Experte redet Klartext
Budgetloch und Wirtschaftsflaute: "Da muss man ran"
WIFO-Chef Gabriel Felbermayr über das Wahlergebnis ("problematisch"), wo es Geld zu holen gibt (Klimabonus, Mineralölsteuer), ob ihm das Budgetdefizit Sorgen macht und warum er nicht Finanzminister werden will. Das Podcast-Interview.
Wie schlimm steht es um Österreichs Wirtschaft und um Österreichs Budget wirklich? Das fragen sich jetzt viele. Gabriel Felbermayr, Volkswirt, Professor an der Wirtschafts-Universität Wien und seit ziemlich genau drei Jahren Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), hat ein paar Antworten darauf. Nicht jede wird allen schmecken.
Felbermayr sitzt etwa im Beirat des Deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Und er hat gemeinsam mit Martin Braml ein Buch geschrieben, "Der Freihandel hat fertig" (Amalthea, 272 Seiten, 30 Euro), es erscheint dieser Tage. Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview. Gabriel Felbermayr über:
Warum sein Buch ein Hochwasseropfer wurde
Die Druckerei in Tschechien wurde überschwemmt, es hat sich ein bisschen verzögert
Gabriel Felbermayr im Podcast-Interview
Ob das eine Miniform der Globalisierung ist
Es zeigt jedenfalls, dass auch sehr kurze und sehr regionale Lieferketten unter Stress geraten können. Globalisierung würde ich jetzt nicht sagen.
Ob der Buchtitel "Der freie Handel hat fertig" provokant gemeint ist
Also wir meinen es schon ernst, wenn wir sagen, der Freihandel hat fertig. Jedenfalls die Doktrin, die über Jahrzehnte die Politik angetrieben hat, dass Freihandel per se und ohne Einschränkungen für alle und immer und unter allen Bedingungen gut und wünschenswert war.
Was der Grund dafür ist
Wir haben eine andere Welt vor uns, in der sicherheitspolitische Aspekte eine größere Rolle spielen. Und wenn man sich fürchten muss vor seinem Handelspartner, dann ist das Betreiben von Freihandel mit diesem Handelspartner nicht mehr ganz so leicht. Deswegen besinnen wir uns ein bisschen zurück zu den normalen Gängen der globalisierten Welt.
Ob er sich beim Wahlergebnis in Österreich gedacht hat: Das wird jetzt kompliziert?
Ja, doch. Ich war lang genug in Deutschland und ich betrachte auch die deutsche Situation mit hinreichend großer Sorge. Eine Dreierkoalition ist komplexer, das ist so. Eine Menage à Trois, in anderen Kontexten auch, hat ein bisschen Explosionsgefahr. Und die Herausforderungen, vor denen wir in Österreich stehen, die längste Rezessionszeit der Nachkriegszeit, eine ganz lange Latte an ungelösten Hausaufgaben, die erfordert jetzt mutiges und ambitioniertes Vorgehen. Daher finde ich das Wahlergebnis doch einigermaßen problematisch.
Wie er die Situation in Österreich mit einem Wort beschreiben würde
Schwierig.
Die miese Konjunkturprognose fünf Tage nach der Wahl. Ob er den Umut in der Bevölkerung darüber versteht
Sicher! Es ist klar, dass die Optik nicht ideal ist, aber wir haben einen sehr starren und Jahre im vorhinein festgelegten Kalender für unsere Prognosen. Das müssen wir auch, denn wir beliefern ja mit unseren Zahlen nicht durch die Medien, sondern auch internationale Organisationen, die Europäische Kommission, das Staatsministerium, und da war halt der 4. Oktober vorgesehen. Also da sind wir sauber. Aber klar, in einer Phase, wo sich die Zahlen verschlechtern, war es sicherlich nicht im Sinne der wahlkämpfenden Parteien in Regierungsverantwortung, Alarmismus zu betreiben. Aber die wussten natürlich Bescheid.
Warum sie Bescheid wussten
Wir machen seit der Corona-Zeit einen Wochenindikator für das BIP.
Der geht ans Finanzministerium, oder?
Der ist schon für die Öffentlichkeit, aber das Finanzministerium hat den ursprünglich beauftragt. Da sah man natürlich schon, dass der Aufschwung nicht kommt. Das sah man schon, dass die Pferde zwar an der vollen Tränke stehen, aber nicht trinken wollen. Die Löhne sind gestiegen, wie wir das vorhergesehen haben. Der Arbeitsmarkt steht relativ stabil da, so wie wir das vorhergesehen haben. Was man aus der Kombination der beiden Dinge erwarten würde, dass die Menschen konsumieren, das hat bisher nicht stattgefunden. Und das hat sich abgezeichnet.
Das Wifo rechnet heuer mit einem Budgetdefizit von 3,7 Prozent. Was die Konsequenzen sind
Dass wir gegenüber der Europäischen Kommission einen Plan präsentieren müssen, wie man die Vorgaben mittelfristig einhalten will.
Oder wir bekommen einen Plan …
Bis hin, wenn man gar nicht kooperieren will, zu Strafen. Die sind mittlerweile aber sehr klein geworden. Das ist schon alles relativ weich gewaschen.
Was dann das Problem ist
Es geht nicht nur darum, irgendwelche eigentlich willkürlichen Ziele Europas zu erfüllen, sondern es geht darum, dass wir mit hoher Sicherheit wissen, dass die nächste große Krise wieder kommen wird. Wir müssen danach trachten, dass wir genug Pulver im Trockenen haben, um bei der nächsten Krise kraftvoll agieren zu können. Deswegen ist es ein sehr dringliches Anliegen für uns selbst in Österreich, dass wir mittelfristig wieder schauen, dass die Finanzen in Ordnung sind. Ganz egal, was jetzt die Kommission von uns verlangt.
Warum uns ein hohes Budgetdifizit nicht wurscht sein kann
Es wäre wurscht in einem Land wie den USA, die verschulden sich in Dollar, sie drucken die Dollar selbst, die sind sozusagen unbankrottbar. Wir verschulden uns in Euro und haben die Euro-Druckerpresse nicht in unserer eigenen Hand. Das verkompliziert die Situation. Selbst wenn man mit der Druckerpresse jede Schuld immer bedienen könnte, bleibt immer das große Gespenst Inflation im Raum. Das heißt, es ist nicht gesund für eine Volkswirtschaft, wenn man allzu sehr auf Pump lebt.
Ob der Euro ein Fehler war
Nein! Aber was ein Fehler war, ist, dass wir die Konstruktion der Europäischen Währungsunion nicht vervollständigt haben. Da fehlt nämlich die Hälfte. Als in den 90er-Jahren die Generaldebatte über den Euro stattgefunden hat, da war ich Student, da stand in der amerikanischen Fachpresse: Euro, super, aber ihr müsst auch zumindest eine Schiene der Fiskalpolitik europäisieren. Ein EU-Budget von einem Prozent ist viel zu wenig, um eine europäische Fiskalkompetenz zu haben. Dazu bräuchte man viermal mehr Geld auf europäischer Ebene. Aber da gibt es überhaupt keine Bereitschaft. Die Hochschuldenländer, die hätten Interesse dran.
Es schaut eher nach einer Rückabwicklung des europäischen Gedankens aus ...
Ja! Heinrich Heine hat in seinem Pariser Exil gesagt: „Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Der hat wohl auf Deutschland geblickt, weil auch nichts weitergegangen ist.
Ob sich das auf Österreich übertragen lässt
Ja, oder auf die europäische Buchstaben-Suppe. Ich denke, dass wir irgendwann einmal sehr intensiv die europäische Integration vorantreiben müssen. Die Welt ist unsicherer, gefährlicher geworden. Wir haben große Ambitionen, wir wollen dekarbonisieren, ob das jetzt 2040, 2045 oder ein paar Jahre später sein wird, das spielt gar keine Rolle. Klar ist: Wenn wir nicht mehr CO2-intensiv von Wien nach, sage ich einmal, Lissabon fliegen, müssen wir Lissabon und Wien mit anderen Mitteln verbinden, möglicherweise mit Schieneninfrastruktur. Das heißt, wenn wir sagen Dekarbonisierung, dann müssen wir auch sagen Schieneninfrastruktur, und nicht nur ein bisschen zwischen Wien und Klagenfurt.
Wie stark ihn die Wirtschaftsentwicklung sorgt
Ja, schon. Es ist auch der Aufschwung im nächsten Jahr höchst unsicher. Und wir sehen in vielen Zeitreihen, dass schon seit 2010 der Wurm drin ist. Österreich hat seit 2010 systematisch höhere Inflationsraten als der Rest der Eurozone.
Wie Österreich sparen muss
Zunächst brauchen wir wirklich den Kassensturz.
Aber muss ein Land nicht auf Knopfdruck seine Finanzen parat haben?
Ja, ist auch so. Das muss man sich nicht als Prozess vorstellen, der Jahre verschlingt. Der Kassensturz gehört natürlich immer zu Beginn einer neuen Legislaturperiode gemacht, ganz egal, ob die Finanzen gerade unter Stress stehen oder nicht. Aber wir müssen uns wirklich ohne Scheuklappen fragen, wo stehen wir in Österreich? Wir müssen die Schieflagen einfach einmal zur Kenntnis nehmen und ich glaube nicht, dass das überall schon angekommen ist. Weil das in Wahrheit ja etwas Unangenehmes heißt, nämlich den Gürtel etwas enger zu schnallen.
Wo er als Finanzminister sparen würde
Dort, wo die Konjunkturschäden aus Einsparungen gering werden. Oder wo wir handwerklich schlechte Instrumente haben. Da fällt mir, ganz zuvor, der Klimabonus sein.
Was ihn am Klimabonus stört
Der ist aus mehreren Gründen nicht furchtbar klug. Wir haben eine Doppelkompensation. Es wird nicht wahrgenommen, dass ich den Klimabonus wegen der CO2-Bepreisung kriege. Außerdem ist er sozial nicht treffsicher. Da könnte man einsparen, bringt fast zwei Milliarden Euro.
Ob er den Klimabonus komplett abschaffen würde
Ich würde die soziale Staffelung so machen, dass mit einem Teil dieser freigeschaufelten Mittel in der Besteuerung etwas mehr gemacht wird. Ein Steuernachlass bei den niedrigen Einkommen.
Weil das die Konsumtreiber sind?
Genau.
Was geht noch?
Wo man sehr schnell einschreiten kann, ist sicherlich die Bildungskarenz. Das gute Ziel wird nicht erreicht. Die Großzügigkeit des Instruments kann man wahrscheinlich deutlich zurücknehmen.
Und was noch?
Da gibt es die lange Liste der klimaschädlichen Subventionen. Das sind teilweise direkte Zahlungen an Klimaverschmutzer. Die Mineralölsteuer ist keine Prozentsteuer, sondern das ist ein Betrag, so ungefähr 50 Cent. Den hat man seit 2011 nicht an die Inflationsentwicklung angepasst, aber die Preise insgesamt sind ungefähr 50 Prozent gestiegen. Würde man die Mineralölsteuer anpassen – nicht auf einen Schluck –, das wäre sehr viel. Aber da würde man wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro sehr schnell finden.
Ob man die Familienbeihilfe sozial staffeln sollte
Das ist ein schwierigeres Thema. Dazu kann man durchaus Argumente finden, aber da hätte man natürlich größere ideologische Brücken zu bauen. Ähnlich wie bei der Erbschaftssteuer, die am Ende relativ wenig bringt. Wenn wir das deutsche Modell in Österreich umsetzen, kann man das machen. Die Deutschen haben Elemente in der Besteuerung, damit die Unternehmen nicht geschädigt werden. Dann kommen 1,3 Milliarden Euro heraus nach den aktuellen Berechnungen. Das ist Geld, das man brauchen kann, aber die Polarisierung, die Beschädigung des Zusammenhalts, die daraus entstehende unschöne Diskussion, die würde man sich wahrscheinlich lieber sparen.
Ob wir nicht sehr rasch eine Regierung brauchen
Wir wünschen uns natürlich alle, dass eine neue Regierung mit einem ambitionierten und glaubwürdigen Regierungsprogramm übermorgen steht. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch und der Bundespräsident hat schon recht, dass die Verhandlungszeit auch gut investierte Zeit ist. Es bringt uns gar nichts, wenn wir jetzt ganz schnell eine Regierung haben, die schöne Schlagworte prägt.
Wie in Deutschland …
Fortschrittskoalition und was da alles gesagt wurde. Und dann schaut man in den Koalitionsvertrag und nichts war fest genug ausgemacht und jetzt sieht man, wie die Koalition dahinstrudelt.
Warum andere wachsen, wir nicht
Ausgleichende Gerechtigkeit. Wir hatten bis 2010 die niedrigere Inflation. Das bedeutet Wettbewerbsgewinn und bei den Südländern war es genau umgekehrt. Das Pendel hat sich gedreht. Die haben ihre Hausaufgaben einfach gemacht und wir nicht. Aber es ist ja nicht nur in Europa das Wachstum da, die USA wächst nach wie vor, China, viele Asien-Staaten, die höchsten Wachstumsraten sieht man in Thailand, Malaysia und so weiter.
Warum das auch gut für uns ist
Weil wir eine offene exportorientierte Volkswirtschaft sind. Das gibt es für das nächste Jahr die Hoffnung, dass wir exportgetrieben aus dem Konjunkturloch kommen. Das hat in der Vergangenheit immer wieder funktioniert.
Was wir tun müssen
Die großen Themen angehen. Eine neue Regierung muss sich über das Bildungssystem Gedanken machen. Über das Gesundheitssystem. Österreicher leben zwar lang, aber die letzten 30 Lebensjahre leben sie krank. Und deswegen haben wir auch die hohe Frühpensionierung. Das heißt, da muss man ran!
Warum er das Lieferkettengesetz kritisiert
Man kann Gesinnungsethik versus Verantwortungsethik dazu sagen. Man will das gute Gefühl, das Richtige zu machen. Lieferketten sollen kinderarbeitsfrei sein. Da würden wir alle unterschreiben. Der Konstruktionsfehler beim Lieferkettengesetz ist, dass man in einem Liefernetzwerk jede Lieferbeziehung zum Gegenstand der Untersuchung macht, statt zu sagen, lass uns doch jeden Lieferanten überprüfen. Es gibt sehr viel weniger Lieferanten als Lieferbeziehungen. Und deswegen hätte man, ohne den Spirit des Gesetzes zu verändern, mit weniger Aufwand, weniger Bürokratie ein Gesetz schreiben können, das wahrscheinlich effektiver ist und gegen das der Widerstand nicht so hoch ist.
Ob es noch ein Beispiel dafür gibt
Es ist bei der Entwaldungsrichtlinie ähnlich. Natürlich wollen wir, dass die Regenwälder geschützt werden. Wer will das nicht? Ich habe noch niemanden getroffen, der gesagt hat, lass uns das alles möglichst schnell abbrennen. Die Frage ist, wie macht man das vernünftig? Auch das wird jetzt ausgesetzt, weil die Länder des globalen Südens nicht mitspielen. Sie sagen, ihr mit euren Vorschriften und eurem moralischen Zeigefinger, ihr beeindruckt uns nicht mehr.
Was er von den EU-Sonderzöllen auf E-Autos aus China hält
Ich hätte am liebsten eine Welt, in der wir keine Zölle haben. Ich möchte aber auch eine Welt, in der die Regeln, die wir haben, eingehalten werden. Und wenn es aktenkundig ist, dass in China die Elektro-Autoindustrie mit allen möglichen, EU-rechtswidrigen Subventionen unterstützt wird, dann müssen wir handeln.
Ob er Finanzminister werden will
Nein, das sage ich seit Jahren.
Warum nicht?
Weil ich Wissenschaftler bin und bleiben möchte. Eine Freundin in Hessen war Staatssekretärin, drei Monate lang, dann wurden sie rausgeworfen. Also die Erfahrungen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Regierungsgeschäft haben, sind eher nicht so toll. Entweder man kriegt nichts gebacken oder die Episode ist sehr kurz und man hat sich dabei massiv verbrannt. Es ist nicht unbedingt furchtbar attraktiv.