die gottschalk-Debatte
Werden wir von alten weißen Männern regiert? – "Ja"
Das Podcast-Interview zum Aufreger-Buch von Thomas Gottschalk. Die Journalistin Emilija Ilić über "ihre" Generation Z, den Einfluss der "alten weißen Männer" und warum sie die Aussagen des Showmasters für eine Machtdemonstrationen hält.
Das neue Buch von Ex-"Wetten, dass…?"-Moderator Thomas Gottschalk mit dem Titel "Ungefiltert" beschäftigt seit einer guten Woche nicht nur das deutschsprachige Feuilleton. Denn der Showmaster im Unruhestand plaudert darin nicht nur über bessere Zeiten, sondern grantelt auch über allerlei Gegenwärtiges, das ihm Unwohlsein verursacht: die aktuelle Cancel-Culture, dass er bestimmte Worte nicht mehr verwenden darf und warum er plötzlich nachdenken soll, ehe er den Mund aufmacht.
"Nur dienstlich begrapscht" Auch die ihm wiederholt vorgeworfenen Handgreiflichkeiten gegenüber weiblichen Gästen seiner Shows – Gottschalk rechtfertigt das als dienstliche Handlung, "so wie ein Schauspieler küsst, wenn es im Drehbuch steht" – sieht er nicht als seinen Fehler. Und der heutigen Jugend attestiert der 74-Jährige, zwar viel Energie für eine Innenschau und den Ausgleich ihrer Work-Life-Balance zu finden, sonst aber das Arbeiten nicht erfunden zu haben. Kurz: Thomas Gottschalk ist reichlich unzufrieden mit dem Status-quo und macht sich in seinem Buch sowie bei zahlreichen Auftritten in Medien und bei Lesungen Luft.
Applaus hier, Unverständnis da Und während der Show-Dino für seine Aussagen auf der einen Seite viel Zuspruch erfährt, sind vor allem jüngere Menschen – die er ja auch direkt attackiert – irritiert von den Ansichten jenes Mannes, der früher gerne den Clown gespielt hat, aber erst heute von immer mehr Menschen für einen solchen gehalten wird.
Eine von ihnen ist die 22-jährige Journalistin Emilija Ilić. Sie arbeitet journalistisch in den Bereichen soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, Migration, Jugend, Rassismus und Gewalt gegen Frauen – und sie beschäftigt sich mit den Medienthemen der Gegenwart aus Perspektive der Generation Z, der sie selbst angehört. Im Newsflix-Podcast spricht Emilija Ilić über die Macht der "alten weißen Männer", wo es neue Blickwinkel benötigt und was sie von Thomas Gottschalks Ausfällen hält. Hier die wichtigsten Passagen aus dem Podcast – Emilija Ilić über:
Was man unter "Generation Z" versteht
Das sind die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, sie werden Generation Z für Zoomer oder auch Digital Natives genannt. Natürlich ist das keine homogene Gruppe, aber Themen wie Umwelt, Nachhaltigkeit und natürlich alles Digitale stehen hier im Vordergrund. Und es wird oft darüber diskutiert, dass diese Generation nicht mehr die Arbeit in den Mittelpunkt ihres Lebens stellt.
Ob Österreich und die westliche Welt von "alten weißen Männern" regiert wird
Ja. Wenn man sich die Führungsstrukturen in der Politik und in relevanten Wirtschaftsbereichen ansieht, dann sind die Führungspersönlichkeiten da überwiegend männlich und weiß. In Österreich sind etwa ein Drittel der leitenden Positionen mit Frauen besetzt. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die Situation heute schon ganz anders aussieht als noch vor wenigen Jahrzehnten. Ich denke, es ist heute ein stärkeres Bewusstsein dafür da und auch ein gesellschaftlicher Wandel.
Benötigt es mehr Widerspruch gegen die Meinungshoheit der älteren Generation?
Ich bin ein Fan von gemeinschaftlichen Lösungen, die man sich erarbeitet, indem man sich zuerst die Lebensrealität der anderen Seite ansieht. Ich gehe auf respektvolle Weise auf andere zu – und erwarte mir, dass das von der anderen Seite auch so zurückkommt.
Das neue Buch von Thomas Gottschalk
Ich finde, die Diskussion um sein Buch spiegelt sehr gut die Herausforderung wider, vor der wir als Gesellschaft gerade stehen: Wie wir miteinander leben wollen. Gottschalk schreibt viel darüber, wie er sich fühlt als älterer Herr in unserer Gesellschaft. Und er sagt ja auch, dass er nicht mehr viel anfangen kann mit neueren Themen, dass er sich nicht traut, bestimmte Sachen zu sagen. Das darf man ihm auch nicht absprechen.
Gleichzeitig stellt er sich selbst aber über andere Personengruppen, vor allem Frauen und Jüngere. Bezeichnend finde ich einen Dialog in einem der Interviews, die er zuletzt gegeben hat. Auf die Frage "Was wären Sie ohne die Öffentlichkeit?", antwortet er: "Was wäre die Öffentlichkeit ohne mich?" Das sagt viel über einen Menschen aus.
Die "dienstlichen Grapschereien" im TV
Das ist sehr interessant, denn Gottschalk bekam das Interview, in dem er diese Dinge sagt, ja vorab zur Autorisierung vorgelegt. Er hätte das korrigieren oder ganz rausstreichen können, aber er hat es bewusst drinnen gelassen. Ich halte diese Aussage für extrem problematisch. Und ich finde es auch sehr feige, weil er damit die Verantwortung für sein Handeln an den Sender weitergibt. Er ist sich offensichtlich keiner Schuld bewusst, obwohl er öfter darauf hingewiesen wurde.
Ob eine sexuelle Absicht dahintersteckte
Es ist ganz egal, welche Absicht dahintergesteckt ist. Er betont ja auch, dass er das nicht böse meinte und das glaube ich ihm auch. Aber gleichzeitig ist es egal, wie ich das empfinde, wie er das empfindet oder andere Unbeteiligte. Es ist wichtig, was die betroffene Person in dieser Situation empfindet. Und wenn das für diese Person übergriffig ist, dann ist das nicht okay.
Was Gottschalk durch seine Ignoranz erreichen will
Thomas Gottschalk weiß mittlerweile, warum man gewisse Sachen nicht mehr macht oder nicht mehr sagt, er schlüsselt das in seinem Buch auch sehr gut auf, also er ist sich dessen bewusst. Aber er nimmt sich trotzdem heraus, sowas zu tun und zu sagen. Und da sind wir wieder beim Thema Macht. Dieses eine Sache unbedingt machen wollen, weil man glaubt, dass es einem zusteht. Nach dem Motto: Warum machst du das? Weil ich es kann.
Wie Gottschalk nun bei einer TV-Show wieder seine Sitznachbarin angegrapscht hat
Es ist extrem seltsam, fremde Personen einfach anzugreifen, ohne sie vorher zu fragen, ob man das darf. Vor allem: Er weiß, dass er damit polarisiert. Also er macht das ja extra. Er geht jetzt auf Promo-Tour für sein Buch und weiß ganz genau, was er zu sagen und zu tun hat, damit sich die Medien darauf stürzen. Er will auch, glaube ich, bis zu einem gewissen Grad irritieren und polarisieren.
Ob sie Gottschalks Erfolg als Showmaster nachvollziehen kann
Ich kann das gut nachvollziehen und ich glaube, dass man diesen Erfolg ihm auch nicht absprechen kann, auch wenn er in anderen Sachen sehr problematisch ist. Aber die Zeiten sind halt vorbei und er weiß das auch. Und auch wenn er sagt, er möchte nicht wie eine verbitterte alte Person rüberkommen, die in Erinnerungen schwelgt, kommt es trotzdem so rüber.
Ob der Entertainer an Liebesentzug leidet
Ich denke, dadurch, dass es vorbei ist, hat er das Gefühl, nicht mehr ernst genommen zu werden, fehl am Platz zu sein und von den neuen Zeiten verdrängt zu werden. Und das ist traurig und sehr schade. Ich kann das nachvollziehen, aber das Klima hat sich einfach geändert, der Diskurs ist jetzt ein anderer und er scheint damit nicht gut klarzukommen.
Ob es okay ist, noch "Zigeunerschnitzel" zu sagen
Es ist sehr, sehr richtig, dass man solche Worte nicht benutzt, weil sie einfach rassistisch und diskriminierend sind und das hat ja auch alles einen historischen Kontext. Und ich wundere mich, wie sehr man daran festhalten kann, drei bis vier umstrittene Worte sagen zu wollen. Und er weiß ja, dass viele Personen das nicht möchten, er schreibt das so in seinem Buch. Anderen Leuten ist es wichtig oder es verletzt sie sogar, wieso lässt man es also nicht einfach sein.
Wo Gottschalks Vergehen stehen im Vergleich zu vielem auf Social Media heute
Das kann man nicht vergleichen, weil TV und Social Media Welten auseinander liegen. In Social Media ist man durch die Systematik mit den Algorithmen in einer Bubble, was die Dinge betrifft, die einem angezeigt werden.
Wie der Moderator mit der Kritik an ihm umgeht
Früher warst du nicht dieser ständigen Kritik ausgesetzt, wie du es halt jetzt bist. Es ist ja heute viel, viel einfacher, Feedback zu hinterlassen und Personen zu kontaktieren, gerade auf Social Media funktioniert das sehr niederschwellig. Dem ist er, glaube ich, viel ausgesetzt und es ist sicher schwierig, damit klarzukommen.
Ob man auch heute noch alles sagen darf
Also in einer Demokratie darf man alles sagen. Man muss halt auch mit den Konsequenzen leben, beziehungsweise damit rechnen, dass eben viele Leute dazu eine Meinung haben werden. Und der Zugang durch Social Media ist einfach viel, viel niederschwelliger, dass man Feedback bekommt. Man sollte sich auch dem Zeitgeist ein bisschen anpassen und etwa rassistische oder abwertende Dinge, die er auch immer wieder in der Öffentlichkeit sagt, sein lassen. Er weiß, dass das nicht okay ist, er macht es trotzdem, weil er meint, in dieser Position zu sein, dass er das kann und darf und sollte.
Wie man sich am besten bei einem Shitstorm verhält
Glücklicherweise musste ich das noch nicht herausfinden und ich weiß es auch ehrlich gesagt gar nicht. Ich kann nur von Erfahrungen erzählen, die ich mitbekommen habe, und das muss schrecklich sein, hunderte und tausende von Nachrichten zu bekommen, wo man beleidigt wird. Das wünsche ich niemandem.
Wie man als Digital Native lernt, mit sozialen Situationen in Social Media umzugehen
Man lernt es gar nicht und ich glaube, das ist ein großes Problem. Da wurde es verpasst, junge Menschen abzuholen und zu begleiten auf ihrem Weg in Social Media.
Ob wir von Social Media überrollt werden
Es spielt einfach eine extrem große Rolle in der Lebenswelt von ganz, ganz vielen Menschen. Viele Dinge haben sich auf Social Media verschoben und finden dort statt, sei es Medien, sei es Politik. Ich finde es nicht okay und ich glaube, es ist auch nicht zielführend, wenn man die Macht von Social Media unterschätzt.
Sind die jungen Menschen heute hypersensibel?
Sicher sensibler und ich finde das ist auch gut so. Wieso sollten wir nicht auf Mitmenschen schauen, dass ihnen gut geht. Wieso sollten wir nicht schauen, dass Personengruppen, die vielleicht nicht als die Mehrheitsgesellschaft angesehen werden, dass es ihnen auch gut geht und dass sie sich nicht unterdrückt fühlen. Aber für mich stecken in dieser ganzen Diskussion vor allem Menschlichkeit und Menschenrechte und ganz viel Empathie. Und ich bin eine sehr große Freundin von Empathie und Menschenrechten.
Ob früher alles besser oder alles schlechter gewesen ist
Ich weiß es nicht. Und ich bin gespannt, wie ich die Welt in 50 Jahren wahrnehme werde. Aber ich glaube, viele Dinge sind keine Altersfrage, sondern eine Haltungsfrage. Und man kann und soll voneinander lernen, die Erfahrung von älteren Personen mitnehmen, gleichzeitig auch die Erfahrung von jüngeren Personen, die in einer ganz anderen Welt leben, auch mitnehmen und so gegenseitig auf Augenhöhe miteinander sprechen.