Kopfnüsse mit Podcast
Meine Sommerfrische 2024: Als Fremder im Fremdenverkehr
Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Oder nichts. Oder viel über das Nichts. Über meinen Urlaub in Österreich, Sommergespräche und Politiker, die mitten in die Ferienlaune hineinplatzten.
Können Fische schwitzen? Eigentlich nicht, dazu fehlen ihnen die Schweißdrüsen, aber ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung gebildet. Die Zahl meiner Begegnungen mit Forellen oder Saiblingen auf Augenhöhe blieb bisher überschaubar. Fische neigen zudem zu einer gewissen Einsilbigkeit und das auch abseits von Restauranttellern. Zu Diskursen, die einem die Schuppen von den Augen fallen lassen, scheinen die wenigsten fähig. Man hört selten Menschen vom Wirtshaustisch aufstehen und sagen: "Das war jetzt a scheene Laich."
So bin ich also auf Indizien angewiesen. Da in Drogeriemärkten aber für Fische kein spezielles Deo gegen Achselschweiß angeboten wird, gehe ich davon aus, dass sie sich bei Hitze anders zu helfen wissen und seit meinem Sommerurlaub weiß ich auch wie. Reisen bildet, selbst wenn es sich manchmal nur um Einbildung handelt. Es ist im übrigen einerlei, ob Fische schwitzen können, es wäre sowieso nicht zu bemerken. Wenn die Wasserspiegel durch die Klimaerwärmung steigen, werden Fische nicht dafür verantwortlich sein. Es tut gut, einmal jemanden als Schuldigen ausschließen zu können.
Sie werden aufgrund meiner merkwürdigen Einlassungen vielleicht zweierlei bemerkt haben: Es war recht warm in diesem Sommer und ich hatte ein paar merkwürdige Erlebnisse in einem merkwürdigen Land. Ich blieb also in Österreich, irgendwann im Leben will man sich schließlich auch was leisten. Österreich ist mir lieb und teuer, das Land nimmt das inzwischen leider wörtlich.
Weil ich hier blieb, konnte ich aus dem Augenwinkel heraus immer wieder einen Blick auf Medienerzeugnisse werfen. Ich vermeide das üblicherweise in Ferienzeiten so gut es geht, aber diesmal fühlte ich mich gut unterhalten. In einer journalistischen Ein-Sterne-Pension etwa las ich den Titel "E-Scooter nach Sturz in Lebensgefahr". Das verwirrte mich: Das Gerät? Nicht der Fahrer? Ich habe mitbekommen, dass sich die Unfälle mit den fliegenden Untertassen häufen, für mich als Fußgänger ist das keine Überraschung. In Wien schaut die Stadtregierung jetzt darauf, dass Bewohner nicht mehr so häufig ins offene Messer laufen. Die Schneid, etwas gegen die explodierende Zahl an Scooter-Rowdys zu unternehmen, hatte man leider noch nicht.
Dafür macht man sich nun offenbar Sorgen über die Gesundheit der Roller. Wenn das so weitergeht, wäre die Einrichtung eigener Spitalsabteilungen für zu Sturz gekommene Scooter ratsam. Beim Umbau des Lorenz Böhler-Krankenhauses sollte darauf Rücksicht genommen werden, etwa mit einem eigenen Gipszimmer, wenn der Lenker bricht. Im AKH könnte man E-Motoren intensivmedizinisch an Herz-Lungen-Maschinen anschließen, die MedUnis sollten das Studienfach Neuroscooterologie anbieten, nach der OP könnten die schweren Fälle in der Reha am Weißen Hof sachte mobilisiert werden. Damit sie die nächsten Spaziergänger richtig abräumen können.
Auch die "Kleine Zeitung" arbeitete in diesem Sommer an ihrem Rollerbild. Wegen einer Pensionierung, die in Österreich merkwürdig oft überraschend passiert, herrscht in der Kärntner Justiz derzeit offenbar eine Vakanz. Die "Kleine", von einer Furcht vor den Folgen erfasst, überschrieb den Artikel dazu so: "Jetzt leitet eine Frau die Staatsanwaltschaft Klagenfurt". Der Leserschaft musste aber nicht lange bange sein, in der Überzeile wurde nämlich Entwarnung gegeben. Es handle sich nur um eine "vorübergehende Lösung".
Auch als Fremder im heimischen Fremdenverkehr trifft man jetzt häufig auf vorübergehende Lösungen, die leider nicht vorübergehen. Ich war im Juli eine kurze Weile in der Steiermark, in Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg unterwegs. Es regnete immer wieder, dazwischen war es brütend heiß und schwül. Früher fuhr man in der wärmsten Jahreszeit aufs Land, um sich abzukühlen, da kommt der Name Sommerfrische auch her, jetzt funktioniert das nur mehr bedingt, aber Österreich ignoriert die Entwicklung trotzig. Beworben werden nicht die Kühle des Waldes, der Schlucht, des Bergstollens, sondern weiterhin Südterrasse und sonnige Lage.
Ich sage das ungern, aber ich war schon etwas konsterniert über den Zustand des Tourismus im Land. Ich kam durch seelenlose Dörfer, suchte Ortskerne, die es nicht gab, fand Umfahrungsstraßen, die von Umfahrungsstraßen umfahren wurden. Das Auto hat früher die Urlauber in die Provinz gebracht und den Wohlstand dazu, jetzt schwemmt es Kreuzfahrtschiff-Touristen ohne Kreuzfahrtschiff in die Orte hinein und gleich wieder hinaus.
Ich stand eine Zeitlang am Wasserfall in Bad Gastein und schaute, sonst tat ich weiter nichts, eine Szene wie aus "Der alte Mann und fast das Meer". Ich beobachtete, wie Menschen mit dem Mietwagen stehenblieben, sah Beifahrerinnen heraushüpfen, schnell ein Selfie schießen, einsteigen und weiter ging es zum nächsten Fotopoint. Urlauben heißt heute nicht mehr etwas zu sehen, sondern gesehen zu werden, vorrangig auf Instagram, dafür müssen die sozialen Medien dauerhaft bespült werden wie von einem Wasserfall.
Ich war vor rund fünfzig Jahren das erste Mal in Bad Gastein, ein Ausflug während eines Urlaubs in Mallnitz auf der anderen Seite des Berges. Den Geruch des Tauerntunnels habe ich heute noch in der Nase, das Farbenspiel des Wasserfalls war mir schnell wieder vertraut, auch die Symphonie der tosenden Fluten hatte ich noch im Ohr. Das alles bekommen die Kreuzfahrtschiff-Touristen ohne Kreuzfahrtschiff gar nicht mehr mit. Für sie ist Österreich ein Durchlaufposten, Bad Gastein könnte überall anders liegen, man müsste nur die Ortsschilder tauschen.
Ich mache das niemandem zum Vorwurf, es ist wie es ist, ich bin kein Priester, der sich selbst die Beichte abnimmt, aber ich sehe das Problem und die Folgen. Österreich wird nicht mehr besucht, sondern durchfahren. Auf der Anzeigentafel mit den Hotels und den freien Betten ein kleines Stück die Straße hinunter, leuchteten lauter grüne Lämpchen. Ich hätte in so gut wie jedes Hotel gehen und mir auf der Stelle ein Zimmer aussuchen können. Mitten in der zweiten Hochsaison des Jahres.
Das wundert mich nicht, es gibt erstaunlich viele Gegenden, auch abseits von Kärnten, in denen die Zeit stehengelieben zu sein scheint und das meint nicht immer etwas Gutes. Orte, die weitgehend aus einer Aneinanderreihung von Fremdenpensionen bestehen, aber du errätst nicht, warum du hier Urlaub machen solltest. Es ruft nichts nach dir, es gibt keine Idee, kein Konzept, schon gar keine Vision, die dich anspringt. Kein "Verweile doch! Du bist so schön!"
Die alten Herbergen sehen in die Jahre gekommen aus, dem Holz sieht man es am schnellsten an, es leidet stumm am Verfall mit. Es gibt kein Leben, die Jugend fehlt, ältere Menschen sitzen in Kaffeehäusern und warten auf die zweite Jause und danach auf den Sonnenuntergang.
Es wird ein harter Aufprall werden, wenn sich das alles einmal zu einem Trend verfestigt hat. Als ich schon wieder daheim war, kamen die aktuellen Tourismuszahlen. Österreich hält sich dem ersten Anschein nach passabel, aber Zuwächse gibt es nur ganz oben und ganz unten. Der gehobene Bereich legte im Mai um 15 Prozent zu, die Billigquartiere um 12 Prozent. Camping boomt, Ferienwohnungen boomen noch mehr, sie wurden gleich um 34 Prozent häufiger gebucht.
Die Mittelklasse fehlt, die einfachen Pensionen, die sich früher herausgeputzt haben, damit man sie sich leisten wollte, aber auch noch leisten konnte. Häuser, die das Ortsbild prägten und den Dörfern eine Identität gaben. Ich fürchte, es ist vielen Betroffenen nicht bewusst, welche Verschiebungen da momentan vor sich gehen, ein Schicksal, das der Tourismus mit dem Mediengeschäft teilt.
Gut gefüllt sind nur die Straßen, auch entlegene Gegenden bieten neuerdings Möglichkeiten zum Stauen. Der Verkehrsdienst im Radio erreicht die Länge des Hörbuchs von "Krieg und Frieden". Eine seltsame Vertrautheit stellt sich ein, wenn man längere Zeit im Auto verbringt. Alle halben Stunden hört man voneinander, die einen stehen auf der Tauernautobahn, die anderen vor dem Karawankentunnel, eine neue Form der Solidargemeinschaft entsteht. Vielleicht ändert das auch Grundsätzliches am Urlaubsverhalten, in ein paar Jahren verbringt man die gesamten Ferien im Stau, steigt an der Adria gar nicht erst aus, sondern erholt sich auf der Autobahn hin und zurück. Daheim klettert man aus dem Wagen, streckt sich und sagt: "Schön war's!"
Ein weiter Weg dorthin ist es nicht. Zell am See ist schon ganz gut vom Autoverkehr durchdrungen, aber an Bad Ischl reicht es nicht heran. Ich war an einem Samstag da und erlebte eine fast durchgehende Wagenkolonne um das Kongresshaus herum, ohne eine Kaiserkutsche darin zu erspähen. Es ging die Esplanade entlang, am Zauner vorbei, hinein in die Tänzlgasse, rechts in die Wiesingerstraße, dann die Wirerstraße hinauf bis zur Esplanade und dann alles wieder von vorne. Ab dem dritten Mal kennt man sich, nach dem sechsten Mal tauscht man Telefonnummern aus.
Es gibt schon auch viele wunderschöne Flecken im Land, das sei auch gesagt, an den Seen scheint es flüssiger zu laufen. Aber die Veränderung ist überall spürbar, ohne dass viel Notiz davon genommen wird. Als ich in Altaussee am Ufer entlangging, fiel mir ein A4-Zettel auf, der an einer Holzhütte angebracht war. "Kein Fischverkauf Mittwoch 17. 7. 1924 und Freitag 19. 7. 1924 wegen zu warmen Wasser", stand darauf. Der unbekannte Autor hatte sich im Jahrhundert vertan, etwas auch bei der Grammatik, aber das soll es nicht sein, worum es hier geht.
"Die schönste Sackgasse der Welt", nannte Friedrich Torberg einmal Altaussee und das zurecht. Das namensgebende Gewässer vor Ort gehört den Österreichischen Bundesforsten, die Fischereirechte aber liegen in der Hand von elf Familien und das nicht erst seit gestern, sondern seit rund 900 Jahren. Im See wird vor allem Saibling gefangen, lediglich rund 1.500 Stück pro Jahr, die Saison dauert nur drei Monate und endet im September. Theoretisch.
Aber der Altausseer See heizt sich immer weiter auf. Deswegen wurde die Fangsaison zunächst auf Mitte August verkürzt, dann auf Anfang August, heuer fuhren die Fischer erstmals nur mehr bis Mitte Juli auf den See hinaus. "Das Wasser ist einfach zu warm", sagt mir Otto Kalss, er ist das Sprachrohr der Fischervereinigung Altaussee, kein Mann der vielen Worte und auch niemand, von dem man glaubt, dass er sich am Wasser festklebt, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Aber er ist einer, der die Klimaerwärmung nicht abstrakt erlebt, sondern in echt, in Gummistiefeln. "Als wir aufgehört haben, hatte der See 22 Grad, jetzt sicherlich 25 Grad", sagt er. Die Saiblinge mögen es kühl, also tauchen sie immer früher Richtung Seegrund ab und das Fischen fällt buchstäblich ins Wasser.
Dieses ins Wasser fallen ist hoffentlich keine Metapher für unseren gesamten Sommertourismus. Aber wenn wir in ein paar Jahren nicht im Trüben fischen wollen, dann wird uns langsam was einfallen müssen, wie wir mit der neuen Klimasituation umgehen wollen. Österreich ist schön, hat coole und kühle Orte, daraus müssen wir etwas machen. Sonst sind wir schneller renaturiert als wir glauben.
Weil die Saiblinge am Seeboden herumgurken, verpassen sie die Sommergespräche, die ungeachtet der Temperaturen auch heuer wieder auf allen Kanälen stattfinden. Der alljährliche Versuch, das Sommerloch mit Luftlöchern zu stopfen, gehört inzwischen zum nationalen Weltkulturerbe. Ein definierter Personenkreis zieht über Wochen von TV-Studio zu TV-Studio, um Abend für Abend das weitgehend selbe zu sagen. Dieses weitgehend selbe wird unmittelbar im Nachgang mehrfach analysiert und danach in den diversen elektronischen Drucksorten mit mehr oder weniger Aufregung debattiert. Am Ende versammelt das Sommerloch alle Ideen um sich und taucht mit ihnen ab, hinunter zu den Saiblingen im Altausseer See.
Am Montag beginnt der ORF mit den Sommergesprächen, die Parteichefs werden heuer ausgewildert. Nachdem man sie im Vorjahr in ein Kammerl im Parlament weggesperrt hat, dürfen sie nun am Traunsee herumtollen, Martin Thür führt die Gespräche. Puls 4 ist schon drei Interviews voran. Hier übernahm Meinrad Knapp die Rolle des Interviewers und weil man jedes Jahr etwas anders machen will, verfiel man auf die Idee, die Sommergespräche mit einem Spaziergang beginnen zu lassen. Die Wege entstehen im Gehen, manchmal wäre es besser, die Wege gingen einfach weg.
Genau genommen handelt es sich um keine Spaziergänge, denn Meinrad Knapp geht nicht, er wackelt lediglich mit dem Oberkörper hin und her und unter ihm wird der Asphalt weitergezogen. Das erzeugt den Eindruck, es ginge was weiter, wir kennen diese Illusion aus dem politischen Alltag. Weil die Studios von Puls 4 in einer eher unansehnlichen Gegend von Wien daheim sind, finden die Spaziergänge ebenfalls in dieser unansehnlichen Gegend von Wien statt, schließlich müssen sie ja irgendwann ihr Ende finden. Knapp könnte mit seinen Gästen natürlich auch vom Stephansdom weggehen, aber dann würde einigen schon der Lumpi raushängen, wenn man in St. Marx ankommt.
Aber auch so führt das zu interessanten Szenen. Werner Kogler etwa trug wegen der Hitze das Sakko lässig über die Schulter geschwungen. Als er mit Meinrad Knapp nach ungefähr drei Stunden Wegelagerei im Studio angekommen war, wusste er nicht, was er mit dem Sakko machen sollte. Also setzte er sich nieder, das Sakko hielt er im noch am Rücken und den Zeigefinger in der Schlaufe. Gottlob kam dann eine Werbepause.
Beate Meinl-Reisinger wusste nicht so recht, welches Gehtempo Knapp anschlagen wollte, beziehungsweise wie schnell der Ashpalt unter seinem Schuhwerk weitergezogen wird. Sie absolvierte den Spaziergang in einer Stop-and-go-Variante, während Herbert Kickl, der seltsamerweise aussah wie Dominik Wlazny, schon nach kurzer Zeit nach einem Glas Wasser verlangte. Bier wäre authentischer gewesen. Jetzt bin ich schon gespannt, was Martin Thür am Traunsee aufbietet. Vielleicht lässt er einen Saibling als Weißen Hai auftauchen. Manche Wege entstehen auch im Schwimmen.
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Ich freue mich jetzt auf den Rest des Sommers, er hielt bisher schon einige Leckerbissen bereit. Der Empfang von Sebastian Kurz in Salzburg etwa war etwas für Feinschmecker. Bei Gin und Schinkenfleckerln traf sich eine Gruppe von Menschen, jederzeit bereit, das Land auf Knopfdruck wieder zu übernehmen. Nur René Benko fehlte, aber das wird sich auch noch geben. Lustig fand ich auch die Grünen, die beschlossen, Viktor Orbán zu boykottieren, und dann draufkamen, dass sich Klimaministerin Leonore Gewessler just an diesem Tag auf einem informellen Rat der EU-Energieminister in Budapest befindet. Und Magnus Brunner, der nun als EU-Kommissar seiner eigenen Finanzpolitik auf die Finger klopfen kann.
Weil Wahlkampf ist, gab es auch einige wohlmeinende Vorschläge. Die ÖVP will den Großmüttern jetzt etwas Geld in die Kittelfalte stecken, damit sie auf die Enkerln aufpassen. Ich bin für keinen Pauschalbetrag, sondern würde Einzelleistungen abgelten. Für jedes "Gulli Gulli" gibt es fünf Euro. Vielleicht tauchen dann auch die Saiblinge schneller wieder auf.