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1 Sommergäähspräch, 7 Elefantenrunden und 51 weitere TV-Termine

Am 29. September haben wir die Wahl. Der Weg dorthin ist mit so viel Politik-Berichterstattung im Fernsehen gepflastert wie noch nie. Zunächst aber wurde Werner Kogler  zu Wasser gelassen. Und das gleich mit 102 äähs...

"Motorboat, Motorboat, rudern tu′ i nur zur Not": Werner Kogler stach in Traunkirchen in See
"Motorboat, Motorboat, rudern tu′ i nur zur Not": Werner Kogler stach in Traunkirchen in See
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Wahlkämpfe sind stets auch Phasen der Distanzüberwindung. Die Parteien tun dann eine Zeitlang so, als gäbe es einen gemeinsamen Sandkisten-Fluchthintergrund oder eine Möbelzusammenbau-Erfahrung und sprechen die Menschen, die sie wählen sollen, per Du an. Der kumpelhafte Zugang schafft Nähe, egal ob man diese nun angestrebt hat oder nicht. Die Duisierung wurde von Ikea ins Land getragen, vielleicht flucht es sich so empathischer. Wenn man sich bei der Montage der "Billy"-Rückwand zum dritten Mal auf den Finger klopft, kann man den schuldtragenden Hammer persönlich ansprechen, wenn auch mit klaren Worten.

In Schweden ist es seit Langem üblich sich zu duzen. Bror Rexed war Neurowissenschafter, er entdeckte in den fünfziger Jahren die nach ihm benannten Rexed-Lamellen, ein System von zehn Schichten grauer Substanz im Rückenmark. Daran erinnert sich heute nur mehr ein sehr eingeschränkter Personenkreis, aber Rexed war auch Direktor der Gesundheits- und Sozialbehörde. Bei Amtsantritt 1968 gab er ein Schreiben heraus, in dem er allen anbot: "Kalla mig Bror!" („Nennt mich Bror!“). Das galt nicht nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern für den gesamte Kundenstock. Die "Socialstyrelsen" schrieb man ab da per Du an. Und die Behörde schrieb per Du zurück. Alle nahmen das persönlich und fanden es gut.

"Was meint der König zu einem Eis beim Zanoni?" Carl Gustav und Silvia von Schweden spricht man in der dritten Person an
"Was meint der König zu einem Eis beim Zanoni?" Carl Gustav und Silvia von Schweden spricht man in der dritten Person an
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Die neue Form der Kommunikation breitete sich bald über das gesamte Land aus, sie sollte auch dazu dienen, Hierarchien abzubauen. Aber ganz auf die Spitze wollte man es dann auch nicht treiben. Wenn Sie also demnächst den schwedischen König zufällig auf der Kärntner Straßen treffen sollten, dann würde es als unschicklich gelten, ihn mit "Hej Karli" oder gar "Hallo Gustl" anzureden. Mit dem Königshaus sind auch die Schweden weiterhin per Sie. So wie wir mit unseren Politikern abseits der Wahlkämpfe. Außer in Chats natürlich.

Mitglieder des schwedischen Königshauses werden in der dritten Person angesprochen. Wenn Sie also Carl XVI. tatsächlich in der Kärntner Straße mit "Hallo Gustl" angesprochen haben, dann könnten Sie die Scharte auswetzen, indem sie sagen: "Was denkt der König über Peek & Cloppenburg?" Oder: "Was meint der König zu einem Eis beim Zanoni?"

Österreich hat eine eher ambivalente Haltung zum Du. Aus historischen Gründen sind wir dem Blaublütigen sehr zugeneigt. Ehe Marko Arnautović als Nationalheld in unser Leben trat, wurde Sisi kultisch verehrt, deshalb wechseln wir in der Ansprache oft unbewusst hin und her. Dieser Tage verfolgte ich eine hitzige Konversation auf X, an deren Ende einer der Gesprächsteilnehmer unverhohlen damit drohte, den anderen zu sperren, also, wie er schrieb, den "Trottelblocker" zu aktivieren. Die Antwort war: "Ja bei dir, Sie Koffer!"

Die SPÖ rückt Richtung Kanzleramt vor, ein Fingerzeig, nur welcher Finger es wird, ist noch unklar
Die SPÖ rückt Richtung Kanzleramt vor, ein Fingerzeig, nur welcher Finger es wird, ist noch unklar
Helmut Graf

Die Herstellung von Nähe ist in Österreich oft ein Schreibakt. Das war diese Woche gut zu beobachten, denn die Parteien begannen damit, uns mit Wahlplakaten näherzutreten und das ziemlich. Ich bin mir ja nicht sicher, ob jemals ein Wahlplakat jemanden umgestimmt hat. Also, dass eine Wählerin etwa Spitzenvertreter von Kampfduzer-Bewegungen auf einem Plakat gesehen haben, der jeweilige Kopf so groß wie ein Plutzer auf einem Wachauer Hokkaidofeld, und sich in der Sekunde umentschieden hat: "Den wähle ich jetzt, weil der schaut so lieb". Eher nicht!

"Kallag mig Andi" ist auf fünf Wahlplakaten zu sehen. Er kämpft "Für dich", "Für deine Rechte", "Für deine Kinder", "Für deine Pension" und ganz generell "Für dein besseres Österreich" Das deine, dir, dich ist seltsamerweise kleingeschrieben, vielleicht befindet sich die SPÖ gerade in einer Transformationsphase hin zum du. Oder zum Du. Wobei man dazusagen muss, dass uns auch schon Pamela Rendi-Wagner duzte. Christian Kern nicht, aber man sieht ja, wie weit ihn das gebracht hat.

Die SPÖ verfügte sich für die Präsentation vor das Kanzleramt, ein klarer Fingerzeig, strittig ist noch, welcher Finger am 29. September zur Anwendung kommt. Andreas Babler hatte sich sogar eine Krawatte angezogen, er war kaum wiederzuerkennen, seine Inhalte schon. 1995, vor 29 Jahren also, plakatierte die SPÖ "Wir werden nicht zulassen, dass sich sozial Schwächere keinen Arzt mehr leisten können", "Wir werden nicht zulassen, dass Frauenrechte missachtet werden" und "Wir werden nicht zulassen, dass bestehende Pensionen gekürzt werden". Manche Kämpfe dauern eben ein Leben lang, einige überdauern sogar mehrere politische Leben.

Ja, stimmt, da oben habe ich auch schon ein paar lichte Stellen
Ja, stimmt, da oben habe ich auch schon ein paar lichte Stellen
Helmut Graf

Auch der ORF sucht jetzt mehr Nähe zum Publikum. Am vergangenen Montag fand das zweite Sommergespräch am Traunsee statt, Gast war Werner Kogler. Moderator Martin Thür kombinierte diesmal ein weißes Unterleiberl zum Sakko, bei Beate Meinl-Reisinger hatte es noch zu einem Hemd gereicht. Wenn das so weitergeht, dann sitzt Thür bei Herbert Kickl im Feinripp da und bei Karl Nehammer oben ohne, eventuell mit einem Mascherl um den Hals. Vielleicht sagt er dann auch: "Kallag mig Martin", es würde den Sommer abrunden.

Die Wespen hatte sich offenbar schon an der NEOS-Parteivorsitzenden satt gegessen, sie blieben der Unterhaltung fern, vermutlich fürchteten sie auch davor, von Koglers Schachtelsätzen Migräne zu bekommen. Jetzt, wo manche Medikamente knapp sind, kann Kopfweh eine noch größere Peinigung darstellen. Gottlob saß mit Werner Kogler ein Gesundheitsexperte ersten Ranges mit am Tisch. Trotzdem, die Angst war berechtigt, aber wiederum auch nicht, denn Kogler schachtelte erst im zweiten Teil des Gesprächs, im ersten fand er mit "ähs" das Auslangen, das dafür nicht zu knapp.

Die Sommergespräche sind heuer weniger Sommergespräche, sondern eher ZiB2-Interviews, wenn auch im Unterleiberl geführt. Das ist grundsätzlich etwas Feines, man erfährt viel, Martin Thür macht das gut, er ist wie üblich angestrebert bis zum Leiberlkragen, ohne dass es einen Leiberlkragen gäbe. Die Erwartungshaltung ist allerdings mehr Kreuzfahrt als Kreuzverhör, am Seeufer würde man gern auch den Menschen im Politiker etwas besser kennenlernen, jetzt wo man schon per Du miteinander ist. So aber wirkt das wie eine "Jedermann"-Aufführung im "Haus des Meeres". Tiefgründig, aber im falschen Wasser.

Still und starr ruht die See – bis Werner Kogler kam und mit ihm das Donnergrollen
Still und starr ruht die See – bis Werner Kogler kam und mit ihm das Donnergrollen
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Selbst Werner Kogler fiel das irgendwann auf. "Wahrscheinlich haben sie schon wieder eine Frage?", fragte er den Befrager und der fragte munter weiter. Weil das Sommergespräch kein Sommergespräch war, ließ Thür seinen Sommergesprächspartner auch nicht vom Haken, sondern quälte ihn weiter. Und uns damit auch. Wir wissen jetzt: Kogler versteht von Gesundheitspolitik recht wenig, also er weiß vermutlich wegen der Kittelfarbe grob, was ein Arzt ist, aber sein Fachwissen schießt nicht weit darüber hinaus. Aus diesem Grund war dem Gespräch schwer zu folgen, denn Kogler half sich – ich habe das nachgezählt – mit  102 Mal "ääh" oder "ähm" über die sieben Minuten zum Thema hinweg. "Das ist ja irre", sagte er andernorts im Interview. Das könnte man, ääh, so sehen.

Aber es wurde besser. Kogler koglerte in der Folge nicht immer verständlich, das aber auf höherem Niveau, vor allem als es um das Klima ging, dem "Billy"-Regal der Grünen. Das Problem in ihrem Wahlkampf ist, dass sich immer weniger Menschen für das Klima interessieren, sie machen die Augen zu und klappen die Ohren ein. Das ist ungerecht und mag angesichts der vielen Unwetter, auch der letzten Tage, vom Arlberg bis nach Wien, und der aktuellen Hitzewelle paradox erscheinen, aber alle Umfragen belegen das.

Im Klimaschutz wird sehr stark mit Angstszenarien gearbeitet, die Rede ist meist von Apokalypsen, versunkenen Inseln, Millionen Hitzeflüchtlingen und Milliarden Toten. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts ist die menschliche Natur darauf nicht eingerichtet, man kann nicht dauerhaft Angst haben. Angst ist etwas Kurzzeitiges. Sie versetzt Menschen in die Lage, Übermenschliches zu leisten, zu kämpfen oder zu flüchten. Angst drängt den Körper dazu, eine Entscheidung zu treffen. Du kannst natürlich dastehen und warten, aber dann hat dich der Bär eventuell schon wegverdaut, während du noch überlegst, was du tun sollst. Sie merken, auch ich befinde mich inzwischen in der Transformation zum Duzen.

Wer die Menschen beim Klimaschutz an der Hand nehmen will, wird also mehr Lösungen kommunizieren müssen und nicht Krisenmodulationen. Mit Angst wird sich keine Wahl gewinnen lassen.

"Wahrscheinlich haben sie schon wieder eine Frage?" Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) mit ORF-Moderator Martin Thür am Traunsee
"Wahrscheinlich haben sie schon wieder eine Frage?" Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) mit ORF-Moderator Martin Thür am Traunsee
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Müssen wir uns auch vor dem September fürchten? Das Fernsehen bietet uns heuer jedenfalls ungeahnt viele Möglichkeiten, auf Du und Du mit dem Spitzenpersonal der Nationalratswahl zu sein. Wenn ich das so recht überblicke, haben wir ab Ende des Monats fast nur mehr an den Samstagen politikfrei, sonst sind wir an jedem Abend potentiell Kundschaft von wahlrelevanter Nahversorgung. Alles in allem führen uns auf 29 Tage verteilt 58 Sendungen zur Urne, wahrscheinlich sind es sogar mehr, manche Sender liefern noch nach. Ich glaube, von den Olympischen Sommerspielen in Paris wurde weniger übertragen. Ob wir die Welt danach klarer sehen oder eher wie unter Seinewasser, wird sich erst zeigen.

Es gibt allein sieben "Elefantenrunden", also Aufeinandertreffen der fünf Parteispitzen. Es hätten noch mehr sein können. Oder weniger. Der ORF spekulierte ursprünglich mit einer ersten Konfrontation schon am 4. Juli, Vorbild waren die USA, mehr die Frühform des Aufeinandertreffens, weniger das Schicksal von Joe Biden. Gern hätte man auch ein paar "Elefantenrunden" fusioniert, aber die Privatsender wehrten sich gegen eine Zusammenlegung. Deshalb gibt es nun also die Glorreichen Sieben im 2024er-Update.

Zwei "Elefantenrunden" werden auf ORF III gezeigt, die erste bereits am 30. August, sie findet in Alpbach statt. Der ORF ist hier nicht Veranstalter, sondern das European Forum Alpbach. Weil Tirol eher weiter weg ist von Wien, lichtet sich aber das Teilnehmerfeld. Die ÖVP will erfahren haben, dass Herbert Kickl nicht kommt, sondern Susanne Fürst schickt, also wird auch Karl Nehammer nicht anreisen. Andreas Babler will grundsätzlich alle TV-Termine selbst wahrnehmen, außer es kommt bei den anderen Spitzenkandidaten zu Verweigerungen, dann wird neu überlegt.

Wie wor des? Des Runde muass ins Eckige? Oder das Eckige ins Runde? Oder das Runde ins Runde? Der Kanzler gönnte sich diese Woche ein Benefizspiel
Wie wor des? Des Runde muass ins Eckige? Oder das Eckige ins Runde? Oder das Runde ins Runde? Der Kanzler gönnte sich diese Woche ein Benefizspiel
Helmut Graf

Nach Alpbach sollte es Andreas Babler trotzdem schaffen, Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger sind sowieso schon da. Vielleicht machen sie es so wie die Fans von Taylor Swift, ziehen als Trio durch Alpbach und singen Lieder über die Kollegen, die nicht angetanzt sind. Statt Swifties wird man sie vielleicht Polifties nennen. Auf Instagram könnte sich das hübsch machen.

Statt nach Tirol fährt Karl Nehammer an den Traunsee, denn am Montag, 2. September, ist er im ORF-Sommergespräch zu Gast. Zwei Tage später, am 4. September also, hat er sein Sommergespräch auf Servus TV, das kein Sommergespräch mehr ist, sondern zum normalen Gespräch heruntergestuft wurde.

Dazwischen muss der Kanzler am Dienstag nach Salzburg, nicht um beim Salzburger Sender Servus TV aufzutauchen, denn der führt das Interview in Wien, sondern bei einer "Elefantenrunde" der Bundesländermedien, die ebenfalls auf ORF III übertragen wird, und das nur drei Tage nach dem Auftritt des Taylor-Swift-Trios in Alpbach. Ich mutmaße, in der Zwischenzeit wird sich Österreich nicht maßgeblich verändert haben, weder zu seinen Ungunsten, noch zu seinen Gunsten.

Bis zum 29. September folgen dann noch fünf weitere "Elefantenrunden" auf Puls 4, Servus TV, oe24, Kurier TV und zum Schluss am 26. September in ORF 2. Dazu 10 Zweier-Konfrontationen in ORF 2 zu je 50 Minuten, 10 Speed-Duelle auf Puls 4, Pressestunden, Analysen, Reportagen, Spezialsendungen, Spurensuchen, Stammwähler der einen Partei treffen auf Stammwähler der anderen Partei. Puls 4 widmet sich in einer zweiteiligen Doku einer Frage, die vielen bisher nur sanft unter den Nägeln brannte – "Nina Proll: Kann ich Kanzler?" Sebastian Kurz und Christian Kern wirken dabei mit. Die Wahl selbst werden wir eventuell als Akt der Erlösung empfinden, was voreilig ist, denn es folgen die Regierungsverhandlungen, die bunt werden könnten. Jedenfalls bieten sie Anlass zu vielen Diskussionen.

In all den abendlichen Sesselkreisen werden die Elefanten öfter nicht jene Elefanten sein, die am 29. September an erster Stelle zur Wahl stehen, sondern sie werden Ersatz aus der Herde schicken. Eher nicht in den ORF, aber zu den Privatsendern. Es wird auch Tage geben, da ist Politik parallel auf ORF 1 und ORF 2. Es kann also sein, dass Karl Nehammer am 10. September in ORF 2 (live) gerade mit Beate Meinl-Reisinger diskutiert, gleichzeitig aber (aufgezeichnet) in ORF 1 Fragen zu Gesundheit und Pflege beantwortet.

Das Monsterprogramm wurde seit Jänner verhandelt, vorrangig mit dem ORF, im April war alles fixiert. Die letzte Zweier-Konfrontation findet am 23. September zwischen Herbert Kickl und Karl Nehammer statt und nicht, wie es vom letzten Wahlergebnis her sein müsste, zwischen Karl Nehammer und Andreas Babler. Dass sich die SPÖ darüber erregt, ist nachvollziehbar, aber vier Monate zu spät, denn sie wusste schon im Frühjahr Bescheid, zumindest aus den Medien. Die "Kleine Zeitung" hat am 26. Mai darüber geschrieben.

So mancher Parteimanager sehnt sich - insgeheim natürlich – nach den Zeiten zurück, in denen es nur FS 1 und FS 2 gab, zwei Fernsehsender also. Da war man auch noch per Sie miteinander.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Wenn Sie für Ihre neue Welt im Du üben müssen: Am 31. August lädt Ikea in Österreich zu "Pyjama & Breakfast". Wer im Schlafgewand kommt, erhält ein Gratis-Frühstück und einen Warengutschein in Höhe von 25 Euro. Vielleicht findet sich in ihrem TV-Terminkalender ja ein Zeitfenster für ein halbnacktes Bällebad.

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