Kopfnüsse
"Tafelspitz-Gipfel": Können sich ÖVP und SPÖ nun besser schmecken?
Kopfnüsse über das erste Sondierungsgespräch von Karl Nehammer mit Andreas Babler. Was dabei passierte, wie es mit den Verhandlungen weitergehen soll und warum eine Regierung bis Weihnachten ein Wunschtraum bleibt.
In dieser Woche ging Österreich daran, sich ein neues politisches Gesicht zu geben. Am Ende stand eine bemerkenswerte Rede, die versuchte, diesem neuen Gesicht Konturen zu verleihen. Die Probleme benannte, sie nicht klein redete, wie es im Land gern gemacht wird, die aber auch dazu gedacht war, Hoffnung zu wecken. "Wir müssen Neues wagen", sagte Alexander Van der Bellen. Und: "Wir können es schaffen, wenn wir alle über uns hinauswachsen."
Mit KI-Stimme: Können sich ÖVP und SPÖ nun besser schmecken?
Reden des Bundespräsidenten gehören zum Jahresablauf wie Kitzbühel-Abfahrt, Opernball, Ostern, Weihnachten. Sie überhöhen die Bedeutung einzelner Tage. Sie sind Klangkörper, die Stimmungen einfangen und verstärken. Im besten Fall sind sie Konzerte für die Ohren, mischen Harmonien und Dissonanzen ab. Im schlimmsten Fall stimmen sie nur auf das nachfolgende Abendprogramm ein. Wenn der Bundespräsident fertig ist, kann das Traumschiff ablegen und seine Gedanken mitnehmen hinaus auf die Hohe See.
Am Samstagabend hielt Alexander Van der Bellen seine Rede zum Nationalfeiertag und sie war in vielerlei Hinsicht anders als sonst. Deutlicher, klarer, auch eine Vorbereitung darauf, dass unruhige Zeiten vor uns liegen könnten. Das Traumschiff blieb diesmal im Trockendock liegen.
"Ich glaube, es ist als erstes notwendig, die Dinge anzuerkennen, wie sie sind. Und ein paar einfache, aber unbequeme Wahrheiten auszusprechen", sagte der Bundespräsident. "Erstens: Die Probleme werden sich nicht von selber lösen. Denn zweitens: Es gibt keinen schmerzfreien Weg, die Probleme zu lösen."
Dann zählte er auf, was Sorgen bereitet: Klimakrise, Teuerung, soziale Probleme, das nicht sichere Pensionssystem. Was "an Kraft verloren" hat: das Versprechen von steigendem Wohlstand, der Wert des Friedens, der Wert der liberalen Demokratie.
In erstaunlicher Offenheit sprach Van der Bellen auch die "Migrationsprobleme" an. "Jeder, der bei uns leben will, muss als Voraussetzung Deutsch lernen. Und unsere Kultur und unser Rechtssystem anerkennen", sagte er. "Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist bei uns selbstverständlich. Oder sollte es zumindest sein. Genauso wie der Respekt vor gleichgeschlechtlich Liebenden. Wer das nicht anerkennt und nicht voll mitträgt, ist nicht willkommen."
Es waren Worte, die nachhallen könnten. "Wir werden mit der Art von Denken, das uns hierher gebracht hat, nicht weiterkommen," warnte der Bundespräsident. Ob er Gehör findet? Es kann natürlich auch sein, dass wir gar "nicht weiterkommen" wollen, dann ist die Art des Denkens relativ wurscht.
Wenn Österreich sich ein neues politisches Gesicht gibt, dann hat das häufig mit Essen und Trinken zu tun. Wir erinnern uns an die Reblaus und den Staatsvertrag, die finalen Gespräche in Moskau und Außenminister Leopold Figl, der zum österreichischen Vizekanzler gesagt haben soll: "Jetzt noch d' Reblaus, dann sans waach!"
Die Geschichte ist frei erfunden, Moskau wurde nicht unter den Tisch getrunken und als der Staatsvertrag ausverhandelt war, lag Figl längst schwer illuminiert im Bett. Aber sie hätte so stattfinden können, das reicht uns meist als Beleg.
Die Reblaus war diesmal eine Leberkässemmel, genau genommen waren es zwei. Am Dienstag hatte der Bundespräsident den gegenwärtigen Kanzler Karl Nehammer mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt und ihm die SPÖ als Partner ans Herz gelegt. Am Tag darauf betrat Andreas Babler knapp nach 11 Uhr die Filiale der Fleischerei Radatz am Karmelitermarkt in der Wiener Leopoldstadt. Er hatte Hunger, nicht nur nach Macht.
Der SPÖ-Vorsitzende, der im Wahlkampf mitunter verhärmt und von Wut durchdrungen gewirkt hatte, zeigt sich nun immer häufiger nachgerade fröhlich, auch diesmal, obwohl er mit seiner Bestellung scheiterte, zumindest halb.
Babler weiß, dass er sich jetzt in einer komfortableren Lage befindet als noch vor wenigen Wochen. Die Freiheitlichen bekamen bei der Regierungsbildung (vorerst?) den Katzentisch zugewiesen, die Sozialdemokratie darf sich nach kargen Jahren plötzlich wieder Hoffnungen auf einen Platz an der Festtafel machen. Das stärkt das Selbstvertrauen. Und den Appetit.
Babler kam in Begleitung einer kleinen Gruppe in die Fleischerei und orderte für sich zwei Leberkässemmeln, eine klassische und eine pikante. Die aber gab es nicht, Käseleberkäse als Alternative lehnte er ab. Also bestellte er zweimal die klassische Version und machte sich an die Verputzung.
Wenige Stunden später wurde er im SPÖ-Parlamentsklub mit 86 Prozent und sieben Gegenstimmen zum neuen Klubobmann seiner Partei gewählt. Was andere als Käse-Ergebnis interpretiert hätten, jedenfalls als eine Laus, die einem über die Leber gelaufen war, ging Babler nicht an die Nieren.
Am Tag darauf traf sich der Nationalrat zu seiner konstituierenden Sitzung und der SPÖ-Vorsitzende wirkte erneut fidel wie ein Textilwarenverkäufer, der eben von seiner Beförderung zum Abteilungsleiter erfahren hatte. Er hielt seine erste Rede in der neuen Funktion, sie enthielt viele Textbausteine, die schon bei Wahlkampf-Auftritten und in TV-Duellen zum Einsatz gebracht worden waren. Aber Babler hudelte sie diesmal nicht herunter, er dimmte auch die kampfrhetorische Lautstärke.
Der SPÖ-Chef legt jetzt häufig eine Krawatte an. Er trug eine rote Nelke am Revers, die fast so groß war wie eine Sonnenblume, er hätte sich hinter ihr verstecken können. Die Wahl des Nationalratspräsidenten war für die SPÖ diesmal eine ideologische Gratwanderung. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik stand ein Freiheitlicher zur Disposition, obendrein noch einer mit Burschenschafter-Migrationshintergrund.
Aber Babler machte nicht den Kogler. Er polterte nicht, er rief seine Fraktion nicht zur Revolution gegen Walter Rosenkranz auf, er drängte nicht darauf, den Mann mit dem Burschenschafter-Migrationshintergrund niederzustimmen. Er gab die Wahl frei.
Der Parteichef der Grünen legte seine Ansprache ganz anders an. Kogler zog seine Wut am Begriff "Volkskanzler" hoch, den die FPÖ und Herbert Kickl im Wahlkampf wuchern hatten lassen. "Es gibt eben auch nicht das eine Volk. Was soll das sein?", rief Kogler und zog eine Parallele zum Nationalsozialismus, zu Hitler. "Es gibt kein Einheitsvolk. Ein Volk, sie wissen was kommt 'ein Volk, ein Reich, ein Führer'".
Zwischenrufe, Proteste aus dem FPÖ-Sektor, der nunmehr ganz rechts außen liegt, zumindest aus der Sicht des Präsidiums. Am Ende wurde Rosenkranz mit 61,7 Prozent zum Nachfolger von Wolfgang Sobotka gewählt. Kogler gratulierte und legte dem neuen zweiten Mann in der Republik die Hand freundschaftlich auf den Unterarm.
Rosenkranz nahm die Wahl zum Nationalratspräsidenten an. Das war die geringste Überraschung, die uns die Politik in den vergangenen Tagen bot.
Einen Katzensprung vom Parlament entfernt konnte am Freitag das erste Dinner for Two serviert werden. Volkspartei und Sozialdemokraten begannen mit den Sondierungsgesprächen, sie finden diesmal im Palais Epstein statt und sind nicht als schneller Wurf angelegt. Das Palais ist zur Sicherheit einmal bis Jahresende reserviert und das für alle Tage der Woche, einen genauen Terminplan gibt es noch nicht.
Das Epstein wurde 1870 erbaut, Architekt war der Däne Theopil Hansen, der später auch beim Parlament zeichnerisch Hand anlegte. Das edle Gebäude neben dem Hohen Haus war schon allerlei, Verwaltungsgerichtshof, Sitz des Stadtschulrates, Nazi-Reichsbauamt oder Sowjetische Stadtkommandatur. Seit 2005 wird es vom Parlament genutzt, zuletzt recht häufig.
Im Dezember 2017 gaben Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache hier ihre ersten gemeinsamen Serien-Interviews als Kanzler und Vizekanzler der neuen türkis-blauen Regierung. Während des Parlaments-Umbaus nutzte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Räumlichkeiten für Zwecke der Repräsentation, die Container machten diesbezüglich nicht viel her.
Das Epstein hat einen Vorteil, nämlich eine unterirdische Gangverbindung zum Hauptgebäude des Parlaments, die Türen lassen sich mit Schlüsselkarten öffnen. Deshalb gab es am Freitag hübsche Bilder der SPÖ-Delegation beim Anmarsch zu den Sondierungsgesprächen, die Volkspartei aber tauchte unter und das buchstäblich. Sie nutzte den Kellergang für die Anreise.
Die Beletage des Palais verfügt über ein paar Räumlichkeiten, die wie geschaffen für diskrete Verhandlungen sind. In einem befindet sich ein rechteckiger Tisch und an dem nahmen ab 11 Uhr das fünfköpfige SPÖ-Verhandlungsteam um Andreas Babler auf der einen Seite und das sechsköpfige ÖVP-Verhandlungsteam um Karl Nehammer auf der anderen Seite Platz, Mineralwasser – still und prickelnd – und Fruchtsäfte vor sich.
Durchbrüche waren am ersten Tag nicht zu erwarten, zumal noch unklar ist, wo die Wände stehen. Es war eher ein erstes Beschnuppern, viel Smalltalk, unterbrochen durch ein gemeinsames Mittagessen in einem Nebenraum. Es gab Tafelspitz mit Erdäpfeln und Spinat.
Viel in die Kochtöpfe wollen sich die Verhandler momentan nicht schauen lassen. Das liegt einerseits daran, dass es noch nicht viel zu sehen gibt, andererseits möchte kein Vertreter der beiden Seiten als Plaudertasche oder Geheimnisverräter gelten und die noch sehr zart geknüpften Bande gefährden.
Nun müssen für die Sondierungs-Verhandlungen einmal die Strukturen errichtet werden. Wie bei den Koalitionsgesprächen unter Sebastian Kurz soll es eine zentrale "Steuerungsgruppe" geben, die auch noch anders benannt werden kann, und in der alle Chefverhandler sitzen. Hier sollen die finalen Entscheidungen fallen und auch die großen Streitfragen auf den Tisch kommen. Dazu stoßen Untergruppen, die der "Steuerungsgruppe" zuarbeiten und die einzelnen Themen abhandeln.
Der Kanzler absolviert nun Mini-Herbstferien, er ist von Montag bis Mittwoch auf Urlaub mit der Familie. Für Donnerstag ist die nächste Gesprächsrunde vereinbart, am 4. November soll es mit den Verhandlungen dann richtig losgehen. Bei allem nötigen Respekt vor der Entscheidung des Bundespräsidenten: Kickl mit der Regierungsbildung zu beauftragen und ihn scheitern zu lassen, hätte jedenfalls zeitlich keinen groben Schaden angerichtet.
Spätestens am Montag in einer Woche soll es dann einen Themenplan geben, eine erste Terminliste, wann Gespräche in der "Steuerungsgruppe" stattfinden, und es wird der Versuch unternommen, zumindest ein paar Programmpunkte außer Streit zu stellen. Mit treuherzigen Augen wird ab jetzt jeder versichern, dass über Personen und Ministerämter erst ganz, ganz, ganz am Schluss geredet wird. Tatsächlich kommt das immer sehr, sehr, sehr am Beginn zur Sprache.
Mit einem schnellen Ergebnis rechnet niemand. Wenn die Steiermark am 24. November wählt, dann wird es höchstens ein Gefühl geben, ob ÖVP und SPÖ ein gemeinsames Reiseziel haben. Oder zumindest behaupten können, einmal einen guten Tafelspitz gegessen zu haben.
Ich wünsche einen tafelspitzen Sonntag. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Ab heute gehen die Uhren anders. Und in diesem Fall musste die Politik gar nichts dazu beitragen. Bis in einer kleinen Weile!
Mit KI-Stimme: Sobotka weg, jetzt ist im Parlament der Wurm drin
Alle Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken
- Folge 17: Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
- 17 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 18: Verstolpert die FPÖ auf den letzten Metern den Wahlsieg?
- Folge 19: So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
- Folge 20: Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei
- Folge 21: Jetzt liegt das Wahlergebnis endgültig in den Sternen
- Folge 22: Es ist alles sooo furchtbar, bitte mehr davon!
- Folge 23: Wird Babler von Medien runtergeschrieben? Unsinn, aber ...
- Folge 24: Auf den letzten Metern wurde der Wahlkampf "Oasch"
- Folge 25: Morgen um diese Zeit ist die heutige Wahl schon von gestern
- Folge 26: Der Tag, an dem die Brandmauer in Flammen aufging