Podcast-Interview
Haben wir die Kontrolle über unsere Schulen verloren?
Christian Klar ist Leiter einer Wiener "Brennpunktschule". Nun hat er ein Buch über seinen Alltag geschrieben. Es ist eine schonungslose Innenansicht, aber nicht ohne Hoffnung.
"Shaddy geht auf mich zu, nimmt zuerst das Telefon, das auf dem Tisch steht, wirft es aber auf den Tisch zurück, da es verkabelt ist. Dann nimmt er einen am Tisch stehenden, sehr massiven Tixohalter, der gleichzeitig als Briefbeschwerer dient, und wirft ihn in meine Richtung. Ich kann ausweichen, der Briefbeschwerer verfehlt mich knapp und fliegt mit lautem Knall gegen den Heizkörper hinter mir."
Anfang September beginnt in Ostösterreich wieder die Schule, der Rest des Landes folgt eine Woche später. Christian Klar arbeitet seit 36 Jahren im Schuldienst, seit zwölf Jahren leitet die Franz Jonas Europaschule in Wien, eine Mittelschule, nebenbei ist er Bezirksvorsteher-Stellvertreter der ÖVP in Floridsdorf. Nun hat er ein Buch geschrieben, es heißt "Was ist los an unseren Schulen?", es ist dieser Tage im Seifert Verlag erschienen und kostet 22 Euro. Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast. Christian Klar über:
Was ist denn los an unseren Schulen?
Es ist sehr, sehr schwierig an unseren Schulen, vor allem in den Ballungsräumen, vor allem in den Volksschulen und Mittelschulen und polytechnischen Schulen, aber bereits überschwappend auch in die AHS-Unterstufe und in die Höheren Schulen.
Warum er das Buch geschrieben hat
Ich habe mich in den letzten Jahren gern zur Situation in den Schulen zu Wort gemeldet und bin immer wieder gefragt worden: "Warum schreibst nicht einmal ein Buch?" Und irgendwann hat mich irgendwer erwischt und jetzt haben wir angefangen.
Wie er seine "Brennpunktschule" sieht
Also der korrekte Ausdruck ist "Schule mit besonderen Herausforderungen", aber das ist halt ein bisschen lang, daher verwendet man den üblichen Begriff Brennpunktschule, er beschreibt es ganz gut. Es geht großteils um Kinder, die einen enormen Rucksack haben, ganz egal wo sie herkommen. Es sind Kinder, die nicht bei den Eltern wohnen, die in Wohngemeinschaften wohnen, die im Krisenzentrum untergebracht sind, die mit ihrer Mutter im Frauenhaus wohnen. Das wirkt sich natürlich alles auch auf die Schule und auf das Verhalten aus und auf die Leistungsfähigkeit.
Was die sprachlichen Barrieren sind
Meine Schule hat wie viele andere Schulen in Ballungszentren einen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund von über 90 Prozent. In den letzten Jahren sind viele neu gekommen, die gar nicht Deutsch gesprochen haben. Ansonsten ist es in der Mittelschule so, dass man sich schon unterhalten kann auf Deutsch, das Schreiben und Lesen macht ein bisschen Probleme. In den Wiener Volksschulen ist es so, dass mehr als ein Drittel der Kinder, auch wenn sie in Wien geboren sind, kein Wort Deutsch sprechen, wenn sie mit der Schule beginnen.
Wie viele Kinder er betreut
Es sind rund 400 Kinder bei mir in der Schule.
Ob seine Schule der letzte Anker für Kinder in Wien ist
Grundsätzlich gibt es entsprechend der Sprengel Zuweisungen. Aber es ist schon so, dass sich anscheinend auch unter den Kollegen und Kolleginnen herumgesprochen hat, dass wir das ganz gut schaffen, dass auch ich das ganz gut schaffe und der eine oder andere Problemfall aus einer anderen Schule landet dann bei mir.
Ob er Hoffnung hat, dass sich am System Schule etwas ändert
Ja, absolut, deshalb habe ich das Buch geschrieben.
Worauf der Optimismus fußt
Ich habe drei Kinder, die haben auch schon Kinder. Ich bin in einer schönen Umgebung, in einer tollen Gesellschaft aufgewachsen. Und ich wünsche mir das auch für die nächsten Generationen. Dafür muss sich etwas tun, dafür muss sich etwas verändern. Wir entwickeln uns und zwar immer rasanter in eine andere Gesellschaft, in eine, die ich nicht möchte.
Warum die Probleme mit der Schule sehr früh beginnen
Viele Kinder, die in Wien aufwachsen, lernen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Ethnien gar nicht Deutsch, auch nicht im Kindergarten, weil sie ganz wenig hingehen. Das Problem ist die Schnittstelle. Kindergärten sind Länderkompetenz, Volksschulen gehören zum Bildungsministerium. Daten werden aus Datenschutzgründen nicht übertragen. Das heißt, wenn es ein schwieriges Kind, ein Kind mit Lernschwierigkeiten, mit verzögerter Entwicklung gibt, dann darf das der Kindergarten der Schule nicht mitteilen, wenn die Eltern die Erlaubnis nicht geben. Dort muss man wieder alle Prozesse neu beginnen.
Wieso das Geld für Förderung nicht ausreicht
Für ungefähr 20 Prozent eines Jahrganges in Wien wird ein sonderpädagogischer Förderbedarf benötigt, weil sie dem, was der Lehrstoff vorgibt, nicht folgen können. Wenn wir dann rechnen, in den Mittelschulen, also in der Sekundarstufe, geht die Hälfte ins Gymnasium, das wären dann 40 Prozent der Kinder in der Mittelschule, die sonderpädagogischen Förderbedarf brauchen würden. Der ist aber mit drei Prozent gedeckelt.
Warum so viel Hilfe nötig ist
Es gibt Familien, die gar nicht fördern, die wenig fördern und so mancher, der in die Volksschule eingeschult wird, erfüllt gar keine Einschulungskriterien. Also Schuhe binden, okay, da könnte man sagen, die haben eh einen Klettverschluss. Aber sich selbst anziehen, einen Stift halten, ich rede nicht von schreiben, zählen oder ansatzweise ein bisschen was rechnen können oder eine Vorstellungskraft von Zahlen haben, das fehlt alles bei der Einschulung.
Was die Folge ist
Das führt dazu, dass das Niveau sinkt, dass es Jahresverluste gibt, dazu kommen oft die fehlenden Deutschkenntnisse. Das ist etwas, was ich sehr stark kritisiere. Letzter Jahrgang, erste Klassen, da hatte ich um die 100 Kinder und mehr als 20 waren im siebenten persönlichen Schuljahr, also schon zwei Jahre älter als die anderen. Mitten in der Pubertät, ganz anders, körperlich stärker, was zu massiven sozialen Problemen in den Klassen geführt hat.
Viele Beispiele im Buch drehen sich um Migration. Welchen Lösungsansatz er hier sieht
Ein wichtiger Schritt ist, dass wir einfach selbstbewusster und stolzer auf unsere Kultur sind, auf unsere Lebensweise, auf das, was unsere Schulen leisten, und das auch dementsprechend selbstbewusst einfordern. Nicht einfach achselzuckend und traurig zur Kenntnis nehmen, das es halt niemanden interessiert.
Ob unsere Schulen außer Kontrolle sind
Ich führe ein strenges Regiment, ein Herr von der "Kronen Zeitung" hat mich einmal "Direktor Gnadenlos" genannt. Ich weiß nicht, ob ich stolz darauf sein soll, aber es beschreibt, dass ich meine Schule unter Kontrolle habe. Insgesamt sind viele Kinder und Jugendliche, ich will nicht von den Institutionen reden, tatsächlich außer Kontrolle und wir müssen sie unter Kontrolle bringen.
Ob wir von Migration reden, aber Religionen meinen
Es ist so, dass eine Religion zu viel Macht in der Schule und in der Gesellschaft ausübt. Und das ist der Islam. Das ist kein Urteil über alle Muslime, ich bin im Sportbereich, ich weiß nicht, in welchen Bereichen ich sonst noch überall muslimische Freunde habe, die total integriert in unserer Gesellschaft sind und in ihrer Religion auch nicht so tief drinnen. Aber wenn man die islamische Lehre als Moslem ernst nimmt, dann ist es durchaus eine Religion mit einigen Schwierigkeiten, um es vorsichtig auszudrücken. Und jeder, der sich so benimmt, wie wir es zuletzt erlebt haben beim Taylor-Swift-Konzert, der kann sich auf die Religion berufen.
Über seine Jahre als Lehrer in einer jüdischen Schule
Ich bin zwölf Jahre in einer jüdischen Schule gewesen und in einer Gesellschaft aufgewachsen, wo ich angenommen habe, Antisemitismus hat überhaupt keinen Platz. Den muslimischen Antisemitismus beachtet man überhaupt nicht. Damit, muss ich sagen, habe ich wirklich ein Problem. Ich möchte nicht, dass so eine Zeit wiederkommt.
Ob der Islam in der Schule immer mehr Platz einnimmt
Ja, gefühlt täglich mehr, das ist eine exponentielle Steigerung und umso schneller müssen wir eine rote Linie ziehen und eine Stopptaste drücken, weil sonst werden wir das nicht mehr einfangen können.
Ob er Kreuze in der Schule hängen hat
Irgendwann habe ich nachgeschaut und bin darauf gekommen, es hängen einige Kreuze, ich beachte das nicht. Manchen Lehrerinnen ist es wichtig. Jetzt überlege ich tatsächlich, ob ich aufgrund der aktuellen Situation wieder für jeden Raum ein Kreuz anschaffe und aufhänge.
Warum er das tun will
Dieser Hass auf andere Religionen ist wirklich ein Problem und er nimmt immer mehr Raum ein. Es gibt in dem Buch eine Geschichte, wo ein syrischer Bursche ein Kruzifix von der Wand genommen und am Boden geknallt hat, dass es zerbrochen ist.
Wie die Schulen reagieren sollten
Was ganz sicher rausgehört, sind all diese Begleiterscheinungen des Islam. Ich diskutiere auch nicht mehr. Ich verbiete es einfach, ob es Gebetsräume gibt, ob man am Freitag schon um zwölf Uhr schließt, damit man rechtzeitig in die Moschee kann. Wo ich nicht eingreifen kann, ohne Unterstützung des Staates, das sind Abaya und Niqab, wo mittlerweile bereits mehrere Hijab-Influencerinnen anfangen, ihr Kinn zu bedecken.
Wie er damit umgeht
Es gibt ein Verhüllungsverbot. Ich verlange, dass das Kinn frei ist, weil das Gesicht frei sein muss. Aber ich denke, das ist doch eine sehr, sehr kleine Forderung. Wir sollten da schon deutlich weiterkommen.
Wie sich die Bekleidung geändert hat
Vor ein paar Jahren haben wir noch überlegt: Wird das Mädchen vom Vater gezwungen, vom Bruder gezwungen, von den Freunden des Bruders? Jetzt sind das stolze junge Frauen, die ihre Abaya und ihr Niqab durch die Gänge tragen und das extrem geschminkt, was gar nicht dazu passt. Und wenn sie dann auf der Straße sind, tragen sie mitunter sogar Vollverschleierung, wo man nur das Gesicht sieht.
Ob er für eine Schuluniform ist
Ich wünsche mir das unbedingt. Halt einfach eine ordentliche, neutrale Kleidung. Wir haben so eine Kleiderordnung bei uns in der Hausordnung in der Schule. Religiöse Kleidung ist ausgenommen, weil da kann ich nichts machen, obwohl ich mir das wünschen würde. Aber wir haben ein Verbot von Jogginghosen, von Militärkleidung. Nach dem Motto: Was man anhat, das möchte man auch ausdrücken. Wer Militärkleidung trägt, möchte auch kämpfen, daher ist das verboten. Wir haben auch keine bauchfreien Mädchen. Nicht, weil sie das nicht tragen sollen, wir leben in einer liberalen Gesellschaft, aber weil es halt nicht zum Arbeitsplatz passt und mir ist es wichtig, den Schülern das Gefühl zu geben, die Schule ist ein Arbeitsplatz und nicht ein Spielplatz.
Wie oft die Polizei bei ihm in der Schule ist
Es ist ganz unterschiedlich. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend, aber es sind halt bis auf die überaltrigen Drittklassler und die Viertklassler, alle Kinder nicht strafmündig. Das heißt, auch die, die da mit Pistolen gekommen sind, hatten ein strenges Gespräch mit der Polizei und ein strenges Gespräch mit dem Jugendamt und sind dann wieder nach Hause gegangen.
Ob er für eine Herabsetzung der Strafmündigkeit ist
Absolut.
Auf welches Alter?
Ich würde sagen im ersten Schritt einmal auf 12 Jahre. Es muss Konsequenzen geben, es muss Möglichkeiten für die Schule, für die Gesellschaft, für den Staat geben, das zu sanktionieren.
Wie solche Sanktionen ausschauen könnten
Die Schweiz hat eine niedrigere Strafmündigkeit, es gibt Schulen für Problemfälle, die wohnen in den Schulen und die können auch nicht allein raus, also da gibt es eine zugesperrte Tür und sie nennen es trotzdem nicht Gefängnis.
Was anders in der Schule laufen müsste
Ich bin dafür, dass wir uns um die vielen Kinder kümmern, die gern lernen wollen, die eigentlich ein schönes Leben führen wollen. Was wir jetzt haben, ist Täterschutz vor Opferschutz. Immer wenn was passiert, dann redet keiner drum, wie es dem Opfer geht, sondern wir reden darüber, was machen wir jetzt mit dem Täter, wie geht's dem Täter, welchen Schulplatz geben wir ihm, die anderen müssen es halt aushalten. Jeder Elternteil übergibt uns das Kind und darf sich darauf verlassen, dass es sich wohlfühlt und in Sicherheit ist. Und das geht nur, wenn man bei den Tätern ansetzt.
Warum er für eine Deutschpflicht in den Pausen ist
Es hat Empfehlungscharakter, aber man kann seine Empfehlungen durchaus auch durchsetzen oder einfordern. Für mich hat es zwei Aspekte. Es ist eine Frage der Höflichkeit. Der zweite Punkt ist: Meine Tochter war ein Jahr mit einem Basketball-Stipendium in Amerika und dort hatte sie ausschließlich die Möglichkeit, Englisch reden. Seither spricht sie perfekt Englisch.
Was das für die Schulen in Österreich bedeutet
Ich glaube, man kann eine Sprache nur lernen, wenn man sie im Alltag verwendet, wenn man sie lebt, wenn man in dieser Sprache denkt. Wenn man fünf Stunden am Tag während dem Unterricht ein bisschen Deutsch auf sich einwirken lässt, wird man es niemals wirklich lernen.
Warum er am Ende des Buches ein paar positive Beispiele nennt
Es gibt einen Grundsatz: Schule funktioniert über Beziehung und ich glaube, da kann man schon sehr, sehr viel bewirken. Ich habe bei einem Klassentreffen einen ehemaligen Schüler getroffen und der hat mir erzählt: "Du hast immer gesagt, Rauchen ist ungesund und wegen dir bin ich Nichtraucher geblieben.". Es ist ein banales Beispiel, aber es zeigt etwas.