Tagebuch einer Pandemie

Corona-Kopfnüsse 2021, Kapitel 4: Fremdeln mit der Freiheit

"Ja, man stellt sich diese Fragen". Ein ehrlicher Gesundheitsminister, ein ehrlicher Pfusch und eine Impfung, die rausschießt wie Ketchup. Ehrlich! Als Text und Podcast.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Wolfgang Kofler
Newsflix Kopfnüsse
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12. Februar 2021 Wie Promis beim Impfen tricksten
Es gibt immer noch zu wenig Stoff zum Impfen. Aber wer Vitamin B hat, kommt flotter dran. Österreich eben.

Erinnern Sie sich noch? Vor wenigen Wochen fürchteten viele im Land noch, dass sich niemand impfen lässt. Bilder im Kopf tauchten auf. Impfstoff, der kübelweise in den Ausguss gekippt werden muss, den man als Spaghettiwasser aufsetzt oder sich in den Aperol mischt. Jetzt stellen wir fest: Es gibt vor allem viele Impf-Warter, also Menschen, die sich grundsätzlich vorstellen könnten, geimpft zu werden, aber nicht sofort. Sie wollen etwas Zeit ins Land ziehen lassen und beobachten, ob andere merkwürdige Ausbuchtungen an der Körperoberfläche bekommen, durch die Kärntner Straße laufen und dabei seltsame Laute von sich geben, oder anderwärtig komisch werden, und dann entscheiden, was sie tun möchten.

Das alles hat sich erübrigt, denn man kommt gar nicht dazu, sich über die Nebenwirkungen der Impfung Gedanken zu machen, weil man gar nicht dazu kommt, sich über die Wirkung der Impfung Gedanken zu machen. Außer natürlich, man ist in der Politik oder in sonstigen gehobenen Ämtern. Dann kann es schnell gehen mit dem Immunisieren. Selbst wenn man erst 62 Jahre alt ist, also eher noch für eine Kinderschluckimpfung in Frage käme.

Die Bevölkerung freut das. Sie sieht gerne, dass Menschen, denen sie ihre Stimme und ihr Leben anvertraut hat, das sichere Ufer erreicht haben und freundlich herüberwinken. Es würde unsere schlaflosen Nächte noch schlafloser machen, wenn wir etwa den Präsidenten des Österreichischen Arbeiter-Samariterbundes (ASB) in Gefahr wähnten. Als höchstes Organ des Arbeiter-Samariterbundes ist man nahezu ständig in Kontakt mit Kranken und Siechen, eine Lebensrettung pro Monat gehört zum guten Ton.

Franz Schnabl ist Landesparteichef der SPÖ Niederösterreich, aber auch Zweiter Landeshauptfrau-Stellvertreter und überdies seit 2004 Präsident des Österreichischen Arbeiter-Samariterbundes mit 311.000 Mitgliedern. Seine Funktion als Präsident bringt Schnabl mehr Ehre ein als seine politische Tätigkeit. Für sein wohltätigen Wirken bekam er immerhin 2009 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Niederösterreichs Landesvize Franz Schnabl lief quasi in eine Covid-Impfung hinein
Niederösterreichs Landesvize Franz Schnabl lief quasi in eine Covid-Impfung hinein
Daniel Schreiner

Wohl auch deshalb kam er jetzt beim Impfen schneller dran, nämlich schon im Jänner. Ein schlechtes Gewissen ist bei Schnabl nicht auszumachen, eher im Gegenteil, seine Erklärung klang als wäre er einer staatsbürgerlichen Pflicht nachgekommen. Er empfinde es als seine Verantwortung, auch die Mitglieder des Führungs- und Einsatzstabes des Arbeiter-Samariterbundes einsatzfähig zu halten, sagte er. Er würde schließlich "jeden Tag oder drei- bis viermal pro Woche" in Kontakt "mit vielen" stehen, "die direkt an der Front arbeiten." In Niederösterreich ist immer irgendwie Krieg.

Schnabl drängte sich nicht auf, nein, er ist quasi in die Spritze hineingelaufen. Er sei zehn Stunden vor der Impfung kontaktiert worden, erzählte er, mehrere Impfdosen hatten in keinen Oberarm gefunden und lagen herum. "Ich habe niemanden angerufen, ich wurde angerufen," sagte er. Außerdem sei auch der Präsident vom niederösterreichischen Roten Kreuz schon geimpft worden. Dieser Argumentationsstrang ist seit jeher auf Schulhöfen sehr populär. Das Einschießen einer Fensterscheibe wird gern damit geframt, dass der Pepi von der Nachbarklasse im vorigen Monat genau die Scheibe daneben getroffen habe.

Wer ist der Mann mit der Brille, der hier mit sanfter Stimme spricht?
Wer ist der Mann mit der Brille, der hier mit sanfter Stimme spricht?
Helmut Graf

18. Februar 2021 Damit konnte ja keiner rechnen
Die Zahlen geraten durcheinander. Wie viele Impfungen haben wir eigentlich? Und wie viele Menschen schon gestochen?

Zu besprechen gab es einiges, und wie das oft so ist, endete auch dieser Tag mit etwas Verwirrung. Das hatte erneut mit dem Impfen zu tun. Es stellte sich nämlich heraus, dass keiner wirklich weiß, wie viele Österreicher tatsächlich schon immunisiert wurden.

Ich dachte immer, gut, ich habe halt nicht tiefen Einblick wie die Politiker, aber nun zeigte sich, die haben selbst keine Ahnung. Es gibt schon Zahlen zu den Impfungen, viele halt. Die einen haben welche, die anderen auch, man kann sie zusammenzählen, aber es kommt immer etwas anderes dabei heraus. Bei Schülern wird in solchen Fällen gern überlegt, ob nicht vielleicht die Wiederholung der Klasse eine gute Option wäre, versäumtem oder nicht verstandenem Unterrichtsstoff eine neue Chance zu geben. Für die Politik sollte dies auch angedacht werden, da scheint Mathematik momentan eher eine Art Philosophie zu sein, eine Deutungsfrage.

Masken kann man auf vielerlei Arten tragen, zeigt Markus Wallner vor, Landeshauptmann von Vorarlberg
Masken kann man auf vielerlei Arten tragen, zeigt Markus Wallner vor, Landeshauptmann von Vorarlberg
Helmut Graf

So war es auch am Montag, da traf sich die Regierung wieder mit den Landeshauptleuten. Der guten Ordnung halber sei vorausgeschickt: Das Gesundheitsministerium rechnet jede Impfdose, die das Lager verlässt, als verimpft. Das muss man nicht logisch finden, es ist aber so, eine Deutungsfrage eben. Die Annahme dahinter ist, dass die Bundesländer ja Impfungen nicht herumkugeln lassen werden, sondern sofort verabreichen, was da ist. Stimmt aber nicht. Die Länder bunkern das Zeug nämlich, aus Angst, keinen Impfstoff für den zweiten Stich mehr zu erhalten. Die Zahl der tatsächlich Geimpften ist also noch wesentlich geringer als am Dashboard des Ministeriums ablesbar, dort waren gestern Abend 449.875 Dosen als verimpft verbucht. Also als ausgeliefert.

Hermann Schützenhöfer bestätigte das als Erster und das mit einem sehr eleganten Satz, angelehnt an Paul Watzlawick: "Die Steiermark", sagte der Landeshauptmann, "hat nicht nichts verimpft, sondern Dosen für den zweiten Stich reserviert." Wien war darob ein bisschen fassungslos und plädierte für die Strategie: Was da ist, gehöre sofort weg. Gemeint waren die Impfstoffe, nicht die Impfverantwortlichen.

Bernhard Bonelli, linke und rechte Hand von Kurz, verwirrt die Landeshauptleute und sie ihn
Bernhard Bonelli, linke und rechte Hand von Kurz, verwirrt die Landeshauptleute und sie ihn
Helmut Graf

Es ist aber auch nicht ganz klar, was da ist. In der Folge las nämlich Bernhard Bonelli, als Kabinettschef die rechte und die linke Hand von Sebastian Kurz, laut der Menge der Impfdosen vor, die in den Ländern eigentlich vorrätig sein müssten. Müssten. Schon wieder Zahlen, schon wieder passte nichts. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hielt Rücksprache bei ihrem Impfkoordinator und sagte dann: "Die Zahlen stimmen nicht." Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig sah da so: "Unsere Zahlen decken sich nicht mit denen von Bonelli."

Es müssen aber noch nicht alle Hoffnungen in den Wind geschrieben werden. Wenn schon die Daten für die Gegenwart nicht stimmen, dann könnten sie es ja für die Zukunft tun. Tun sie aber nicht. Die Länder wissen nicht so recht, wie viel Impfstoff sie in den nächsten Wochen und Monaten zu erwarten haben, aus dem Bund kommen unterschiedliche Informationen dazu. Alles andere hätte uns auch verwirrt.

Vielleicht ist unterschiedlich nicht das richtige Wort, die Zahlen wechseln halt, sie ziehen sich je nach der Wetterlage draußen andere Kleidungsstücke an. Irgendwann platzte Schützenhöfer schließlich der Kragen, er beschwerte sich über den Impfmanager des Gesundheitsministerium. "Warum kommt mein Impfkoordinator zumindest zweimal in der Woche mit anderen Zahlen von Sitzungen mit Clemens Martin Auer?", fragte er. Anschober wusste das auch nicht: "Die Zahlen haben sich nicht verändert." Ich hätte ja nachgefragt, welche Zahlen sich nicht verändert haben, aber ich war ja nicht dort, was meiner Meinung gut für das Gedeihen des Treffens war, ohne dazu eine abschließende Meinung zu haben.

Vordrängeln, ach wo? Versuch, die Impferei mit Humor zu nehmen: der "Bürgermeister-Krapfen"
Vordrängeln, ach wo? Versuch, die Impferei mit Humor zu nehmen: der "Bürgermeister-Krapfen"
Picturedesk

22. Februar 2021 Maskenpflicht im Schrebergarten
Ein Jahr Covid, die Republik und das Virus feiern Geburtstag miteinander. Und in den Innenstädten entstehen eigene Corona-Zonen.

Eigentlich fehlte nur mehr eine Geburtstagstorte. Ich stelle mir das etwa so vor: Corona kommt bei der Tür herein, sieht das gute Stück, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: "Jö, was Ihr euch wieder für eine Mühe gegeben habt! Das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen!" Der Gesundheitsminister steckt ein Streichholz an, kurz darauf brennen alle Wunderkerzen, die Runde singt "Happy Birthday to you". Laut, falsch und mit Begeisterung.

Alle Ampelfarben sind gekommen, die gesamte Lockdown-Familie, die harten und die weichen Typen, die 7-Tages-Inzidenz und die Sequenzierungen. Die Reproduktionszahl hat das schickste Kleid aus dem Schrank angezogen, der Babyelefant rüsselt als Erster in der Torte herum. Die Hospitalisierungen konnten leider von der Arbeit nicht weg, sie haben als Vertretung ein paar OP-Masken geschickt. Alles wirkt sehr feierlich, das Virus ist so gerührt, dass es unaufhörlich mutiert.

Bei den Corona-Demonstrationen herrscht wieder freie Kostümwahl
Bei den Corona-Demonstrationen herrscht wieder freie Kostümwahl
Helmut Graf

Am Wochenende beging Österreich ein Jahr Pandemie und ich weiß nicht warum. Es ist nicht so, dass ich mich nicht um eine Art Geburtstagsstimmung bemüht hätte, aber ich verstehe es einfach nicht. Wir haben jetzt gut ein Jahr nicht viel anderes getan als zurückzuschauen, auf die letzten paar Stunden, auf gestern, die vergangene Woche, die Monate. Der Nutzwert eines erneuten Rückblicks erschließt sich mir nicht, es muss aber so pressiert haben, dass alle eine Woche früher niederkamen. Eigentlich feiert Corona Austria erst am 25. Februar Geburtstag, da gab es die ersten beiden positiven Tests in Tirol, aber vielleicht wollten ein paar vorglühen, pressekonferenzmäßig, kitzlochartig.

Auch dem Gesundheitsminister ging vorzeitig das Gemüt über, auch in diesem Fall weiß ich nicht warum. Schon im Vorjahr hatte nicht jede Pressekonferenz der Regierung einer Prüfung der Sinnhaftigkeit standgehalten, das wurde 2021 nicht besser. Rudolf Anschober schwelgte am Donnerstag 18 Minuten und 32 Sekunden in Erinnerung. Seine Erzählungen wirkte nicht wie in Selbstkritik getränkt, es gab zwei Bewertungskategorien in seiner Geschichte, gelungen oder Schicksal. Also etwas hatte geklappt oder es war unabänderlich, vorbestimmt, Kismet eben.

Das Letzte Abendmahl in einer speziellen Fassung für Corona
Das Letzte Abendmahl in einer speziellen Fassung für Corona
Helmut Graf

Die Pressekonferenz trug den Titel "1 Jahr Pandemie in Österreich", es waren wenige Überraschungen dabei, keine Cliffhanger, was daran liegen könnte, dass wir alle dieses "1 Jahr Pandemie in Österreich" selber miterlebt haben und das hautnah. Wir bekamen also unser eigenes Leben noch einmal erzählt, es war schon in Echtzeit rechtschaffen langweilig. Bestenfalls!

Um ehrlich zu sein, ich kann das eigentlich alles nicht mehr hören. Diese Vergangenheitstrunkenheit. Ich hätte jetzt gern einen klaren, profunden Ausblick. Nein, ich meine damit nicht das Erspähen einer grellen Tunnelbeleuchtung Richtung Sommer hin. Kann sich nicht jemand hinstellen und sagen: Das ist bis zu den Ferien sehr wahrscheinlich, das ist möglich, das weiß man nicht? Urlaub ja, nein, vielleicht. Das kann bis Ostern passieren, Szenario 1, 2 oder 3. Beim Impfen haben wir uns in dieser Woche konkret dieses Ziel gesteckt, in der nächsten Woche jenes. Wir vertragen Ehrlichkeit, wir sind ja keine Depperln, man muss uns auch nicht mehr darüber aufklären – Achtung Spoiler – dass es den Osterhasen gar nicht wirklich gibt.

Wissen Sie, was eine "Hinausschrift" ist? Ich wusste es nicht. Natürlich, das Gegenteil von einer "Hineinschrift", werden Sie jetzt vielleicht sagen, aber ist nicht jedes Schriftstück, das versendet wird, eine "Hinausschrift" und jedes, das zurückkommt, eine "Hineinschrift?" Wie auch immer, Ende der vergangenen Woche erhielten alle Landeshauptleute eine "Hinausschrift" des Gesundheitsministers, genauer gesagt von der Abteilung "Rechtsangelegenheiten, Arzneimittel, Medizinprodukte, Apotheken, Krankenanstalten, übertragbare Krankheiten". Das Schreiben sorgte bei den Bedachten für gelinde ausgeprägte Euphorie.

Erst geht es rauf, dann bleibt es ein bisserl oben, dann geht es wieder runter
Erst geht es rauf, dann bleibt es ein bisserl oben, dann geht es wieder runter
Helmut Graf

Das Gesundheitsministerium forderte die Landeshauptleute mehr oder weniger direkt auf, die Maskenpflicht drastisch zu verschärfen und zwar regional, sehr regional. Fortan sollte "beim Betreten stark frequentierter öffentlicher Orte im Freien eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2" getragen werden müssen. Dafür sei "eine konkrete Beschreibung der jeweils betroffenen Bereiche – etwa durch Nennung des Straßennamens und von Hausnummern – erforderlich" und zwar "um für die Normunterworfenen Rechtssicherheit zu bieten", heißt es in dem Schreiben. Wieder sehe ich ein Bild vor mir: Menschen, die sich durch die Wiener Innenstadt tasten und sich je nach Hausnummer die FFP2-Maske auf die Nase schnalzen lassen oder sich aus dem Gesicht reißen, verfolgt von einem VW-Bus mit lauter kichernden Polizisten drin.

Statt die Innenstädte zu begrünen, errichten wir nun einen bunten Schilderwald, damit sich die "Normunterworfenen" gut zurechtfinden, so steht es da. "Damit die Normadressaten erkennen können, dass sie sich in einem Bereich aufhalten, in dem die FFP2-Maskenpflicht im Freien gilt, ist der Bereich entsprechend deutlich zu kennzeichnen. Mangels Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten können solche Regelungen nur lokal getroffen werden." Gemeint ist: Die Landeshauptleute sollen Corona-Schrebergärten anlegen und ihre diesbezüglichen Fortschritte bis 5. März an eine eingerichtete E-Mail-Adresse des Ministeriums rapportieren. Ich kann mir ausmalen, was die Vorgesetzten der "Normadressaten" vulgo "Normunterworfenen" dort alles hinschreiben werden.

Grant ist sowieso das neue Zahlungsmittel, überall im Alltag. Vor einem Jahr hing das Fastentuch von Erwin Wurm schon einmal im Wiener Stephansdom, keinen kratzte das. Nun häufen sich negative Kommentare am Facebook-Account von Kardinal Christoph Schönborn. "Verschandelung". "Der Dom ist kein Kleiderschrank", sogar die rosarote Pullifarbe sorgt für Aufregung. Die Wut wird noch einmal zu einem größeren Feind für uns als Corona, Sie werden sehen.

Sport in homöopathischen Dosen: Tennisplätze in Hallen bekamen einen Beipackzettel
Sport in homöopathischen Dosen: Tennisplätze in Hallen bekamen einen Beipackzettel
Sabine Hertel

25. Februar 2021 Tirol erfindet die "Piefke-Saga" neu
Verschärfungen stehen vor dem Comeback. Aber Genaueres weiß die Regierung nicht, weil sie auch Ungenaueres nicht weiß.

Österreich mangelt es momentan an allerlei, nicht aber an originellen Ideen, die sprudeln nur so. Corona macht offenbar einschlägig kreativ, vielleicht sollten wir das Virus doch noch ein bisschen länger dabehalten im Land. Der Virologe Norbert Nowotny machte sich nun auf Puls 24 für ein Produkt stark, das viele eigentlich schon in die Abteilung Comedy verräumt hatten, die Corona-Ampel nämlich, Rudolf Anschobers Lichtgestalt, die uns durch den vergangenen Herbst geleiten sollte, sich dann aber selbst im Nebel verirrte.

Wir erinnern uns: Im September 2020 wurde Österreichs Corona-Politik regionalisiert. Es gab zu diesem Zeitpunkt grob unterschiedliche Infektionszahlen, Kärntner kannten das Virus nur aus der „Zeit im Bild", Wiener und Innsbrucker persönlich. Ob das alles in Einklang mit der Realität stand, bezweifle ich heute wie damals, aber ich muss ohnehin zur Kenntnis nehmen, dass mich meine Zweifel bisher nicht sehr weit gebracht haben in dieser Pandemie. Weil in Österreich sogar jedes Lichtzeichen bürokratischen Beistand nötig hat, erfand der Gesundheitsminister nicht nur die Corona-Ampel, sondern auch die Corona-Kommission gleich dazu. Alles hatte somit seine Ordnung, jeder seinen Platz.

Wer sagt, dass nichts weitergeht? Jetzt werden schon alle über 90 geimpft
Wer sagt, dass nichts weitergeht? Jetzt werden schon alle über 90 geimpft
Helmut Graf

Die Corona-Kommission, unabhängig bestellt nach bestem österreichischen Proporzmuster, traf sich jeden Donnerstag, um der Regierung bestimmte Ampelschaltungen vorzuschlagen. Der wiederum war das recht wurscht, sie entschied tags darauf meist etwas anderes, bald blinkte Österreich recht willkürlich orange oder rot. Das machte aber nichts, denn die jeweiligen Ampelfarben zogen keinerlei Konsequenzen im Alltagsleben nach sich. Jeder tat, wie er mochte, Rot war das neue Gelb, Orange gleich viel wert wie Grün, die Schulen scherten überhaupt aus, es etablierte sich das klassische System der österreichischen Zurufpolitik neu. Wer am lautesten schrie, konnte die Ampelfarbe am freiesten wählen und zusätzlich gleich selbst entscheiden, wofür sie in seinem Bereich stehen sollte. Oder eben genau nicht.

Auch momentan wütet das Virus lokal sehr unterschiedlich. Hermagor in Kärnten hat eine 7-Tages-Inzidenz von 637, Rust im Burgenland von 0, es gibt dort keinen einzigen Infektionsfall, schön, oder? Vermutlich hat sich das Virus mit einem Veltliner blödgesoffen und schläft jetzt in einem Weinkeller seinen Rausch aus. Virologe Nowotny regte jedenfalls auf Puls 24 regionale Maßnahmen an, die bundesweiten wären nämlich "eigentlich schon alle ausgereizt". Danke, wissen wir. Weitere Öffnungen würden kaum möglich sein, "oder aber wir machen einen Abtausch mit Dingen, die jetzt geöffnet haben, sozusagen. Gastronomie öffnen mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen, aber dafür andere Bereiche wieder schließen."

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann machen eine Woche die Gastronomiebetriebe auf, dann eine Woche die Friseure und so weiter. Man muss halt aufpassen. Wenn sich Menschen in der Woche vertun, in einen Laden hineingehen und schöne Koteletts bestellen, dann haben sie vielleicht bald links und rechts getrimmte Haare, aber immer noch einen Hunger, weil ihnen die Koteletten gestutzt wurden. Ich sage das nur dazu, damit man bei der Verordnung entsprechend gut aufpasst. So wie immer halt.

Wegen der Beschränkungen dürfen die Sessel weiter nur auf sich selbst Platz nehmen
Wegen der Beschränkungen dürfen die Sessel weiter nur auf sich selbst Platz nehmen
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Mayrhofen im Zillertal hat 3.760 Einwohner, eine Blasmusikkapelle, einen Recyclinghof, Skilifte und jetzt eben auch Corona, sogar recht viel davon. 42 Personen sind nach aktuellem Stand infiziert. Das ist jetzt noch nicht Hermagor, aber bei 29 Personen im Ort besteht der Verdacht auf die etwas wildere "südafrikanische Mutation". Das kann verschiedene Ursachen haben, im Ort sollen immer noch recht viele Autos mit britischen Kennzeichen herumfahren, der Bildungshunger englischer Skilehrer ist seit Generationen legendär.

Nun wurde über Mayrhofen eine Quarantäne verhängt, aber eine in "I am from Austria"-Modus, wie die Bürgermeisterin eilig versicherte. Weil in Österreich jedem Drama zumindest auch ein Komödien-Körnchen anhaftet, heißt die Ortschefin Wechselberger, also wie das Bürgermeister-Ehepaar aus der "Piefke-Saga", die ja in Mayrhofen gedreht wurde.

Mayrhofen wird nicht von der Außenwelt abgeschottet, wie das vermutlich vernünftig gewesen wäre, wenn auch wieder einmal zu spät, sondern das Quarantänegebiet kann mit einem negativen PCR-Test verlassen werden. Damit dies die diversen Familien Sattmann aus Deutschland, den Niederladen oder Großbritannien noch rechtzeitig schaffen können, beginnt man mit der Nicht-Sperre erst am Samstag. Auch das ist eine Besonderheit von Österreich: Hier muss alles ein paar Tage sickern, nichts passiert sofort, sogar die Echtzeit ist hier eine Aufzeichnung.

Nichts wie weg: Das Team um Sebastian Kurz nach einem Treffen mit den Landeshauptleuten
Nichts wie weg: Das Team um Sebastian Kurz nach einem Treffen mit den Landeshauptleuten
Helmut Graf

Das Skigebiet in Mayrhofen wurde nicht gesperrt, es macht jetzt freiwillig zu, vorerst einmal bis nächsten Mittwoch. Bis dahin haben die Bewohner vielleicht auch mehr Lust sich testen zu lassen. 40.000 Gurgeltests für daheim wurden im Bezirk ausgegeben, erst 4.000 kamen zurück. Vielleicht haben die anderen die Flüssigkeit einfach so weggeext, wann bekommt man schon ein Freigetränk in Zeiten wie diesen?

Für ganz Österreich wurden gestern 2.006 Neuinfektionen gemeldet, vielleicht waren es auch ein paar hundert mehr, so genau sind wir da nicht. Die Zahlen nahm der Gesundheitsminister zum Anlass, um uns verschärfte Lockerungen und gelockerte Verschärfungen zu versprechen, für wann ließ er beiderseits offen. Bis Montag soll es laut Rudolf Anschober eine "Phase der präzisen Überprüfung des Infektionsgeschehens" geben, woraus ich schließe, dass das "Infektionsgeschehen" bisher eher weniger "präzise" betrachtet wurde, was mich aber nicht sonderlich überrascht. Ein Bier nach Ostern in einem Schanigarten, diese Vision nannte Anschober einen "Wunschtraum". Wenn er wüsste, welche wir sonst noch so haben…

Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr macht jetzt aber gegenüber Bürgermeister Michael Häupl keine Andeutungen über Körpermaße, oder?
Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr macht jetzt aber gegenüber Bürgermeister Michael Häupl keine Andeutungen über Körpermaße, oder?
Helmut Graf

1. März 2021 Ludwig und der "Ketchup-Kompromiss"
Wie sich die Zeiten ändern. Später wurde er zum Corona-Hardliner, 2021 gehörte Michael Ludwig noch zu den radikalen "Öffnern".

Ich war bei Servus TV eingeladen. Dort gibt es seit Kurzem eine neue Polit-Talkshow, die "Links.Rechts.Mitte" heißt, oder "Vorne.Oben.Unten", oder "Seit.Seit.Schritt", wie auch immer. An der Diskussion nahmen auch Gäste aus dem Ausland teil, die ihre Anreise so beschrieben: Am Flughafen Frankfurt wurde zunächst penibel auf Abstände geachtet. In der Maschine saßen dann alle wie die Ölsardinen. Sämtliche Plätze waren besetzt, nix da mit "dazwischen muss ein Sitz frei bleiben". Nach der Landung sprangen alle sofort auf, ein bisschen Normalität ist uns ja doch geblieben, dann warteten sämtliche Insassen am Gang dicht an dicht aufs Aussteigen. Sobald sie die Maschine verlassen hatten, schauten Ordner darauf, dass sich keiner zu nahe kam. Corona hat viel mit uns angestellt, klüger hat uns das Virus nur bedingt gemacht.

Das Bild verfestigte sich am Tag danach, denn da gab die Regierung ihre Entscheidung über die geschlossene Öffnung bekannt. Die Gruppe, die nunmehr zweiwöchentlich zur Verkündigung antritt, vermehrt sich mittlerweile fast exponentiell, von einem "virologischen Quartett" kann keine Rede mehr sein. Sieben Kerle standen gestern da (wenn man Kommunikationschef Gerald Fleischmann mitrechnet), das Projekt Emanzipation scheint in Österreich erfolgreich abgeschlossen worden zu sein. Man hat sich bemüht, alles gegeben, für eine Frau in der Riege hat es knapp nicht gereicht, Politik ist halt doch eher ein Männersport. Aber immerhin gab es eine Gebärden-Dolmetscherin, es stand also nicht 7:0 hinter der Plexiglaswand, sondern 7:1, so fair muss man sein.

Was haben wir uns gefreut! In den Apotheken wurde damit begonnen, kostenlose Corona-Selbsttests auszugeben
Was haben wir uns gefreut! In den Apotheken wurde damit begonnen, kostenlose Corona-Selbsttests auszugeben
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Ehe sich die glorreichen Sieben zur Pressekonferenz versammeln durften, gab es hinter den Kulissen eine recht muntere Debatte. Es war nicht so weit, dass man sich gegenseitig zum Duell forderte, aber viel hat nicht gefehlt. Nach den Besprechungen mit den Experten und den Oppositionschefs, den üblichen Aufwärmrunden also, begann die Sitzung mit den Landeshauptleuten, sie sollte fünf Stunden dauern, die Pressekonferenz musste zwei Mal jeweils eine Stunde nach hinten verlegt werden. Es gab Gesprächsbedarf, zunächst vor allem übers Impfen. Sebastian Kurz dürfte vorab Inventur gemacht haben, er überraschte jedenfalls die Runde mit der Nachricht, dass der Lagerbestand im Bund momentan 140.000 Impfdosen betrage. Unglaublich eigentlich: 140.000 Dosen liegen einfach so auf Halde, niemand will sie haben, niemand ruft sie ab.

Das habe Gründe, führten die Vertreter der Bundesländer aus. Mit AstraZeneca wolle keiner mehr etwas zu tun haben, der Widerstand auch im medizinischen Bereich wachse. "60 Prozent der Leute, die mit AstraZeneca geimpft werden hätten sollen und eingeladen worden waren, sind nicht gekommen", sagte der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser.

Virtueller EU-Sondergipfel: Bin ich auf den Bildern eh gut zu sehen?
Virtueller EU-Sondergipfel: Bin ich auf den Bildern eh gut zu sehen?
Helmut Graf

Die Bundesländer wollen unterschiedlich damit umgehen, einige schlugen Änderungen beim Impfplan vor, andere haben das schon selbst in die Hand genommen, soll noch einer sagen Österreich sei zu wenig divers. Niederösterreich schaltet Impftermine für LehrerInnen und Personal von Kindergärten frei, Vorarlberg behandelt Feuerwehrleute nun mit derselben Priorität wie Polizei und Bundesheer. Tirol macht eine Feldstudie, Probanden bekommen eine Dosis AstraZeneca verabreicht, danach eine Dosis Pfizer/BioNTech. Man wolle, sagte Landeschef Platter, "auf die nächste Welle im November optimal vorbereitet sein". Er sagte wirklich November.

Dann wurde Rudolf Anschober zum Partycrasher. Die meisten Bundesländerchefs hatten sich schon für sanfte Öffnungen ausgesprochen, der Gesundheitsminister hielt dagegen. "Ich bin für Öffnungsschritte im März nicht zu haben", sagte er, "das ist das völlig falsche Signal. Es wird zu einem Drängen in diese Bereiche kommen. Ich werde meinen Kopf nicht dafür hinhalten".

Michael Ludwig hielt seinen Kopf auch nicht hin, aber dagegen. Die Einschätzung der Zahlen und Entwicklung teile er, "aber es wird trotzdem noch mehr unkontrollierte und unkontrollierbare private Treffen geben. Die Ankündigung, dass die nächsten zwei Wochen die schwersten zwei Wochen sind, kann ein Gesundheitsminister machen, aber als Landeshauptmann kann ich das nicht teilen. Man muss irgendeine Ankündigung treffen, ansonsten ist die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung noch mehr verspielt."

Irgendwo zwischen 12 und 13 bekommen Sie einen Stich in den Oberarm
Irgendwo zwischen 12 und 13 bekommen Sie einen Stich in den Oberarm
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Am Ende stand ein klassischer Kompromiss. Keine Öffnung der Gastronomie am 15. März, die Lokale sollen erst mit Beginn der Osterferien Auferstehung feiern. Die Öffnung ist für den 27. März angepeilt, vorerst darf nur im Freien aufgetischt werden, mit Eintrittstests, Abstandregeln und Gästeregistrierung, sicher auch mit einer Sperrstunde.

Und dann war da noch das Ketchup. Mit einem plakativen Vergleich versuchte Kanzler Sebastian Kurz Optimismus fürs Impfen zu verbreiten. Das sei so wie bei Ketchup-Flaschen, sagte er. "Da braucht es oft lange, bis was rauskommt, und dann kommt gleich ein ganzer Schwall". Am Abend war der Gesundheitsminister in der ZiB 2 zu Gast. Auf den Einwand von Armin Wolf, warum Gastgärten öffnen dürfen, Tennisplätze aber nicht, antwortete Rudolf Anschober: "Ja, man stellt sich diese Fragen."

Die Zahl der Fragen wurde nicht weniger. Die Antwort darauf hieß aber nicht Öffnung, sondern bald saßen wir wieder im Lockdown.

Zum Hören: Das 2. Corona-Tagebuch

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