Kampf um Jobs
VW-Krise: 10 Prozent weniger Lohn oder Werke sperren zu
Am Mittwoch legte Volkswagen die Quartalszahlen vor und sie bestätigten Befürchtungen. Minus 63,7 Prozent weniger Gewinn. Nun soll ein heftiges Sparpaket kommen. Die Details, die Hintergründe und warum Österreich mitzittert.
Schicksalstag für VW. Am Mittwoch kamen die aktuellen Unternehmenszahlen, sie fielen wie erwartet übel aus. Danach starteten die Verhandlungen über Tariferhöhungen, also mehr Geld für die Belegschaft. Dabei muss VW sparen und das radikal. Der Termin verlief ergebnislos, das Management fordert massive Lohnkürzungen.
120.000 Beschäftigten in dem einst stolzen Konzern bangen um ihre Jobs. Aber die Krise ist nicht vom Himmel gefallen, sie hat sich abzeichnet und das seit Jahren. Das müssen Sie darüber jetzt wissen:
Wie schauen die aktuellen Unternehmensdaten aus?
Wie erwartet bitter. Die Volkswagen-Gruppe gab am Mittwoch die aktuellen Unternehmenszahlen bekannt und zwar sowohl für das dritte Quartal als auch für die ersten neun Monate des Jahres. “Unsere Neunmonatsergebnisse spiegeln ein herausforderndes Marktumfeld wider", bilanziert Finanzvorstand Arno Antlitz.
Was sagen die Zahlen?
Der Konzerngewinn brach im dritten Quartal um 63,7 Prozent ein, der operative Gewinn um über 40 Prozent. "Die Marke Volkswagen hat nach neun Monaten eine operative Marge von nur noch zwei Prozent erzielt", sagt CFO Antlitz.
Wie lief der Fahrzeugverkauf?
In den ersten neun Monaten verkaufte Volkswagen 6,5 Millionen Fahrzeuge, ein Minus von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Nordamerika (+4 Prozent) und Südamerika (+16 Prozent) wurde ein Wachstum erzielt, Westeuropa (-1 Prozent) stagnierte, bitter lief es aber im wichtigen Markt China. Hier brachen die Verkäufe um 12 Prozent ein.
Macht Volkswagen nun Verluste?
Nein, der Umsatz fiel um lediglich ein halbes Prozent auf 78,5 Milliarden Euro. Im dritten Quartal gab es trotz den Einbruchs immer noch einen Gewinn von 1,6 Milliarden Euro. Aber: wird nichts unternommen, folgt nun eine rasante Talfahrt.
Wie reagierte der Aktienmarkt?
Unaufgeregt. Es kam zu keinen Kursabstürzen, die schlechten Zahlen waren erwartet worden und schon "eingepreist".
Wie brutal soll das Sparpaket ausfallen?
Ziemlich brutal. Es geht laut "Handelsblatt" um Einsparungen in der Höhe von vier Milliarden Euro. Die Zeitung nennt die geplanten Maßnahmen eine "Giftliste", sie soll weitgehend alle Bereiche des Konzerns umfassen.
Was hat das VW-Management am Mittwoch vorgelegt?
Tatsächlich eine "Giftliste". Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine pauschale Lohnkürzung von 10 Prozent geplant, Zulagen werden gestrichen. Für 2025 und 2026 soll es Nulllohnrunden geben. Bonuszahlungen und Prämien für langjährige Unternehmenstreue sollen wegfallen. Die Zahl der Ausbildungsplätze soll von 1.400 auf 600 reduziert werden.
Womit droht das Management?
Mit der Schließung von drei Werken in Deutschland geschlossen werden und das ganz unverhohlen. Entweder es kommt zum Lohnverzicht, oder wir machen Standorte zu. Von "zehntausenden Kündigungen" ist die Rede. "Nur wenn wir gemeinsam getragene Lösungen zur Erreichung dieses finanziellen Ziels haben, können wir uns auch die Diskussion zu Perspektiven der Standorte und einer Beschäftigungssicherung vorstellen," VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel, er ist Personalvorstand der Kernmarke.
Was sagt der Betriebsrat?
Die Unterredung dauerte sechs Stunden. Die Pläne seien "sowohl in der Form als auch in der jeweiligen Größenordnung nicht akzeptabel"., lautete die Reaktion von Thorsten Gröger, Verhandlungsführer der IG Metall, danach. Gefordert wurde ein "Masterplan".
Sind die Pläne neu?
Anfang September war durchgesickert, dass dem Autobauer das Wasser bis zum Hals steht. Einschneidende Veränderungen wurden avisiert, der Betriebsrat rief zum Widerstand auf. Am 4. September, legte der Vorstand von VW dann vor 25.000 Mitarbeitern in Wolfsburg erste Einsparungspläne dar und weshalb diese notwendig seien. Dem Unternehmen würden Milliarden fehlen, Kündigungen wurden nicht ausgeschlossen.
Details gab es dazu aber damals noch nicht, oder?
Nein, es gab wenig konkrete Aussagen, aber viele Gerüchte. Das deutsche "Manager-Magazin" berichtete, mittelfristig würden bis zu 30.000 Jobs am Standort Deutschland gestrichen werden, es seien Einsparungen von 10 Milliarden Euro notwendig, um VW wieder zukunftsfit zu bekommen.
Warum ist diese Woche entscheidend?
Vor allem am Mittwoch ging es bei Volkswagen Schlag auf Schlag. Die Wolfsburger legten ihre Ergebnisse für das dritte Quartal vor, am selben Tag startete auch die zweite Runde der VW-Tarifverhandlungen.
Wie viel mehr Geld fordert die Gewerkschaft?
Sieben Prozent mehr Lohn und mehr Geld für alle, die in der Ausbildung stecken.
Der Arbeitskampf startete aber schon am Montag, oder?
Ja, da gab es an allen zehn deutschen Standorten Info-Veranstaltungen des Betriebsrates. Bei der größten im Stammwerk Wolfsburg traten Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG, und Thorsten Gröder, Tarifverhandler für die IG Metall, auf. Sie hielten einen Wecker in der Hand, die Zeiger waren auf 5 vor 12 gestellt.
Wird bei VW gut verdient?
Ja, vor allem im Management und im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage des Konzerns. Vorstandsvorsitzender Oliver Blume bekam laut VW-Vergütungsbericht 2023 im Vorjahr knapp über 9,1 Millionen Euro, ein Plus von 14,9 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Finanzchef Arno Antlitz schaffte es auf fast 4,3 Millionen Euro, Chef-Chef Ralf Brandstätter auf über 4,8 Millionen Euro. Und: Blume erhält mit Stand 2023 eine garantierte Jahrespension von fast vier Millionen Euro, die Rente kann er bereits mit 63 antreten.
Die zehn Vorstandsmitglieder kassieren gemeinsam über 40 Millionen Euro. Aber auch Ex-Manager müssen nicht darben. Herbert Diess, der im August 2022 als Vorstandsvorsitzender ausschied, erhielt im Jahr darauf immer noch 12,8 Millionen Euro, Ex-Personalchef Karlheinz Blessing, der schon 2018 aus dem Unternehmen ging, kam auf 2,1 Millionen Euro.
Wie viel bekommt ein Aufsichtsrat bei VW?
Laut Vergütungsbericht erhielt Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch im Vorjahr 676.000 Euro zuzüglich 586.000 Euro "Vergütung aus anderen Konzernmandaten". Im Aufsichtsrat sitzen auch Vertreter der Eigentümer-Familien Porsche und Piëch.
Wie viel erhält Betriebsratschefin Cavallo?
Daniela Cavallo ist Mitglied des Aufsichtsrates und bekam dafür 2023 als Vergütung 374.500 Euro. Aus "anderen Konzernmandaten" erhielt sie 89.658 Euro. Allerdings heißt es ergänzend im Vergütungsbericht: Die "Arbeitnehmervertreter haben erklärt, ihre Aufsichtsratsvergütung nach den Richtlinien des Deutschen Gewerkschaftsbundes an die Hans-Böckler-Stiftung abzuführen."
Was bekommen "normale" Mitarbeiter?
Es gibt einen eigenen Haustarifvertrag mit 22 Entgeltstufen. Azubis erhalten 14.000 Euro im Jahr, Leitende Ingenieure 118.700 Euro, Abteilungsleiter 124.600 Euro. Mitarbeiter in der Produktion liegen meist so um die 4.000 Euro, berichtet das Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu. Im Vorjahr bekam jeder eine Jahresprämie von 4.735 Euro.
Darüber hinaus gibt es Vergünstigungen. Unter dem Titel "Benefits & Work-Life-Balance" lockt das Unternehmen künftige Mitarbeiter. Geboten werden "bezahlte berufliche Auszeit", Betriebsrente, "Eltern-Kind-Büros" und Gastro, um "bei einem Cappuccino die Seele baumeln zu lassen".
Hat die VW-Krise Auswirkungen auf Österreich?
Und ob! Österreich gilt als klassisches Zulieferland der deutschen Autoindustrie. 193.000 Jobs hängen laut Wirtschftskammer direkt oder indirekt von diesem Markt ab. In Österreich gibt es über 900 Zulieferbetriebe an die Autoindustrie, errechnete Komplexitätsforscher Peter Klimek für das ORF-Magazin Eco. 150 davon gaben an, Volkswagen direkt zu beliefern.
Um welche Unternehmen geht es da?
Bekannt ist natürlich Magna von Gründer Frank Stronach. Im Segment "Complete Vehicles", also der Fertigung von Komplettfahrzeugen, erzielte das Unternehmen allein in Graz 2023 über 5,5 Milliarden Dollar Umsatz. VW gehört bei Magna zu den "Big 6", neben General Motors, BMW, Stellantis, Daimler und Ford zu den relevantesten Geschäftspartnern.
Und wer ist neben Magna betroffen?
Autos werden längst mit Teilen aus der halben Welt zusammengebaut, vom Motor bis zum Rückspiegel liefern Unternehmen Komponenten zu. Das können Gurte sein (isi aus Wien) oder Glasfaserteile wie von der Polytec Group aus Oberösterreich.
Wie groß ist der Volkswagen-Konzern?
Die Volkswagen Group mit Sitz in Wolfsburg, Deutschland, ist der größte Autobauer Europas. Zum Konzern gehören zehn Marken: Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Škoda, Seat, Cupra, Audi, Lamborghini, Bentley, Porsche und Ducati. Das Unternehmen hat weltweit 684.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in Deutschland 120.000.
Das Gesamtunternehmen machte im Vorjahr 322,2 Milliarden Euro Umsatz. Volkswagen betreibt insgesamt 114 Produktionsstätten weltweit und lieferte 2023 über 9 Millionen Fahrzeuge aus.
Wem gehört Volkswagen?
Es handelt sich um eine Aktiengesellschaft, die Erstemission fand 1961 statt. Die Vorzugs- und Stammaktien werden an Wertpapierbörsen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, Hamburg, München und Stuttgart gehandelt.
Das sind die Volkswagen-Eigentümer
- Porsche Automobil Holding SE 31,9 Prozent
- Ausländische institutionelle Anleger 20 Prozent
- Land Niedersachsen 11,8 Prozent
- Qatar Holding LLC 10 Prozent
- Private Shareholder 24,1 Prozent
- Deutsche institutionelle Anleger 2,2 Prozent
Aber wer hat wirklich das Sagen?
Die österreichischen Familien Porsche und Piëch, die jetzt erstaunlich wenig sagen. Sie verfügen über die Mehrheit der Stimmrechte, geben also die Richtung vor. Das Scheichtum Katar spielt eine relevante Rolle, vor allem aber weist Volkswagen eine Besonderheit auf: 20 Prozent der Stimmrechte liegen in der Hand des Landes Niedersachsen. Im Aufsichtsrat sitzen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg (Grüne).
So verteilen sich die Stimmrechte
- Porsche Automobil Holding SE 53,3 Prozent
- Land Niedersachsen 20,0 Prozent
- Qatar Holding LLC 17 Prozent
- Streubesitz 9,7 Prozent
Wie groß ist das Finanzloch bei VW?
Ende August hatte Thomas Schäfer, Chef von Volkswagen, in einem Treffen der Führungskräfte ein düsteres Bild der Geschäftsentwicklung gezeichnet, es seien milliardenschwere Einsparungen nötig. Im Magazin "Spiegel" war davon die Rede, dass im Finanzplan der Marken Volkswagen und VW Nutzfahrzeuge aktuell eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro klaffen würde.
Weshalb sind die Einsparungspläne aus Managementsicht notwendig?
Weil die Absatzzahlen seit Jahren zurückgingen. "Die Kernmarke VW gibt seit geraumer Zeit mehr Geld aus, als wir einnehmen", sagte Finanzchef Arno Antlitz. Das sei auf Dauer nicht haltbar. VW fehlten die Verkäufe von rund 500.000 Autos und damit die Kapazitäten von zwei Werken. Drei stehen nun deshalb auf der Kippe.
Warum ist das bei Volkswagen besonders heikel?
Weil es seit 30 Jahren eine "Beschäftigungssicherung" im Konzern gibt, die ursprünglich noch bis 2029 gegolten hätte. Die "Beschäftigungssicherung" existierte bereits seit 1994 und sie wurde seither immer wieder im beiderseitigen Einvernehmen für einen bestimmten Zeitraum erneuert. Der Vorstand hatte der Belegschaft darin zugesichert, dass niemand vor die Tür gesetzt wird. Diese Vereinbarung wurde vom Konzern im September aufgekündigt. Damit sind ab 2025 auch betriebsbedingte Kündigungen möglich.
Was sind die Gründe für die Krise?
Es handelt sich wohl um eine Mischung aus vielen Problemen. Gestiegene Materialkosten, Personalkosten, der Erfolg der China-Autos. Kunden, die bei den Sonderausstattungen sparen, ein schwächelnder Verkauf in den USA, der in die roten Zahlen geführt hat, und die niedrigen Gewinnmargen von Elektroautos.
Hat Volkswagen schon jemals ein Werk in Deutschland zugesperrt?
Nein.
Wie viele Werke betreibt Volkswagen in Deutschland?
Betrieben werden 13 "zentrale Standorte" in Berlin, Braunschweig, Chemnitz, Dreieich, Dresden, Emden, Hannover, Kassel, München, Osnabrück, Salzgitter und Zwickau. Dazu gibt es den Hauptstandort in Wolfsburg, die Hälfte der Belegschaft arbeitet hier. Im Vorjahr liefen in Wolfsburg 480.000 Fahrzeuge vom Band. Das Werksgelände hat eine Fläche von 6,5 Quadratkilometern und ist damit doppelt so groß wie die Wiener City.
Warum ist die aktuelle Situation auch politisch brisant?
Weil bei der Volkswagen AG, wie erwähnt, das Land Niedersachsen als Miteigentümer mitredet. Kommt es nun zu Werksschließungen und Entlassungen, dann wird sich die Debatte tief in die Politik hineinziehen. 2025 sind in Deutschland Bundestagswahlen.
Wie verhält sich die Politik?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich am Montag alarmiert. Über einen Sprecher ließ er verlautbaren, "dass mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen dürfen". Es gehe darum, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern.
Wie reagiert der Betriebsrat?
Wütend! Betriebsratschefin Cavallo erhob am Montag schwere Vorwürfe. Sie sprach von einem "Ausverkauf" des Standorts Deutschland, VW plane, die Regionen um seine Werke "ausbluten" zu lassen. Sie kündigte Widerstand an, nahm das Wort Streik aber nicht in den Mund. Der Vorstand spiele "massiv mit dem Risiko, dass hier bald alles eskaliert".
Das Verhalten des Vorstandes in den vergangenen Wochen nannte sie "schäbig". Er habe der Belegschaft hier alles angezündet, er hat alles in Flammen gesetzt – und sich dann verdrückt".
Warum Volkswagen nicht irgendein Unternehmen ist?
Dazu muss man sich einmal nur das Engagement im Sport anschauen (das nun wohl ebenfalls hinterfragt wird). Volkswagen sponsert den Fußballklub VFL Wolfsburg (Trainer ist der Österreicher Ralf Hasenhüttl) und den DFB, engagiert sich im Nachwuchsbereich des FC Bayern und gemeinsam mit Porsche bei RB Leipzig. Direkt oder indirekt unterstützt man die Braunschweiger Eintracht, Dynamo Dresden, den VfL Osnabrück, den FSV Zwickau, den Chemnitzer FC und einige unterklassigere Vereine.