlich klonen lassen.

Es ist ein Versuch, ein bisschen verrückt, eine Spielerei mit der Zukunft und mit dem Teufel. Über einen längeren Zeitraum wurde eine KI darauf trainiert, so zu klingen wie ich. Jetzt nimmt sie meine Texte und wandelt sie innerhalb von ein paar Minuten automatisch in einen Podcast um, ohne dass ich ein Wort dafür aufsagen muss. Ich erzähle Ihnen bei Gelegenheit mehr davon, aber ich klinge mittlerweile so echt, dass ich manchmal nicht mehr weiß, ob ich die KI bin oder die KI ich.

Das hat mich fast mehr verblüfft als die Reaktionen aus der SPÖ.

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