Tagebuch einer pandemie

Corona-Kopfnüsse 2021, Kapitel 3: Haariger Start in die Freiheit

Die neue Folge, als Text und als Podcast: Wie der Schulunterricht zum Maskenball wurde, sich Kunden wegen Friseurterminen in die Haare gerieten und warum Tirol Richtung Wien rülpste.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Wolfgang Kofler
Newsflix Kopfnüsse
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26. Jänner 2021 Hoppla, die Regierung trägt illegale Masken
Nix ist es mit der Öffnung, jetzt schließen wir sogar unsere Gesichter weg und das radikal.

Wie endet so ein harter Lockdown eigentlich? Gibt es da ein Elfmeterschießen oder einen Countdown wie zu Silvester vor Mitternacht? Läutet die Pummerin oder meldet sich Sebastian Kurz im Fernsehen und sagt, er habe jetzt auch keine Lust mehr, "Alles Walzer"? Oder schickt er Hans Bürger vor? Am Montag konferierte die Regierung im Kanzleramt fünfeinhalb Stunden mit Experten, den Landeshauptleuten, der Opposition über die Lage. Ein greifbares Ergebnis erbrachten die Gespräche nicht. Anfang kommender Woche soll eine Entscheidung fallen, ob der Lockdown in die Verlängerung geht, verschärft oder abgemildert wird. Ich bitte darum, uns mitzuteilen, wie man den Unterschied erkennen kann, im Straßenbild jedenfalls momentan nicht.

Es ist ein Dilemma, eigentlich müsste man aufsperren und zusperren gleichzeitig. Der Gesundheitsminister nannte auf Puls 24 die Maßzahlen für Lockerungen. Es dürfe nicht mehr als 700 oder 800 Neuinfektionen pro Tag geben, die 7-Tages-Inzidenz müsste weit unter 100 liegen, der Reproduktionsfaktor unter 0,9. Seltsam, wie sich unser Leben nun an nackten Zahlenwerken entlanghantelt. In Deutschland ist die Rede davon, dass man die Zahl der Infizierten gegen null drücken müsste, um aus diesem ewigen Aufsperren und Zusperren herauszukommen.

Eine seriöse Prognose, wie schnell und stark sich die diversen Mutationen verbreiten, kann derzeit niemand geben, es ist weiter ein Blindflug, aber diese Reise mit ohne Sicht wollen immer weniger mitmachen. Wenn Österreichs Regierung also den Lockdown nächsten Montag verlängert (was sie aufgrund der Zahlen müsste), dann ist vielleicht schon zu viel Druck in der Turbine und die Maschine schmiert ab. Eventuell kommt man dann drauf: Ein Elferschießen wäre doch gar keine so schlechte Idee gewesen.

Von unseren Gesichtern ist derzeit nicht viel übrig, weil wir Maske tragen müssen, die aktuelle Modekollektion trägt den Arbeitstitel FFP2. Ich verstehe nicht, warum man sich nicht einen leicht fasslicheren Namen dafür ausgedacht hat, also warum die FFP2-Masken nicht "Gummi-Rudi" oder "zweilagiger Sebastian", eventuell auch "dichter Werner" heißen. In die jeweilige Verordnung könnte man schreiben, dass man ab jetzt beim Billa und beim Hofer und beim Spar und in der Straßenbahn und beim Arzt den "Gummi-Rudi" zu tragen habe, das merken sich die Menschen leicht. Supermarkt rein, "Gummi-Rudi" auf, fertig.

Von draußen, vom Walde komm ich her; ich muss euch sagen, Corona nervt sehr!
Von draußen, vom Walde komm ich her; ich muss euch sagen, Corona nervt sehr!
Helmut Graf

Der "Gummi-Rudi" wäre vielseitig verwendbar, auch in der Reklame, der Babyelefant geht uns ohnehin schon ein bisschen auf den Rüssel. Warum zieht man Rudolf Anschober nicht ein Fellkostüm über und dreht die Werbespots mit ihm? Es erscheint ohnehin überlegenswert, Anschober gleich einen ganzen Fernsehsender zu geben, "Gummi-Rudi" könnte also im "Rudi-TV" auftreten. Anschober hat im Jänner bisher neun Pressekonferenzen gegeben und der Monat ist noch nicht um. Er schläft im Interviewstudio der ZiB 2, frühstücken geht er ins Ö1-Morgenjournal. Anschober ist die Antwort der Politik auf Home-Schooling.

Nun ist es aber so, dass gutes Fernsehen das Unerklärbare erklärbar macht, das Gesundheitsministerium erreicht häufig das Gegenteil, es macht das Erklärbare unerklärbar. Seit die FFP2-Pflicht erlassen wurde, überschwemmen Masken das Land. Millionen wurden über die China-Route ins Land geschafft, sie tragen in der Regel die Aufschrift KN95 und so wirklich weiß man nicht, wie man mit KN95 umgehen soll. Taugen die was oder müssen die weg?

Das Gesundheitsministerium hält beides für richtig und offenbar entgegen aller Erwartungen im Haus verwirrt das die Menschen. Am ersten Tag, an dem wir verpflichtend FFP2 tragen sollten, fand sich auf der Webseite des Ministeriums gestern folgender Text: "Die Kennzeichnung KN95 ist ein Hinweis darauf, dass die Maske voraussichtlich einer nicht europäischen Norm für persönliche Schutzausrüstung entspricht. Wenn sie dieser Norm wirklich entsprechen, dann dürften diese Masken ähnlich gut sein wie die europäischen FFP2-Masken. Da sie jedoch keiner europäischen Norm unterliegen, gibt es dazu auch keine europäische Qualitätskontrolle. Sie sind also möglicherweise nicht getestet und sind daher rechtlich als simpler Mund-Nasen-Schutz zu beurteilen."

Wenn man sie nicht mehr braucht, die Maske bitte einfach über das Ohr abrollen
Wenn man sie nicht mehr braucht, die Maske bitte einfach über das Ohr abrollen
Helmut Graf

Das ist jetzt blöd, denn die Regierung selbst hatte viele KN95-Masken in China bestellt. Tausende Menschen, die gestern in die Supermärkte und in die Öffis ausrückten, trugen Mundnasenschutz mit dem Aufdruck KN95, den man aber offenkundig nicht mehr verwenden durfte, ohne eine Strafe zu riskieren. Selbst die Politik wusste es nicht besser. Der Kanzler ist häufig mit einer KN95-Maske zu sehen, im Parlament trug letzte Woche die halbe Belegschaft die China-Bomberln, Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, der neue Arbeitsminister Martin Kocher, die schwangere Integrationsministerin Susanne Raab, selbst Pamela Rendi-Wagner, sie geht in ihrer Solidarität mit Kurz jetzt gar weit.

Vielleicht taucht demnächst die Polizei im Kanzleramt auf oder die WEGA seilt sich besser gleich vom Dach ab und springt durchs geschlossene Fenster ins Kreiskyzimmer. Wenn Sebastian Kurz dort mit einer KN95-Maske sitzt und auf ganz unschuldig tut, dann sollten sich die Beamten davon nicht weiter beeindrucken lassen und die 25 Euro Strafe einkassieren. Zahlt er nicht, dann ab in den Häfn mit ihm. Während der Kanzler einsitzt, hätte "Gummi-Rudi" Anschober die zweite Luft Luft, um etwas Neues für uns auszuhecken. Gleichzeitig müsste er aber seinen Parteikumpel Werner Kogler aus dem Gefängnis boxen, denn der Vizekanzler schützte Mund und Nase zuletzt ebenfalls durch Polymerfasern aus Fernost.

Am Nachmittag rückte dann das Gesundheitsministerium zur Klarstellung aus, allen schwante Böses und tatsächlich stellte sich keine Enttäuschung ein. Die letzten beiden Sätze aus der Passage über die China-Masken wurden von der Webseite entfernt, sie seien "missverständlich formuliert" gewesen. Man präzisierte: KN95-Masken sollen nur verwendet werden, wenn sie in Europa geprüft worden sind. Merkmale: die Kennzeichnungen FFP2, CE oder EN.

Ich sehe ab heute Menschen vor mir, die ihre Masken drehen und wenden, innen nachschauen und außen und auf der Verpackung und nicht schlau werden aus den Aufdrucken. Wäre es nicht besser gewesen, alle untauglichen Masken einfach zu verbieten, sie gar nicht erst in den Handel bringen zu lassen, ehe man die Bevölkerung Mundschutz-Sudoko spielen lässt? Kühner Gedanke, ich weiß.

Wenn Sie diesen Aufdruck gelesen haben, dann ... kennen Sie sich auch nicht besser aus
Wenn Sie diesen Aufdruck gelesen haben, dann ... kennen Sie sich auch nicht besser aus
Picturedesk

27. Jänner 2021 Notwasserung für die "MS Österreich"
Das "virologische Quartett" gibt es nicht mehr so wirklich. Aber Nachfolger scharren in den Startlöchern.

Auch die drei Musketiere waren nur drei Musketiere, wenn ich alles richtig verstanden habe. Nun gibt es also das "ökonomische Terzett", Österreichs Business-Musketiere hatten am Dienstag ihren ersten Auftritt. Die ÖVP hat eine Spezialtruppe für den Wiederaufbau des Landes eingerichtet, sie besteht aus Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, Finanzminister Gernot Blümel und Arbeitsminister Martin Kocher, die Hoffnung auf viele gemeinsame Auftritte lebt.

Es gelang uns sogar die Trümmerfrau und die beiden Trümmermänner zu fotografieren, was gar nicht so leicht war, denn im Kanzleramt werden für Fotografen neuerdings 3-Minuten-Slots vergeben, also jeder darf drei Minuten rein, um abzudrücken, dann kommt der oder die Nächste dran. Sonst, so die Begründung, ließe sich der Abstand von einem Faßmann im Kongresssaal nicht ausreichend einhalten. Da aber gestern zu wenige Fotografen vor Ort waren, um 3-Minuten-Slots überhaupt erzeugen zu können, blieb uns genug Zeit, um das "ökonomische Terzett" digital stellig zu machen. Ich bin sicher, Sie wertschätzen das.

Finanzminister Gernot Blümel wird langsam ein Fall für die Haarpolizei
Finanzminister Gernot Blümel wird langsam ein Fall für die Haarpolizei
Helmut Graf

Blümel begann, er trug wieder türkise Socken, aber niemand nahm Notiz davon, seine Haarmatte dagegen fiel umso mehr auf, sie nimmt mittlerweile bedrohliche Züge an. Irgendwann bleibt er damit in einem Türstock hängen. Ich finde, Sebastian Kurz und Rudolf Anschober sollten den Lockdown recht zügig beenden, damit der Finanzminister wieder die Hilfe körpernaher Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. Vielleicht rasiert ihm der Friseur besser gleich eine Stoppelglatze, der fünfte Lockdown ist schneller da als man glaubt und kann länger dauern als man möchte. Solche Bilder von Blümel wollen wir jedenfalls nicht mehr sehen, man darf nicht vergessen, es schauen auch Kinder zu.

Der Finanzminister verglich uns mit ein paar anderen Ländern und stellte überraschend fest, dass wir bezüglich der Wirtschaftshilfen mehr oder weniger überall auf Platz 1 sind. Margarete Schramböck legte es dann eher nautisch an. Sie sprach davon, dass man "die MS Österreich zurück ins Wasser bringen" müsse, das aber wiederum nicht zu schnell. Es gelte eine "Vision für Österreich 2040" zu entwickeln. Ich muss sagen, meine Phantasie reicht an manchen Tagen derzeit nicht einmal bis übermorgen, aber vielleicht hilft es, wenn ich auch ein Schiff zu Wasser lasse.

Martin Kocher gab dann den Kapitän, sein Schiff hieß aber nicht Vision, sondern Titanic. Er legte die aktuellen Arbeitsmarktdaten vor und schnell nahm unsere "MS Österreich" nicht mehr Kurs 2040, sondern visierte den nächsten Eisberg an. Derzeit sind 534.256 Menschen arbeitslos gemeldet, 458.993 befinden sich in Kurzarbeit oder in Schulungen. Das Budget für Kurzarbeiten wird von fünf auf sieben Milliarden Euro aufgestockt. Österreichs Wirtschaft stürzte im Vorjahr um sieben Prozent ab, Deutschland schaffte ein Minus von fünf Prozent, Norwegen von zwei Prozent. Unsere Staatsverschuldung stieg von 70 auf 85 Prozent, jene von Schweden von 35 auf 40 Prozent. Visionen allein werden nicht reichen, um den Kahn wieder flott zu kriegen.

Hier werden bald wichtige Botschaften verkündet. Oder zumindest wiederholt.
Hier werden bald wichtige Botschaften verkündet. Oder zumindest wiederholt.
Helmut Graf

2. Februar 2021 Locken sorgen für Wickel
Die Regierung hat das Ende des Lockdowns fixiert. Am 8. Februar dürfen fast alle wieder öffnen, nur Lokale und Hotels nicht.

Die interessantesten Szenen wird die neue Normalität bei den Friseuren erzeugen. Am Montag können die Salons wieder aufsperren, man darf aber nur mit einem negativen Covid-Test rein, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Polizei soll das überprüfen und genau dieser Umstand könnte dem "Heiteren Bezirksgericht" in nächster Zeit einen gewissen Zulauf bescheren. Die Beamten gehen bald nicht mehr auf Streife, sondern haben "Lockerldienst", wenn sie jemandem Handschellen anlegen, dann heißt das auftoupieren.

Da es sich bei Frisiersalons um sensible Bereiche des öffentlichen Lebens handelt, wäre es eventuell besser, eine Sondereinheit zu gründen. Einzelne Angehörige der Truppe könnten undercover mit Decknamen agieren, etwa Long Bob oder Pixie Cut, auch Ómbre oder Messy Bun gingen. Als Rangabzeichen auf den Uniformen kämen Effilierscheren in Betracht, wahlweise in Bronze, Silber oder Gold. In Polizeiberichten von Long Bob oder Pixie Cut könnte stehen: "Wurde bei einem Pferdeschwanz ertappt." Oder: "Wurde dabei betreten, wie ihm gerade ein neuer Pilzkopf angemessen wurde".

Nicht nur uns stehen wegen der Corona-Politik die Haare zu Berge
Nicht nur uns stehen wegen der Corona-Politik die Haare zu Berge
Picturedesk

Es sind sicher Razzien geplant, Haare werden die neuen Teigtascherln. Die "Cobra" könnte beigezogen werden, ich hoffe auf ein sensibles Vorgehen, damit den Trockenhauben-Schützlingen nicht vor lauter Schreck die "Gala" und die "Bunte" aus der Hand fällt und sie nie mehr erfahren, ob der Zwist zwischen Meghan Markle und der bösen Queen-Schwiegermutter zu einem guten Ende findet und ob die Krankenschwester den Arzt schließlich doch bekommt.

Die Friseure sind grundsätzlich froh, dass sie wieder verzopft sein dürfen, die Bürokratie hätten sie sich halt weniger haarsträubend vorgestellt. Wer sich einen Platz bei einem Lockenentwickler gesichert hat, der muss nämlich neben dem Coronatest auch einen Personalausweis vorlegen, der von den jeweiligen Salonlöwen überprüft werden muss. Nicht auszudenken, wenn ein Toupierter den Friseur düpiert.

Schnelltests, die man daheim über den Kamm geschoren hat, sind fortan nicht föhn genug. Prompt detektierte die FPÖ gestern eine gefährliche Entwicklung. "Durch das Eintritts-Testen wird eine Zweiklassen-Gesellschaft geschaffen", warnte Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung. Ich finde das etwas an den Haaren herbeigezogen.

Auch beim Maskentragen muss auf Chic nicht verzichtet werden
Auch beim Maskentragen muss auf Chic nicht verzichtet werden
Helmut Graf

3. Februar 2021 "Karl, du kommst gleich dran"
Die Schultore gehen wieder auf, wenn auch nur einen Spalt. Und nicht für alle. Und sofort.

Der Dienstag begann mit einer knappen Dreiviertelstunde Distance Learning. Heinz Faßmann verriet jene Details zum Schulstart, die ihm selbst schon bekannt waren. Er hatte Karl Nehammer mitgebracht, der Innenminister ist zwar selbst von stattlicher Größe, neben dem Bildungsminister aber sah er aus, als wäre er mit dem großen Bruder zum Firmunterricht mitgegangen.

Gegen Ende der Pressekonferenz hin durften Journalisten wie immer Fragen stellen. Die überwiegende Zahl richtete sich wie erwartet an den Bildungsminister, was die Polizei tut, ist den meisten Menschen ohnehin klar. Also redete vor allem Faßmann, dem das mit der Zeit ein bisschen unangenehm wurde, also schaute er kurz zu Nehammer hin und sagte dann: "Karl, Du kommst gleich dran." Den Satz hört man vor der Pandemie in Klassenzimmern öfters, jetzt vielleicht bald wieder. Für die Schulen war der Auftritt von Faßmann und Nehammer so etwas wie ein Pre-Opening.

Ich finde es grundsätzlich gut, dass die Schulen wieder öffnen. Mein Jüngster, der in die sechste Klasse Gymnasium geht, ist seit 24. Oktober daheim, 107 Tage ohne Unterbrechung, ausgenommen ein paar Schularbeiten. Seine Schulkollegen haben vielleicht alle schon einen Bart, sind älter als ihre Lehrer, sprechen aber neuerdings schwer verständliche Dialekte. Im Vergleich zu dem, was Österreichs Schülerinnen und Schüler in den letzten Monaten durchlebten, hatte Robinson Crusoe relativ viele gesellschaftliche Verpflichtungen.

Hoit, do is a Spoit: Die Regierung vergibt nun 3-Minuten-Slots zum Fotografieren
Hoit, do is a Spoit: Die Regierung vergibt nun 3-Minuten-Slots zum Fotografieren
Helmut Graf

Leicht wird es auch jetzt nicht. Ein Schichtdienst kommt, mein Sohn ist in Team B, seine neue Schulzeit mit Präsenzunterricht beginnt also mit zwei Tagen Distance Learning. Man könnte natürlich den Unterricht, der für Team A in der Schule gehalten wird, via Notebook in die Jugendzimmer daheim übertragen, dann hätten alle was davon. Leider ist erst seit gestern Pandemie und die technische Ausstattung für den Fernunterricht konnte in der kurzen Zeit nicht beschafft werden. Also kommen zu den 107 Tagen daheim gleich einmal zwei weitere Tage dazu.

Dann aber geht es wirklich los. Alle Kinder werden getestet, ehe sie in die Klasse dürfen, wer sich weigert, wird heimgeschickt. Lehrerinnen und Lehrer allerdings nicht. Für sie gibt es keine Testpflicht, wer sich trotzdem testen lässt, bekommt aber ein Upgrade und muss im Schulhaus nur eine Stoffmaske tragen. Wer keine Lust aufs Testen hat, darf (oder muss) nicht heimgehen, sondern muss (oder darf) während des Unterrichts halt eine FFP2-Maske aufsetzen. Ich bin gespannt, ob Schnedlitz heute wieder von einer Zweiklassen-Gesellschaft spricht.

In der Volksschule und in der Unterstufe reicht auch bei Kindern eine Stoffmaske, die Kleineren dürfen sie im Sitzen abnehmen, die Größeren nicht. In der Oberstufe allerdings müssen die Teenager durchgehend FFP2 tragen, beim Reingehen, in der Pause, aber auch während des Unterrichts. Wie man so sechs Stunden lang den Ausführungen der Lehrerschaft (die, wie gesagt, meist "nur" mit Stoffmasken unterwegs ist) konzentriert folgen soll, ist mir schleierhaft. Das deutsche Robert Koch-Institut empfiehlt, FFP2-Masken nicht länger als 75 Minuten in einem fort zu tragen, danach ist eine mindestens 30 Minuten lange Pause nötig. Ich bin gespannt, wo die Kinder diese verbringen werden. Ich mutmaße, gemeinsam am Schulhof oder am Gang, maskenlos natürlich.

Sie zieht man doch über den Kopf an, oder? Mathematiker Niki Popper müht sich mit einer Maske ab
Sie zieht man doch über den Kopf an, oder? Mathematiker Niki Popper müht sich mit einer Maske ab
Helmut Graf

Werden die FFP2-Masken nass, etwa weil man schwitzt, bieten sie keinen Schutz mehr, sie müssen gewechselt werden. Bis vor kurzem galt die Empfehlung, die Masken 30 Minuten lang bei 65 bis 70 Grad trockener Hitze zu desinfizieren. Man hätte den Kindern also ganz einfach einen Backofen in die Schule mitgeben können. Den hätten sie sich in der Früh statt der Schultasche auf den Rücken geschnallt und das Problem wäre gelöst. In der Maskenpause hätten sie sich die benutzten FFP2-Prometten aufbacken und eventuell dazu gleich auch einen Zwetschgenkuchen ins Rohr schieben können.

Im Turnunterricht, den es nun wieder gibt, können die Masken abgenommen werden, Kontaktsport ist nicht erlaubt, es geht also nur Kegeln, Orientierungslauf und Bogenschießen. Tennis theoretisch ebenso, die Tennishallen aber müssen weiter geschlossen halten. Auch Musikunterricht ist wieder möglich, Singen allerdings verboten, einige Komponisten werden am Wiener Zentralfriedhof wieder ruhiger schlafen.

Verstehen wir, uns gehen die Masken auch auf den Hammer
Verstehen wir, uns gehen die Masken auch auf den Hammer
Helmut Graf

Es wurde schon auch einiges gemacht für die Schulen, ich will nicht nur lästern. 20 Millionen "Nasenbohrer-Tests" sind bestellt, berichtete Bildungsminister Heinz Faßmann am Dienstag, kein Land in Europa biete in den Schulen mehr Schutz. Ich könnte nun einwenden, dass es auch in keinem Land in Europa mehr Nasenbohrer gibt als bei uns, aber wissenschaftlich ist die Feststellung nicht ausreichend abgesichert und schutzlos mag ich mich einer etwaigen Kritik nicht aussetzen, auch nicht von Nasenbohrern.

Ich hätte da trotzdem ein paar Vorschläge, mit denen man das Leben aller etwas leichter machen hätte können. Plexiglas am Lehrertisch etwa, einige Pädagogen haben ja eine etwas feuchte Aussprache und Aerosole sind die wirklichen Treiber der Pandemie. Warum ist etwas im Parlament möglich, aber in keiner Schule vorgesehen? Ich hätte die Schulstunden für mehr Pausen gekürzt, den Unterrichtsstoff gestrafft, die Schularbeiten ausgesetzt, um mehr Milde für Noten nicht gebeten, sondern sie verordnet, vor allem jetzt, wo es positiv ist, wenn man negativ ist. Für schlechte Schüler hätte ich so viel Förderstunden angesetzt, wie ich nur kriegen könnte, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.

Ich hätte Räume zugemietet, den Unterrichtsbeginn gestaffelt und das Ende auch, mit den Öffi-Betreibern hätte ich mich dazu abgesprochen. So aber werden am Montag wieder Tausende Kinder zur selben Zeit am selben Ort sein. Ich hätte vielleicht sogar etwas Ketzerisches gewagt, den Schulen nämlich jene Autonomie zugestanden, die sie sonst nur am Papier haben, die Leute an den jeweiligen Standorten wissen in der Regel nämlich sehr gut, was am besten ist. Jedenfalls hätte ich ein Notstands-Bildungsprogramm aus dem Boden gestampft, Lücken ermittelt und gestopft, was geht. Ich bin aber nicht Unterrichtsminister und das ist ein Segen für mich, mehr noch allerdings für das Land.

Mahlzeit! Der erste Tag nach dem Lockdown im Tiergarten Schönbrunn
Mahlzeit! Der erste Tag nach dem Lockdown im Tiergarten Schönbrunn
Helmut Graf

8. Februar 2021 Kurz geheim bei Alice Cooper
Auch ein Kanzler muss hin und wieder zum Friseur. In seinem Fall erfährt davon aber die gesamte Nation.

Der Kanzler kam knapp vor der Sperrstunde. Fast schon aus dem Halbdunkel heraus, betrat er gegen 18 Uhr das "Haus zur schwarzen Bürste" am Wiener Judenplatz und landete mitten im alten Rom, so schnell kann das manchmal gehen. "Das Haus zur schwarzen Bürste" ist kein Ort, an dem Orgien gefeiert werden, wenn man das Waschen von Haaren nicht dazuzählt, sondern der Frisiersalon von Josef Winkler, nach eigenem Bekunden "Starfigaro". Der "Starfigaro" sieht eher aus wie Alice Cooper, die Frisur lässt den Schluss zur, dass er auf der richtigen Seite der Schere steht, oder eben genau auf der falschen, je nachdem.

Winkler hat seinen Salon in eine Art Amphitheater verwandelt. An den grellpastelligen Wänden hängen Abbildungen aus Pompeji, dazwischen sind Schwerter platziert, ein paar goldene Büsten gibt es und Säulen, die recht wahllos herumstehen, die alten Römer sollen es ebenso gehalten haben. Auch Bücher aus der Zeit des Imperiums liegen auf, allerdings in Übersetzung, nicht in Küchenlatein. Gernot Blümel dürfte das schade finden, er würde sicher hin und wieder gern am Weg zur Arbeit am Balanceboard vorbeirollen, um ein bisschen in Ovid zu schmökern.

Winkler bietet in seinem "Haus zu schwarzen Bürste" das komplette Programm an, Hochsteckfrisuren für 57 Euro, Strähnen für bis zu 80 Euro, Wimpern kleben für 15 Euro. Auch ein "Gläschen des eigenen Weins gehört zum Spezial-Treatment", wie er auf seiner Webseite verrät. Als nun der Kanzler kam, um sich seine Hochsteckfigur abzuholen, trug der "Star-Figaro" FFP2-Maske. Viele Friseure hatten die Öffnung mit einem Schließtag begonnen, Montag ist immer zu, das ist so eine österreichische Tradition, Corona komme was wolle.

Winkler nicht, der sperrte auf. Sebastian Kurz hatte den Termin via SMS vereinbaren lassen. Ehe die Fantasie zu galoppieren beginnt, nein, er entschied sich nicht für ein komplettes Umstyling mit Dreadlocks oder Blondierung, jedes Haar klebt noch immer da, wo es vorher schon geklebt war, eingekürzt halt. 20 Minuten dauerte der Vorgang wie stets, Kurz zahlte wie gewohnt 39 Euro, die Höhe des Trinkgeldes ist geheimer als es die Impfverträge der EU sind.

Die Wege zum Glück sind oft verschlungen: Erster Einkaufstag am 8. Februar 2021 nach dem Lockdown im Wiener Donauzentrum
Die Wege zum Glück sind oft verschlungen: Erster Einkaufstag am 8. Februar 2021 nach dem Lockdown im Wiener Donauzentrum
Helmut Graf

10. Februar 2021 Ein Rülpser aus Wien macht Geschichte
Österreich sperrt auf, aber Tirol soll zumachen. Nach einem Polit-Gepolter einigen sich Land und Bund auf eine geschlossene Öffnung.

Zu den in Österreich am meisten unterschätzten sprachlichen Vermittlungsformen gehört das Rülpsen. Das ist ungerecht und schade, denn Rülpsen ist gesund, völkerverbindend und dient auch dem sozialen Ausgleich. Es ist zum Unterschied von "Oida" in sämtlichen Sprachen verständlich, fast alle Emotionen lassen sich gut damit ausdrücken. Es gibt das heitere Rülpsen, eine Art Gurrlaut, das drohende, dabei stößt man einen eher kurzen Ton aus, er kommt ganz aus der Tiefe. Man kann mit Rülpsen zur Unterhaltung beitragen, laue Abende retten, einer eher schon darniederliegenden Beziehung neue Qualität einhauchen.

Rülpsen kann auch ein gelungenes Essen abschließen, mit der kleinen Geste eines Bäuerchens lässt sich Gastgebern gegenüber Anerkennung für das Gebotene ausdrücken. Rülpsen eignet sich auch gut dazu, ein Geschäft abzuschließen. Jetzt, wo man sich nicht mehr die Hand geben darf, kann ein kurzer, gut hörbarer Aufstoßer am Ende von Verhandlungen die Funktion der digitalen Handy-Signatur übernehmen.

Franz the Seilbahn Hörl beschäftigt sich mit den Rülpsern aus Wien
Franz the Seilbahn Hörl beschäftigt sich mit den Rülpsern aus Wien
Helmut Graf

Montagabend war Franz "the Seilbahn" Hörl in "Tirol heute" zu Gast und er war an diesem Abend, wie man auf gut Tirolerisch sagt, "not amused". Wenige Stunden davor hatte die Bundesregierung das Schwert aus dem Schaft gezogen und es über Tirol niedergehen lassen. Eine Reisewarnung wurde ausgesprochen, in Seilbahnen sollte bald nur mehr einsteigen dürfen, wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann. Die Tiroler begannen sich zu fühlen wie Damokles, obwohl die Drohgebärde aus Wien rechtlich bindend war wie ein Rülpser. Die TV-Stunde von Franz "the Seilbahn" Hörl hatte geschlagen. Wer in diesem Land einer Gondel zu nahe kommt, muss zwangsweise damit rechnen, gegen den Multifunktionär und Nationalrat zu prallen.

Die Reisewarnung machte Hörl so richtig grantig. "Ich betrachte das als äußerst unfreundlichen Akt und ich werde mir das sehr wohl erklären lassen," sagte er. Von wem, ließ er leider offen, aber "erklären" klang nicht so, wie man sich "erklären" gemeinhin sonst vorstellt. Rudolf Anschober muss sich ein paar Sorgen mehr machen, obwohl Hörl andere Prioritäten hat. "Die Deutschen und die Holländer sind ja viel wichtiger für uns", sagte Hörl in "Tirol heute", das seien "die Hauptmärkte" und ihre Meinung "viel entscheidender, wie wenn Wien einen Rülpser tut".

Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Bundeshauptstadt zwar kein Rülpser getan, aber es hätte ganz gut gepasst. Was sich nämlich in den 48 Stunden von Sonntagnachmittag bis Dienstag, 14.30 Uhr, hinter den Kulissen abspielte, war eine politische Groteske, wie sie sich selbst in einem mit diesem Genre reich gesegneten Land wie Österreich selten ereignet. Über die Medien wurde Kraftmeierei betrieben, Tirol schimpfte auf Wien, Wien schimpfte auf Tirol. Abseits der Scheinwerfer ging man aber sehr freundschaftlich miteinander um, es gab keinen Streit, kein lautes Wort, kein Türknallen, kein abrupt beendetes Telefonat. Nicht einmal einen unfreundlichen Rülpser.

Irgendwo da wird bald ein Expertengespräch sein
Irgendwo da wird bald ein Expertengespräch sein
Helmut Graf

Die Lage hatte sich gegen Wochenende hin zugespitzt. Nach Plänen der Regierung sollte am Montag in Österreich vieles wieder aufsperren dürfen, von den Geschäften bis zu den Friseuren, auch in Tirol, dort aber war die Lage besorgniserregend. Die offenbar gefährliche, vor allem aber ansteckendere "Südafrika-Mutante" von Corona breitete sich aus. Dorothee von Laer, Virologin an der MedUni Innsbruck, warnte vor einem "zweiten Ischgl", kritisierte das Krisenmanagement und empfahl, das Land einen Monat lang zuzusperren. Das kam einem Landesverrat gleich.

Am Sonntagnachmittag telefonierten Anschober und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) per Video miteinander. Wie schon bei Ischgl sah Tirol die Wiener als Feind an, der ihnen Böses wolle. Hektische Verhandlungen setzten ein, die bis 2 Uhr früh dauerten. Platter wird Anschober dabei wohl ein bisschen was "erklärt" haben und Anschober ein bisschen was Platter.

Am Montag sperrten österreichweit die Geschäfte auf, auch in Tirol. Eine absurde Situation, das wird auch Innsbruck schnell klar. Man gesteht ein, sich bei den Zahlen leicht geirrt zu haben. Es gibt zu diesem Zeitpunkt nicht acht Verdachtsfälle auf die "Südafrika-Mutante", sondern tatsächlich bereits 293. Hastig paktiert die Landesregierung nun mit Wien eine Einigung, auch die Kommunikation festgelegt, Zeitpunkt, Inhalt, alles. Um 11.15 Uhr stellt Platter via Aussendung die mit Wien vereinbarten Regelungen vor, um 13.52 Uhr folgt die Bundesregierung. Aber nichts entwickelt sich so wie geplant.

In Tirol tut sich die Hölle auf. Viele fühlen sich von Wien bevormundet und artikulieren das auch. Das Land zieht den Schwanz ein, unternimmt nichts, um das windschiefe Bild zurechtzurücken, es tut im Gegenteil so, als gäbe es den Pakt mit dem Bund gar nicht. "Wir können vor allem warnen", sagt Landeschef Platter sogar gallig, "wir warnen vor Lawinen, wir warnen jetzt vor Tirolerinnen und Tirolern." Dienstag, zeitig in der Früh, telefoniert Kurz erneut mit Platter, der wirkt angeschlagen. Inzwischen gibt es 400 Verdachtsfälle der "Südafrika-Mutante". Um 8 Uhr einigen sich Platter und der Kanzler ein weiteres Mal: Tirol soll zur Sperrzone erklärt werden. Oder nicht.

Sog, Netrebko Anna, warum host du eigentlich ka Masken auf, wiiechaa?
Sog, Netrebko Anna, warum host du eigentlich ka Masken auf, wiiechaa?
Helmut Graf

Um 14 Uhr stellt die Bundesregierung die Maßnahmen vor. Sie klingen hart, sind es aber nur auf dem Papier. Ab Freitag darf man nur mehr mit einem negativen Corona-Test aus Tirol ausreisen, er darf nicht älter als 48 Stunden sein. Osttirol ist von der Maßnahme ausgenommen, obwohl die 7-Tages-Inzidenz dort zu den höchsten in Österreich zählt. Wer gegen die Testpflicht verstößt, muss mit Strafen von bis zu 1.450 Euro rechnen. Zehn Tage lang soll Tirol nun Sperrzone sein.

Eine wirkliche "Sperrzone" wird Tirol damit nicht. Die zahnlose Reisewarnung bleibt zwar aufrecht, aber einreisen kann ins "Heilige Land" weiter wer will. Ein paar Tage Ski fahren? Kein Problem, wenn man sich eine Unterkunft checken kann, etwa weil man sich als Arbeitssuchender oder Handlungsreisender ausgibt. Rein geht es ohne Probleme, raus mit einem Test auch.

Die Testpflicht in den Seilbahngondeln gilt noch nicht, sie werde erst rechtlich geprüft, heißt es. Vor allem aber: Die Maßnahmen kommen natürlich viel zu spät. In der vergangenen Woche waren Tausende Ostösterreich in Tirol auf Semesterurlaub, sie mussten bei der Rückkehr keinerlei Test machen. Nun sind in den übrigen Bundesländern Ferien, sie enden, wenn Tirol zur Sperrzone erklärt wird. Herrschaftszeiten!

Wie üblich war das Virus schneller als wir. Das zeigt sich ziemlich rasch, nicht nur in Tirol, sondern landesweit.

Zum Hören: Das 2. Corona-Tagebuch

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