90 Mal tödlicher als Corona
Marburg-Virus: Muss ich mir deshalb jetzt Sorgen machen?
Kurz sah es so aus, als könnte mit dem Marburg-Virus das tödlichste aller Viren nach Europa zurückgekehrt sein, dann kam die Entwarnung. Doch ein mulmiges Gefühl bleibt. Wie groß die Gefahr wirklich ist, erklärt Österreichs führender Infektiologe.
Wie in einem Katastrophenfilm made in Hollywood kamen sich vergangenen Mittwoch die Passagiere eines ICE-Zuges am Bahnhof von Hamburg vor. Polizisten hinderten die gut 200 Fahrgäste am Aussteigen und separierten den Zug, Einsatzkräfte in Seuchenschutzanzügen durchstreiften die Waggons, alle Passagiere wurden befragt, Adressen und Kontaktdaten aufgenommen. Erst nach mehreren Stunden war der Spuk für die Passagiere vorbei - vorerst jedenfalls.
Infizierter Passagier an Bord? Hintergrund der gespenstischen Aktion: An Bord des Zuges waren auch ein 26-jähriger Medizinstudent und seine Freundin. Die beiden waren kurz zuvor, aus Ruanda kommend, in Frankfurt gelandet und in den ICE nach Hamburg gestiegen. Der junge Mann hatte in dem zentralafrikanischen Land im Rahmen seiner medizinischen Ausbildung Kontakt mit Personen, die mit dem brandgefährlichen Marburg-Virus infiziert waren – in Ruanda gibt es derzeit einen Ausbruch, bei dem bislang mehr als 30 Menschen mit dem gefährlichen Virus infiziert worden sind, 11 Menschen sind bereits gestorben. Es ist der schlimmste Marburg-Ausbruch seit Jahren.
Notfallplan ausgelöst Im Zug begann der Student an sich selbst grippeähnliche Symptome festzustellen, wie sie auch für einen Marburg-Ausbruch typisch sind. Er informierte seinen Arzt, der setzte den behördlichen Notfallplan in Gang. Die beiden Afrika-Reisenden wurden isoliert und in eine spezialisierte Klinik gebracht, sämtliche Passagiere, die möglicherweise Kontakt mit den beiden gehabt hatten, wurden befragt, ihre Daten aufgenommen, ehe sie den Zug verlassen durften.
Entwarnung am Donnerstag Am Donnerstagvormittag dann schließlich die erlösende Nachricht für alle Beteiligten: Weder der Student, noch seine Freundin, sind mit dem Marburg-Virus infiziert. Somit besteht auch nicht mehr die Gefahr, dass sich Mitreisende angesteckt haben könnten. Ende gut alles gut - zumindest dieses Mal.
Eines der tödlichsten Viren Das Marburg-Virus gehört mit ähnlichen Erregern (etwa Ebola, Dengue, Hanta) zu einer Gruppe von Viren, die allesamt sogenanntes hämorrhagisches Fieber auslösen, eine schwere infektiöse Fiebererkrankung, die mit teils massiven Blutungen einhergeht. Die Todesrate bei Menschen, die sich mit Marburg infizieren, liegt zwischen 25 und 90 Prozent. Zum Vergleich: Die Todesrate von Corona liegt bei unter 1 Prozent.
Mit Affen aus Afrika eingeschleppt Das Marburg-Virus wurde erstmals 1967 in der deutschen Stadt Marburg identifiziert, daher auch der Name. Dort – und kurz darauf auch in Frankfurt und Belgrad – war es in einem Labor zu schweren Erkrankungen von mehr als 30 Mitarbeitern gekommen, nachdem Affen als Versuchstiere aus Afrika angeliefert worden waren. Die Tiere hatten vermutlich das Virus in sich und übertrugen es auf die Menschen. Ursprünglicher Träger des Virus, das weiß man heute, sind in Höhlen lebende Fledermäuse, die von dem tödlichen Erreger nicht angegriffen werden. Die Affen hingegen starben auch – ebenso wie 7 Menschen, die den ersten und bislang einzigen Ausbruch von Marburg in Europa nicht überlebten.
Über 200 Tote bei einem Ausbruch Der bislang größte Ausbruch von Marburg ereignete sich im Jahr 2005, als sich in Angola mindestens 252 Menschen ansteckten, von denen 90 Prozent verstarben.
Lebensgefährliche Blutungen Die Symptome einer Marburg-Infektion beginnen plötzlich und ähneln zunächst teilweise jenen einer Virusgrippe: Hohes Fieber, starke Gliederschmerzen, Hautausschläge und blutiges Erbrechen gehören zu den Krankheitszeichen. Nach kurzer Zeit kommen noch einmal schwerwiegendere Krankheitsbilder dazu: Das hämorrhagische Fieber greift das Körpergewebe an, das Blut kann nicht mehr gerinnen, und Blutgefäße können undicht werden. Es kommt zu schweren Blutungen, auch im Inneren des Körpers, dazu kommen oft neurologische Symptome. Die meisten Patienten, die der Krankheit erliegen, sterben an einem Multiorganversagen.
"Der Markt für eine Schutzimpfung ist zu klein" Einer der profiliertesten Experten Österreichs für Viruserkrankungen generell und für Infektiologie und Tropenmedizin im Besonderen ist der Mediziner Christoph Steininger von der MedUni Wien. Er sagt, dass es grundsätzlich möglich wäre, eine Schutzimpfung gegen diese Art von Viren zu entwickeln – es jedoch an der entsprechenden Motivation seitens der Pharmaindustrie mangelt, da sich damit im Haupt-Einsatzgebiet Afrika nicht genügend Geld verdienen lasse.
Wie groß die Gefahr ist, in Österreich am Marburg-Virus zu erkranken und wie man sich am effektivsten dagegen schützen kann, erklärt Christoph Steininger im Newsflix-Interview:
Was macht das Marburg-Virus so gefährlich?
Das Marburg-Virus ist, ähnlich wie das Ebola-Virus, über Körperflüssigkeiten von infizierten Menschen leicht übertragbar und damit sehr, sehr infektiös. Es wird Gott sei Dank nicht über Tröpfchen übertragen, wie zum Beispiel Grippeviren. Trotzdem, wenn man infizierte Menschen berührt und deren Körperflüssigkeiten nahekommt, kann man sich sehr leicht infizieren. Dazu kommt, dass die meisten Verläufe sehr schwer sind und die Todesrate sehr hoch ist.
Was heißt in diesem Fall "sehr hoch"?
Die in der Literatur genannten Zahlen geben eine Mortalitätsrate von 25 bis 90 Prozent an. Die große Schwankungsbreite entsteht auch durch die Verfügbarkeit oder Nichtverfügbarkeit medizinischer Versorgung. In Zentralafrika, wo die meisten Fälle auftreten, ist die medizinische Versorgung ganz anders als in Europa, es gibt dort wenig, das man einer Infektion medizinisch entgegenhalten kann. Ich nehme an, dass die Mortalitätsraten sehr wahrscheinlich niedriger wären, wenn wir mehr Fälle in Europa hätten.
Was passiert, wenn das Virus in den menschlichen Körper gelangt?
Das Virus verteilt sich zuerst im ganzen Körper und vermehrt sich dort. Besonders häufig betroffen sind die Zellen, die die Blutgefäße auskleiden. Und das betrifft dann alle Organe. In milderen Fällen tritt die Infektion auf wie eine schwere Magen-Darm-Grippe oder wie eine schwere Virusgrippe. Bei schweren Fällen kann es zu hämorrhagischen Komplikationen kommen, sprich die Menschen bluten innerlich und äußerlich, weil diese Auskleidung der Blutgefäße nicht mehr dicht ist.
Das heißt, der Körper kann das Blut nicht mehr in den Bahnen halten, in denen es eigentlich fließen sollte?
Genau, und damit kommt es zu einem Austausch von Flüssigkeiten im Körper. Die Blutgefäße sind ja Barrieren, damit einerseits das Blut nicht ins Gewebe austritt und damit für die Zirkulation verloren geht, und andererseits Körper- oder Gewebeflüssigkeiten nicht in die Blutbahn gelangen, wodurch sie das Herz-Kreislauf-System überfordern würden. Und wenn eben diese auskleidenden Zellen in den Blutbahnen brüchig oder löchrig werden, kommt es zu einem unkontrollierten Austausch der Flüssigkeiten, was die Überlebens-Chancen gegen null senkt.
Wie groß ist die Gefahr, dass man sich ansteckt, wenn man in die Nähe eines mit dem Virus infizierten Menschen kommt?
Beim Kontakt mit infizierten Menschen braucht es viele Maßnahmen, um sich davor zu schützen. Man kennt diese Vollkörperanzüge aus Hollywood-Filmen – das schützt verlässlich vor einer Infektion. Am besten ist es überhaupt, keinen Kontakt zu infizierten Menschen zu haben, was für medizinisches Fachpersonal natürlich nicht möglich ist. Gerade bei den Ausbrüchen in Zentralafrika sieht man, dass sich sehr viele Menschen bei Bestattungsritualen infizieren. Dort ist es üblich, dass die Verstorbenen von den Angehörigen noch gewaschen werden, ehe man sie bestattet. Und bei diesen Ritualen infizieren sich dann oft ganze Dörfer.
Wie lange ist die Inkubationszeit?
Einige wenige Tage, in denen Menschen noch keine Symptome haben, aber kurz vor dem Ausbruch der Erkrankung schon infektiös, also ansteckend sind.
Der Student in Hamburg, bei dem es den Verdacht gab, dass er infiziert sein könnte – wäre man mit Körperflüssigkeiten dieses jungen Mannes in Berührung kommen, wäre die Gefahr relativ groß gewesen, dass man sich ansteckt …
Grundsätzlich ist das der Fall. Aber solche Fälle muss man sich im Detail ansehen. Infizierte Menschen, die schon sehr krank und damit auch sehr infektiös sind, werden wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage sein, die Flugreise anzutreten, geschweige denn dann auch noch eine Weiterreise hinter sich zu bringen.
Das heißt aber, eigentlich war die theoretische Chance, dass man sich bei diesem jungen Mann anstecken könnte, relativ gering.
Absolut. Menschen in Europa, bei denen ein Verdacht auf Marburg oder Ebola besteht, sind in der Regel nicht infiziert –eben aus diesem Grund. Aber es ist natürlich wichtig, dass die Behörden entsprechend sorgfältig reagieren. Und die Behörden in Deutschland haben das ganz ausgezeichnet gemacht. In solchen Fällen ist es wesentlich besser, man ist übervorsichtig als einmal zu nachlässig.
Wann gab es den letzten Marburg-Ausbruch in Europa?
Das Virus wurde erst einmal nachgewiesen, das war 1967 eben in der deutschen Stadt Marburg, daher auch der Name der Infektion. Dieser Marburg-Ausbruch 1967 entstand in einem Labor, wo Affen gehalten wurden und das Virus über einen dieser Affen eingeschleppt wurde. Es haben sich damals einige Labormitarbeiter infiziert und sind auch daran verstorben. Danach gab es meines Wissens keine Infektionen mehr. Es gibt aber ähnliche hämorrhagische Fieberviren, die in Südeuropa vorkommen, aber alle diese Infektionserkrankungen sind extrem selten.
Was damals in Marburg passiert ist, war eine dieser gefürchteten Zoonosen, also der Übertritt eines Virus von einem Tier auf einen Menschen, oder?
Ganz genau. Man weiß schon lange, dass Ebola und Marburg von Tieren kommen, konnte aber erst vor zehn Jahren herausfinden, dass es Fledermäuse sind, die hier als Zwischenwirte auftreten. Die Fledermäuse übertragen in der Regel die Virusinfektion auf andere Säugetiere wie Affen. Die Fledermäuse selbst erkranken nicht an der Infektion, geben das Virus aber weiter. Und kranke Affen oder andere Säugetiere können das dann an Menschen weitergeben, allerdings auch hier nur dann, wenn es da auch wieder zu einer starken Nähe kommt. Sprich die meisten Infektionserkrankungen laufen mitten im Dschungel und sehr kontrolliert ab, weil das sehr abgelegene Regionen sind.
Noch einmal zum Thema Infektion: Mittels welcher Körperflüssigkeiten kann das Virus übertragen werden?
In diesem Fall alle Körperflüssigkeiten. Natürlich Blut und Sekrete, das schließt aber auch Urin, Schweiß, Tränenflüssigkeit, Speichel, Vaginalflüssigkeit und Sperma mit ein.
Wie würde man in Europa gegen eine Marburg-Virusinfektion vorgehen?
Da gibt es ganz klare Notfallpläne, die eine Versorgungskette auslösen. Das beginnt schon am Punkt des ersten Kontaktes, wo Alarm ausgelöst wird. Es gibt dann spezialisierte Krankentransporte, die nicht nur entsprechend ausgerüstet sind mit Schutzanzügen und entsprechender Infrastruktur, sondern auch besonders geschult sind. Diese Schulungen werden in regelmäßigen Abstand wiederholt, damit das Training aufgefrischt wird. Und dann gibt es einige wenige hochspezialisierte Einrichtungen, die auf die Betreuung dieser möglichen Erkrankungen vorbereitet sind.
Aber die medizinische Betreuung ist auf die Symptom-Bekämpfung reduziert, da man gegen das Virus nichts tun kann, oder?
Es gibt einige wenige experimentelle Therapien, die sich langsam entwickeln. Es gibt einige Impfstoffe gegen Ebola, die aber noch nicht breiter eingesetzt werden. Also es tut sich ein bisschen was, ja. Aber die Haupttherapie ist symptomatisch, um die Komplikationen zu reduzieren. Aber auch das bewirkt schon sehr viel. Wenn die Blutgefäße löchrig werden, verliert der Körper sehr viel Flüssigkeit. Wenn diese Flüssigkeit ausreichend nachgeführt wird, die Elektrolyte korrigiert werden und der pH-Wert kontrolliert und korrigiert wird, dann hat der Körper mehr Chancen auf Selbstheilung und das Virus effektiv in Schach zu halten. Und damit schafft man eine Situation zugunsten des Patienten gegenüber der Virusinfektion.
Es gibt Meldungen über einen Impfstoff gegen Ebola und Marburg …
In der Corona-Pandemie gab es anfangs einzelne Impfstoffe, die eigens für Ebola entwickelt, evaluiert, getestet und zugelassen wurden und die wir auch gegen Corona getestet haben. Ich spreche da insbesondere von Vektor-Impfstoffen. Aber die Verfügbarkeit dieser Impfstoffe ist sehr schlecht. Meines Wissens hat nur das Militär mancher Staaten entsprechende Schutzimpfungen. Das grundsätzliche Problem ist hier, dass die Entwicklung einer Schutzimpfung gegen Ebola, Marburg und Co. kein gutes Geschäft ist und auch die WHO keine großen Mittel in die Hand genommen hat, um hier Schutzimpfungen zu entwickeln, was durchaus möglich wäre. Aber es ist einfach ein sehr, sehr kleiner Markt in einer Region, die nicht im Fokus der Europäer und Amerikaner liegt.
Stimmt der Eindruck, dass das Virus mit dem Menschen als Wirt nicht viel anfangen kann, weil er zu schnell stirbt?
Ja, ganz hart gesagt stimmt das. Das Interesse – unter Anführungszeichen – eines Virus ist es ja nie, seinen Wirt umzubringen. Denn die Viren sterben ja mit dem Wirt und damit enden ja auch sehr viele Ausbrüche, indem es keinen Kontakt mehr gibt und das Virus nicht mehr übertragen werden kann auf den nächsten Menschen. Grundsätzlich ist es in der Virus-Evolution so, dass je besser sich Viren an den Menschen angepasst haben, desto verträglicher werden sie für den Wirt. Und umso weniger Schaden richten sie an, weil sie ja letztlich von ihren Wirten abhängig sind.
Wenn ein Mensch eine Infektion mit Ebola, Marburg oder anderen Erregern von hämorrhagischem Fieber überlebt, bleiben Langzeitfolgen zurück?
Leider gibt es relativ häufig Langzeitfolgen, die sehr unterschiedlich sind. Von neurologischen Einschränkungen über Konzentrationsschwierigkeiten bis zu dem Fall, dass auch die Organsysteme des Menschen betroffen sein können. Etwa 10 Prozent aller Überlebenden leiden tatsächlich unter Langzeitfolgen nach solch einer Infektion.
Wie unterscheiden sich die einzelnen Arten von hämorrhagischen Fiebern voneinander?
Um eine Diagnose zu stellen, braucht man diagnostische Tests. Allein anhand der Symptome ist es in der Regel nicht möglich, dass man die Diagnose stellt und die eine Virusinfektion von der anderen unterscheidet. Was alle gemeinsam haben, ist die Löchrigkeit der Blutgefäße. Man kann die Viren allerdings nicht anhand dieser Eigenschaft unterscheiden. Aber am Ende des Tages ist es für den Patienten egal, ob der wegen Ebola, Marburg oder Dengue blutet und stirbt.
Wie hoch ist das Risiko, in Europa an Marburg oder einem ähnlichen Virus zu erkranken?
Verschwindend klein bis gleich null.