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Wahlkampf-Tollhaus SPÖ: Jetzt ist guter Rot teuer

Das Protokoll von 72 denkwürdigen Stunden: Wie die SPÖ Klaustrophobie bekam. Warum Doris Bures einen Brandbrief gegen die eigene Parteiführung schrieb. Und was die Konsequenzen sind.

Allzweckwaffe Taschentuch: Bei der SPÖ braucht man Mehrlagiges derzeit zum Schweißabwischen und zum Trocknen von Tränen, auch solche der Wut
Allzweckwaffe Taschentuch: Bei der SPÖ braucht man Mehrlagiges derzeit zum Schweißabwischen und zum Trocknen von Tränen, auch solche der Wut
Helmut Graf
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In den recht vielen Telefonaten, die ich in den letzten Tagen führen durfte, hat mich eine Erkenntnis am meisten verblüfft: Dass die SPÖ, die in den vergangenen 54 Jahren rund 40 Jahre den Bundeskanzler dieser Republik stellte, in den 16 Wahlen seit 1970 nicht weniger als 13 Mal Platz 1 erreichte, die nie schlechter platziert war als auf Platz 2 und die zu den staatstragenden Parteien des Landes gezählt wird. Dass diese SPÖ fünf Wochen vor der vielleicht entscheidendsten Wahl ihrer jüngeren Geschichte noch kein Programm* hat. Und die diesen Umstand nicht schamvoll verschweigt, sondern ihn an die große Glocke hängt.

Es sind rote Hofwochen. Der Spitzenkandidat tingelt mit dem Wohnmobil durch Österreich, schießt Interviews raus wie Tontauben, grätscht in jede Debatte, klopft Schultern, schüttelt händeringend Hände, fällt Halsenden um den Hals, tritt am Montag zum ORF-Sommergespräch am Traunsee an. Blank! Bis dahin wird das Präsidium der SPÖ die 62 Seiten, die den 13 Mitgliedern erst in dieser Woche vorgelegt wurden, nicht abgesegnet haben. SPÖ, lernen wir in diesen Tagen, das ist momentan weniger eine programmatische Bewegung, das ist eher so ein Art Gefühl.

Mit unseren Gefühlen wird momentan häufig gespielt, dazwischen gibt es aber auch diese seltenen Momente der Glückseligkeit. Ich bin zum Beispiel froh darüber, dass die Familie Putz gut aus Amerika zurückgekommen ist. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, ein paar der Werbefilme aus Hollywood und Las Vegas erweckten den Eindruck, Papa Putz und seine Hood würden sich in den USA so gar nicht wohlfühlen. Es tut gut, jetzt alle gut gelaunt in den XXXL-Möbelhäusern zu sehen. In bewegten Zeiten gibt das Beständige Kraft. Die Heimatleuchten bewerben jetzt wieder Heimatleuchten.

Time to say goodbye, aber stückweise: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger trat in Raten zurück
Time to say goodbye, aber stückweise: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger trat in Raten zurück
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In diesem beständigen Österreich gibt es momentan vieles doppelt. Zwei Klimapläne der Regierung, einer will dem Diesel alle Privilegien nehmen, der andere ihm alle Privilegien erhalten. Die SPÖ kennt zwei Aktienmärkte, einer macht die Reichen immer reicher, der andere die Armen immer ärmer, Pensionisten schickt er mindestens in die Mindestsicherung. In den Sommergesprächen waren offenbar zwei Herbert Kickl zu erleben, entnahm ich der Resonanz. Ein Kickl war verklemmt, der andere locker, der eine verhärmt, der andere ein lustiger Kampl. Der eine Kickl war staatstragend, der andere staatsgefährdend, der eine aggressiv, der andere samtpfötig, jedenfalls anders, aber gleich wie immer.

Der seltsame Vogel Sozialdemokratie aber hat nicht zwei, sondern gleich drei Flügel, und das mindestens. Auf einem Flügel sitzen die Wiener Pfadfinder, auf einem das Kombinat Babler, am dritten die Kampfgruppe Doskozil. Gestritten wurde in der SPÖ immer schon, aber vor Wahlen gab es lange ein ehernes Gesetz, es schrieb Geschlossenheit und Korpsgeist vor. Diesen Zustand will die SPÖ nun offenbar überwinden. Das bisserl Wahlkampf machen wir uns selbst, scheint die Devise. Den eigenen Heimatleuchten soll jetzt heimgeleuchtet werden.

Für die anderen Parteien sind die Sozialdemokraten aktueller Prägung ein Geschenk. Den politischen Gegner klein zu halten, mag große Gefühle auslösen, aber sie sind offenbar nichts im Vergleich zum Lustgewinn, der sich einstellt, wenn man die eigenen Leute vernichtet.

Michael Lindner (l), Landeschef der SPÖ Oberösterreich, geht Felix Eypeltauer (Neos) auf die Socken
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Die aktuelle Vernichtung der eigenen Existenz nahm am Dienstag um Punkt 12.59 Uhr ihren Lauf. Da schickte Peter Grubmüller, Kulturchef der "Oberösterreichischen Nachrichten", ein E-Mail an vier Personen: den Linzer SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger, dessen Pressesprecherin Andrea Martinovic, Ex-Intendant Dietmar Kerschbaum und dessen Anwalt Bernhard Steinbüchler. Grubmüller war zeitlich knapp davor ein Chatverlauf zugegangen, der einen Verdacht bestätigte, den er schon lange hegte: Bei der Bestellung eines der respektabelsten Kulturjobs im Land war es nicht mit rechten Dingen zugegangen und nun wusste er auch, wer dahintersteckte.

Der Kulturreporter recherchiert schon seit mehr als sieben Jahren in der Affäre um das Linzer Brucknerhaus und die Linzer Veranstaltungsgesellschaft (LIVA). Am 14. Februar 2017 war Dietmar Kerschbaum Leiter der Etablissements geworden. Er hatte sich in den Hearings hervorragend geschlagen, was nicht allein an seinem Geschick gelegen sein dürfte. Schon am 9. Februar 2017, also 5 Tage vor dem Hearing, waren ihm nämlich die Fragen der zwölfköpfigen Jury übermittelt worden, dazu einige weitere relevante Informationen. Wer der Gönner war, blieb lange unbekannt.

Nun aber war Grubmüller in den Besitz von Chats gelangt, die Ungeheuerliches belegten. Bürgermeister Luger selbst soll der geheimnisvolle Informant gewesen sein. Er hatte Kerschbaum die Fragen gesteckt, sich danach über die Vorgänge empört, das Kontrollamt mit einer Sonderprüfung beauftragt, die Wirtschaftsprüfungskanzlei KMPG eingeschaltet, Kerschbaum erst suspendiert und dann gefeuert. Auch Luger gab es also doppelt. Als Aufklärer, der ermitteln ließ – gegen einen Verräter, der er selbst war, wie man heute weiß.

Die seltsame Männerfreundschaft zwischen dem Bürgermeister und dem Intendanten war 2021 zerbrochen. Kerschbaum beklagte sich öffentlich darüber, die Politik immer um Geld anbetteln zu müssen, Luger schickte ihm daraufhin am 22. Jänner 2021 eine SMS: Er nehme "die Aussagen zur Kenntnis". Kerschbaum leitete die Kurznachricht prompt an die "Oberösterreichischen Nachrichten" weiter. Von da an war Halligalli. Der "Falter" berichtete im Frühjahr 2024 über den imperialen Führungsstil des Kulturmanagers. Zugeschanzte Aufträge, Nebengeschäfte, hohe Spesen, Dienstreisen, teure Autos, es war für jeden etwas dabei.

Welche Partei hat noch einmal ihre Zentrale in der Wiener Löwelstraße?
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Grubmüller setzte  den vier Mail-Empfängern am Dienstag eine Frist, bis 15 Uhr sollten sie seine Fragen beantworten, der Motivation halber legte er eine Abschrift der Chats bei. Als Erster meldete sich um 14 Uhr der Anwalt von Kerschbaum und bestätigte in einem halbstündigen Telefonat alle Vorwürfe. Die Sprecherin von Luger bat um Fristerstreckung bis 17 Uhr. Die Zeit wurde intensiv genutzt.

Um 17.04 Uhr bekam Grubmüller Post aus dem Rathaus, das Schreiben war ident mit der Presseaussendung, die zehn Minuten später verschickt werden sollte. Luger erklärte sich darin, zumindest ein bisschen: "Fehler gemacht." "Nicht okay." "Verzeihung." So trat er abends auch in der ZiB 1 vor die Kamera, es war sowieso die eigene. Aus Gründen der Einfachheit hatte sich der Linzer Bürgermeister bei seiner Stellungnahme zur Affäre von seinem Rathaus-Team filmen lassen, das Video verteilte er dann an die Medien.

Als der Wahlkampf in Linz eine neue Dynamik bekam, war Andreas Babler im Rahmen seiner "Herz und Hirn"-Tour in Kapfenberg unterwegs. Der aktuelle SPÖ-Vorsitzende hielt auf der Burg Oberkapfenberg gerade eine Rede, als sich mehrere Smartphones im Publikum zu Wort meldeten und eine interessante Geschichte zu erzählen hatten: der Linzer SPÖ-Bürgermeister sei der Lüge überführt worden. Es war der Beginn einer Höllenfahrt für die Sozialdemokratie, sie sollte 72 Stunden lang dauern.

Bühnenreif! Dietmar Kerschbaum soll als Intendant des Linzer Brucknerhauses einen recht feudalen Lebensstil geführt haben
Bühnenreif! Dietmar Kerschbaum soll als Intendant des Linzer Brucknerhauses einen recht feudalen Lebensstil geführt haben
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Knapp vor 17 Uhr an diesem Dienstag kamen die Vorgänge auch Michael Lindner zu Ohren. Der Landesparteichef der SPÖ Oberösterreich sollte in den kommenden Stunden eine zentrale Rolle in der Affäre einnehmen, als Troubleshooter, als Mittler zwischen der Bundespartei und dem Linzer Rathaus. Denn in all den Tagen gab es kein einziges direktes Telefonat zwischen Andreas Babler und Klaus Luger. Dass beide Seiten den Eindruck vermitteln, der jeweils andere sei schuld daran, versteht sich von selbst.

Es sei in Erinnerung gerufen: Luger wird in der SPÖ dem Flügel von Hans Peter Doskozil zugezählt. Vor der Kampfabstimmung in Linz am 3. Juni 2023 hatte er sich gegen Babler gestellt. Doskozil sei für ihn die Persönlichkeit, die die Partei am ehesten einen und erfolgreich in einen Nationalratswahlkampf führen könne, sagte der Linzer Stadtchef damals.

Es dauerte bis Mittwoch früh, ehe es Lindner gelang, Luger zu erreichen. Die beiden telefonierten lang miteinander, den gesamten restlichen Tag über liefen die Handymasten zwischen Linz und Wien heiß, auch Babler und Lindner telefonierten mehrmals miteinander. Die Linzer SPÖ war da gerade in Aufbruchstimmung. Die alljährliche Klausur in Langenlois, Niederösterreich, stand an, sie trug den etwas erhabenen Titel "Sommerakademie".

Im Lauf des späteren Vormittags checkten rund 40 Personen im Loisium Wine & Spa Hotel ein, die dreitägige Zusammenkunft vor Start der Herbstsaison ist eine langjährige Tradition. Die gesamte Gruppe wohnte im Veltlinerhaus, dem alten Bauteil des Loisiums, die Klausur begann nach dem gemeinsamen Mittagessen im neuen Trakt, dem Pinothaus, aber sie stand diesmal unter keinem guten Stern. Die Affäre um Luger war da noch keinen Tag alt, aber sie begann eine Eigendynamik zu entwickeln, die ersten spürten das.

Auch eine Variante: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger untersuchte Vorwürfe gegen sich selbst
Auch eine Variante: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger untersuchte Vorwürfe gegen sich selbst
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Am Abend sprach die Linzer SPÖ ihrem Bürgermeister in einer Krisensitzung in Langenlois "zu 100 Prozent" das Vertrauen aus, was historisch gesehen in bisher 100 Prozent der Fälle dazu geführt hat, dass wenige Stunden später die ersten umfielen und so war es auch diesmal. An der 100-Prozent-Abstimmung hatten sich auch nur 31 der rund 40 Teilnehmer beteiligt, aber das fiel unter den Tisch.

Allen in der SPÖ, außer Luger selbst und seinem engsten Umfeld, war zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass der Linzer Bürgermeister nicht zu halten sei. Luger gilt allerdings als eher stur, also begann seine scheibchenweise Demontage und die wiederum brachte andere Flügel der Partei in Aufruhr. Das sollte noch eine Rolle spielen.

Am Donnerstag telefonierten Luger und Lindner zeitig in der Früh erneut miteinander. Der Linzer Bürgermeister war da seit zwei Tagen auf Tauchstation, für keine Medien erreichbar, auch nicht für den Großteil seiner eigenen Partei. Er nahm Termine in Oberösterreich wahr, seine 100-Prozent-Parteipartie saß in Langenlois und es begann zu brodeln. Lindner machte Luger einen Vorschlag: "Lass dir die Sache durch den Kopf gehen, wenn du dich entschieden hast, dann gib mir ein Signal." Noch am Vormittag war es soweit. Luger war bereit, seine Parteifunktionen abzugeben. Kommuniziert wurde der Entschluss nicht.

Um 11 Uhr begann die Sitzung des SPÖ-Bundesparteipräsidiums. Das machtvolle Gremium besteht aus 13 Personen, das Treffen fand via Zoom statt und war für eine Stunde angesetzt. Nicht alle Geladenen schalteten sich zu, einige erst später, andere stiegen früher aus oder erst gar nicht ein. In den Gesprächen war die Affäre in Linz nur am Rande ein Thema, die Präsidiumsmitglieder erfuhren nicht, dass sich Luger schon zum Teilrückzug entschlossen hatte.

Im Nebenberuf ist Briefeschreiberin Doris Bures Zweite Nationalratspräsidentin
Im Nebenberuf ist Briefeschreiberin Doris Bures Zweite Nationalratspräsidentin
Helmut Graf

Die SPÖ-Spitze debattierte an diesem Tag via Zoom über den Wahlkampf, die Sitzung wurde bis 13 Uhr verlängert. Doris Bures, Zweite Nationalratspräsidentin und mächtigste Frau der Partei, verlieh ihrem Unmut über das Wahlprogramm Ausdruck. Es war dem Teilnehmerkreis schon vor Wochen versprochen worden, tatsächlich bekam die Gruppe den letzten Entwurf* erst am Mittwoch dieser Woche zugestellt. Das gehe so nicht, polterte Bures, sie kritisierte die Art der Erstellung und die damit einhergehende Intransparenz. Ihr Wort fand wenig Gehör. Das sollte sich noch rächen.

Knapp nach der Sitzung wurde Parteichef Andreas Babler von Oberösterreich darüber informiert, dass Luger seine Parteifunktionen zurücklegen werde. Er nahm rasch ein Video auf, das um 14.44 Uhr online ging und etwas verlangte, was schon beschlossen war, das aber mit markigen Worten.** "Ich fordere Klaus Luger auf, sofort und unverzüglich die Funktion als Vorsitzender der SPÖ Linz zurückzulegen", sagte Babler. "Ansonsten werde ich diesbezüglich ein Schiedsgericht in die Gänge bringen, weil so ein Verhalten in der SPÖ unentschuldbar ist."

Es war der zweite Vorfall an diesem Tag, der Doris Bures und ihr Umfeld auf die Palme brachte. Sie fanden, dass man mit einem Genossen in der Öffentlichkeit nicht so umzugehen hat, auch mehrere Landesparteien sahen das so. Und: Für das angedrohte Schiedsgericht fehlte Babler die nötige Freigabe durch das Parteipräsidium.

Staatstragend und staatsgefährdend gleichzeitig: FPÖ-Chef Herbert Kickl im Rahmen der Aufzeichnung der ORF-"Sommergespräche"
Staatstragend und staatsgefährdend gleichzeitig: FPÖ-Chef Herbert Kickl im Rahmen der Aufzeichnung der ORF-"Sommergespräche"
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Knapp vor 16 Uhr kam Luger dem Befehl des Parteivorsitzenden nach oder er vollzog, was er Stunden davor für sich selbst entschieden hatte, das kann man so oder so sehen. Dann fuhr er nach Langenlois zurück zu seiner Linzer SPÖ. Nachdem er im Loisium Wine & Spa Hotel angekommen war, bemerkte er, dass sich die Stimmung in seiner 100-Prozent-Partei gedreht hatte. Die Hundertprozentigen wollten ihn jetzt hundertprozentig los werden. Also entschloss er sich zum hundertprozentigen Rückzug.

In der Partei machte die Entscheidung schnell die Runde, gerechnet wurde damit, dass sich Luger noch am Donnerstagabend erklärt. Aber das passierte nicht. So erschienen sämtliche Morgenzeitungen mit dem überholten Bericht über den lediglichen Teilrückzug des Bürgermeisters. Im Loisium Wine & Spa Hotel war zu diesem Zeitpunkt immer noch "Sommerakademie", aber sehr akademisch ging es nicht mehr zu.

Die Klausur sollte laut Programm zu Mittag enden, aber schon um 9 Uhr früh rauschte Luger aus Langenlois ab, er war an diesem Tag nicht die Fröhlichkeit in Person. Um 12 Uhr gab er in Linz eine Pressekonferenz und erklärte seinen Abgang. Seinem Parteichef gab er im Abgang noch ein Ohrenreiberl mit. Für seine Entscheidung sei Babler irrelevant gewesen, sagte er. Die Bundespartei ließ es abperlen, sie lehnte sich zurück, die Affäre schien überstanden und Babler habe sich dabei als Macher in Stellung gebracht, leider ist die Disziplin immer noch nicht olympisch.

Einer der beiden Kickls springt bei der Programmpräsentation von der Bühne
Einer der beiden Kickls springt bei der Programmpräsentation von der Bühne
Helmut Graf

Die Einschätzung hatte einen Haken: sie war voreilig. Es war wie bei einem Tsunami, das Meer holte erst so richtig Schwung. Am Abend war in der Löwelstraße dann Land unter, in der "Krone" war ein Wutbrief von Doris Bures aufgetaucht, gerichtet an alle "Mitglieder des SPÖ-Bundesparteipräsidiums". Es ist eine subtile Abrechnung mit der aktuellen SPÖ-Führung, gespickt mit Vorwürfen, versehen mit wenig verhohlenem Spott. Wenn man das Schreiben mehrfach liest, dann schimmert aber auch Verzweiflung durch.

Das Mail von Bures ist mehr als ein Stimmungskiller. Hier passierte etwas von gewisser Einmaligkeit. Fünf Wochen vor der Nationalratswahl stellt eine der einflussreichsten Personen der SPÖ die Eignung des eigenen Spitzenkandidaten in Frage, sie nennt sein Programm, das es noch nicht einmal offiziell gibt,* "unernsthaft". Es erscheint nicht ganz klar, wie die SPÖ nun Wähler an sich binden will, wenn sie selbst voller Zweifel darüber scheint, ob sie in ihrer momentanen Verfasstheit zur Führung des Landes in der Lage ist. Sagen wir einmal so: Die Familie Putz hat es bei der Kommunikation einfacher.

Der SPÖ fehle es an "Glaubwürdigkeit", an "ernsthaftem gestalterischen Anspruch", an "Schwerpunktsetzung", an "Priorisierung", schreibt Bures. Man verliere sich "in relativ unbedeutenden Bereichen", sie nennt die Forderung, den Anteil der Bio-Imker von derzeit 3 auf 10 Prozent zu erhöhen, als Beispiel. "Die Schwerpunktsetzung auf zahllose Steuererhöhungen bei gleichzeitigen Forderungen nach zahlreichen kostenlosen staatlichen Leistungen könnte im Angesicht der von der ÖVP-Regierung verursachten schwierigen finanzpolitischen Lage der Republik den Verdacht der Unernsthaftigkeit entstehen lassen."

Ein Schiff wird kommen: Andreas Babler auf Wahlkampftour in Bad Goisern
Ein Schiff wird kommen: Andreas Babler auf Wahlkampftour in Bad Goisern
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Was mit Ernst verlangt war: Den Mitgliedern des Bundesparteivorstandes wurden 48 Stunden eingeräumt, um Änderungswünsche bekanntzugeben, am Freitag war Annahmeschluss. Dem Wahlprogramm fehle die "fundamentale demokratische Legitimation", kritisiert Bures. Was sie meint: Es handelt sich um eine Sammlung von Wünschen und Ideen, entstanden in Expertengruppen, ausgewählt von einem kleinen Kreis um Babler fernab vieler Mitglieder der SPÖ-Gremien. Ob die Vorschläge mit dem Parteiprogramm kompatibel sind, ist ungeklärt. Wie viel Geld sie kosten auch.

Die Verrätersuche läuft, aber sie läuft ins Leere. Statt sich dem Kampf gegen Herbert Kickl und Karl Nehammer zu widmen, übt die SPÖ die Innenschau. Wer immer das Schreiben an die "Krone" übermittelt hat, es ist irrelevant, zumindest für den Moment. Dass die SPÖ ihre ärgsten Feinde im eigenen Haus zu suchen hat, kann nur mehr die SPÖ selbst überraschen. Aber es wird schon kein Zufall sein. In den vergangenen Wochen waren in der Löwelstraße mehrere Brandbriefe relevanter Funktionäre eingegangen, beklagt wurde der chaotische Wahlkampf, die Nicht-Kommunikation, keiner erblickte das Licht der Öffentlichkeit, der von Bures schon. Abgeschickt um 15 Uhr, medial verwertet 7 Stunden später.

Er werde bald "deutliche Worte finden", sagte Babler am Samstag in Graz. Es sei nicht "lustig, welches Bild wir zum Teil in der Öffentlichkeit abgeben". Was jetzt? Droht er Bures auch per Instagram-Video mit einem Schiedsgericht? Aber vielleicht hat die SPÖ ja Glück und die Menschen wählen die Partei am 29. September wegen ihres Unterhaltungswerts.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. In vier Monaten kommt das Christkind, in den Supermärkten habe ich jetzt schon Weihnachts-Lebkuchen entdeckt. Es ist ein gutes Land. Die Familie Putz ist zurecht zurückgekehrt.

* Klarstellung 1: Im Text ist vom "letzten Entwurf" des Wahlprogramms und vom "Programm, das es noch nicht einmal offiziell gibt" die Rede. Die SPÖ wendet ein, den Gremien schon am 12. Juli eine erste Version übermittelt zu haben. Ab da seien "zahlreiche Rückmeldungen ... inhaltlich eingearbeitet und schriftlich geglättet worden". Das stimmt, steht aber in keinerlei Widerspruch zu meinem Text. Es gibt kein vom Bundesparteipräsidium abgesegnetes Wahlprogramm. Das ist ein Faktum. Selbst die SPÖ sagt, es werde erst "in den nächsten Tagen beschlossen".

** Klarstellung 2: Diese Version wurde mir von mehreren Quellen bestätigt. In der SPÖ kursiert auch die gegenteilige Erzählung, die ich der guten Ordnung halber hier anfüge. Demnach habe Babler bei der Produktion des Videos keine Kenntnis vom bevorstehenden Rücktritt Lugers gehabt. Offiziell möchte sich die SPÖ dazu nicht äußern, man wolle keine "internen Prozesse" kommunizieren.

Akt. Uhr
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